Vergütung bei Arbeitsbereitschaft nach unwirksamer Anordnung von MehrarbeitOrientierungssätze 1. Wenn ein Arbeitgeber in einem Formulararbeitsvertrag die bei ihm geltenden kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien mit einer uneingeschränkten Bezugnahmeklausel in das Arbeitsverhältnis einbezieht, wird damit für die beteiligten Verkehrskreise erkennbar, dass das Arbeitsverhältnis umfassend nach diesen Regelungen gestaltet werden soll. Dann bedarf es für die Annahme, mit weiteren Regelungen des Arbeitsvertrags solle eine - konstitutive - Besser- oder Schlechterstellung gegenüber diesen Arbeitsvertragsrichtlinien vereinbart werden, besonderer Anhaltspunkte. 2. Die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V. (DWArbVtrRL BE/BB) Anlage Johanniter (im folgenden AVR DWBO Anlage Johanniter) unterscheiden vergütungsrechtlich nicht zwischen Vollarbeit und Arbeitsbereitschaft. Zwar ist eine unterschiedliche Vergütung grundsätzlich zulässig. Hätte der Regelungsgeber jedoch gewollt, dass Arbeitsbereitschaft gegenüber Vollarbeit geringer vergütet wird, hätte er dies klar und eindeutig zum Ausdruck bringen müssen. 3. Die neunmonatige Ausschlussfrist des § 40 Abs. 1 AVR DWBO Anlage Johanniter beginnt grundsätzlich mit Fälligkeit des Anspruchs zu laufen. Fällig im Sinne einer Ausschlussfrist ist ein Anspruch regelmäßig erst dann, wenn die Forderung in ihrem Bestand feststellbar ist und vom Gläubiger geltend gemacht werden kann. Dies ist vorliegend der Zeitpunkt der monatlichen Mitteilung über den aktuellen Kontostand nach § 11b Abs. 5 Unterabs. 1 Satz 1 AVR DWBO Anlage Johanniter. 4. Die Begriffe „Wechselschicht“ und „Wechselschichtarbeit“ sind in § 11e AVR DWBO Anlage Johanniter definiert. Wechselschichtarbeit setzt danach denklogisch zwar sich ablösende Schichten und damit mindestens ein Zweischichtsystem voraus. Das Erfordernis, dass Wechselschichtarbeit im Sinne der AVR DWBO Anlage Johanniter nur in einem Schichtsystem mit mindestens drei Schichtarten anfallen kann, sieht § 11e Abs. 2 AVR DWBO Anlage Johanniter jedoch nicht vor. Maßgeblich ist allein, dass in dem betreffenden Arbeitsbereich feiertagsunabhängig an allen Kalendertagen ununterbrochen 24 Stunden gearbeitet wird. - A.
Problemstellung Im neuen Koalitionsvertrag werden weitere Flexibilisierungen der Arbeitszeit angekündigt. Daher ist die hier besprochene Entscheidung des Sechsten Senats von großer praktischer Bedeutung, weil sie zeigt, dass das für Flexibilisierungszwecke eingesetzte Instrument des tarifdispositiven Arbeitszeitrechts nach § 7 ArbZG mit großer Genauigkeit umzusetzen ist. Weiter zeigt sich, dass Abstufungen des Entgelts bei Arbeitsbereitschaft im Verhältnis zum Entgelt bei Vollarbeit einer hinreichend deutlichen Vereinbarung bedürfen, an der es im konkreten Fall fehlte.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Der Kläger ist mit seinen Kollegen, die parallele Verfahren durchführten (6 AZR 15/24, 6 AZR 17/24), die in der zweiten Instanz überwiegend erfolgreich waren, im Betrieb der Beklagten seit 2018 beschäftigt. Der Beklagte ist als gemeinnütziger Verein im sozialen und karitativen Bereich tätig. Daher gelten für ihn die AVR des Diakonischen Werks, Anhang Johanniterverband nach § 7 Abs. 4 ArbZG, die am Maßstab des § 7 Abs. 1 ArbZG zu messen sind. Im Betrieb wurde eine 48-Stunden Woche eingeführt, mit der die tägliche Arbeitszeit auf zwölf Stunden verteilt wurde. Dieses Arbeitszeitmodell war weder mit den AVR des diakonischen Werkes noch mit § 7 Abs. 1 ArbZG vereinbar (dazu ausführlich Kohte, jurisPR-ArbR 18/2024 Anm. 4). Die Rettungsassistenten verlangten für die nach der unwirksamen Anordnung geleistete Mehrarbeit Bezahlung nach dem vollen Arbeitsentgelt, der beklagte Verein war nur teilweise dazu bereit. Ein Teil der Zeit war aus seiner Sicht als Arbeitsbereitschaft zu bewerten, die er nicht mit dem regulären Entgelt für Vollarbeit vergüten wollte. Mit dieser Einwendung scheiterte der Verein auch in der dritten Instanz. Auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind vergütungspflichtige Arbeit (BAG, Urt. v. 19.11.2014 - 5 AZR 1101/12, dazu Boemke, jurisPR-ArbR 7/2015 Anm. 2). Der Sechste Senat räumte ein, dass eine unterschiedliche Vergütung von Arbeitsbereitschaft gegenüber Vollarbeit möglich sei, doch dies sei eine Ausnahme, die in den AVR klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht werden müsse (vgl. BAG, Urt. v. 29.03.2023 - 5 AZR 446/21 Rn. 38). Eine solche eindeutige Regelung fehlte in den AVR. Der Beklagte berief sich weiter auf einen Passus in dem vorformulierten Dienstvertrag, wonach Arbeitsbereitschaft geringer vergütet werden könne. Diese Bestimmung wurde vom Senat als überraschende Klausel nach § 305c Abs. 1 BGB bewertet. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass in einem solchen Betrieb die Regelungen der AVR gelten sollte, auf dieser Basis sei eine Verschlechterung der Vergütung nicht möglich. Es sei nicht zu erwarten, dass in einem Arbeitsvertrag eine Verschlechterung der generellen AVR zu erwarten sei, so dass aus diesem Grund auch die vom Kläger geleistete Arbeitsbereitschaft mit dem allgemeinen Vergütungssatz für Vollarbeit zu bezahlen sei. Der Senat sah sich allerdings nicht in der Lage, den Rechtsstreit endgültig zu entscheiden, da es an hinreichenden Tatsachenfeststellungen zu den jeweils geleisteten Stunden fehlte. In diesem Zusammenhang war zu klären, ob der Kläger die Ausschlussfristen der AVR eingehalten hatte. In diesem Fall verlangte die Ausschlussfrist aus den AVR eine jährliche Geltendmachung, die sich am zwölfmonatigen Ausgleichszeitraum zu orientieren hatte. Die Ausschlussfristenregelung der AVR geht – wie üblich bei Ausschlussfristen – davon aus, dass die Ausschlussfrist mit Fälligkeit des Anspruches beginnt. Fällig im Sinne einer Ausschlussfrist ist ein Anspruch regelmäßig erst dann, wenn die Forderung in ihrem Bestand feststellbar ist und vom Gläubiger geltend gemacht werden kann. Dies war angesichts der sehr flexiblen Arbeitszeiten der Zeitpunkt der Mitteilung des Arbeitgebers über den aktuellen Stand des Arbeitszeitkontos. Diese Frist hatte der Kläger eingehalten. Eine erneute Geltendmachung künftiger Ansprüche war nicht erforderlich, da sich der Sachverhalt nicht geändert hatte. Der Anspruch war hier aus einem ständig gleichen Grundtatbestand entstanden. Der mit der Ausschlussfrist verfolgte Zweck, dem Schuldner zeitnah Gewissheit darüber zu verschaffen, mit welchen Ansprüchen er zu rechnen hat, wurde durch die einmalige Geltendmachung erreicht. Für den Beklagten konnte kein Zweifel bestehen, was von ihm verlangt werde. Auch die vom Kläger verlangten Überstundenzuschläge standen dem Kläger grundsätzlich zu. Ein gesonderter Nachweis über die geleisteten Überstunden war in diesem Fall nicht erforderlich, weil der Kläger vorgetragen hatte, dass die von ihm geleisteten Überstunden dienstplanmäßig festgelegt waren. Damit hatte der Kläger dargelegt, dass sie vom Beklagten veranlasst waren. Sie waren auch rechtzeitig geltend gemacht, weil eine Spezifizierung des Anspruches durch Verweisung auf den Dienstplan erfolgt war. Eine weitere Substanziierung und rechtliche Begründung war hier für die Geltendmachung nicht erforderlich. Schließlich war noch zu entscheiden, ob dem Kläger eine Wechselschichtzulage zustand. Hier korrigierte der Senat die restriktive Auslegung des Berufungsgerichts.
- C.
Kontext der Entscheidung Die tarifdispositiven Bestimmungen des § 7 ArbZG dienen zwar der Flexibilisierung der Arbeitszeit, setzen ihr aber auch Grenzen, die sich aus dem Gesundheitsschutz ergeben (BVerwG, Urt. v. 09.05.2018 - 8 C 13/17 - NVwZ 2019, 566), damit kommt auch den Tarifvertragsparteien hier nur ein „eingeschränkter Gestaltungsspielraum“ zu (BAG, Urt. v. 21.09.2010 - 9 AZR 510/09 - NZA 2011, 805; Kohte in: HaKo-ArbSchR, 2023, § 7 ArbZG Rn. 1). Diese Grenzen müssen hinreichend bestimmt sein; daran ist auch die künftige Gesetzgebung aus unionsrechtlichen Gründen gebunden (Kohte, ArbuR 2019, 402, 405). Im konkreten Fall war die Missachtung der auch für die kirchlichen Regelungen maßgeblichen Anforderungen des § 7 Abs. 1 ArbZG eindeutig, so dass der Senat auf diesen Gesichtspunkt nur noch knapp einging. Im Mittelpunkt der Entscheidung stehen die vergütungsrechtlichen Konsequenzen der Flexibilisierung. Eine Verlängerung der Arbeitszeit über zehn Stunden ist nur gestattet, wenn in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst anfällt. Dies ist auch aus arbeitswissenschaftlichen Gründen geboten. Auch für diese Arbeitsformen gilt aber, dass es sich um vergütungspflichtige Arbeit i.S.d. § 611a BGB handelt, so dass Abweichungen hinreichend deutlich vereinbart werden müssen. Das wird auch in Zukunft bei flexibilisierenden Tarifverträgen zu beachten sein. Zusätzlich ist auch zu beachten, dass diese Arbeitsformen auch mindestens mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu vergüten sind, wie der Fünfte Senat vor einigen Jahren in einem anderen Verfahren von Rettungsassistenten herausgearbeitet hat (BAG, Urt. v. 29.06.2016 - 5 AZR 716/15 - NZA 2016, 1332). Im Gesundheits- und Pflegebereich wird die Arbeit in aller Regel mit Hilfe von Dienstplänen geordnet. Solange diese im Wesentlichen eingehalten werden, können sich die Beschäftigten bei der Geltendmachung auf diese Vorgaben beziehen, so dass eine weitere Substanziierung nicht erforderlich ist, da dem Arbeitgeber als Adressat der Geltendmachung die Kenntnis der Dienstpläne zuzurechnen ist. Im Übrigen zeigt auch der vorliegende Sachverhalt, wie wichtig eine realistische und zuverlässige Arbeitszeiterfassung ist.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Flexible Arbeitszeiten sind inzwischen in der Regel mit Arbeitszeitkonten verbunden. Bei Nachforderungen ist trotzdem vorrangig die Leistungsklage, mit der eine bestimmte Zahlung verlangt wird, zu erheben. Die klagenden Beschäftigten können sich aber auch darauf beschränken, eine Gutschrift auf das Arbeitszeitkonto zu verlangen. In der Praxis werden sie diesen Antrag wie im vorliegenden Fall als Hilfsantrag stellen. Dieser enge Zusammenhang zwischen Zahlungsanspruch und Anspruch auf eine Zeitgutschrift hat schließlich zur Konsequenz, dass eine einmalige Geltendmachung für beide Modalitäten ausreichend ist (dazu schon BAG, Urt. v. 28.07.2010 - 5 AZR 521/09 - NZA 2010, 1241).
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