juris PraxisReporte

Autor:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Erscheinungsdatum:03.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 611a BGB, § 37 BetrVG, § 78 BetrVG
Fundstelle:jurisPR-ArbR 26/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Franz Josef Düwell, Vors. RiBAG a.D.
Prof. Klaus Bepler, Vors. RiBAG a.D.
Zitiervorschlag:Düwell, jurisPR-ArbR 26/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Zweites Gesetz zur Änderung des BetrVG

I. Gesetzgebungsverfahren mit Hindernissen

Nach dem der BGH mit Urteil vom 10.01.2023 (6 StR 133/22) die Strafbarkeit von VW-Managern bejaht hatte, wenn diese ein überhöhtes Entgelt an Betriebsratsmitglieder zahlen, beauftragte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine unabhängige dreiköpfige Kommission „Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung“. Diese legte einen Regelungsvorschlag vor.1 Auf der Grundlage des Kommissionsvorschlags hat das BMAS am 16.10.2023 einen Referentenentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes erstellt und nach der Ressortabstimmung dem Bundeskabinett vorgelegt. Das Bundeskabinett hat sich in seiner 79. Sitzung am 01.11.2023 unter anderem mit dem Gesetzentwurf zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht befasst. Es hat ohne Aussprache beschlossen („TOP-1-Liste“), den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes auf der Grundlage des Referentenentwurfs zuzustimmen. Der Bundeskanzler hat den Gesetzentwurf am 03.11.2023 als „besonders eilbedürftig“ dem Bundesrat zugeleitet.2 Der BR- Ausschuss für Arbeit, Integration und Sozialpolitik (federführend) sowie der Wirtschaftsausschuss haben beraten. Der Bundesrat hat am 15.12.2023 beschlossen, keine Einwendungen zu erheben.3 Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist bereits vor der Stellungnahme des Bundesrats am 27.11.2023 dem Bundestag zugeleitet worden.4 Trotz der Eilbedürftigkeit hat die erste Beratung im Bundestag erst am 22.03.2024 stattgefunden. 5 Das deutete schon damals auf einen noch bestehenden Klärungsbedarf mit dem liberalen Koalitionspartner hin. Der federführende BT-Ausschuss für Arbeit und Soziales hat dann am 22.04.2024 in seiner 77. Sitzung eine Anhörung von Sachverständigen durchgeführt.6 Das Wortprotokoll ist veröffentlicht.7

II. Unterschiedliche Sichtweisen in der Anhörung

Die schriftliche Stellungnahme der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände e.V. (BDA) zeigt, auf welchem Konfliktfeld diese Gesetzgebung stattfindet:

„Wir nehmen zur Kenntnis, dass der vorliegende Gesetzentwurf die Vorschläge der Kommission ‚Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung‘ inhaltlich nicht verändert und auch die Begründung in deren zentralen Aussagen unverändert belässt. Wir erwarten, dass das Gesetzgebungsverfahren mit dem vorliegenden verfügenden und begründenden Teil inhaltlich identisch abgeschlossen wird.“8

Demgegenüber hat der DGB angeregt:

„Der DGB begrüßt, dass die bestehende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum fiktiven Beförderungsanspruch und zu hypothetischen Karrieren explizit im Vorschlag aufgegriffen wird, was auch weit verbreiteter Praxis entspricht. So wird eine sachwidrige Benachteiligung der Betriebsräte vermieden. Wir hätten es als DGB begrüßt, wenn die Berücksichtigung der während der Betriebsratstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Qualifikationen und Fähigkeiten explizit auch im Gesetzestext erwähnt worden wäre.“9

Der Sachverständige Klebe (IG Metall) ergänzt zur beabsichtigten Änderung des § 37 BetrVG:

„Es bleibt das Problem, dass Betriebsratsmitglieder in kleinen oder mittleren Betrieben oft keine Vergleichspersonen haben. Dann ist für sie die Durchsetzung einer positiven Entgeltentwicklung im Grunde ebenso anspruchsvoll/fast unmöglich, wie in den Fällen, in denen der Arbeitgeber die Betriebsvereinbarung schlicht verweigert. Eine Anknüpfung an die generelle Entgeltentwicklung im Betrieb wäre hier sinnvoll.“10

Schließlich schlägt Klebe auch noch eine Änderung des Verfahrensrechts vor:

„Über die geplanten Änderungen hinaus wäre wünschenswert, dass im Arbeitsgerichtsgesetz klargestellt wird, dass Streitigkeiten wegen der Betriebsratsvergütung im Beschlussverfahren durchzuführen sind, um das Kostenrisiko für Betriebsratsmitglieder auszuschalten. Letztlich geht es bei diesen Streitigkeiten um eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit.“11

III. Fortgang des Verfahrens nach der Anhörung

Ein Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales über das Ergebnis der Anhörung wurde monatelang nicht erstellt. Hintergrund war, dass die FDP -Fraktion das Gesetzgebungsvorhaben blockierte, um Zugeständnisse an anderer Stelle zu erreichen. Erst als am 19.06.2024 das Bundeskabinett die Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen zum Regierungsentwurf eines Vierten Gesetzes zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft sowie der Verwaltung von Bürokratie (Viertes Bürokratieentlastungsgesetz) beschlossen hatte,12 wurde die Blockade aufgegeben. Das Ziel der Blockade war erreicht, zahlreiche Schriftformvorschriften des Arbeitsrechts sollen durch Ergänzungen zum Vierten Bürokratieentlastungsgesetz fallen. Arbeitgeber sollen spürbar in der Personalverwaltung entlastet werden: Weniger Papier und mehr zulässige digitale Dokumente. Nach dem Ende der Blockade hat der Ausschuss seinen Bericht am 26.06.2024 erstellt.13 Darin bezieht der Ausschuss zu den in der Anhörung vorgetragenen Gesichtspunkten keine Stellung. Er empfiehlt: „Einstimmige Annahme des Gesetzentwurfs in unveränderter Fassung.“ Schon am 28.06.2024 fand die zweite und dritte Lesung im Bundestag statt.14 Mit einer alsbaldigen Zustimmung durch den Bundesrat ist im zweiten Durchgang zu rechnen, so dass das Gesetz noch im Sommer ausgefertigt wird. Das Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.

IV. Inhalt des Gesetzes

1. Beibehaltung des Ehrenamtsprinzips

In Übernahme des Kommissionsvorschlags geht das Änderungsgesetz vom bislang geltenden Betriebsverfassungsrecht aus. Danach sollen die Mitglieder des Betriebsrats weiterhin nach § 37 Abs. 1 BetrVG ihr Amt unentgeltlich als Ehrenamt führen. Eine Änderung des § 37 Abs. 1 BetrVG erfolgt deshalb nicht.

2. Sicherstellung der Teilnahme an der betriebsüblichen Entwicklung

Das Gesetz soll die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze klarstellen. Danach ist der Anspruch auf das Mindestentgelt sicherzustellen, welches ein Mitglied des Betriebsrats beanspruchen kann. Bleibe sein Arbeitsentgelt hinter demjenigen zurück, das andere Arbeitnehmer bei einer betriebsüblichen Entwicklung erzielen, bestehe ein Anspruch auf Entgelterhöhung.15 Um Streitigkeiten zu vermeiden, wird das vom BAG als zulässig angesehene Verfahren übernommen, dass sich Betriebsrat und Arbeitgeber auf ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer und zur gemeinsamen Auswahl solcher Vergleichspersonen verständigen, an denen sich die künftige Entgeltentwicklung orientieren soll. Dazu wird § 37 Abs. 4 BetrVG um die Sätze 3 bis 5 ergänzt:

„Die Vergleichbarkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der Übernahme des Betriebsratsamts, soweit nicht ein sachlicher Grund eine spätere Neubestimmung verlangt. Arbeitgeber und Betriebsrat können in einer Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer regeln. Die Konkretisierung der Vergleichbarkeit in einer solchen Betriebsvereinbarung kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden; gleiches gilt für die Festlegung der Vergleichspersonen, soweit sie einvernehmlich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erfolgt und in Textform dokumentiert ist.“

3. Neukonturierung des Begünstigungsverbots

Die Rechtsprechung sieht § 78 Satz 2 BetrVG als ein allgemeines, umfassendes Benachteiligungs- und Begünstigungsverbot an, das sowohl in beruflicher als auch in finanzieller Hinsicht gilt.16 Daher kann sich nach ihr ein Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf Abschluss eines (Änderungs-)Arbeitsvertrages i.S.v. § 611a BGB mit einer höheren Vergütung ergeben, wenn sich die „Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit“ darstellen würde. Dann scheidet eine Begünstigung des Betriebsratsmitglieds aus, auch wenn die aus § 78 Satz 2 BetrVG folgende Vergütung höher ist als die durch § 37 Abs. 4 BetrVG garantierte. Um dies klarzustellen, wird § 78 BetrVG wie folgt um einen Satz 3 ergänzt:

„Eine Begünstigung oder Benachteiligung liegt im Hinblick auf das gezahlte Entgelt nicht vor, wenn das Mitglied der in Satz 1 genannten Vertretungen in seiner Person die für deren Gewährung erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt und die Festlegung nicht ermessensfehlerhaft erfolgt.“


Fußnoten


1)

Düwell, jurisPR-ArbR 42/2023 Anm. 1.

5)

BT-Plenarprotokoll 20/161, S. 20667A-20682B.

7)

Ausschuss für Arbeit und Soziales Protokoll-Nr. 20/77.

15)

Vgl. BAG, Urt. v. 18.01.2017 - 7 AZR 205/15.

16)

Vgl. BAG, Urt. v. 17.08.2005 - 7 AZR 528/04.


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