I. Einleitung
Vor einigen Jahren hat Zahrte konstatiert, die organisierte Cyber-Kriminalität habe in den letzten Jahren den klassischen „Enkeltrick“ für sich entdeckt.1 Diese Entwicklung hat mittlerweile auch das Bankenhaftungsrecht erreicht: Nunmehr wenden sich Geschädigte von „Schockanrufen“ und „Enkeltricks“ – angesichts der Unerreichbarkeit der zumeist unbekannt bleibenden Täter ein begreifliches Anliegen – mit einem Ersatzbegehren an diejenige Bank, bei der der an die unbekannten Betrüger übergebene Geldbetrag abgehoben wurde. Den unterschiedlichen Konstellationen2 ist gemeinsam, dass ein sprachlich gewandter Anrufer älteren Mitmenschen mit Methoden der Manipulation und Suggestion durch Drohungen, Versprechungen und anderen Beeinflussungen die finanzielle Notlage eines Angehörigen oder einer sonstigen Sympathieperson vorgaukelt, weil er z.B. einen schweren Verkehrsunfall verursacht habe, in einem Krankenhaus behandelt werden müsse, verhaftet zu werden drohe oder aus anderen nicht von vornherein unplausiblen Gründen umgehend viel Geld benötige. Die zumeist älteren Geschädigten heben einen größeren, zumeist fünfstelligen Geldbetrag bei einer Bank ab und übergeben das Geld an einen regelmäßig nicht zu ermittelnden Komplizen des Anrufers.3 In solchen Fällen versuchen die Geschädigten mitunter, ihre Banken auf Ersatz des abgehobenen Betrages in Anspruch zu nehmen. Exemplarisch dafür stehen zwei Fälle, die zuletzt das LG Dortmund4 und zuvor das OLG Karlsruhe5 entschieden haben.6
II. Die Entscheidungen des OLG Karlsruhe und des LG Dortmund
1. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.09.2023 - 17 U 10/23
Nach den Feststellungen des LG Karlsruhe7, an die sich das OLG Karlsruhe gebunden sah, wurde die Klägerin Opfer eines „Schockanrufs“, bei dem sich der Anrufer als Polizeibeamter ausgab, der Klägerin mitteilte, ihre Tochter habe einen schweren Verkehrsunfall verursacht, und äußerte, die Tochter müsse in Haft, wenn nicht alsbald eine Kaution von 30.000 Euro bei der Amtskasse hinterlegt werde. Nach einem Gespräch mit einer sich als ihre Tochter ausgebenden Frau schenkte die überrumpelte Klägerin dem Anrufer Glauben, hob 20.000 Euro bei einer Filiale der Beklagten von ihrem Konto ab, das zu diesem Zeitpunkt einen Guthabenbetrag von 17.500 Euro aufwies, und übergab diesen Betrag zusammen mit weiteren 10.000 Euro, die die Klägerin für den Erwerb einer Solaranlage zurückgelegt hatte, einer Frau, die sich als Kollegin des angeblichen Polizeibeamten ausgab. Die am Bankschalter auszahlende Bankmitarbeiterin, die mitverklagt worden war, sprach die Klägerin nicht auf die beabsichtigte Verwendung des abzuhebenden Geldes an. Die Klägerin vertrat den Standpunkt, es habe sich der beklagten Bank – handelnd durch deren mitverklagte Mitarbeiterin – aufdrängen müssen, dass die Klägerin bei der Abhebung des Bargeldes im Begriff war, einem „Enkeltrick“ zum Opfer zu fallen. Dafür sprächen das Alter der Klägerin, deren körperliche Beeinträchtigung und der Umstand, dass die Klägerin erkennbar unter erheblichem psychischen Druck gestanden habe, was der mitverklagten Bankmitarbeiterin hätte auffallen müssen, ferner der unstreitige Umstand, dass die Klägerin zuvor niemals einen annähernd vergleichbar hohen Betrag abgehoben hatte, sowie die sich aus der Abhebung ergebende erhebliche Kontoüberziehung von ca. 2.500 Euro. Daraus und aus den vergleichsweise geringen monatlichen Einkünften der Klägerin hätte die Beklagte den Schluss ziehen müssen, dass die Klägerin einem Enkeltrick zum Opfer zu fallen im Begriff war, weshalb eine entsprechende Rückfrage und Warnung durch das Personal der beklagten Bank erforderlich gewesen wäre.
Das OLG Karlsruhe übertrug die für den bargeldlosen Zahlungsverkehr geltenden Haftungsgrundsätze8 auf die hier thematisierten Barauszahlungen. Auf dieser Grundlage billigte der 17. Zivilsenat die als fehlerfrei erachtete Beweiswürdigung des Landgerichts, wonach die Klägerin bei der Abhebung keine sonderlichen Anzeichen von Stress gezeigt habe, und verneinte einen vertraglichen Schadensersatzanspruch aus den §§ 675f Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Die beklagte Bank habe aus dem Girovertrag keine Verpflichtung getroffen, die Klägerin bei der Barabhebung durch gezielte Ansprache vor den Gefahren von „Schockanrufen“ oder des sog. „Enkeltricks“ zu warnen. Wie im Überweisungs- und Lastschriftverkehr bestünden im auch im Rahmen der Kontoführung grundsätzlich keine besonderen Überwachungs-, Aufklärungs- oder Warnpflichten der kontoführenden Bank. Die Bank müsse weder generell prüfen, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch müsse sie Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte überwachen. Eine Warnpflicht einer Bank bestehe erst dann, wenn die Bank ohne nähere Prüfung im Rahmen der normalen Bearbeitung eines Zahlungsverkehrsvorgangs aufgrund einer auf massiven Verdachtsmomenten beruhenden objektiven Evidenz den Verdacht einer Gefährdung ihres Kunden oder der Veruntreuung durch ihren Kunden schöpft. Ebenso wenig wie eine Bank verpflichtet sei, die Verfügungen eines Kontobevollmächtigten zu überwachen, um bei Missbräuchen den Kontoinhaber warnen zu können, hätte die beklagte Bank den Hintergrund der von der Klägerin begehrten Abhebung hinterfragen müssen, weil nach den rechtlich einwandfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts ein Evidenzfall nicht vorgelegen habe, wie auch das Landgericht angenommen hatte.9 Dass das Landgericht von einem nicht geführten Beweis einer erkennbar auffälligen Gemütsverfassung der Klägerin ausgegangen war, hielt das OLG für nicht zu beanstanden.10
2. LG Dortmund, Urt. v. 24.01.2024 - 3 O 340/23
Gegenüber der differenzierten Herangehensweise des OLG Karlsruhe enthält die Entscheidung des LG Dortmund eine bemerkenswerte Akzentverschiebung. Es befand über einen ganz ähnlichen Sachverhalt, der beklagten Bank falle keine „Verletzung einer (Neben-)Pflicht aus dem Girovertrag“ zur Last, weil sie nach § 675o Abs. 2 BGB zur Ausführung des ihr erteilten Zahlungsauftrages und damit zu der Barauszahlung des von der Klägerin später an die unbekannten Betrüger weitergereichten Betrages von 25.000 Euro gesetzlich verpflichtet gewesen sei. Unabhängig davon, welchen Eindruck ein Bankkunde am Schalter vermittle, habe „die Bank ohne Hinzutreten weiterer, außergewöhnlicher Umstände die Motivation für die Abhebung nicht zu hinterfragen“. Im Gegenteil sei sie „aus dem Girovertrag ihrem Kunden bzw. ihrer Kundin gegenüber zur Ausführung des Auftrags verpflichtet, § 675o Abs. 2 BGB“.11 Einen der „außergewöhnliche(n) Umstände“, der nach dem Landgericht „Warn- und Hinweispflichten auf objektive Evidenz aufgrund massiver Verdachtsmomente“ begründen könnte, erblickte das Landgericht insbesondere nicht in den unaufgeklärten, da aus seiner Sicht nicht entscheidungserheblichen Umständen der Abhebung am Bankschalter. Diesbezüglich hatte die Klägerin vorgetragen, bei der Abholung des Bargeldbetrages in der Hauptstelle sehr nervös gewesen zu sein und sie habe erst einmal von einem Mitarbeiter beruhigt werden müssen, weshalb sich es hätte förmlich aufdrängen müssen, dass die Klägerin Opfer eines Enkeltricks sein könnte. Anders als das OLG Karlsruhe hielt das LG Dortmund dieses Vorbringen für unerheblich und damit nicht aufklärungsbedürftig. Ebenfalls als unerheblich erachtete das LG Dortmund den Umstand, dass die Klägerin – unstreitig – üblicherweise nur Bargeldbeträge zwischen 30 Euro und 300 Euro abholte und der abgehobene Betrag die üblichen Abhebungen um das Achtzigfache überstieg. Das LG Dortmund hob hervor, dass in der Enkeltrick-Schockanruf-Konstellation keine Situation in Rede stehe, die mit derjenigen einer Barauszahlung an einen Nichtberechtigten vergleichbar sei, da die dortige Klägerin als Kontoinhaberin auch zur Abhebung auch größerer Mengen Bargeldes berechtigt gewesen sei. Als weiter maßgeblich erachtet das LG Dortmund, dass erst die Weitergabe des Geldes an die unbekannten Betrüger den Schaden verursacht habe, nicht aber schon die Abhebung bei der beklagten Bank. Die Prüf-, Warn- und Schutzpflichten würden überspannt, „wollte man ihnen (scil. den Banken) abverlangen, jede – und sei es: erstmalige – Abhebung eines hohen Bargeldbetrages durch einen älteren – und sei es: nervös wirkenden – Menschen auf Plausibilität zu überprüfen.“12 Einer der „seltenen Ausnahmefälle“, in denen „Warn- und Hinweispflichten des Kreditinstituts bestehen können“, wenn „Treu und Glauben es nach den Umständen des Einzelfalls gebieten, vor Ausführung des Auftrags vorherige Rückfrage bei dem abhebewilligen Bankkunden zu halten, um diesen vor einem möglicherweise drohenden Schaden zu bewahren“13, lag nach Ansicht des LG Dortmund nicht vor.
III. Zur Einordnung der Entscheidung des LG Dortmund und des OLG Karlsruhe
Mit der Annahme, die beklagte Bank träfen keine Überwachungs-, Nachfrage- und Warnpflichten, liegt das LG Dortmund auf der Linie eines früher vom RG vertretenen Rechtsstandpunktes, wonach eine Bank selbst dann einen ihr erteilten Auftrag, dem Konto eines anderen ihrer Girokunden eine Summe gutzuschreiben, ohne Rückfrage bei dem Auftraggeber noch ausführen darf, wenn sie vor der Gutschrift erfahren hat, dass der bestimmte Überweisungsempfänger seine Zahlungen eingestellt hat.14 Das RG hat diese Zurückhaltung bei der Auferlegung von Warn- und Hinweispflichten einer Bank gegenüber Kunden mit der Funktion und dem Wesen des Girovertrages begründet, der sich in der Zahlungserleichterung erschöpfe, und der Doppelstellung, die eine Bank zwischen dem Girozahler einerseits und dem Zahlungsempfänger andererseits einnimmt, aus der sich ergebe, dass sich die Bank jeder Zweckmäßigkeitsprüfung zu enthalten habe.15
Keiner dieser beiden Aspekte – weder die reine Zahlungserleichterung noch die Doppelstellung einer Bank zwischen ihren Kunden – trägt aber in der die Besprechungsfälle kennzeichnenden Konstellation des „Schockanrufs“ die Annahme des LG Dortmund, die Umstände der Abhebung am Bankschalter seien haftungsirrelevant. Bei einer Barauszahlung an einen Kunden nimmt eine Bank erstens nämlich gerade keine Doppelstellung – als Zahlstelle des überweisenden Kunden einerseits, als Empfangsstelle des begünstigten Kunden anderseits – ein; vielmehr berührt die Verfügung eines Kunden, der eine Barauszahlung vornehmen lässt, allein seine eigenen Belange (sein Konto). Zum anderen hat die Rechtsprechung des BGH den Standpunkt des RG, eine Bank unterläge als reine Zahlstelle selbst bei evidenzbasierten Anhaltspunkten von vornherein keinerlei Warnpflichten, seit Langem relativiert und lässt den Banken solche Zurückhaltung nicht mehr durchgehen;16 diesen modifizierten Maßstab hat auch das OLG Karlsruhe angelegt.17 Zwar betont der BGH nach wie vor als Grundsatz, dass Kreditinstitute im bargeldlosen Zahlungsverkehr nur zum Zweck der technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung tätig werden und sich schon wegen dieses begrenzten Geschäftszwecks und der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge grundsätzlich nicht um die beteiligten Interessen ihrer Kunden kümmern, also keine Überwachungstätigkeit entfalten müssen.18 Hat sich somit ein überweisendes Zahlungsinstitut bei der Ausführung der Überweisung prinzipiell an die Weisungen seines Auftraggebers zu halten, so gilt das Prinzip der formalen Auftragsstrenge,19 wonach der Zahlungsdienstleister ausschließlich die im Überweisungsformular niedergelegten oder sonst bei Erteilung des Auftrages gegebenen Weisungen zu befolgen hat. Von diesem Grundsatz, dass sich die Bank um Umstände außerhalb des ihr erteilten Auftrages nicht kümmern muss, hat die Rechtsprechung aber in mehreren Fällen als Ausnahme anerkannt, dass eine zahlungsdienstleistende Bank – auch wenn sie im Grundsatz den Überweisungsauftrag ohne Rücksicht auf das Verhältnis der Überweisungsbeteiligten ausführen muss – aus dem geschäftsbesorgungsvertraglichen (§ 675 BGB) Grundverhältnis eine Warnpflicht gegenüber dem Überweisenden treffen kann, wenn die Bank Kenntnis von der Zahlungseinstellung oder vom unmittelbar bevorstehendem wirtschaftlichem Zusammenbruch des Überweisungsempfängers20 oder des empfangenden Zahlungsdienstleisters hat,21 wenn unklar ist, ob eine erteilte Weisung fortbesteht,22 wenn sich der Verdacht des Missbrauchs der Vertretungsmacht aufdrängen muss23, sowie wenn die Bank aufgrund massiver Anhaltspunkte den Verdacht hegt, dass ein Kunde bei der Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr durch eine Straftat einen anderen Kunden schädigen will.24 Hinter diesem Sinneswandel gegenüber der Rechtsprechung des RG steht die allgemeine schuldrechtliche und heute in § 241 Abs. 2 BGB positivierte Überlegung,25 dass sich Vertragsparteien bei der Abwicklung eines Schuldverhältnisses so zu verhalten haben, dass die Rechtsgüter – auch das Vermögen – des anderen Teils nicht verletzt werden26 und sich aus einem Girovertrag deshalb für ein Kreditinstitut die Schutzpflicht ergibt, die Interessen seines Kunden zu wahren.27 In Ausnahmefällen können deshalb Nachfrage- sowie Warn- und Hinweispflichten der Kreditinstitute zum Schutz ihrer Kunden vor drohenden Schäden bestehen,28 und zwar als Rückfrage-, Hinweis- und Warnpflichten nicht nur im Überweisungs-, sondern auch im Lastschriftverkehr.29 In den genannten Fällen trifft den Zahlungsdienstleister eine Rückfragepflicht des Inhalts, seinen Kunden von der drohenden Gefahr zu unterrichten und seine Entscheidung abzuwarten.30
Darüber hinausreichende Pflichten zur Mitteilung oder gar zur Erforschung von Bonitätsproblemen des Überweisungsempfängers treffen die Bank jedoch nicht.31 Ebenso wenig braucht sich der Zahlungsdienstleister grundsätzlich über das Valutaverhältnis oder sonstige mit der Überweisung verfolgte Interessen Gedanken zu machen.32 Insofern verbleibt es bei dem „Grundsatz der informationellen Eigenverantwortung“33, dass die Zahlungsdienstleistungen erbringende Bank im Überweisungsverkehr nur zum Zwecke eines technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Zahlungsverkehrs tätig wird und deshalb weder verpflichtet sein soll, Überlegungen über die Zweckmäßigkeit der einzelnen Überweisung anzustellen und den Kunden vor Fehlern zu warnen oder zu schützen34, noch generell prüfen muss, ob die Abwicklung eines Zahlungsverkehrsvorgangs Risiken für einen Beteiligten begründet, noch Kontobewegungen allgemein und ohne besondere Anhaltspunkte zu überwachen hat.35 Ohne besondere weitere, hinreichend deutliche Anhaltspunkte geben daher Überweisungen oder Abhebungen „glatter“ Beträge und dadurch eintretende Kontoüberziehungen der Bank keinen hinreichenden Anlass, im Zahlungsverkehr den Verdacht einer Straftat zu schöpfen und den Kunden zu warnen.36
IV. Kritik der Entscheidungen des LG Dortmund und des OLG Karlsruhe
Die aufgezeigten Grundsätze, nach denen eine Warn- oder Hinweispflicht der Bank bei objektiver Evidenz besteht, will das LG Dortmund – anders als das OLG Karlsruhe37 – offenbar nicht auf die Konstellation des „Schockanrufs“ übertragen.38 Damit liegt das LG Dortmund falsch. Richtig wäre es gewesen, mit dem OLG Karlsruhe zu prüfen, ob die Umstände der Abhebung durch die Klägerin am Bankschalter in einer „Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls“39 so sehr auf einen Enkeltrickfall hindeuteten, dass sich hieraus eine die beklagte Bank ausnahmsweise treffende Warnpflicht ergab.
1. Kein Entfallen der Warn- und Hinweispflicht durch die „Selbstschädigung“ der Klägerin
Zwar thematisiert – und verneint begründungslos – das LG Dortmund die Frage, „ob sich der Beklagten bzw. ihrem Mitarbeiter (…) aufdrängen (musste), dass die Abhebung des Geldbetrages nicht aus freien Stücken erfolgte“40, misst diesem Umstand aber letztlich keine Bedeutung bei. Es erblickt nämlich den entscheidenden Unterschied zu den genannten Konstellationen u.a. darin, dass die Klägerin zur Abhebung als Kontoinhaberin berechtigt war (dazu sogleich a)) und der Schaden nicht durch die „eigentliche Bargeldabhebung, sondern erst mit der Weitergabe des Geldes“ an den unbekannt gebliebenen Betrüger entstanden sei41 (dazu unten b)).
a) Jedoch trägt ersterer Umstand, dass die Klägerin als Kontoinhaberin zur Abhebung berechtigt war, die Annahme des LG Dortmund nicht, die Umstände der Abhebung am Schalter und das in der Vergangenheit liegende Abhebungsverhalten der Klägerin seien von vornherein unerheblich. Auch zugunsten des Kontoinhabers können sich nämlich Rückfrage- und Warnpflichten ergeben. Im Überweisungsverkehr bestehen Hinweispflichten auch und gerade dann, wenn die Schädigung durch ein eigenes Handeln des Kontoberechtigten einzutreten droht, etwa bei drohender Zahlungseinstellung respektive unmittelbar bevorstehendem wirtschaftlichem Zusammenbruch eines Überweisungsempfängers oder des empfangenden Zahlungsdienstleisters.42 Die von der Rechtsprechung des BGH etablierten Grundsätze bestehen also nicht nur zur Vermeidung von Schädigungen durch Dritte, sondern auch um der Vermeidung von „Selbstschädigungen“ eines berechtigten Kontoinhabers willen. Die Berechtigung der Klägerin als Kontoinhaberin ist deshalb kein Aspekt, der gegen eine Nachfragepflicht der Bank spräche.
b) Bei näherem Zusehen liegt auch der weitere Begründungsaspekt, der Schaden sei erst durch die Weitergabe des von der Klägerin abgehobenen Geldes an die unbekannten Betrüger entstanden43, neben der Sache.44 Diese Aussage des LG Dortmund beschreibt zunächst nur eine reine Äußerlichkeit, nämlich den Umstand, dass erst die Weggabe des Geldes dessen endgültigen Verlust begründete. Warum und unter welcher dogmatischen Rubrik damit nach seiner Ansicht die Verantwortlichkeit der Bank für den Vermögensverlust entfallen soll, teilt das LG Dortmund aber nicht mit. Dogmatisch lässt sich ein solcher Verantwortlichkeitsausschluss auch nicht begründen. Dass bei einer Barauszahlung am Schalter die Möglichkeit besteht, der berechtigte Kunde werde den entgegengenommenen Betrag später selbstschädigend verwenden, stellt entgegen dem LG Dortmund keinen Grund dar, die auszahlende beklagte Bank bei evidenter Gefahr einer späteren Schädigung der abhebenden Klägerin von einer Rückfrage- und Warnpflicht zu suspendieren.
Insbesondere lässt sich ein Verantwortungsausschluss nicht mit dem Aspekt des fehlenden Zurechnungszusammenhangs zwischen dem unterbliebenen Warnhinweis und dem Schaden begründen. Bei einer solchen Sicht wäre die Weitergabe durch die Klägerin als ein Akt eigenverantwortlicher Selbstschädigung anzusehen, der die Verantwortlichkeit der einen Warnhinweis unterlassenden Bank ausschließen könnte.45 Sedes materiae dieses Arguments, träfe es denn zu, wäre die Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs zwischen einer Hinweispflichtverletzung und dem Schaden der Klägerin. Doch ist es nicht richtig, dass die betrogene Klägerin mit der Weitergabe des Geldes zu einem späteren Zeitpunkt sich im rechtlichen Sinne selbst geschädigt hätte, weil dem Handeln der Klägerin – die von einer unzutreffenden Sachlage ausging – bei der Übergabe des Geldes die Freiverantwortlichkeit fehlte. Dass von einem eigenverantwortlichen Handeln der Klägerin nicht die Rede sein kann, zeigt ein Blick über den zivilrechtlichen Tellerrand hinaus auf die strafrechtliche Beurteilung des Falls: Zwar stellte das Vorgehen der unbekannten Täter keine Erpressung dar,46 weil der Schockanrufer nicht vorgab, die Verwirklichung des Übels durch Dritte in der vom Opfer befürchteten Richtung beeinflussen zu können, und deshalb des Nötigungscharakters (Drohung i.S.d. § 253 StGB) entbehrt.47 Jedoch kann von einer freiverantwortlichen Entscheidung der getäuschten und irrtumsbefangen das abgehobene Geld übergebenden Klägerin nicht die Rede sein, weil diese als Täuschungsopfer einem (regelmäßig gewerbsmäßig und bandenhaft begangenen) Betrug der unbekannten Täter zum Opfer fiel.48 Für den Betrug ist es geradezu charakteristisch, dass die Handlung, durch die das Rechtsgut Vermögen verletzt wird, dem äußeren Erscheinungsbild nach nicht vom Täter, sondern vom getäuschten Opfer selbst vollzogen wird. Entgegen der verbreiteten irreführenden Rede vom „Selbstschädigungscharakter“ des Betruges49 nimmt ein Täuschungsopfer keine echte selbstschädigende Vermögensverfügung vor (an eine freiverantwortliche Geschädigtenhandlung könnte das Strafrecht nicht anknüpfen), sondern verfügt täuschungs- und irrtumsbedingt und damit fremdbestimmt;50 aus dem Bewusstsein der in den Fällen des LG Dortmund und des OLG Karlsruhe Geschädigten, mit der Weitergabe des Geldes an die unbekannten Täter eine Vermögensminderung (strafrechtlich: Vermögensverfügung) zu bewirken, folgt noch nicht die (allein zurechnungsausschließende) Freiverantwortlichkeit.51 In dem Irrtum des Täuschungsopfers liegt ein die Freiverantwortlichkeit der Vermögensverfügung ausschließender „Zwischenerfolg“, der die Verantwortlichkeit des Täuschenden für die Vermögensverfügung und den Schadenseintritt begründet. Aus der Perspektive des täuschenden Betrugstäters stellt sich die Vermögensverfügung (Weitergabe des Geldes) – die dem Täuschenden infolge der fehlenden Freiverantwortlichkeit zugerechnet wird – als eine über das getäuschte Opfer bewirkte Fremdschädigung dar. Dabei ist gerade die Verantwortung des Täuschenden für die fehlende Freiverantwortlichkeit des Geschädigten der Grund dafür, dem Täuschenden die Vermögensverfügung und die Schadensherbeiführung so zuzurechnen, als habe er sie selbst und eigenhändig herbeigeführt. Nach mancher Ansicht soll diese Zurechnungsstruktur es gar rechtfertigen, den Betrug, dem die Klägerinnen in den Besprechungsfällen zum Opfer fielen, als eine vertypt mittelbar-täterschaftlich begangene Tat anzusehen.52 Andere stellen die Parallele des § 263 StGB zur mittelbaren Täterschaft in Abrede53 und wenden für die Frage, inwieweit ein durch ein Handeln des Geschädigten verursachter Vermögensnachteil auf die Täuschung des präsumtiven Täters zurückzuführen ist, die Kriterien der objektiven Zurechnung an.54 Auf diese strukturellen Fragen kommt es für unsere Problematik nicht an, soll doch nur gezeigt werden, dass die eigenhändige Vornahme der unmittelbar schädigenden Handlung – die Weitergabe des Geldes an die unbekannten Betrüger – gerade keinen Grund dafür darstellt, die Verantwortlichkeit dafür allein bei dem Geschädigten zu sehen; erst wenn – was in den Besprechungsfällen fernliegt – das vollverantwortlich handelnde Opfer die Wahrheit der vorgespiegelten Notsituation ihrer Tochter zwar noch für möglich hält, jedoch zumindest „eventualvorsätzlich“ die Lüge des Anrufers in Kauf nimmt und dennoch über das abgehobene Geld verfügt55, kann – in der Terminologie der objektiven Zurechnung – von einem Ausschluss der Gefahrrealisierung unter dem Aspekt der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung die Rede sein,56 denn strafrechtlich würde es dann an dem „Zwischenerfolg“ eines Irrtums i.S.d. § 263 StGB fehlen.
Zeigt somit die – auch für die zivilrechtliche Beurteilung (§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB57; § 826 BGB58) der Haftung der unbekannten Enkeltricktäter maßgebliche59 – Struktur der Zurechnung, dass die Klägerin als Opfer eines Betruges mit der Übergabe des abgehobenen Geldes an die unbekannten Täter den eingetretenen Vermögensschaden nicht freiverantwortlich herbeiführte, so folgt daraus für die bankrechtliche Beurteilung, dass sich ein Zurechnungsausschluss in den hier thematischen „Enkeltrick-“ und „Schockanruffällen“ auch im Verhältnis zu der beklagten Bank nicht auf eine eigenverantwortliche Selbstschädigung stützen lässt. Dabei ist es für die Haftung der Bank ohne Belang, dass die Bank den Irrtum, in dem sich die Klägerin befand, nicht hervorgerufen hat. Die Haftung einer Bank, die – in den Worten des OLG Karlsruhe – „bei massiven, evidenten Verdachtsmomenten“60 einen Kunden nicht warnt, leitet sich nicht aus einer Teilnahme am deliktischen Handeln der unbekannten Betrugstäter ab und beruht deshalb nicht auf einer deliktisches Betrugsunrecht kennzeichnenden Irrtumsherrschaft, sondern auf einer originär eigenen und eigenständigen vertraglichen Nebenpflichtverletzung,61 für deren Bestehen, Inhalt und Reichweite die Richtung, aus der die Schädigung droht, nicht von Belang ist. Schon deshalb kann die Untätigkeit der Bank die Zurechnungsbeziehung zwischen dem täuschenden Handeln des Anrufers und der schädigenden Geldübergabe nicht unterbrechen.
2. Zum Bestehen einer Warnpflicht aus einer vertraglichen Nebenpflicht bei objektiver Evidenz eines „Schockanrufs“ bzw. „Enkeltricks“
Entscheidend für die Entstehung einer solchen Schutzpflicht aus einer vertraglichen Sonderverbindung – dem Girovertrag62 – ist der Aspekt der überlegenen Risikokenntnis, der bereits dann einschlägig ist, wenn die Bank massive Anhaltspunkte für eine ohne ihr Einschreiten bevorstehende Schädigung des Kunden hat. In diesem Zusammenhang sind das OLG Karlsruhe und das LG Dortmund nicht dafür zu kritisieren, dass sie die Verletzung einer (ungeschriebenen) vertraglichen Hauptpflicht anscheinend gar nicht erst in Betracht gezogen haben. Eine Verpflichtung, den Kunden vor den Folgen des eigenen Handelns zu warnen, ist gesetzlich nicht normiert, weshalb angesichts der Vollharmonisierung des Zahlungsdiensterechts durch die Umsetzung der Zahlungsdienstrichtlinien (ZDRL) mit der Annahme entsprechender Informationshauptpflichten große Zurückhaltung geboten ist. Art. 107 Abs. 1 ZDRL enthält ein Vollharmonisierungsgebot, das nur wenige – in puncto Warn-, Hinweis- und Informationspflichten nicht einschlägige – explizit geregelte Ausnahmen (etwa § 675r Abs. 3 BGB) zulässt. Es ist deshalb konsequent, dass die Gerichte von vornherein nur die Verletzung einer Nebenpflicht, die aus der allgemeinen vertraglichen Rücksichtnahmepflicht folgt, die im Rahmen eines jeden Vertragsverhältnisses gilt und auf die sich das Vollharmonisierungsgebot nicht bezieht,63 erwogen haben.
Mit dem Aspekt der Nebenpflichtverletzung ist ein weiterer Gesichtspunkt angesprochen, unter dem die Erwägungen des LG Dortmund dogmatischer Einordnung und Überprüfung bedürfen, nämlich die vom LG Dortmund verneinte und vom OLG Karlsruhe bejahte Frage, ob in den Schockanruffällen überhaupt eine Nebenpflicht des Inhaltes bestehen kann, bei massiven Verdachtsmomenten im Sinne „objektiver Evidenz“ gegenüber dem Kunden ggf. nach vorheriger Rückfrage eine Warnung oder auch nur einen Hinweis auszusprechen. Das OLG Karlsruhe hat eine solche Nebenpflicht für möglich gehalten und dafür die in der oben aufgezeigten Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auf die hier thematische Konstellation des „Schockanrufs“ übertragen. Dagegen geht das LG Dortmund nicht nur – verfehlt, vgl.o. 1. – davon aus, die Schadensherbeiführung durch eigenhändige Weitergabe des abgehobenen Geldes schließe die Verantwortlichkeit der beklagten Bank von vornherein mangels Schadenszurechenbarkeit aus. Vielmehr erwecken die Äußerung des LG Dortmund, die beklagte Bank sei „nach § 675o Abs. 2 BGB zur Ausführung des ihr erteilten Zahlungsauftrages gesetzlich verpflichtet“ gewesen und habe „mit der Auszahlung der 25.000,00 EUR am 17.07.2023 in bar an die Klägerin keine dieser gegenüber bestehende (neben-)vertragliche Pflicht verletzt“64 sowie die weitere Äußerung, die Bank habe „ohne Hinzutreten weiterer, außergewöhnlicher Umstände (…) die Motivation für die Abhebung nicht zu hinterfragen“, sondern sei „im Gegenteil (…) aus dem Girovertrag ihrem Kunden bzw. ihrer Kundin gegenüber zur Ausführung des Auftrags verpflichtet, § 675o Abs. 2 BGB“65, den Eindruck, das LG Dortmund stelle bereits das Bestehen einer auf Aufklärung, Nachfrage oder Warnung gerichteten Nebenpflicht66 (an deren Verletzung die Schadenszurechnung erst anknüpfen könnte) in Abrede, dies allerdings zu Unrecht. Mit der Bezugnahme auf § 675o Abs. 2 BGB verkennt das LG Dortmund, dass diese Vorschrift die Reichweite einer Hauptleistungspflicht – nämlich der Ausführung eines erteilten Auftrags – regelt, die eine Bank bei „objektiver Evidenz“ treffende Warnpflicht aber gerade nicht aus einer Hauptpflicht resultiert. Zwar sieht § 675o Abs. 2 BGB eine generelle Ausführungspflicht für Kundenaufträge vor, die im Rahmen von Zahlungsdiensterahmenverträgen erteilt werden.67 Die Vorschrift wiederholt damit aber nur die Vorgaben, die bereits in § 675f Abs. 2 Satz 1 geregelt sind und mit denen Ausführung von Zahlungsvorgängen i.S.d. § 675f Abs. 4 Satz 1 BGB als Hauptpflicht des Zahlungsdienstleisters normiert wird.68 Über die Reichweite einer neben den vertraglichen Hauptpflichten stehenden und sich aus der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) ergebenden Nebenpflicht kann die allein die Reichweite der Hauptpflicht regelnde Vorschrift des § 675o Abs. 2 BGB keine Aussage treffen. Die eine Bank ggf. treffende Warnpflicht liegt auch inhaltlich auf einer anderen Ebene als die nach § 675o Abs. 2 BGB ausnahmsweise bestehende Berechtigung zur Nichtvornahme eines Zahlungsvorgangs:69 Das Eingreifen einer Warnpflicht begründet für sich genommen noch keine Berechtigung, einen Zahlungsvorgang nicht vorzunehmen, sondern verpflichtet die Bank nur zur Nachfrage und ggf. Warnung. Erfolgt eine solche Warnung und besteht der Kunde gleichwohl auf Vornahme des Zahlungsvorgangs, so darf die Bank, wenn nicht zugleich die (hier nicht näher zu thematisierenden70) Voraussetzungen des § 675o Abs. 2 BGB eingreifen, die Ausführung des Zahlungsvorgangs nicht verweigern. Aus dem disparaten Status der Pflichten und dem unterschiedlichen Pflichteninhalt folgt, dass sich aus der Vorschrift des § 675o BGB entgegen dem LG Dortmund für das Bestehen oder Nichtbestehen eine Warnpflicht argumentativ nichts gewinnen lässt.
Sind somit die Argumente ausgeräumt, die das LG Dortmund gegen das Bestehen einer aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot (§ 241 Abs. 2 BGB) abgeleiteten Rückfrage-, Hinweis- und Warnpflicht angeführt hat, so spricht nichts dagegen, sondern vielmehr alles dafür, die in der Rechtsprechung bisher entwickelten Grundsätze bei objektiver Evidenz auf die Schockanruffälle zu übertragen. Insbesondere steht bei der Face-to-Face-Begegnung von geschädigter Bankkundin und Bankmitarbeiterin, die die Besprechungsfälle kennzeichnet, nicht jener Aspekt im Raum, der zur Zurückhaltung bei der Auferlegung von vertraglichen Warnnebenpflichten etwa im allgemeinen Überweisungs- oder Lastschriftverkehr Anlass geben mag, nämlich der „Charakter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs als einheitlich praktiziertes Massengeschäft“, in dem „Banken nur zur technisch einwandfreien, einfachen und schnellen Abwicklung des Zahlungsverkehrs tätig (werden) und (…) sich grundsätzlich nicht um die Interessen ihrer beteiligten Kunden kümmern (müssen)“,71 und zwar „schon wegen dieses begrenzten Geschäftszwecks und der Massenhaftigkeit der Geschäftsvorgänge“72. Unabhängig davon, ob man auch die Auszahlung am Schalter als Tätigkeit im „Massengeschäft“ ansieht, stellt sich doch jede Begegnung eines Bankmitarbeiters mit einem Kunden als eine Situation des persönlichen Kontaktes dar, bei dem der Mitarbeiter den Kunden unmittelbar sinnlich wahrnimmt. In einer solchen Situation kann es leichter zur Wahrnehmung von Auffälligkeiten kommen als im unpersönlichen Überweisungs- oder Lastschriftverkehr, womit einer Bank kein oder allenfalls ein geringer zusätzlicher organisatorischer Aufwand abverlangt wird, wenn sie sich für die Interessen eines von einem Schockanrufer oder Enkeltrickbetrüger betroffenen Kunden oder einer entsprechenden Kundin einsetzen und der jeweilige Mitarbeiter nach dem Zweck der Abhebung zu fragen hat oder gar unverblümt den aufgetretenen Verdacht eines Trickbetrugs mitsamt der dafür sprechenden Alarmzeichen gegenüber dem Kunden thematisieren muss.73
3. Bestehen einer Warnpflicht im Fall des LG Dortmund
Es verdient deshalb Zustimmung, dass das OLG Karlsruhe – anders als das LG Dortmund – die rechtlichen Maßstäbe für den Überweisungs- und Lastschriftverkehr zum Bestehen einer Warnpflicht auch auf die Kontoführung übertragen und hervorgehoben hat, es bestünden zwar „auch im Rahmen der Kontoführung (…) grundsätzlich keine besonderen Überwachungs-, Aufklärungs- oder Warnpflichten der kontoführenden Bank.“ Allerdings gelte auch hier „[a]nderes (…), wenn die Bank eine Gefährdung des Kunden erkennt oder hierfür massive, evidente Verdachtsmomente bestehen. In diesem Fall hat die Bank ausnahmsweise eine Warnpflicht gegenüber ihrem Kunden (…)“.74 Für die Anwendung des Evidenzkriteriums auch auf schockanrufbedingte Abhebungen spricht neben der Vergleichbarkeit der Situationen mit den Überweisungs- und Lastschriftsituationen auch ein Wertungsvergleich: Wenn nach der Rechtsprechung des BGH eine Bank schon zur Warnung eines ihrer Kunden verpflichtet sein soll, wenn aufgrund massiver Anhaltspunkte – bei objektiver Evidenz – der Verdacht besteht, dass ein anderer Kunde, für den sie das Geschäftsgirokonto führt, durch eine Straftat (Veruntreuung von zum Zweck der Kapitalanlage gesammelten Kundengeldern) andere Kunden schädigen will,75 so muss dies erst recht gelten, wenn eine Schädigung durch Dritte76 – nämlich durch Schockanrufer und Enkeltrickbetrüger – droht und die Bank durch die Auszahlung an der Schadensentstehung aktiv mitwirken würde.
Viel spricht demnach dafür, dass das LG Dortmund über die Behauptungen der Klägerin hätte Beweis erheben müssen, weil die von ihr vorgetragene Situation – ihre Wahrheit unterstellt – eine Rückfragepflicht der beklagten Bank hätte auslösen können.77 Jedenfalls in ihrer Gesamtheit78 stellten sich die von der Klägerin vorgetragenen Indizien als nicht unerheblich dar, weil sich daraus eine vom Regelbild der Abhebungen durch die Klägerin stark abweichende Situation ergab. Zwar handelt es sich bei der Höhe der Barabhebung der Klägerin für sich allein genommen noch nicht um ein zur Rückfrage drängendes Indiz, weil auch hohe Barabhebungen im Zahlungsverkehr alles andere als unüblich sind.79 Jedoch hatte die Klägerin auf die vielfache Überschreitung der bisherigen Höchstabhebung80 sowie auf ihr hohes Alter verwiesen und – wie auch im Fall des OLG Karlsruhe – zusätzlich geltend gemacht, bei der zumal kurz vor Filialschluss getätigten Abhebung erkennbar nervös gewesen zu sein. Auch das OLG Karlsruhe erkannte „keine ausreichenden Verdachtsmomente“, konnte sich aber dabei auf eine erstinstanzlich durchgeführte Beweisaufnahme stützen und darauf, dass nach den bindenden Feststellungen des LG Karlsruhe sich keine „erkennbare(n) Anzeichen für eine auffällige Gemütslage – besondere Nervosität, Anspannung oder Erregung, starke psychische Belastung oder Verzweiflung, Fahrigkeit oder Ähnliches – gezeigt“81 hätten, derentwegen die durch ihre mitbeklagte Mitarbeiterin handelnde beklagte Bank hätte Verdacht schöpfen müssen. Nach den bindenden Feststellungen des LG Karlsruhe waren der mitbeklagten Bankmitarbeiterin die Vermögensverhältnisse der Klägerin zum Abhebungszeitpunkt nicht bekannt. Auf die mit der Abhebung einhergehende Überziehung des Kontos um 2.500 Euro hatte die mitbeklagte Bankmitarbeiterin die Klägerin nach den landgerichtlichen Feststellungen hingewiesen, worauf die Klägerin eine Umbuchung von ihrem Tagesgeldkonto abgelehnt hatte. In dem als Verdachtsmomente hernach übrigbleibenden hohen Alter der Klägerin, der massiven Überschreitung des bis dahin maximal abgehobenen Geldbetrages und der glatten Abhebungssumme82 wollte das OLG Karlsruhe „(b)ei einer Gesamtbetrachtung sämtlicher Umstände des Einzelfalls“ keinen hinreichenden Nachfrage- und Warnanlass im Sinne objektiver Evidenz massiver Verdachtsmomente erkennen, aus dem sich eine Pflichtverletzung der beklagten Bank hätte ergeben können.83 Sowohl der Fall des OLG Karlsruhe als auch – bei Erweislichkeit der von der dortigen Klägerin behaupteten, teils streitigen Verdachtsmomente – der Fall des LG Dortmund stellen Grenzfälle dar, die womöglich auch anders hätten entschieden werden können.
V. Fazit
Die vorstehenden Zeilen haben gezeigt, dass auch in Enkeltrick- und Schockanruf-Fällen im Grundsatz eine Warnpflicht der Bank bestehen kann, wenn die Geschädigten die – später an die unbekannten Tricktäter übergebenen Beträge – zuvor bar von ihrem Girokonto abgehoben haben (Barauszahlung). An die Verletzung dieser Warn(neben)pflicht, die allerdings nur bei massiven Verdachtsmomenten in Betracht kommt, kann ein Schadensersatzanspruch aus den §§ 675f Abs. 2, 280Abs. 1 , 278 Abs. 1 BGB anknüpfen. Hinter den Kulissen geblieben ist in beiden Besprechungsfällen eine am Rande zu erwähnende, bislang im Kontext der Schockanrufhaftung nur selten erörterte84 Problematik, nämlich die Frage, ob in den vom LG Dortmund und vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fällen die geschädigten Bankkunden den erteilten Zahlungsauftrag hätten anfechten können. Bekanntlich ist mit Blick auf das zahlungsdiensterechtliche Vollharmonisierungsgebot umstritten, ob ein erteilter Zahlungsauftrag von dem Zahler – in casus also von den geschädigten Bankkunden – angefochten werden kann.85 Soweit ganz überwiegend eine Anfechtung jedenfalls wegen arglistiger Täuschung für zulässig erachtet wird, könnten Geschädigte eines Enkeltricks den Zahlungsauftrag gegenüber der Bank als Dritter i.S.d. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB schon dann anfechten, wenn diese die Täuschung kannte oder kennen musste. Im Allgemeinen reicht zwar für ein Kennenmüssen i.S.d. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB bereits einfache Fahrlässigkeit aus, weshalb ein Erklärungsempfänger – in casus eine Bank – nachforschen muss, ob eine Willenserklärung durch Täuschung zustande gekommen ist, sofern sich Anhaltspunkte hierfür ergeben,86 ohne dass es auf die warnpflichtbegründenden „massiven Verdachtsmomente“ ankäme. Damit aber nicht über die Hintertür der Arglistanfechtung die hohen Anforderungen unterlaufen werden können, die an die Haftung der Bank wegen der Verletzung einer Warnpflicht gestellt werden und die den „Grundsatz der informationellen Eigenverantwortung“87 absichern, wird man den Fahrlässigkeitsmaßstab i.S.d. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB parallel zu den Kriterien des Entstehens einer Rückfrage-, Hinweis- und Warnpflicht bestimmen müssen und deshalb fahrlässige Täuschungsunkenntnis i.S.d. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB erst dann bejahen können, wenn zugleich diejenigen Voraussetzungen vorliegen, unter denen auch eine Warn(neben)pflicht besteht.