1. Die Grundsätze über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast für einen auf § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gestützten Schadensersatzanspruch geltend auch gegenüber ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern.
2. Die Vergabe eines Darlehens ohne Sicherheiten muss bereits als objektiv pflichtwidrig bezeichnet werden. Die innerhalb des Bankensektors geltenden Grundsätze, Kredite grundsätzlich nicht ohne übliche Sicherheiten zu gewähren und für die ordnungsgemäße Bewertung der Sicherheiten zu gewähren, gelten auch außerhalb des Bankensektors; eine völlig ungesicherte Kreditvergabe an einen finanzschwachen Vertragspartner wird als unvertretbares Risiko und als gegen die Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsmanns verstoßend gewertet.
3. Eine lediglich schuldrechtlich wirkende Verpflichtung zur Verpfändung von Forderungen ist kein hinreichendes Sicherungsmittel.
4. Ein nicht unmittelbar ressortzuständiges Vorstandsmitglied handelt pflichtwidrig, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das zuständige Vorstandsmitglied in seinem Arbeitsbereich die Geschäfte nicht ordnungsgemäß führt. Auf den Vertrauensgrundsatz kann es sich nicht berufen, nachdem es Anhaltspunkte für eine nicht ordnungsgemäße Geschäftsführung durch unmittelbar ressortverantwortliche Vorstandsmitglieder haben musste.
5. Eine möglicherweise zweckwidrige Verwendung der Darlehensvaluta durch ein anderes Vorstandsmitglied lässt den Zurechnungszusammenhang und damit die ebenfalls zu bejahende adäquate Kausalität nicht entfallen.
6. Im Vorfeld einer Entscheidung über die Zeichnung von Schuldverschreibungen gehört es zu den elementaren Pflichten eines jeden Vorstandsmitglieds, jedenfalls die Grundlagen, auf denen diese unternehmerische Entscheidung beruht, in geschäftsüblicher, sorgfältiger Weise aufzuklären. Dazu zählt die Durchführung einer Financial Due Diligence über die Werthaltigkeit und Existenz der verbrieften Forderungen.
7. Hat der Vorstand in der Vergangenheit Zustimmungserfordernisse des Aufsichtsrates missachtet, besteht für den Aufsichtsrat die Pflicht, auf eine Verschärfung der Zustimmungserfordernisse hinzuwirken, um die gebotene Präventive Kontrolle zu verstärken.
8. Wenn der Vorstand in der Vergangenheit entsprechende Vorgaben aus der Geschäftsordnung missachtet hat, kann nicht zwingend von einer Kausalität zwischen der Pflichtverletzung durch Unterlassen der Änderung der Zustimmungserfordernisse und den vorgenommenen Geschäften des Vorstands ausgegangen werden.
- A.
Problemstellung
Die Insolvenz der Wirecard AG im Jahr 2020 beschäftigt seither die Medienberichterstattung und – vor allem – die deutsche Justiz wie kaum eine andere Wirtschaftsstrafsache in den letzten Jahren. Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Sprengkraft verwundert dies kaum.
Gefälschte Saldenbestätigungen für Konten i.H.v. 1,9 Mrd. Euro, ein DAX-Vorstandsvorsitzender, der in Untersuchungshaft genommen wird, und ein COO, der sich seit Bekanntwerden der Vorwürfe auf der Flucht befindet und mit internationalem Haftbefehl gesucht wird – das könnte auch der Stoff eines Kriminalromans sein.
Die Konsequenzen aus dem Zusammenbruch des DAX-Konzerns haben Untersuchungsausschüsse und den Gesetzgeber nachhaltig beschäftigt. Die zivil- und strafgerichtliche Aufarbeitung dauert weiterhin an. Im Kern sämtlicher vorgenannter inhaltlicher Auseinandersetzungen mit der Wirecard-Insolvenz steht dabei die – schlichte – Frage: „Wie konnte das passieren?“
Auch die vorliegend zu betrachtende Entscheidung hat diese Kernfrage naturgemäß zum Gegenstand, befasst sich allerdings gerade nicht mit der strafrechtlichen Verantwortung der Führungsebene der Wirecard AG oder einer vorsätzlichen (Unternehmens-)Schädigung. Vielmehr beinhaltet der maßgebliche Sachverhalt einen Teilbereich aus dem Gesamtkomplex, in dem es um die Frage der (jedenfalls) fahrlässigen Vorstands- und Aufsichtsratshaftung bei Vornahme von Hochrisikogeschäften geht. Vorsätzliche Pflichtverletzungen oder die Frage einer strafrechtlichen Verantwortung waren für die Entscheidung des LG München I allenfalls von untergeordneter Bedeutung.
Dies zeigen die tatbestandlichen Ausführungen des LG München I eindeutig auf. In aufwändiger Detailarbeit hat das LG München I den maßgeblichen Teilkomplex erarbeitet und dem Tatbestand über die Hälfte des knapp 400 Randnummern fassenden Urteils gewidmet. Die chronologische Darstellung beschreibt dabei einen Konzern, dessen Führungsebene – nach den Entscheidungsgründen wohl maßgeblich gesteuert durch den COO Jan M. – sukzessive unvorsichtig wurde und juristische oder wirtschaftliche Zweifel – trotz hochriskanter Investitionen in neunstelliger Höhe – ausgeblendet hat.
Neben der übergeordneten Frage, wie das passieren konnte, sind die relevanten Fragen daher: Was hätten die Vorstandsmitglieder erkennen können? Was hätten sie erkennen müssen? Inwieweit konnten sie ihrem Vorstandskollegen aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit vertrauen? Durften die Vorstandsmitglieder davon ausgehen, auf Grundlage angemessener Information zum Wohl des Unternehmens zu agieren? Und wer muss dies beweisen?
Mit all diesen Fragen hat sich das LG München I detailliert auseinandergesetzt, wie sich bereits an dem „Katalog“ an Leitsätzen zu den maßgeblichen Themenfeldern erkennen lässt. Angesichts des Urteilsumfangs können sich die nachfolgenden Ausführungen denknotwendig nur auf die wesentlichen Aspekte und übergeordnete Ausführungen beschränken.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Kläger ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der vormals im DAX 30 notierten Wirecard AG, einem international tätigen Zahlungsdienstleister, deren Insolvenzantrag im Jahre 2020 medienwirksam für Aufmerksamkeit sorgte.
Bei den Beklagten handelt es sich um die ehemaligen Vorstände der Wirecard AG (nachfolgend „Wirecard“), namentlich den Vorstandsvorsitzenden und Chief Technology Officer (nachfolgend „Vorsitzender“), den Chief Financial Officer (nachfolgend „CFO“) und die Chief Product Officer (nachfolgend CPO) sowie ein Mitglied des Aufsichtsrates. Gegen den auf der Flucht befindlichen Chief Operating Officer (nachfolgend „COO“) ist bereits zuvor ein Versäumnisurteil ergangen.
Der Kläger stützt seine Ansprüche auf Organhaftung aus § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG und wirft den Beklagten zwei konkrete Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Vergabe eines ungesicherten Darlehens und der ohne Risikoprüfung („Financial Due Dilligence“) erfolgten Zeichnung von Schuldverschreibungen vor. Beiden Rechtsgeschäften lagen Zahlungen in Höhe von jeweils 100 Mio. Euro zugrunde, die zugunsten eines Geschäftspartners (im Urteil nur „O“ genannt) in Singapur geleistet wurden.
Die Zahlungen sollten nach dem Vertragsinhalt – und auf maßgebliches Betreiben des COO – den Aufbau des „Merchant Cash Advanced-Geschäfts“ (nachfolgend „MCA“) in Asien bezwecken. Bei dem MCA erhält der Händler eine Art Betriebsmittelkredit, der bei künftig abgewickelten Kreditkartenzahlungen durch anteiligen Einbehalt kompensiert wird.
Auf Veranlassen des COO wurden die ersten Kreditgeschäfte mit der O bereits im Jahr 2016 aufgenommen. Die gewährten Darlehenssummen waren seinerzeit noch geringer und beliefen sich auf ca. 10 Mio. Euro. Etwaige seinerzeit schon bestehende Zweifel und Nachfragen (etwa nach den finanziellen Verhältnissen des hinter der O stehenden 100%igen Eigentümers) wurden seitens des COO mit Verweis auf die geschäftliche Notwendigkeit „abmoderiert“. Nach Verlängerungen des Darlehens kam es am 20.11.2018 erstmals zum Abschluss eines Darlehensvertrags über 100 Mio. Euro mit der O, mit dem Zweck, das MCA-Geschäft aufzubauen. Die Beschlussfassung des Vorstandes stellt ausdrücklich auf die bestehende „erfolgreiche Zusammenarbeit“ mit der O ab, die weiter ausgebaut werden sollte, und setzt diese in direkten Zusammenhang zu dem Umstand, dass eine Sicherheit nicht zu stellen ist.
Nach der geltenden Geschäftsordnung stand der Abschluss von Kreditverträgen mit einem Volumen von über 10 Mio. Euro unter der Zustimmungspflicht durch den Aufsichtsrat. Obwohl die Zustimmung des Gesamtaufsichtsrats nicht eingeholt wurde, hat der COO eine Auszahlung der Darlehensvaluta – ohne Kenntnis der weiteren Vorstandsmitglieder – veranlasst.
Der Aufsichtsrat wurde hiervon erst drei Wochen später unterrichtet. Mit Beschluss vom 12.12.2018 stimmte der Aufsichtsrat dem Kreditgeschäft zu und genehmigte die Einräumung einer Kreditlinie für die O mit der Konsequenz, dass der Aufsichtsrat über Kreditabrufe nur noch zu unterrichten war.
Der letztlich streitrelevante Darlehensvertrag über erneut 100 Mio. Euro wurde am 27.03.2020 abgeschlossen. Zuvor hatte der Gesamtvorstand der Wirecard im Umlaufverfahren am 25.03.2020 die Gewährung des Darlehens ohne die Stellung von Sicherheiten gewährt.
Zudem beschloss der Gesamtvorstand die Zeichnung von Schuldverschreibungen, um mittelfristig die Kreditvergabe als Finanzierungsform abzulösen. Mit zwei Beschlüssen des Gesamtvorstandes vom 16.12.2019 und 25.03.2020 wurde die Zeichnung i.H.v. 100 Mio. Euro beschlossen. Mit E-Mail vom 19.12.2019 hat der beauftragte Rechtsanwalt der Gesellschaft darauf hingewiesen, dass vor einer Zeichnung eine Due Dilligence über die verbrieften Forderungen durchgeführt werden müsse. In einer weiteren E-Mail des Rechtsanwalts vom 27.03.2020 hat dieser ausgeführt, dass er bei Durchsicht der Verträge keine „Dealbreaker“ sehe. Zugleich hat er aber darauf hingewiesen, dass eine Bewertung der verbrieften Forderungen nötig ist und der Wirecard obliegt.
Nach den Feststellungen des LG München I kam es seit Anfang 2016 wiederholt zu negativen Berichterstattungen in der Presse, wonach Verdachtsmomente bestanden, dass Umsatz künstlich aufgebläht werde. Zudem wurde dem Abschlussprüfer der Gesellschaft ein anonymes Whistleblower-Schreiben vom 27.06.2019 zugespielt, welches den Verdacht beinhaltete, dass die O gar kein MCA-Geschäft betreibe. Vor diesem Hintergrund wurde eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft mit einer Sonderuntersuchung u.a. zu dem Vorwurf, die O betreibe kein MCA-Geschäft, beauftragt. Kurz vor den hier relevanten Pflichtverletzungen hat der Wirtschaftsprüfer im Rahmen eines Zwischenberichts vom 10.03.2020 ausgeführt, dass eine abschließende Bewertung des MCA-Geschäfts nicht möglich sei, da sich relevante Unterlagen noch in der Auswertung befänden.
II. Das LG München I gelangt zu dem Ergebnis, dass die Darlehensvergabe an die O ohne Sicherheiten und die Zeichnung der Schuldverschreibungen ohne Financial Due Dilligence auf Grundlage der bekannten Gesamtumstände eine Verletzung der Sorgfaltspflichten des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG darstellt.
Die Mitglieder des Vorstandes durften auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen nicht davon ausgehen, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln, so dass Ihnen auch die Business Judgement Rule nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht zugutekommt. Insoweit gelte auch außerhalb des Bankensektors die Rechtsprechung des BGH, wonach die Vergabe eines ungesicherten Kredits durch ein Kreditinstitut stets pflichtwidrig ist.
Auch im Hinblick auf die Schuldverschreibungen greift die Business Judgement Rule nach Ansicht des LG München I nicht. Angesichts der bekannten Verdachtsmomente hätte eine Investition in neunstelliger Höhe nicht ohne Risikoprüfung erfolgen dürfen. Auf die Notwendigkeit einer Due Dilligence hat auch der mandatierte Rechtsanwalt hingewiesen.
Auf eine Ressortverteilung bzw. den Grundsatz, wonach das Organ darauf vertrauen darf, dass die Vorstandskollegen ihren Aufgaben pflichtgemäß nachkommen, können sich die Vorstandsmitglieder aufgrund der bestehenden Verdachtsmomente nicht berufen.
Hinsichtlich des Mitglieds des Aufsichtsrates geht das LG München I ebenfalls von einer Pflichtverletzung aus, die in dem Unterlassen eines Einschreitens trotz erkennbarer Warnzeichen liegt. Gleichwohl scheitere die Haftung an der Frage der Kausalität. Insoweit geht das LG München I davon aus, dass der Vorstand ein Veto des Aufsichtsrates ohnehin ignoriert und die streitgegenständlichen Zahlungen vorgenommen hätte.
- C.
Kontext der Entscheidung
Wie einleitend bereits dargelegt, setzt sich die Entscheidung mit einer Vielzahl an rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Vorstandshaftung auseinander. Über die ungewöhnlich vielen Leitsätze vermittelt das LG München I einen Katalog an Grundsätzen für die Frage der Organhaftung bei Hochrisikogeschäften.
I. Die Beklagten haben vorrangig den Einwand erhoben, dass ihnen die Business Judgement Rule zugutekomme und sie auf Grundlage angemessener Informationen annehmen durften, zum Wohle der Gesellschaft zu handeln. Hier stellt sich vorgelagert die Frage der Beweislastverteilung.
Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BGH legt das LG München I zunächst dar, dass die Gesellschaft nur hinsichtlich einer möglichen Pflichtverletzung ihrer Organe und eines hieraus erwachsenden kausalen Schadens beweisbelastet sei. Das Organmitglied habe nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG sodann darzulegen und zu beweisen, dass es seinen Sorgfaltspflichten objektiv nachgekommen sei oder subjektiv kein Verschulden vorliege (vgl. nur BGH, Urt. v. 22.02.2011 - II ZR 146/09 - ZIP 2011, 766; BGH, Urt. v. 15.01.2013 - II ZR 90/11 - NJW 2013, 1958). Dies ist zwar nicht unumstritten (insoweit wird vereinzelt vertreten, dass die Beweislast des Organs nur auf das Verschulden beschränkt ist), folgt aber der ganz herrschenden Ansicht.
Daneben gelte die Beweislastumkehr nach Ansicht des LG München I auch gegenüber den – aufgrund der Insolvenz – ausgeschiedenen Vorstandsmitgliedern. Auch dies ist umstritten (vgl. etwa Hopt, ZIP 2013, 1793, 1803), folgt im Ergebnis allerdings ebenfalls der Rechtsprechung des BGH und der herrschenden Ansicht in der Literatur (vgl. BGH, Urt. v. 04.11.2002 - II ZR 224/00 - NJW 2003, 358; BGH, Urt. v. 08.07.2014 - II ZR 174/13 - NZG 2014, 1058). Aufgrund der Beweisschwierigkeiten ausgeschiedener Organe vertritt die Mindermeinung die Ansicht, dass eine teleologische Reduktion des § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG vorgenommen werden müsse. Die Rechtsprechung kompensiert diese Beweisnot hingegen durch den Anspruch des ausgeschiedenen Organs auf Einsicht in die zur Verteidigung benötigten Geschäftsunterlagen nach § 810 BGB.
Kann also das ausgeschiedene Vorstandsmitglied durch einen konkreten und substanziierten Antrag an die zur Verteidigung erforderlichen Geschäftsunterlagen gelangen, könne es sich nicht auf Beweiserleichterungen stützen.
Angesichts dieser Beweislastverteilung sei es den Beklagten nach Ansicht des LG München I nicht gelungen, hinreichend vorzutragen, dass sie sich objektiv rechtmäßig verhalten haben. Insbesondere haben die Beklagten nicht darlegen können, dass sie unter den Schutz der Business Judgement Rule fallen. Das LG München I führt an, dass dieser geschützte Handlungsspielraum dann überschritten sei, wenn aus objektiver Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar ist und keine vernünftigen Gründe dafürsprechen, dieses Risiko einzugehen.
Ein solches Risiko sei aus Sicht des LG München I bei der Vergabe eines Darlehens i.H.v. 100 Mio. Euro ohne Sicherheiten gegeben und die Vergabe damit bereits objektiv pflichtwidrig. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des OLG Nürnberg (Urt. v. 30.03.2022 - 12 U 1520/19 - NZG 2022, 1058) übertragt das LG München I die im Bankensektor geltenden Grundsätze auf die vorliegende Konstellation.
Dies gilt gleichsam auch für die Frage der Pflichtverletzung durch Zustimmung zur Zeichnung der Schuldverschreibungen. Es gehöre – so das LG München I wörtlich – zu den „elementaren Pflichten eines jeden Vorstandsmitglieds, jedenfalls die Grundlagen, auf denen diese unternehmerische Entscheidung beruht, in geschäftsüblicher, sorgfältiger Weise aufzuklären“. Dies habe zwingend eine Financial Due Dilligence vor Zeichnung der Schuldverschreibungen erfordert. Dies gelte umso mehr, als die Vorstandsmitglieder hierauf durch den eigens mandatierten Rechtsanwalt wiederholt hingewiesen wurden.
II. Die Vorstandsmitglieder haben sich zudem darauf berufen, für die streitgegenständlichen Entscheidungen nicht zuständig gewesen zu sein, da dies im Ressort des COO gelegen habe. Mit Blick auf das Volumen der Geschäfte und die strategische Bedeutung ist das LG München I hinsichtlich des CEO und des CFO bereits von einer Ressortzuständigkeit ausgegangen. Selbst wenn die CPO grundsätzlich nicht zuständig gewesen sei, könne sie sich jedoch nicht auf die fehlende Ressortzuständigkeit berufen, da insoweit vom Grundsatz der Gesamtverantwortung auszugehen sei. Dieser gilt, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass das zuständige Organ seine Geschäfte nicht ordnungsgemäß führt. Dies sei nach Ansicht des LG München I bereits aufgrund des durch das Landgericht festgestellten Vorgehens des COO im Zusammenhang mit der ungesicherten Darlehensvergabe im dreistelligen Millionenbereich Ende 2018 der Fall. Die Missachtung der sich aus der Geschäftsordnung ergebenden Zustimmungspflicht des Aufsichtsrats stelle eine schwere Pflichtverletzung dar, die zu einem entsprechenden Misstrauen hätte führen müssen. Dies erst recht in einer Situation, in der die laufende Sonderprüfung bekannt gewesen sei.
Angesichts dieser Verdachtsmomente haben sich alle Vorstandsmitglieder nicht auf den sog. Vertrauensgrundsatz berufen können, wonach sich ein Organ grundsätzlich darauf verlassen darf, dass die anderen Organe sorgfältig und pflichtgemäß handeln.
III. Hinsichtlich des beklagten Mitglieds des Aufsichtsrats sieht das LG München I eine Pflichtverletzung im Unterlassen der Absenkung der zunächst gewährten Kreditlinie. Aufgrund der bestehenden Anhaltspunkte habe der Aufsichtsrat auf dem nach der Geschäftsordnung angeordneten Zustimmungsvorbehalt bestehen und eben diese Zustimmung versagen müssen. Nach den Feststellungen des LG München I habe sich allerdings auch der Aufsichtsrat mit beschwichtigenden Erklärungen des COO zufriedengegeben. Hierauf hätte sich der Aufsichtsrat nicht verlassen dürfen, dies erst recht, da es der Aufsichtsrat war, der die Sonderprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer beauftragt hat.
Gleichwohl scheitert die Haftung des Aufsichtsrats nach Ansicht des LG München I an der fehlenden haftungsausfüllenden Kausalität. Nach den landgerichtlichen Feststellungen habe der Vorstand den Zustimmungsvorbehalt des Aufsichtsrats auch in der Vergangenheit nicht beachtet, so dass auch vorliegend davon auszugehen sei, dass der Vorstand die Versagung der Zustimmung ignoriert und die schädigende Auszahlung gleichwohl vorgenommen hätte. Argumentativ dürfte es sich hierbei um die gleichen Gedanken handeln, der in Form des „kriminellen Alternativverhaltens“ bei Jahresabschlussprüfern nach der Rechtsprechung des OLG Stuttgart (Urt. v. 22.02.2022 - 12 U 171/21 - NZG 2022, 953) zu einem Ausschluss der Abschlussprüferhaftung bei kriminell agierenden Organen führt.
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Relevanz der Entscheidung folgt aus ihrem erheblichen Umfang und – damit verbunden – aus dem Umstand, dass das LG München I zur rechtlichen Bewertung von Hochrisikogeschäften eine breite Palette an relevanten Fragen streift und diese entsprechend einordnet. Angesichts der breiten Themenfelder wird die Entscheidung daher auch zu Recht als „Meilenstein in der Judikatur zur Organhaftung“ (Bachmann, NZG 2024, 1598) eingeordnet. Die Zusammenfassung der maßgeblichen Entscheidungen in acht Leitsätzen liefert einen Katalog, an dem sich Vorstände und Berater künftig orientieren sollten.
Dabei spricht das LG München I durchaus aktuell relevante Fragestellungen an, die – soweit ersichtlich – noch nicht höchstrichterlich entschieden sind. Zu nennen sind etwa die Übertragung der Grundsätze aus dem Bankensektor zur Frage der Pflichtwidrigkeit der Darlehensvergabe ohne Sicherheit oder das Abstellen auf ein „kriminelles Alternativverhalten“ bei der Frage der Kausalität eines (in krimineller Absicht) getäuschten Aufsichts-/Prüfungsorgans.
Ob und wie sich das OLG München in der Berufungsinstanz (Az.: 23 U 3359/24 e) hierzu verhält, ist mit Spannung zu erwarten.