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Anmerkung zu:BVerwG 10. Senat, Urteil vom 18.04.2024 - 10 C 9/23
Autor:Gabriela Bähr, Ri'inBVerwG
Erscheinungsdatum:29.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 42 ZPO, § 58 WVG, § 6 WVG, § 46 WVG, § 47 WVG, § 52 WVG, § 53 WVG, § 1 WVG, Art 20 GG, § 72 WVG
Fundstelle:jurisPR-BVerwG 15/2024 Anm. 1
Herausgeber:Verein der Bundesrichter bei dem Bundesverwaltungsgericht e.V.
Zitiervorschlag:Bähr, jurisPR-BVerwG 15/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Ablehnungsgrund nach § 42 Abs. 2 ZPO bei instanzübergreifenden Richterehen



Orientierungssatz zur Anmerkung

Besorgnis der Befangenheit bei instanzübergreifenden Richterehen: Die Vorschriften über die Befangenheit von Richtern bezwecken, bereits den bösen Schein zu vermeiden.



A.
Problemstellung
Muss die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes i.S.d. Wasserverbandsgesetzes (WVG) eine feststehende Anzahl der Vorstandsmitglieder festlegen? Mit dieser Frage hatte sich das BVerwG zu beschäftigen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger, zwei Wasser- und Bodenverbände, begehren vom beklagten Land Hessen die Genehmigung von Satzungsänderungen. Verbandsmitglieder der Kläger sind ausschließlich Kreise, Städte und Gemeinden. Nach den bislang geltenden Fassungen ihrer Satzungen bestanden die Vorstände der Kläger aus einer feststehenden Anzahl von Personen. Die von den Verbandsversammlungen der Kläger beschlossenen Satzungsänderungen sehen stattdessen vor, dass sich die Vorstände aus dem Verbandsvorsteher, dessen Stellvertreter sowie mindestens einem weiteren Mitglied zusammensetzen. Weiter heißt es dort, jedes Verbandsmitglied könne maximal ein Vorstandsmitglied und dessen persönlichen Vertreter vorschlagen. Die zuständige Aufsichtsbehörde lehnte die nach dem WVG erforderliche Genehmigung dieser Satzungsänderungen ab. Die beschlossenen Neuregelungen seien zu unbestimmt, da die Vorstandsgröße variieren könne. Der jeweilige Vorstand werde dadurch vom gesetzlich festgelegten Leitungsgremium des Verbandes in eine zweite Kammer der Verbandsversammlung transformiert. Vor dem VG hatten die Klagen Erfolg. Insbesondere sei das Gebot der Normenbestimmtheit und -klarheit gewahrt, da die Größe der Vorstände durch die Festlegung einer Mindest- und Höchstgrenze in den Satzungsänderungen hinreichend bestimmbar sei. Hiergegen richtete sich die vom VG zugelassene Sprungrevision des Beklagten, die der Senat zurückgewiesen hat. Das Urteil der Vorinstanz stand mit Bundesrecht in Einklang. Die Kläger hatten Anspruch auf Erteilung der begehrten Genehmigungen nach § 58 Abs. 2 Satz 1 WVG.


C.
Kontext der Entscheidung
Anforderungen an die Regelgröße des Vorstands und deren Festlegung in der Satzung lassen sich dem WVG unmittelbar nicht entnehmen. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 7 WVG muss die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes mindestens Bestimmungen über Bildung und Aufgaben der Verbandsorgane enthalten. Organe des Verbands sind die Versammlung der Verbandsmitglieder (Verbandsversammlung) und der Vorstand (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WVG). Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 WVG hat die Verbandsversammlung die Aufgabe der Wahl der Vorstandsmitglieder sowie ihrer Stellvertreter. § 52 Abs. 1 Satz 1 WVG regelt, dass der Vorstand aus einer Person oder aus mehreren Personen bestehen kann. Besteht der Vorstand aus einer Person, so ist diese Verbandsvorsteher, besteht er aus mehreren Personen, so ist der Verbandsvorsitzende Verbandsvorsteher (§ 52 Abs. 1 Satz 2 WVG). Werden mehrere Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt, wählt die Verbandsversammlung auch den Vorstandsvorsitzenden (§ 53 Abs. 1 Satz 2 WVG). Zusätzlich zu den offen gefassten gesetzlichen Tatbeständen, aus denen sich für die Bedenken des Beklagten nichts herleiten ließ, muss die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes als einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 Halbsatz 1 WVG), die sich im Rahmen der Gesetze selbst verwaltet (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 WVG), dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebot genügen (vgl. BVerwG, Urt. v. 27.04.2023 - 10 C 1/23 Rn. 13 - NVwZ 2023, 1414). Danach ist der Normgeber gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können (vgl. BVerfG, Urt. v. 29.11.2023 - 2 BvF 1/21 Rn. 80 m.w.N. - NVwZ 2024, Beilage Nr 1, 28).
Unter Zugrundelegung der in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten Maßstäbe hat das VG zutreffend angenommen, dass in Fallkonstellationen, in denen – wie hier – ein Grundrechtsbezug fehlt, weil der Bürger nicht Adressat der streitgegenständlichen Satzungsregelungen ist, lediglich niedrige Anforderungen an Normenbestimmtheit und Normenklarheit zu stellen sind. Ausschließlich Gebietskörperschaften sind satzungsgemäße Verbandsmitglieder der Kläger. Den vertretenen Kreisen, Gemeinden und Städten steht das Vorschlagsrecht für die Vorstandsmitglieder zu; sie sind von der Aufgabenerfüllung durch den Vorstand betroffen. In einer solchen Konstellation wird ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot nicht dadurch begründet, dass die geänderten Satzungen keine fixe Zahl der Vorstandsmitglieder mehr festlegen und deren Höchstzahl von der Wahrnehmung des Vorschlagsrechts der Verbandsmitglieder abhängt. Es genügt vielmehr, dass die Mindest- und variable Höchstzahl der Vorstandsmitglieder aufgrund der beschlossenen Satzungsänderungen für die Verbandsmitglieder bestimmbar sind.
Das Erreichen der möglichen Höchstzahl der Vorstandsmitglieder hängt von der Ausübung des Vorschlagsrechts durch die Verbandsmitglieder und dem Wahlverhalten der Verbandsversammlungen ab. Damit steht die maximale Größe des Vorstands vor jeder Wahl fest und ist für die Vertreter der Mitglieder eindeutig kalkulierbar. Angesichts dessen ist auch die Satzungsautonomie der Kläger als Träger funktionaler Selbstverwaltung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.12.2002 - 2 BvL 5/98 u.a. Rn. 143 ff.) durch die Neuregelungen in den Verbandssatzungen nicht überschritten.
Die beschlossenen Neufassungen sind auch mit dem gesetzlichen Leitbild des Verbandsvorstands vereinbar. Der Gesetzgeber hat es der demokratischen Selbstverwaltung der Wasser- und Bodenverbände überlassen, ob die Verbandsversammlung lediglich einen Verbandsvorsteher oder einen aus mehreren Personen bestehenden Vorstand wählt.
Die staatliche Aufsicht ist auf die Rechtsaufsicht begrenzt (§ 72 Abs. 1 Satz 1 WVG). Eine Zweckmäßigkeitskontrolle der Maßnahmen des Verbands steht der Aufsichtsbehörde demnach nicht zu. Allerdings wäre eine Satzungsbestimmung, die die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Verbands beeinträchtigen würde, rechtswidrig. Dies ist hier aber nicht der Fall. Den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 11/6764, S. 31) lässt sich nicht entnehmen, dass der Gesetzgeber bei einem mehrgliedrigen Vorstand eine Besetzung mit einigen wenigen Personen selbstverständlich vorausgesetzt habe. Auch kann eine allgemeingültige maximale Vorstandsgröße nicht ohne Weiteres festgesetzt werden. Diese ist vielmehr von vielfältigen Faktoren abhängig. Die Verbandsversammlungen müssen ihr Vorschlags- und Wahlrecht nicht bis zur Höchstzahl der Vorstandsmitglieder ausschöpfen. Die Wasser- und Bodenverbände können Erfahrungen mit den variablen Vorstandsgrößen sammeln und künftig entsprechend zur Wahrung von Arbeitsfähigkeit und Funktion ihrer Vorstände verfahren.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das BVerwG hat für eine spezielle Konstellation, in der ausschließlich Gebietskörperschaften Mitglieder von Wasser- und Bodenverbänden sind, die Anforderungen im Hinblick auf die Bestimmbarkeit der Vorstandsgröße in der Satzung auf der Grundlage der Entscheidung der Vorinstanz geklärt.



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