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Anmerkung zu:LG Koblenz 3. Zivilkammer, Urteil vom 18.04.2024 - 3 O 457/23
Autor:Dr. Franz Schnauder, RiOLG a.D.
Erscheinungsdatum:25.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 21 RechKredV, § 286 ZPO, § 1006 BGB, § 125 BGB, § 518 BGB, § 459 BGB, § 433 BGB, § 607 BGB, § 398 BGB, § 516 BGB
Fundstelle:jurisPR-BKR 4/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Stephan Meder, Universität Hannover
Dr. Anna-Maria Beesch, RA'in und FA'in für Bank- und Kapitalmarktrecht
Zitiervorschlag:Schnauder, jurisPR-BKR 4/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Nachlassstreit ums Sparbuch - Beweislastfragen zur Schenkung im Prozess - zugleich Anmerkung zu LG Koblenz, Urt. v. 18.04.2024 - 3 O 457/23 -

A. Einleitung

Auch nach Ausgabe von Loseblatt-Sparbüchern, welche das in § 21 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 RechKredV angeführte Sparbuch sukzessive abzulösen bestimmt sind, bleiben der Rechtsprechung die im Zusammenhang mit dem gebundenen Sparbuch altbekannten Rechtsprobleme nach dem Tod des ursprünglichen Vertragsinhabers erhalten, der zu Lebzeiten die Urkunde einem Dritten ausgehändigt hat. Ein solcher Sparbuchfall liegt der Besprechungsentscheidung zugrunde. Gegenstand der Klage war das Verlangen eines Testamentsvollstreckers auf Herausgabe von zwei Sparbüchern an den Nachlass. Das LG Koblenz hat den Streitfall auf der Grundlage einer ungewöhnlich breiten Beweiswürdigung im Ergebnis zutreffend entschieden. Die Urteilsbegründung gibt Anlass, der Frage nachzugehen, wie das materielle Schenkungsrecht die prozessuale Darlegungs- und Beweislast beeinflusst.

B. Ausgangsfall

Die testamentarischen Erben des am 31.01.1942 geborenen und am 19.10.2020 verstorbenen Erblassers sind seine 90-jährige Schwester (Beklagte) zu einem Viertel, seine Nichte und sein Neffe zu je 1/8 sowie seine Lebensgefährtin zu 1/2. Der Testamentsvollstrecker (Kläger) verlangte Herausgabe von zwei Sparbüchern über insgesamt 92.148,41 Euro, die sich im Besitz der Beklagten befinden. Er machte geltend, die Sparbücher seien mangels Abtretung der Sparforderungen in den Nachlass gefallen. Eine Schenkung des Erblassers an die Beklagte sei jedenfalls auszuschließen, weil die Beklagte keine Schenkungssteuer an das Finanzamt entrichtet habe.

Das LG Koblenz hat die Klage nach umfangreicher Beweisaufnahme abgewiesen. Der Beklagten sei der ihr obliegende Nachweis einer Schenkung unter Lebenden (§§ 516, 518 BGB) gelungen. Zwar ermangele das Schenkungsversprechen des Erblassers der notariellen Form gemäß § 518 Abs. 1 Satz 1 BGB. Das mündliche Schenkungsversprechen sei jedoch vollzogen worden, so dass das Rechtsgeschäft durch Heilung wirksam geworden sei, § 518 Abs. 2 BGB. Der Vollzug der beabsichtigten Schenkung sei aufgrund konkludenter Abtretungsvereinbarung erfolgt, was sich aus der einschränkungslosen Übergabe des Sparbuchs ergebe. Der Zessionsvertrag sei damit, wie von der Beklagten behauptet, im März 2019 geschlossen worden, als der Erblasser die beiden Sparbücher der Beklagten mit der Bemerkung ausgehändigt habe, sie könne über die Guthaben „frei verfügen“. Das habe zur Überzeugung des Gerichts die Beweisaufnahme ergeben, wonach der Erblasser insbesondere Sorge dafür tragen wollte, dass die ältere Schwester finanziell abgesichert sei.

C. Beweislast zum Vollzug der Schenkung eines Sparbuchguthabens

Das LG Koblenz ist in seiner Beweiswürdigung bezüglich der Streitfrage, ob der Erblasser die Forderung auf die Sparguthaben an die Beklagte bei Aushändigung der Sparbücher abgetreten hat, erheblich über die in § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO angeordnete Angabe der für die richterliche Überzeugung „leitenden Gründe“ hinausgegangen. Es hat sich nicht auf die Darstellung der wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung beschränkt, sondern den Inhalt der Zeugenaussagen in weiten Passagen lediglich wiedergegeben. Das ist gewiss nicht lege artis. Ob der Aufwand für die Beweisaufnahme überhaupt prozessual erforderlich war, ergibt sich aus der Darlegungs- und Beweislast (I.), die wiederum dem materiellen Recht folgt, aus dem der Anspruchsteller die im Prozess begehrte Rechtsfolge herleitet (II.).

I. Prozessuale Beweisgrundsätze

Als Ausgangspunkt für seine Beweisaufnahme übernahm das Landgericht den bereits vom OLG Koblenz im Urteil vom 22.09.20031 aufgestellten Rechtssatz, dass der Besitzer eines Sparbuchs, das auf den Namen des Erblassers als Forderungsinhaber ausgestellt ist, die Beweislast für den Einwand einer lebzeitigen Schenkung durch den Erblasser trägt. Das OLG Koblenz hatte seinerzeit entgegen den allgemeinen Regeln zur Darlegungs- und Beweislast entschieden, dass nicht der Kläger das anspruchsbegründende Tatbestandsmerkmal des (fortbestehenden) Eigentums am Sparbuch, also das Fehlen der behaupteten Schenkung (als negatives Tatbestandsmerkmal) für den Erfolg seiner Vindikationslage nachzuweisen hat, sondern es vielmehr umgekehrt dem beklagten Leistungsempfänger obliegt, die lebzeitige Schenkung nachzuweisen. In dem vorliegenden Rechtsstreit bedeutete das für die Beklagte, die sich als Besitzerin der Sparbücher nicht auf die Eigentumsvermutung des § 1006 BGB und damit auch auf die prozessuale Vorschrift des § 292 ZPO berufen konnte, dass sie für den von ihr erstrebten Prozesserfolg (Klageabweisung) den Hauptbeweis hinsichtlich der Abtretung der Sparguthaben führen musste.

Die damit verbundene Abkehr von dem allgemeinen prozessualen Grundsatz der Darlegungs- und Beweislastverteilung2 und von der Entscheidung des BGH im Urteil vom 18.05.19993 hat das OLG Koblenz seinerzeit mit dem Schutzzweck der Ausnahmevorschrift des § 518 BGB begründet, nachdem die Beschenkte geltend machte, das zunächst formunwirksame Schenkungsversprechen sei gemäß § 518 Abs. 2 BGB durch Vollzug geheilt worden4.

Dieser Auffassung ist schließlich auch der X. Zivilsenat des BGH gefolgt, der dem Beschenkten wegen Formmangels der behaupteten Schenkung die Beweislast für die angebliche Schenkung mit der Begründung zugewiesen hat, dieser berufe sich auf einen Sachverhalt (Erfüllung des Schenkungsversprechens), der den Eintritt der in § 125 Satz 1 BGB angeordneten Rechtsfolge hindere5. Die damit höchstrichterlich aberkannte Modifikation der Beweisregeln bei Schenkungsvorgängen soll sich insbesondere daraus rechtfertigen, dass der Formzwang des § 518 Abs. 1 Satz 1 BGB auch Beweisfunktion für das Schenkungsversprechen habe, was dann auch auf den Zivilprozess durchschlagen müsse6.

In den meisten dieser Fällen wird aber gerade fraglich sein, ob überhaupt ein der notariellen Beurkundung bedürftiges Schenkungsversprechen vorliegt oder ob die Beteiligten einfach nur eine formfreie Handschenkung vorgenommen haben. Die rechtliche Einordnung des Schenkungsvorgangs hat damit unmittelbare Auswirkung auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Zivilprozess.

II. Formfreie Handschenkung oder formbedürftiges Schenkungsversprechen?

Das LG geht dabei im Anschluss an das zitierte Urteil des OLG Koblenz7 vom Vorliegen eines bloßen Schenkungsversprechens unter Lebenden aus, für das eine notarielle Beurkundung erforderlich ist, § 518 Abs. 1 Satz 1 BGB. Es hat sich dabei maßgeblich an dem Urteil des OLG Karlsruhe vom 08.01.20198 orientiert und dabei ganze Urteilspassagen nahezu wörtlich übernommen9. Insbesondere hat es (Besprechungsurteil Rn. 22) den in dieser Allgemeinheit fragwürdigen Rechtssatz zugrunde gelegt, eine „mündliche Schenkung“ sei nicht wirksam10.

1. Formfreie Realkontrakte im BGB

Nach dem Verteidigungsvorbringen der Beklagten, die damit ihrer sekundären Darlegungslast genügte, kommt im Streitfall allein eine reale Schenkung (Handschenkung) in Betracht, die der Gesetzgeber in § 516 BGB als formfreies Rechtsgeschäft geregelt hat. Dennoch geht das Landgericht ganz unreflektiert davon aus, dass es sich bei der im Mai 2019 erfolgten Übergabe der beiden Sparbücher um einen formbedürftigen Schenkungsversprechensvertrag handle, der erst mit seiner Erfüllung (Vollzug) wirksam wurde, § 518 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.

Mit der Einordnung der Schenkung unter Lebenden als formunwirksames Leistungsversprechen hat das Landgericht das vom BGB-Gesetzgeber normierte Realgeschäft der Handschenkung verkannt. Unter einem Realvertrag ist ein Vertrag zu verstehen, der ohne vorgängige Verpflichtung unmittelbar mit der realen Bewirkung der Leistung(en) zustande kommt. Solche Realverträge wurden noch vom BGB-Gesetzgeber als probates rechtliches Gestaltungsmittel der Güterbewegung angesehen.

Dem BGB liegt nämlich die Vorstellung zugrunde, dass schuldrechtliche Realkontrakte im Zivilrechtsverkehr eine selbstverständliche Realität sind. Die bestehende rechtsgeschäftliche Praxis griff der historische Gesetzgeber auf und regelte für das Recht der Schenkung den Realvertrag ausdrücklich in § 516 BGB, während er für das bloße Schenkungsversprechen lediglich die notarielle Form insbesondere zur Verhütung übereilter Schuldversprechen und zu Beweiszwecken in § 518 BGB anordnete. Das Reichsgericht führte auf der Grundlage dieser gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung in seinem Urteil vom 25.06.1925 mit aller wünschenswerten Klarheit zutreffend aus:

„Eine Übereignung braucht ihren Rechtsgrund nicht in einem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft zu finden. Bei der ohne vorgängiges Versprechen vollzogenen Schenkung, der sogenannten Hand- oder Realschenkung, übernimmt der Schenker keinerlei Verpflichtung. Aber auch bei ihr liegt in der nach § 516 BGB zum Begriff der Schenkung erforderlichen Einigung der Beteiligten darüber, dass die Zuwendung unentgeltlich erfolge, ein schuldrechtlicher Vertrag in dem Sinne vor, dass die Einigung den Rechtsgrund schafft, der die durch die Zuwendung bewirkte Bereicherung schuldrechtlich rechtfertigt“11.

Beim Kaufvertrag wurde die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung zum Handkauf im Gesetzgebungsverfahren allerdings mit folgender Begründung für entbehrlich gehalten:

„Wie bei der Schenkung, so liege auch bei dem Kaufe die Eigenthümlichkeit in der causa, die auf verschiedene Weise realisiert werden könne: Durch vorgängigen Abschluss des obligatorischen Vertrages oder durch Geben und Nehmen ohne vorgängigen Abschluss eines Kaufvertrages. Der Entwurf, der im § 459 (= BGB § 433) nur den ersteren Weg geregelt habe, habe die übrigen der Analogie überlassen. Es werde einem Zweifel nicht unterliegen, dass die Vorschriften, welche in der vorgängigen obligatorischen Verpflichtung ihren Grund hätten, auf den Handkauf keine Anwendung finden könnten, dass dagegen die Vorschriften, welche lediglich in der Entgeltlichkeit der causa ihren Grund hätten, wie die Haftung für die Entwehrung und Mängel, auch für den Realkauf gelten müßten“12.

Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang auch daran zu erinnern, dass das (Geld- und Sach-)Darlehen (bis zur Schuldrechtsmodernisierung 2022) als Realvertrag konzipiert war (§ 607 BGB a.F.) und der Darlehensversprechensvertrag in § 610 BGB a.F. nur am Rande im Zusammenhang mit dem Widerrufsrecht bei Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Darlehensnehmers erwähnt wurde.

2. Postulat der Parteiautonomie

Man sollte daher meinen, dass es allgemein im Rahmen der Privatautonomie den Parteien überlassen ist, eine Güterbewegung nicht erst durch ein vorgängiges Verpflichtungsgeschäft vorzubereiten, sondern unmittelbar zu vollziehen. Dennoch hat schon kurz nach Einführung des BGB die Grundfolgentheorie den Willen der Parteien im Zuwendungsverhältnis für irrelevant erklärt und den Realvertrag sogar als groteske Auffassung zurückgewiesen13. Der Versuch, den Parteiwillen durch objektive Kriterien (wie z.B. Theorie der realen Leistungsbewirkung, objektive Rechtsgrundlehren) zurückzudrängen, blieb nicht ohne Erfolg. Der Realvertrag scheint heute aus dem System des Zivilrechts so gut wie eliminiert und fast allgemein in Vergessenheit geraten zu sein.

So wird beispielsweise der täglich millionenfach praktizierte Handkauf als rechtliches Gestaltungsmittel nicht anerkannt und dem Leistungsgeschäft zeitlich ein Verpflichtungsgeschäft vorgeschaltet, was Larenz – für ihn gewiss nicht untypisch – „als große Leistung der Rechtswissenschaft“ wie folgt gerechtfertigt hat: „Den Willen, sich zur Eigentumsverschaffung zu verpflichten, rechnet (dem Verkäufer) in diesen Fällen die Rechtsordnung zu“14. Dass sich die Parteien bei einem Bargeschäft des täglichen Lebens überhaupt nicht verpflichten wollen, kümmert die modernen Schuldrechtsdogmatiker nicht weiter.

Ebenso ist es weithin üblich geworden, die Handschenkung (§ 516 BGB) – wie hier im Urteil des LG Koblenz – als bloßes Verpflichtungsgeschäft zu begreifen, dessen Primäranspruch unmittelbar mit seiner Begründung erfüllt werde. Für eine „juristische Sekunde“ wird damit eine (formbedürftige) Leistungsverpflichtung konstruiert, die mit ihrem Entstehen durch formlosen Vollzug (Abtretung des Sparguthabens nach § 398 BGB) sofort wieder erlöschen soll. Mit dieser Betrachtungsweise befindet sich das LG Koblenz allerdings in bester Gesellschaft. So hat der für das Schenkungsrecht beim BGH zuständige X. Zivilsenat eine „Handschenkung“ ohne erkennbares Problembewusstsein als ein der notariellen Form bedürftiges Schenkungsversprechen qualifiziert und dem Leistungsempfänger die Beweislast für den heilenden Leistungsvollzug zugeschoben15.

Auch diese Betrachtungsweise missachtet den Willen der Parteien (des Schenkungsvertrages). Das vorgeschaltete Schenkungsversprechen ist nichts weiter als eine bloße Fiktion, um die Lehre vom objektiven Rechtsgrund aufrechterhalten zu können. Dieses Rechtsverständnis widerspricht aber nicht nur der natürlichen Denkungsart der Menschen, sondern hat mit Parteiautonomie im eigentlichen Sinne nichts mehr zu tun. Was soll die dogmatisch überladene Konstruktion eines den Parteien verordneten Versprechensvertrages, der sogleich mit seiner Begründung erlöschen soll und damit nichts anderes ist als eine totgeborene Obligation16? Besondere Hervorhebung verdient in dem vorliegenden Zusammenhang, dass jedenfalls Weidenkaff die reale Schenkung als eigenständiges Rechtsgeschäft vom Schenkungsversprechen abgrenzt und unterscheidet17.

In dem vorliegenden Streitfall ist daher die von der Beklagten geltend gemachte mündliche Schenkung nicht als obligatorisches (Grund-)Geschäft zu verstehen. Vielmehr kommt allein eine formfreie Handschenkung in Betracht, weil der Beklagten nach ihrer Darstellung der Gegenstand (Sparforderung) ohne ein vorangegangenes Schenkungsversprechen sofort (durch Abtretung) verschafft worden ist und die Parteien dabei über die Unentgeltlichkeit einig waren (§ 516 Abs. 1 BGB).

3. Rechtsgrund der Realschenkung

Allerdings bedarf der wenig erhellende Hinweis von Weidenkaff in der zitierten Kommentarstelle18, die causa der Handschenkung liege zugleich im Realakt selbst, der näheren Erläuterung. Was als Rechtsgrund der Handschenkung zu begreifen ist, ergibt sich unmittelbar aus der Vorschrift des § 516 BGB selbst, die in beiden Absätzen fast lehrbuchartig die Tatbestandsmerkmale von Leistung und Rechtsgrund bei einem Schenkungsvorgang beschreibt19.

Zunächst folgt aus § 516 Abs. 1 BGB, dass als Zuwendung im Sinne des BGB ein Vorgang zu verstehen ist, durch den jemand aus seinem Vermögen einen anderen bereichert. Die Zuwendung wird durch den vom Schenker erklärten Unentgeltlichkeitszweck zur Leistung, die als (Hand-)Schenkung Bestand (Rechtsgrund) hat, wenn beide Teile über die Zweckerklärung einig sind. Eine einseitige Bestimmung des Schenkungszwecks genügt also nicht, das Gesetz fordert eine entsprechende Zweckvereinbarung. Ohne diese fehlt, wie sich wiederum aus § 516 Abs. 2 Satz 3 BGB ergibt, der Rechtsgrund für die Zuwendung, so dass sie nach den Vorschriften über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung heraus verlangt werden kann.

Diese Aussage des Gesetzes ist von großer praktischer und theoretischer Bedeutung, weil sie die Leistung als Zuwendung plus Zweckbestimmung beschreibt und außerdem den Rechtsgrund der Leistung in der Erreichung des vereinbarten Zwecks erkennt. Zwar spricht § 516 BGB nicht von der Zweckerreichung, das erklärt sich jedoch daraus, dass beim Unentgeltlichkeitszweck – anders als beim Austausch-, Erfüllungs- oder Sicherungszweck – die Vereinbarung und die Erreichung des Leistungszwecks logischerweise zusammenfallen.

In § 516 BGB ist wie in einer Keimzelle der genetische Code für die zentralen Begriffe der Leistung und des Rechtsgrundes angelegt. Die gesetzliche Regelung weist damit über das Schenkungsrecht hinaus. Es drängt sich förmlich auf, auf ihrer Grundlage das Schuldrechtssystem zu entfalten. Gleichwohl lehnt es die herrschende Lehre ab, die phänotypische Bestimmung allgemein auf das Recht der Güterbewegung zu übertragen. Stattdessen halten insbesondere die Vertreter eines objektiven Rechtsgrundverständnisses in jedem Falle Ausschau nach einem die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Verpflichtungsgeschäft, das sie notfalls zu fingieren sich nicht scheuen.

D. Fazit

Es besteht in Fällen der vorliegenden Art bei richtiger materiell-rechtlicher Einordnung des Schenkungsvorgangs kein Anlass, von den allgemein anerkannten Beweisregeln abzuweichen. Das Landgericht hätte sich in dem vorliegenden Fall vermutlich die aufwändige Beweisaufnahme ersparen können, wenn es aufgrund des Vorbringens der Beklagten vom Vorliegen einer Handschenkung des Erblassers nach § 516 BGB ausgegangen wäre. Danach war es Sache des Klägers, für den Erfolg seiner Herausgabeklage das Fortbestehen des Eigentums des Erblassers darzulegen und unter Beweisantritt die Behauptung der Beklagten, sie habe die Sparbuchforderungen abgetreten bekommen, zu widerlegen. Der Kläger muss daher beweisen, dass keine Schenkung vorliegt20. Mit seinem Argument, eine Schenkung sei schon deshalb auszuschließen, weil die Beklagte unstreitig keine Schenkungsteuer gezahlt habe, konnte der Kläger im Zivilprozess selbstverständlich nicht durchdringen. Wenn er keinen Beweis angetreten hat, unterliegt er bereits wegen Beweisfälligkeit, ohne dass es auf den von der Beklagten angebotenen Gegenbeweis ankommt.


Fußnoten


1)

OLG Koblenz, Urt. v. 22.09.2003 - 12 U 823/02 Rn. 26, 27.

2)

Dazu Chiusi in: Staudinger, BGB, 2021 (Stand 23.01.2024), § 516 Rn. 339 ff.

3)

BGH, Urt. v. 18.05.1999 - X ZR 158/97 Rn. 15, zu einer Kondiktionsklage.

4)

OLG Koblenz, Urt. v. 22.09.2003 - 12 U 823/02 Rn. 27, 37, im Anschluss an Böhr, NJW 2001, 2059, 2060.

5)

BGH, Urt. v. 14.11.2006 - X ZR 34/05 Rn. 13 - BGHZ 169, 377, 386; BGH, Urt. v. 11.03.2014 - X ZR 150/11 Rn. 14 - NJW 2014, 2275, jeweils zur Kondiktion von Zahlungen aufgrund behaupteter Schenkung.

6)

So Chiusi in: Staudinger, BGB, 2021 (Stand 23.01.2024), § 516 Rn. 343, 355; Koch in: MünchKomm BGB, 9. Aufl. 2023, § 516 Rn. 16; a.A. Linsler in: jurisPK-BGB, 10. Aufl. (Stand 01.02.2023), § 518 Rn. 1 a.E.

7)

OLG Koblenz, Urt. v. 22.09.2003 - 12 U 823/02.

8)

OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.01.2019 - 9 U 5/17 - ZIP 2019, 1656; dazu kritisch Schnauder, jurisPR-BKR 6/2019 Anm. 5.

9)

Vgl. einerseits Besprechungsentscheidung Rn. 25 und 26 und andererseits OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.01.2019 - 9 U 5/17 Rn. 32 und 33.

10)

So auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 08.01.2019 - 9 U 5/17 Rn. 29.

11)

RG, Urt. v. 25.06.1925 - IV 39/25 - RGZ 111, 151, 152 f.

12)

Mugdan II, S. 768 f.; Entwehrung (auch Eviktion) bedeutet die Durchsetzung eines Herausgabe- oder Abtretungsanspruchs durch eine Person, die ein besseres Recht auf einen Gegenstand als der Besitzer oder der Inhaber hat.

13)

So Boehmer, Grundlagen der bürgerlichen Rechtsordnung, II 1. Abt., 1951, S. 87; vorher schon Boehmer, Arch BürgR 38 (1917), S. 126.

14)

Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, 2. Bd., 3. Aufl. 1959, S. 12.

15)

BGH, Urt. v. 11.03.2014 - X ZR 150/11 Rn. 10 und 14 - NJW 2014, 2275.

16)

So bereits v. Jhering, Vermischte Schriften, 1878, S.56.

17)

Weidenkaff, in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 518 Rn. 4.

18)

Weidenkaff, in: Grüneberg, BGB, 83. Aufl. 2024, § 518 Rn. 4.

19)

Vgl. dazu auch RG, Urt. v. 25.06.1925 - IV 39/25 - RGZ 111, 151, 153.

20)

BGH, Urt. v. 18.05.1999 - X ZR 158/97 Rn. 15.


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