Corona und das Umgangsrecht:
12 aktuelle Fragen und Antworten

Corona erschwert weiterhin unseren Alltag – und stellt gerade auch getrennt lebende Eltern vor große Herausforderungen. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf den Umgang? Ist der Umgang in Zeiten eines „Lockdowns“ auszusetzen? Was gilt, wenn das Kind oder ein Elternteil in Quarantäne muss? Wir bedanken uns bei Dr. Werner Dürbeck für seine Bereitschaft, uns diese und weitere Fragen zum Umgangsrecht zu beantworten.

Der Beitrag behandelt ein wegen der sich stets verändernden Krisenlage hochaktuelles Thema. Nach Erscheinen können sich sehr schnell Änderungen der Sach- und Rechtslage ergeben. Unser Interviewpartner gibt die ihm bekannte Sach- und Rechtslage mit Stand vom 16.11.2020 wieder.

Umgangsrecht

1. Ist es notwendig oder sinnvoll, Umgangsregelungen im Hinblick auf Corona zu treffen – oder bestehende Regelungen anzupassen?

Grundsätzlich bedarf es in Bezug auf die Corona-Ansteckungsverfahren keiner spezifischer Umgangsregelungen oder einer Anpassung bestehender Umgangsregelungen. Auch die Bundesregierung hat bereits am Beginn der Pandemie im März dieses Jahres stets betont, dass etwaige öffentlich-rechtliche Kontaktbeschränkungen das Umgangsrecht nicht tangieren sollen.

2. Kann die gerichtliche Regelung des Umgangs wegen Corona ausgesetzt werden?

Grundsätzlich ist diese Frage zu verneinen. Ein befristeter Ausschluss des Umgangsrechts dürfte nur dann in Betracht kommen, wenn der Umgangsberechtigte oder das Kind infiziert sind oder sich aufgrund einer behördlichen Anordnung in Quarantäne zu begeben haben. Eine „freiwillige Quarantäne“ des betreuenden Elternteils und des Kindes genügen nicht.

3. Welche Auswirkung hat Corona auf die Umgangspflegschaft oder Umgangsbegleitung?

Hier ist zu differenzieren. Die Tätigkeit des Umgangspflegers wird im Regelfall durch die Corona Pandemie nicht tangiert. In einem Fall des Amtsgerichts Frankfurt a. M. hatte der Umgangspfleger allerdings im März 2020 geltend gemacht, er könne die Übergaben des Kindes nicht mehr physisch begleiten, da er aufgrund einer Vorerkrankung zu einer Risikogruppe gehöre. In solchen Fällen sind schnelle und flexible Lösungen angezeigt. Hier sollte die Person des Umgangspflegers entweder ausgetauscht werden oder aber – wie im Fall des AG Frankfurt a. M. – die Umgangsregelung dahin abgeändert werden, dass der Umgangspfleger die Übergabe via Skype oder anderer Telefondienste begleitet. Beim begleiteten Umgang – etwa durch das Jugendamt oder freier Träger der Jugendhilfe – stellt sich die Rechtslage anders dar. So hatte etwa ein mittelhessisches Jugendamt ab März 2020 für Dauer von etwa neun Wochen Umgangsbegleitungen gänzlich eingestellt. In solchen Fällen kann das Familiengericht nur begrenzt gegensteuern, weil Umgangsbegleitungen stets der Zustimmung des Umgangsbegleiters bedürfen und auch freie Träger nach meiner Kenntnis in dieser ersten Phase der Pandemie ihre Dienste nicht zur Verfügung stellten.

4. Ist der Umgang in Zeiten eines „Lockdowns“ zu verringern oder auszusetzen?

Hier gilt grundsätzlich das zu Frage 1 und 2 Gesagte. Versuche der Landesregierungen, während des Lockdowns im März 2020 den elterlichen Umgang mit in Heimen oder sonstigen betreuten Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe gänzlich auszuschließen, sind von den Verwaltungsgerichten im Hinblick auf Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG beanstandet worden. Im Bereich des begleiteten Umgangs kann es aber de facto zu einer Umgangsaussetzung kommen, wenn die umgangsbegleitende Institution ihre Tätigkeit verweigert.

5. Muss sich der Umgangsberechtigte auf die Möglichkeit von Telefonaten oder Videochats verweisen lassen?

Grundsätzlich nein. Allerdings sind Fälle durchaus denkbar, in denen solche Möglichkeiten als Ersatz des physischen Kontakts mit dem Kind in Betracht zu ziehen sind. Zu nennen sind hier die oben erwähnten Fälle des Scheiterns der Umgangsbegleitung, bei einer Infektion oder Quarantäne von Kind oder Umgangsberechtigten oder wenn der Umgangsberechtigte oder das Kind im Ausland lebt.



Dr. Werner Dürbeck

  • Richter am Oberlandesgericht im 5. Familiensenat des OLG Frankfurt.
  • Mitglied der Redaktion der Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ) und Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen, vorwiegend im Kindschafts-, Familienverfahrens-, Kosten- und Jugendhilferecht
  • Bearbeiter des Staudinger BGB, §§ 1684-1686a, 1712-1717 BGB und des FamFG-Kommentars von Prütting/Helms, §§ 49-57, 76-79, 169-185

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6. Kann der Umgang verweigert werden, wenn das Kind oder ein Elternteil in Quarantäne muss – oder der Verdacht einer Erkrankung besteht?

Hier gilt das oben Gesagte. Ein Verdacht auf eine Erkrankung dürfte allerdings nicht genügen. Auch kann die Gewährung des Umgangs durch den Umgangsverpflichteten nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Umgangsberechtigte ein negatives Testergebnis vorlegt. In einem Fall des Amtsgerichts Frankfurt a. M. war der umgangsberechtigte Vater tatsächlich positiv getestet worden und der Umgang konnte für die Dauer von 2 Wochen nicht durchgeführt werden. Nach Vorlage eines amtlich bestätigten negativen Tests war die Umgangsregelung aber wieder ohne Einschränkungen umzusetzen und gegen die Kindesmutter ein Ordnungsgeld verhängt worden.

7. Gelten öffentlich-rechtliche Beschränkungen, wie das Tragen von Masken oder das Abstandsgebot, auch für die Zeit während des Kindesumgangs?

Grundsätzlich besteht während des Umgangs mit dem Kind weder eine Pflicht zum Tragen einer Schutzmaske noch ist das Abstandsgebot im Verhältnis zum Kind zu beachten. Dies gilt auch in Bezug auf im Haushalt lebende sonstige soziale Bezugspersonen des Umgangsberechtigten.

8. Wie verhält es sich, wenn das Kind zur Risikogruppe gehört?

Auch hier besteht jedenfalls beim Elternumgang grundsätzlich keine rechtliche Notwendigkeit einer Beschränkung oder des Ausschlusses des Umgangsrechts. Gegebenenfalls könnten hier gerichtliche Auflagen für die Ausübung des Umgangsrechts – etwa zum Tragen von FFP-2-Schutzmasken oder Kontaktbeschränkungen gegenüber Dritten – vorzusehen sein. Was für den betreuenden Elternteil gilt muss aber im Ergebnis auch für den umgangsberechtigten Elternteil gelten.

9. Bestehen für das Umgangsrecht Besonderheiten bei Reisen – insbesondere in Risikogebiete?

Das Thema hat vor allem am Anfang der Pandemie auch die Obergerichte beschäftigt und die Frage wurde zuletzt dahin beantwortet, dass Auslandsreisen mit dem Kind stets der Zustimmung des anderen Elternteils bedürfen und im Zweifel zu unterlassen sind. Nachdem heute aber auch Deutschland zu einem Risikogebiet zählt, erschließt es sich grundsätzlich nicht, weshalb Reisen, etwa in Nachbarländer, anders zu beurteilen sollen als Reisen im Inland.

10. Kann der Umgang verweigert werden, wenn der Umgangsberechtigte zur Gruppe der sogenannten „Corona-Leugner“ gehört?

Eine interessante Frage, die meines Wissens in der Praxis so noch nicht aufgetaucht ist. Im Ergebnis dürfte Elternteilen, die die Gefahren der Ansteckung mit dem Corona-Virus leugnen, tatsächlich der Umgang mit dem Kind zu versagen sein, wenn sie auch entsprechende Schutzmaßnahmen, wie das Tragen von Schutzmasken oder das Abstandsgebot, ernsthaft verweigern. In solchen Fällen muss der zum Umgang verpflichtete Elternteil aber unverzüglich zur Abänderung einer bestehenden Umgangsregelung das Familiengericht anrufen und darf nicht eigenmächtig den Umgang aussetzen.

11. Ist der Umgang durch ein Ordnungsgeldverfahren durchsetzbar, wenn die Regelung wegen Corona nicht eingehalten werden konnte?

Die Frage ist eindeutig mit ja zu beantworten. Es gibt bereits eine Reihe erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen, in denen Elternteile, die wegen der Corona-Ansteckungsgefahren den Umgang verweigert haben, mit Ordnungsgeldern belegt worden sind, in einem Fall des Amtsgerichts Frankfurt a. M. sogar mit 20.000 EUR (für 4 Verstöße). Schwieriger ist dies aber in dem Fall, in denen das Jugendamt – auch im Fall der Rechtswidrigkeit - Umgangsbegleitungen verweigert, da es vom Familiengericht nach hM nicht zur Durchführung der Umgangsbegleitung verpflichtet werden kann. Ein entsprechender Fall des OLG Frankfurt, in denen deshalb ein Ordnungsmittel gegenüber dem Jugendamt nicht verhängt wurde, liegt derzeit dem BGH vor. In solchen Fällen sollten betroffene Eltern das Jugendamt vor den Verwaltungsgerichten zum Tätigwerden verpflichten lassen.

12. Wie gehen Familiengerichte in Umgangssachen, die in besonderem Maße beschleunigt zu führen sind, mit der Durchführung zeitnaher persönlicher Anhörungen der Beteiligten um?

Hier bestanden bzw. bestehen vor allem während des Lockdown im März und des gegenwärtigen andauernden „Lockdown light“ große Unsicherheiten und regionale Unterschiede. So kam es etwa im März 2020 zu einem faktischen Lockdown bei den Berliner Amtsgerichten, in denen Schriftsätze auch in Umgangssachen weitgehend nicht weitergeleitet wurden oder Anhörungen von Kind oder Eltern nur in Ausnahmefällen durchgeführt wurden. Hier besteht ein Konflikt zwischen dem Beschleunigungsgrundsatz und dem Schutz der Gerichtsbediensteten und Verfahrensbeteiligten vor gesundheitlichen Ansteckungsrisiken. Für eine Anhörung mittels Videoübertragung in einer Vielzahl von Fällen ist die deutsche Justiz in technischer Hinsicht nicht gerüstet. Eine Aussetzung der Verfahren kommt in Umgangssachen nur schwerlich in Betracht. Da aber auf persönliche Anhörungen von Kind und Eltern auch nicht verzichtet werden kann – was der BGH jüngst auch in Betreuungssachen für die Anhörung des Betroffenen hervorgehoben hat -, sind diese in jedem Fall durchzuführen und entsprechende Schutzmaßnahmen (Abstand und ggf. Schutzmasken oder Trennscheiben) für alle Anwesenden zu treffen. Ob Betroffene, die zu Risikogruppen für eine Ansteckung gehören, zum Erscheinen verpflichtet werden können, ist aber höchst fraglich.

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