- 19.11.2024
- Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG)
Grundfreibetrag 2023 und 2024 trotz verfassungsrechtlicher Bedenken mit dem Grundgesetz vereinbar
Grundfreibetrag 2023 und 2024 trotz verfassungsrechtlicher Bedenken mit dem Grundgesetz vereinbar
Das Schleswig-Holsteinische FG hat mit Urteil vom 28.6.2024 (1 K 37/23) zur Vereinbarkeit des Grundfreibetrags 2023 und 2024 mit dem Grundgesetz entschieden. Der Richter am FG Dr. Felix Hütte kommentiert die Entscheidung und gibt Hinweise für die Praxis:
I. Problemstellung
Streitig ist allein die Frage, ob der Grundfreibetrag im Einkommensteuerrecht in den Jahren 2023 und 2024 mit dem Grundgesetz im Einklang steht.
II. Rechtsauffassungen
Die Klägerseite geht für beide Jahre von einer Verfassungswidrigkeit aus. Dabei werden im Wesentlichen zwei Ansätze verfolgt. Zunächst wird vertreten, dass der Grundfreibetrag bereits in seiner absoluten Höhe verfassungswidrig sei, weil er die tatsächliche Entwicklung der Inflation nicht hinreichend berücksichtigt habe. Zum anderen folge eine Verfassungswidrigkeit auch daraus, dass die Zuwendungen im Sozialhilferecht über dem Betrag lägen, den das EStG von einer Einkommensbesteuerung verschone. Dies verstoße gegen den Grundsatz, dass der Gesetzgeber das von ihm selbst definierte (sozialrechtliche) Existenzminimum auch im einkommensteuerlichen Grundfreibetrag berücksichtigen müsse.
III. Die Entscheidung des FG und deren Einordnung
Der erkennende Senat urteilte zu Gunsten des FA. Eine Aussetzung und Vorlage zum BVerfG wurde dabei abgelehnt. Denn zwar bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrags; eine Vorlage zum BVerfG verlange aber eine „Überzeugung“ von der Verfassungswidrigkeit, die der Senat nicht hatte.
Inhaltlich prüfte das Gericht zunächst, ob der im Grundfreibetrag berücksichtigte Regelbedarf sowie die Unterkunfts- und die Heizkosten rechtmäßig ermittelt wurden. Dies wurde bejaht, weil sich der Gesetzgeber in nicht zu beanstandender Form am Existenzminimumbericht orientiert habe. Zwar habe der Gesetzgeber bei den Unterkunftskosten einen unteren Pauschalwert gewählt; allerdings sei dies vom BVerfG für zulässig erachtet worden, wenn der Gesetzgeber – wie in den Streitjahren – flankierende Sozialleistungen (z. B. Wohngeld) zur Verfügung stelle.
Verfassungsrechtliche Bedenken hatte der Senat mit Blick auf das Jahr 2024, da in diesem Jahr im Sozialrecht nicht der im 14. Existenzminimumbericht ermittelte Regelbedarf von 537 € in Ansatz gebracht wurde, sondern mit 563 € ein um 26 € pro Monat (312 € jährlich) höherer Wert. Im Steuerrecht dagegen hat der Gesetzgeber bei der Bemessung des Grundfreibetrags lediglich den Regelbedarf von 537 € herangezogen. Selbst wenn man dabei die Erhöhung des Grundfreibetrags zum „Ausgleich der kalten Progression“ um weitere 132 € berücksichtige, werde im Steuerrecht ein um (312 € – 132 € =) 180 € jährlich (15 € monatlich) geringerer Regelbedarf zu Grunde gelegt als im Sozialrecht. Diese Diskrepanz stehe in einem Spannungsverhältnis zu dem Grundsatz, wonach der Gesetzgeber das selbst definierte Existenzminimum im Sozialrecht und im Steuerrecht gleich zu definieren habe. Dass der Senat gleichwohl keine „Überzeugung“ von der Verfassungswidrigkeit erlangte, lag im Wesentlichen daran, dass Gegenstand der Prüfung der Grundfreibetrag in Summe – nicht seine einzelnen Rechengrößen – war. Im Rahmen dieser Gesamtbetrachtung hielt der Senat ein Abweichen bei der rechnerischen Berücksichtigung des Regelbedarfs i.H.v. 15 € monatlich mit Blick auf die Typisierungsbefugnis bei den Unterkunftskosten und mit Blick auf die nach dem BVerfG nur „annäherungsweise“ erforderliche Orientierung am Sozialrecht für noch vertretbar.
IV. Hinweise für die Praxis
Die Revision ist eingelegt worden, so dass davon auszugehen ist, dass etwaig eingelegte Einsprüche bis zur Entscheidung des BFH zum Ruhen gebracht werden. Inhaltlich bleibt offen, ob der BFH die Auffassung des FG teilt, oder ob er eine Vorlage zum BVerfG für erforderlich hält.
Die Entscheidung wird dabei voraussichtlich von einer Gesetzesänderung beeinflusst werden: Da die Entscheidung des FG Vorauszahlungsbescheide – und damit auch das noch nicht abgeschlossene Jahr 2024 – betrifft, kann sich die maßgebliche Rechtslage vor Ablauf des VZ noch ändern. Nach aktuellen Presseinformationen hat die Bundesregierung eine Anhebung des Grundfreibetrags für 2024 beschlossen; danach soll der Grundfreibetrag für 2024 auf 11 784 € erhöht werden. Die Erhöhung beläuft sich damit 180 € im Verhältnis zum aktuellen für 2024 geltenden Grundfreibetrag – dies ist die Summe, deren bisherige Nichtberücksichtigung wesentlich zu den verfassungsrechtlichen Bedenken des FG beigetragen hat.