juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 1. Zivilsenat, Urteil vom 23.02.2023 - I ZR 155/21
Autor:Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer, Universitätsprofessor, RiOLG
Erscheinungsdatum:25.05.2023
Quelle:juris Logo
Normen:Art 5 GG, § 831 BGB, § 8 UWG 2004
Fundstelle:jurisPR-WettbR 5/2023 Anm. 1
Herausgeber:Jörn Feddersen, RiBGH
Zitiervorschlag:Peifer, jurisPR-WettbR 5/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Delegation von wettbewerbsrechtlichen Prüfpflichten im Konzern („Rundfunkhaftung II“)



Leitsatz

Ein Rundfunkveranstalter, der seine wettbewerbsrechtliche Prüfungspflicht auf ein anderes konzernangehöriges Unternehmen überträgt, kann für eine unzureichende Prüfung durch dieses Unternehmen nach § 8 Abs. 2 UWG haften.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung fokussiert die Frage, welche wettbewerblichen Prüfpflichten einen Rundfunkverantwortlichen vor der Ausstrahlung von Glücksspielwerbung treffen, wenn er diese Pflichten auf eine Konzerngesellschaft delegiert. Konkret geht es um die Reichweite des § 8 Abs. 2 UWG im Konzern. Als Besonderheit zu beachten war, dass die wettbewerbsrechtlichen Prüfpflichten für Rundfunkverantwortliche wegen ihrer besonderen Bedeutung für die Informationsversorgung (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) weniger scharf und auf die Beachtung offensichtlicher Wettbewerbsverstöße begrenzt sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Kläger ist ein Bundesverband für Glücksspielwesen, dem die staatlichen Lotteriegesellschaften angehören, Beklagte ein bundesweiter privater Fernsehveranstalter. Dessen Sendetöchter strahlten Fernsehspots aus, in denen für unentgeltliche, aber auch entgeltliche Casino- und Automatenglücksspiele auf Internetseiten mit de-Domains geworben wurde, deren Angebote wegen einer liberaleren Glücksspielpolitik in einem Bundesland, nämlich Schleswig-Holstein, jedenfalls geduldet wurden, ob sie auch ausdrücklich erlaubt waren, war unter den Parteien umstritten. Mit den de-Adressen gleichnamige com-Domains wurden in der konkret angegriffenen Werbung nicht genannt, die über diese com-Domains erreichbaren Internetauftritte wiesen aber einen optisch ähnlichen bis identischen Eindruck mit den deutschen Seiten auf. Die hierüber erreichbaren entgeltlichen Angebote waren in Deutschland nicht erlaubt, weil die entsprechenden Anbieter über keine Glücksspielerlaubnis hierzulande verfügten. Der Kläger mahnte dies ab und behauptete, die Beklagte habe ihre wettbewerblichen Prüfpflichten dadurch verletzt, dass in ihren Senderfamilien bundesweit für Glücksspiel geworben wurde, das entweder verboten oder jedenfalls nur in einem Bundesland zulässig war. Soweit es um verbotene Angebote unter com-Domains gehe, würden diese mittelbar durch die Bewerbung gleichnamiger Angebote unter de-Domains mitbeworben. LG und OLG München haben der Unterlassungsklage stattgegen, der BGH hat die Entscheidungen aufgehoben, die Klage teilweise abgewiesen, im Übrigen den Fall zur nochmaligen Verhandlung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Die Abweisung erfolgte im Hinblick auf zwei Angebote auf de-Seiten, die keine entgeltpflichtigen, sondern Gratisspiele betraf, insoweit fehle es an einem Verstoß, weil nur entgeltpflichtige Glücksspiele unter das Werbeverbot fielen. Zudem sei im Ergebnis keine Prüfpflicht verletzt worden, weil ein Verbot mittelbarer Werbung für entgeltliche com-Domains zwar bestehe, aber zum Zeitpunkt der Abmahnung nicht so offensichtlich gewesen sei, dass es als wettbewerbswidrig hätte erkannt werden müssen. Zurückverwiesen wurde der Fall, weil das Oberlandesgericht nicht überprüft hatte, ob denn die unmittelbare Werbung für die de-Angebote verboten war. Das muss das Gericht nun nachholen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Fallkonstellation war bereits Gegenstand der Entscheidung des BGH, Urt. v. 22.07.2021 (I ZR 194/20 - GRUR 2021, 1534 „Rundfunkhaftung I“). Dort ging es um identische Angriffe vor den Kölner Gerichten gegen einen weiteren bundesweit sendenden Fernsehveranstalter. Der BGH kommt für beide Fälle zu dem Ergebnis, dass eine Werbung für de-Domains mittelbar auch für inhaltlich gleich aufgemachte com-Angebote wirbt, so dass selbst eine Erlaubnis in einem Bundesland die Werbung nicht rechtfertigen konnte (BGH, Urt. v. 22.07.2021 - I ZR 194/20 Rn. 57 ff. - GRUR 2021, 1534). Tragend dafür war, dass identische Domainnamen mit identischen bis sehr ähnlichen Internetauftritten für die schleswig-holsteinischen und die ausländischen Angebote verwendet wurden. Naheliegend ist in solchen Fällen, das sich Nutzer den Angebotsnamen merken und spätestens über Suchmaschinen auch zu den verbotenen Angeboten gelangen. Allerdings sei die Frage, ob eine mittelbare Werbung einen Verstoß begründen konnte, bis zur Entscheidung Rundfunkhaftung I, die erst nach der Abmahnung im hier zu entscheidenden Fall erging, höchstrichterlich nicht geklärt (hierzu Liesching, MMR 2022, 50); daher sei der Verstoß auch nicht offensichtlich gewesen. Der Fall spitzt sich damit auf die Frage zu, ob die Werbung für die de-Angebote offensichtlich wettbewerbswidrig war. Hierfür kommt es auch auf die Frage an, wen die wettbewerbliche Verkehrspflicht im Konzern trifft, die Beklagte oder nur das konzernangehörige Unternehmen, auf welches die Prüfpflicht delegiert wurde. Bei der Antwort auf diese Frage liegt der Schwerpunkt des Urteils. Der BGH stellt klar, dass einerseits Verkehrspflichten vertraglich verlagert werden können, andererseits aber diejenige Einheit, die solche Pflichten überträgt, nach § 8 Abs. 2 UWG weiterhaftet, wenn die prüfende Einheit fehlerhaft prüft. Die Haftung nach § 8 Abs. 2 UWG geht damit über das hinaus, was § 831 BGB für das allgemeine Zivilrecht vorsieht (dort genügt die Einlassung, man habe den Prüfpflichtigen sorgfältig ausgewählt und instruiert). Dieser Schritt ist für das UWG bedeutsam, denn er verhindert, dass Verkehrspflichten im Wettbewerb im Konzern wegdelegiert werden können. § 8 Abs. 2 UWG erfährt damit eine weitere Schärfung.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung ist außerordentlich bedeutsam für die Haftung im Konzern. Sie geht über den Rundfunkbereich hinaus und zeigt, dass die wettbewerbsrechtlichen Prüfpflichten mehrere Beteiligte treffen können, den Hauptverantwortlichen wie auch Konzerngesellschaften, an welche Pflichten delegiert werden. Wenn eine solche Delegation erfolgt, bleibt der Hauptverantwortliche im Konzern verpflichtet, sich Einfluss auf die Prüftätigkeit zu sichern und diesen Einfluss auch auszuüben. Letztlich führt § 8 Abs. 2 UWG damit zu einer Mehrfachverpflichtung bei der Delegation von Pflichten, die auf der dezentralen Ebene unzureichend erfüllt werden.
E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Noch zu entscheiden ist die Frage, ob auch die Werbung für die entgeltlichen Angebote auf den de-Seiten unzulässig war. Dies hatte das Berufungsgericht nicht geprüft und auch nicht prüfen müssen, weil es den Verstoß darin gesehen hatte, dass mit den de-Seiten mittelbar für unzulässige ausländische Angebote geworben wurde. Für die Lösung dieser Frage kommt es wieder darauf an, ob ein offensichtlicher Verstoß vorlag. Hierzu hatte der BGH in Rundfunkhaftung I bereits die Wertung des Berufungsgerichts unbeanstandet gelassen, dass die Veranstaltung von Online-Glücksspielen in Schleswig-Holstein nicht explizit erlaubt war, sondern nur nicht beanstandet wurde (BGH, Urt. v. 22.07.2021 - I ZR 194/20 Rn. 48 ff. - GRUR 2021, 1534). Zu klären ist nun, ob dieser Verstoß offensichtlich war. Im Kölner Parallelverfahren wurde das bejaht (OLG Köln, Urt. v. 03.06.2022 - I-6 U 47/20, 6 U 47/20 - MMR 2023, 155 m. krit. Anm. Liesching). Die hiergegen gerichtete Revision wurde vom BGH nicht zur Entscheidung angenommen.



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