juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OLG Hamm Senat für Familiensachen, Beschluss vom 09.07.2024 - II-4 WF 101/24
Autor:Dr. Wolfram Viefhues, Weiterer aufsichtsführender RiAG a.D.
Erscheinungsdatum:04.03.2025
Quelle:juris Logo
Norm:§ 114 ZPO
Fundstelle:jurisPR-FamR 5/2025 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Viefhues, jurisPR-FamR 5/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Verfahrenskostenhilfebewilligung für Antragsgegner nach Antragsrücknahme wegen Vorlage eines Jugendamtstitels



Leitsätze

1. Auch nach Abschluss der Instanz ist eine (rückwirkende) Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht schlechterdings ausgeschlossen.
2. Dies insbesondere dann, wenn schon vor der Beendigung ein formgerechter Antrag einschließlich einer vollständigen Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingegangen war.
3. Dies gilt auch dann, wenn noch kein Antrag gestellt worden ist, anderenfalls der hilfsbedürftigen Partei von vornherein jede Aussicht auf eine sachliche Prüfung ihres Verfahrenskostenhilfegesuchs abgeschnitten würde.
4. Der Beklagte handelt grundsätzlich nicht bereits dann mutwillig, weil er zum Verfahrenskostenhilfeantrag des Gegners keine Stellung nimmt, und zwar auch dann nicht, wenn er durch die Stellungnahme ein Hauptsacheverfahren verhindern könnte.



A.
Problemstellung
Das OLG Hamm behandelt eine Reihe von Fragen, die sich in der anwaltlichen Praxis nicht selten stellen. Dabei geht es um das Verhalten eines Antragsgegners in einem Unterhaltsverfahren, in dem der Grund für den gerichtlichen Antrag durch die Bereitstellung eines vor dem Jugendamt erstellten Titels kurz nach der Antragstellung entfällt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Antragsgegner wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe durch das Amtsgericht.
Mit Schriftsatz vom 16.04.2024 beantragte die Antragstellerin die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe für den Antrag, den Antragsgegner zur Zahlung von Kindesunterhalt i.H.v. 100% des gesetzlichen Mindestunterhaltes zu verpflichten. Das Amtsgericht leitete dies durch Verfügung vom 22.04.2024 dem Antragsgegner persönlich zur Stellungnahme zu. Mit Schriftsatz vom 23.04.2024 bestellte sich daraufhin dessen Verfahrensbevollmächtigte und teilte mit, dass keine inhaltliche Stellungnahme zum Verfahrenskostenhilfeantrag erfolgen werde. Durch Beschluss vom 23.04.2024 wurde der Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe bewilligt und das schriftliche Vorverfahren angeordnet.
Mit Schriftsatz vom 24.04.2024 zeigte der Antragsgegner seine Verteidigungsbereitschaft an und beantragte seinerseits Verfahrenskostenhilfe. Er habe sich am 15.04.2024 in einer vollstreckbaren Jugendamtsurkunde zur Zahlung des Mindestunterhaltes verpflichtet. Die Urkunde selbst datiert vom 17.04.2024. Zudem rügte er die Aktivlegitimation der Antragstellerin, weil diese nach Kenntnis des Antragsgegners Leistungen nach dem SGB II beziehe.
Die Antragstellerin nahm danach ihren Antrag durch Schriftsatz vom 15.05.2024 zurück.
Durch Beschluss vom 22.05.2024 wies das Amtsgericht sodann den Verfahrenskostenhilfeantrag des Antragsgegners wegen Mutwilligkeit zurück, denn er habe es in der Hand gehabt, schon im Verfahren der Prüfung der Verfahrenskostenhilfe für die Antragstellerin die Jugendamtsurkunde vorzulegen.
Das OLG Hamm hat der Beschwerde stattgegeben und die hinreichenden Erfolgsaussichten bejaht.
Da schon im Zeitpunkt der Antragstellung ein vollstreckbarer Titel vorhanden gewesen sei, habe es von Beginn an am Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag gefehlt. Zudem habe der Antragsgegner erhebliche Einwendungen gegen die Aktivlegitimation der Antragstellerin erhoben.
Auch stehe einer hinreichenden Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung nicht entgegen, dass das erstinstanzliche Verfahren durch die Rücknahme des Antrags bereits beendet sei und es nichts mehr gebe, wogegen sich der Antragsgegner verteidigen müsse.
Zwar setze eine Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe grundsätzlich voraus, dass das Verfahren noch nicht beendet sei, weil es nach Abschluss eines Verfahrens weder eine Rechtsverfolgung noch eine Rechtsverteidigung i.S.v. § 114 Abs. 1 ZPO gebe.
Jedoch komme eine (rückwirkende) Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe insbesondere dann noch in Betracht, wenn schon vor der Beendigung ein formgerechter Antrag einschließlich einer vollständigen Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen eingegangen gewesen sei (BGH, Beschl. v. 17.10.2013 - III ZA 274/13 - FamRZ 2014, 196). In einem solchen Fall könne es nämlich nicht zulasten des Beteiligten gehen, dass das Gericht erst nach der Verfahrensbeendigung, deren Zeitpunkt der Beteiligte unter Umständen gar nicht beeinflussen könne, über das Gesuch entscheide.
Weiter gehend könne in Ausnahmefällen nach Beendigung einer Instanz selbst dann rückwirkend Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden, wenn vor deren Abschluss noch kein formgerechter Antrag gestellt worden war. Dies habe dann zu gelten, wenn anderenfalls der hilfsbedürftigen Partei von Vornherein jede Aussicht auf eine sachliche Prüfung ihres Verfahrenskostenhilfegesuchs abgeschnitten würde.
Danach sei hier eine rückwirkende Bewilligung möglich.
Zwar fehle es an einem formgerechten Antrag im vorstehenden Sinne. Denn in der Erklärung des Antragsgegners vom 17.04.2024 seien einige Fragen unbeantwortet geblieben, so dass eine Bewilligung auf dieser Grundlage keinesfalls habe erfolgen können. Das sei jedoch hier ausnahmsweise unschädlich.
Nach Eingang des Verfahrenskostenhilfegesuchs des Antragsgegners am 24.04.2024 sei schon durch Schriftsatz vom 15.05.2024 die Antragsrücknahme erfolgt, ohne dass das Amtsgericht auf die Mängel in der Erklärung hingewiesen habe. Würde man in einer solchen Situation die Verfahrenskostenhilfe allein wegen der Verfahrensbeendigung verweigern, würde dem Antragsgegner jede sachliche Prüfung seines Gesuchs abgeschnitten. Wäre das Verfahren fortgeführt worden, hätte das Gericht auf die Unvollständigkeiten in der Erklärung hinweisen können und müssen. Es könne nicht zulasten des Beschwerdeführers gehen, dass das Amtsgericht den Zeitraum zwischen dem 24.04.2024 und dem 15.05.2024 nicht für einen derartigen Hinweis genutzt habe.
Das Oberlandesgericht geht weiter davon aus, dass das Verhalten des Antragsgegners auch nicht mutwillig gewesen sei. Er handle grundsätzlich nicht allein deshalb mutwillig, weil er zum Verfahrenskostenhilfeantrag des Gegners keine Stellung nehme, und zwar auch dann nicht, wenn er durch die Stellungnahme ein Hauptsacheverfahren verhindern könne. Der Antragsgegner habe ein berechtigtes Interesse, seine Kostenerstattungsansprüche im Hauptsacheverfahren verfolgen zu können. Denn Kosten für die anwaltliche Vertretung waren bereits angefallen. Es war dem Antragsgegner in dieser Konstellation gerade nicht mehr möglich, den gegnerischen Anspruch „ohne Kostenaufwand“ zu Fall zu bringen.


C.
Kontext der Entscheidung
Auch nach Abschluss des Verfahrens – etwa durch Klagerücknahme – kann Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden, wenn zuvor der Prozesskostenhilfeantrag vollständig eingereicht worden ist, also sowohl der Prozesskostenhilfeantrag als auch das Formular zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vollständig eingereicht worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 17.10.2013 - III ZA 274/13 - FamRZ 2014, 196).
Die Zustellung des Unterhaltsantrags erfolgte erst nach Verfahrenskostenhilfebewilligung am 23.04.2024. Die Erledigung ist aber objektiv bereits vorher eingetreten durch Erstellung der Jugendamtsurkunde am 15.04.2024 bzw. am 17.04.2024. Bereits bei Rechtshängigkeit des Antrags fehlte es an dessen Rechtsschutzbedürfnis.
Der Antrag auf Verfahrenskostenhilfe wurde von der Anwältin des Antragsgegners gestellt am 24.04.2024 und dabei ein vom Antragsgegner nicht ordnungsgemäß ausgefülltes Formular vom 17.04.2024 eingereicht. Allerdings war die Antragsrücknahme bereits eingegangen, bevor die korrekte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten eingereicht wurde.
Das OLG Hamm hat seine Bewilligungsentscheidung letztlich darauf gestützt, das Amtsgericht habe den Zeitraum zwischen dem 24.04.2024 und dem 15.05.2024 nicht für einen Hinweis auf das unvollständige Formular genutzt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Frage der Mutwilligkeit des Schweigens eines Antragsgegners im Verfahrenskostenhilfeverfahren wird in Rechtsprechung und Literatur ausgesprochen kontrovers diskutiert. Überwiegend wird Mutwilligkeit verneint, von der Gegensicht jedenfalls dann bejaht, wenn Einwendungen ohne besonderen Aufwand vorgetragen werden können (vgl. zum Streitstand Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, 2024, § 114 Rn. 7 und 8 m.w.N.; Zempel in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 118 ZPO Rn. 7 m.w.N.).
Soweit Mutwilligkeit verneint wird, wird dabei entscheidend darauf abgestellt, dass im Verfahrenskostenhilfeverfahren keine Kostenerstattung erfolge und der Antragsgegner ein berechtigtes Interesse habe, seine Kostenerstattungsansprüche im Hauptsacheverfahren verfolgen zu können.
Bei dieser formalen Betrachtungsweise sollte allerdings der wirtschaftliche Aspekt nicht unberücksichtigt bleiben. Denn was nützt dem Antragsgegner ein im rechtshängig gewordenen Hauptsacheverfahren erstrittener Kostenerstattungsanspruch, wenn beim Antragsteller – wie meist in Unterhaltsverfahren gerade beim Kindesunterhalt – nichts zu vollstrecken ist. Dann ist der Kostenerstattungsanspruch wirtschaftlich wertlos.
Und da Verfahrenskostenhilfe vielfach nur gegen Ratenzahlung bewilligt wird, muss dann letztlich der Antragsgegner doch die Kosten seines Anwalts – wenn auch in Raten – vollständig selbst bezahlen. Dann spielt auch noch eine Rolle, ob durch die Rechtshängigkeit des Verfahrens weitere – zusätzliche – Kosten ausgelöst werden. Aus Gründen der Fairness sollte in der anwaltlichen Beratung die Mandantschaft auch in diese Überlegungen einbezogen werden.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!