Gemeindeklage gegen HöchstspannungsfreileitungLeitsätze 1. § 7 Satz 1 BauGB (Anpassungsgebot) gilt nicht für Vorhaben nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz. Der Flächennutzungsplan einer Gemeinde ist nach § 18 Abs. 4 Satz 7 NABEG a.F. (nunmehr: § 18 Abs. 4 Satz 8 NABEG) als städtebaulicher Belang zu berücksichtigen. 2. Hat eine planfestgestellte Höchstspannungsleitung zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung den Abschnitt eines Vorhabens zum Gegenstand, das in der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG aufgeführt, aber dort nicht mittels Kennzeichnung "E" gemäß § 2 Abs. 5 BBPlG als Erdkabelprojekt eingestuft ist, muss bei der Alternativenprüfung eine die Erdverkabelung beinhaltende Alternative von Gesetzes wegen ausscheiden. 3. Die Planfeststellungsbehörde darf bei der Alternativenprüfung einer Variante nicht den hierfür fehlenden Antrag der Vorhabenträgerin entgegenhalten. - A.
Problemstellung Die Planungspraxis vermeidet einen Verlauf von Freileitungen in naturschutzfachlich relevanten Bereichen und in Siedlungsbereichen. In dicht besiedelten Gebieten läuft es deshalb mitunter darauf hinaus, dass Höchstspannungsfreileitungen entlang des Siedlungsrandes geplant werden. Kann eine Gemeinde eine solche Planung mit der Begründung angreifen, diese verhindere ihre künftige Siedlungsentwicklung und entziehe ihr potenzielle Wohnbauflächen? Ja, aber nur wenn ihre Planungshoheit qualifiziert betroffen ist, sagt das BVerwG und präzisiert die Anforderungen für Gemeindeklagen gegen Höchstspannungsfreileitungen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung I. Die Klägerin, eine hessische Stadt, klagte gegen die Planfeststellung eines Abschnitts der Gleichstrom-Höchstspannungsleitung „Ultranet“ auf ihrem Gemeindegebiet. Die geplante 380 kV-Freileitung sollte entlang des Siedlungsrandes verlaufen und dort eine vorhandene 220 kV-Bestandsleitung ersetzen. Der hessische Landesentwicklungsplan (5.3.4-7[Z]) schreibt einen Abstand von 400 m zwischen einer Höchstspannungsfreileitung im Außenbereich und dem Wohnen dienenden Baugebieten vor. Der Flächennutzungsplan der Klägerin sah in dem hiervon betroffenen Bereich Wohnbauflächen vor. Die Klage blieb ohne Erfolg. II.1. Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss verstieß nicht gegen das Anpassungsgebot des § 7 Satz 1 BauGB. Dieses gilt nicht für Vorhaben nach dem Netzausbaubeschleunigungsgesetz. Nach § 18 Abs. 4 Satz 7 NABEG a.F. (nunmehr § 18 Abs. 4 Satz 8 NABEG) sind städtebauliche Belange zu berücksichtigen. Darunter fällt auch die vorbereitende Bauleitplanung der Gemeinden, mithin ein Flächennutzungsplan. Gemäß § 18 Abs. 4 Satz 8 NABEG a.F. (nunmehr § 18 Abs. 4 Satz 9 NABEG) sind § 38 Satz 1 und 3 BauGB und § 7 Satz 6 BauGB entsprechend anzuwenden. Dieser Anwendungsbefehl spart § 38 Satz 2 BauGB aus, demgemäß eine Bindung nach § 7 BauGB unberührt bleibt. Im Übrigen stellt § 18 Abs. 4 Satz 8 NABEG a.F. allein auf den Kosten- und Aufwendungsersatz des § 7 Satz 6 BauGB ab, ohne das Anpassungsgebot und die Folgeregelungen des § 7 Satz 1 bis 5 BauGB einzubeziehen. Der Flächennutzungsplan der Klägerin war daher lediglich in der Abwägung nach § 18 Abs. 4 NABEG als städtebaulicher Belang zu berücksichtigen. 2. Der Planfeststellungsbeschluss hatte die Planungshoheit der Klägerin ohne Rechtsfehler abgewogen. Die Planfeststellung entzog keine wesentlichen Teile des Gemeindegebiets einer Planung der Klägerin. Die angeführten Bereiche für künftige Siedlungen waren im Verhältnis zum gesamten Gemeindegebiet unwesentlich und machten nur einen geringen Bruchteil des Stadtgebiets aus. Die Flächennutzungsplanung der Klägerin mit den dort vorgesehenen Wohnbauflächen war fehlerfrei als städtebaulicher Belang in der Abwägung berücksichtigt worden. Der Belang war durch die bestehende Vorbelastung in seinem Gewicht deutlich gemindert, denn das Abstandsgebot von 5.3.4-7(Z) des LEP Hessen war bereits gegenüber den im betreffenden Bereich vorhandenen Bestandsleitungen zu beachten. Die Planungsmöglichkeiten der Klägerin waren damit schon vor der hier streitgegenständlichen Planfeststellung in grundsätzlich gleicher Weise eingeschränkt. Die durch die Planfeststellung ausgelöste Belastung erschöpfte sich im Kern darin, dass die Beschränkung der gemeindlichen Planungshoheit für einen erheblichen Zeitraum, nämlich die absehbare Lebensdauer der zu errichtenden Leitung, verstetigt wurde. Vor diesem Hintergrund hatte die Abwägung des Planfeststellungsbeschlusses dem städtebaulichen Belang ausreichend Rechnung getragen.
- C.
Kontext der Entscheidung Gemeinden sind in ihren Möglichkeiten, sich gegen ihr Gebiet berührende Fachplanungen zu wehren, eingeschränkt. Aus der grundsätzlich umfassenden Wahrnehmungsbefugnis für alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft folgt kein Abwehrrecht gegenüber allen das Gemeindegebiet berührenden Auswirkungen von Fachplanungen. Denn das Recht auf Selbstverwaltung steht unter Gesetzesvorbehalt (vgl. Held, LKRZ 2010, 246, 248). Unter welchen Voraussetzungen sich Gemeinden unter Berufung auf ihre Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG) gegen die Planfeststellung von Infrastrukturvorhaben wehren können, ist im Grundsatz in der Rechtsprechung geklärt: Die gemeindliche Planungshoheit vermittelt eine wehrfähige, in die Abwägung einzubeziehende Rechtsposition gegen fremde Fachplanungen auf dem eigenen Gemeindegebiet, wenn das Vorhaben nachhaltig eine bestimmte Planung der Gemeinde stört, wesentliche Teile des Gemeindegebietes wegen seiner Großräumigkeit einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder gemeindliche Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt. Darüber hinaus muss die Planfeststellungsbehörde auf noch nicht verfestigte, aber konkrete Planungsabsichten einer Gemeinde abwägend dergestalt Rücksicht nehmen, dass durch die Fachplanung von der Gemeinde konkret in Betracht gezogene städtebauliche Planungsmöglichkeiten nicht unnötigerweise „verbaut“ werden (vgl. BVerwG, Urt. v. 06.09.2018 - 3 A 15/15 Rn. 28 - NVwZ 2019, 313; BVerwG, Urt. v. 04.04.2019 - 4 A 6/18 Rn. 34; BVerwG, Urt. v. 15.10.2020 - 7 A 10/19 Rn. 39; BVerwG, Urt. v. 27.07.2021 - 4 A 14/19 Rn. 85 - BVerwGE 173, 132 u. BVerwG, Urt. v. 07.10.2021 - 4 A 9/19 Rn. 63 - UPR 2022, 98). Die Entscheidung zeigt, dass jedenfalls bei Vorhaben nach dem NABEG eine gemeindliche Planungsabsicht, die in einem Flächennutzungsplan konkretisiert ist, als Belang der Gemeinde (mit dem ihm im Einzelfall zukommenden Gewicht) im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen ist. Das BVerwG hat offengelassen, ob der vor längerer Zeit erfolgte Aufstellungsbeschluss der Klägerin für einen entsprechenden Bebauungsplan den Anforderungen an die hinreichende Verfestigung der Planungsabsicht für sich genommen genügt hätte.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung verdeutlicht, dass ein öffentliches Interesse an der Freihaltung von potenziellen Siedlungsflächen nur unter qualifizierten Voraussetzungen als eigener Belang einer Gemeinde gegen eine Fachplanung auf dem eigenen Gemeindegebiet ins Feld geführt werden kann. Die Möglichkeiten von Gemeinden, eine Fachplanung auf dem eigenen Gemeindegebiet abzuwehren, sind begrenzt. Sind bestimmte Flächen für eine künftige Planung ins Auge gefasst, ist eine Gemeinde gut beraten, ihre Planung frühzeitig und zügig zu konkretisieren.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Die Entscheidung befasst sich unter anderem mit den Voraussetzungen für eine Führung der Leitung als Erdkabel. Diese schied von Rechts wegen aus. Denn ein Erdkabel kann nicht planfestgestellt werden, wenn die planfestgestellte Leitung zur Höchstspannungs-Gleichstrom-Übertragung in der Anlage zu § 1 Abs. 1 BBPlG aufgeführt ist, aber dort nicht durch den Buchstaben „E“ gemäß § 2 Abs. 5 BBPlG als Erdkabelprojekt gekennzeichnet ist.
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