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Anmerkung zu:BGH 1. Zivilsenat, Beschluss vom 07.03.2024 - I ZB 40/23
Autor:Markus Maibach, RA und FA für Erbrecht
Erscheinungsdatum:25.06.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 260 BGB, § 577 ZPO, § 559 ZPO, § 576 ZPO, § 546 ZPO, § 547 ZPO, § 888 ZPO, § 2314 BGB
Fundstelle:jurisPR-FamR 13/2024 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Maibach, jurisPR-FamR 13/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Pflichten des Notars bei Errichtung eines Nachlassverzeichnisses



Leitsatz

Der Notar, der vom Erben mit der Aufstellung eines Nachlassverzeichnisses beauftragt worden ist, entscheidet nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen, welche Ermittlungen er vornimmt und welcher Erkenntnisquellen er sich bedient. Die Anforderungen an den Umfang der Ermittlungen richten sich nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls und orientieren sich daran, welche Nachforschungen ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde. Der Notar ist dagegen nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte in alle denkbaren Richtungen zu ermitteln, um weiteres Nachlassvermögen aufzuspüren.



A.
Problemstellung
Wonach richten sich Art und Umfang der Ermittlungspflichten des Notars bei der Errichtung eines notariellen Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die beiden Gläubigerinnen sind Pflichtteilsberechtigte der Erblasserin, die Schuldnerin ist deren Alleinerbin. Die Gläubigerinnen beantragten, die Schuldnerin zu verurteilen, ein notarielles Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB zu erteilen. Der Auskunftsantrag, gerichtet auf Erteilung eines notariellen Nachlassverzeichnisses, wurde von der Schuldnerin anerkannt und in der Folge legte sie ein notarielles Nachlassverzeichnis vor. Da die beiden Pflichtteilsberechtigten das vorgelegte Nachlassverzeichnis für unzureichend hielten, betrieben sie die Zwangsvollstreckung.
Die hiergegen gerichtete Vollstreckungsabwehrklage der Schuldnerin hatte im Ergebnis keinen Erfolg. Daraufhin legte sie eine Ergänzung des Nachlassverzeichnisses vor, die bestimmte Angaben zu einer Geschäftsbeziehung der Erblasserin zu einer Bank beinhaltete. Die Gläubigerinnen sind der Ansicht, die Schuldnerin habe weiterhin ihrer titulierten Auskunftsverpflichtung nicht genügt. Sie beantragten, gegen die Schuldnerin ein Zwangsgeld festzusetzen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgen sie ihren Antrag auf Festsetzung von Zwangsmitteln weiter.
Sie hatte in der Sache jedoch keinen Erfolg. Der BGH hat die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts zurückgewiesen.
Die Schuldnerin habe den Anspruch durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses erfüllt. Das Beschwerdegericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die Verurteilung der Erbin zur Erteilung einer Auskunft über den Bestand des Nachlasses des Erblassers durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Bestandsverzeichnisses, bei dessen Aufnahme die Gläubigerinnen hinzugezogen worden seien (§ 2314 Abs. 1 Sätze 2 und 3 BGB), als Verurteilung zur Vornahme einer nicht vertretbaren Handlung gemäß § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch Androhung von Zwangsmitteln zu vollstrecken sei. Zwar handle es sich bei der für die Aufnahme eines notariellen Verzeichnisses erforderlichen Beauftragung des Notars um eine vertretbare Handlung. Für die Aufnahme des Verzeichnisses sei außerdem das Tätigwerden des beauftragten Notars erforderlich. Jedoch könne der Notar ohne Mitwirkung des Schuldners das Verzeichnis nicht aufnehmen. Er sei vielmehr darauf angewiesen, dass ihm der Schuldner die für die Aufnahme des Verzeichnisses erforderlichen Informationen übermittele. Deshalb richte sich die Vollstreckung der Verpflichtung zur Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses insgesamt nach § 888 ZPO (BGH, Beschl. v. 13.09.2018 - I ZB 109/17).
Das Beschwerdegericht habe den Umfang der titulierten Pflicht zur Auskunftserteilung zutreffend bestimmt. Die Norm des § 2314 BGB gehe von der Lage aus, in der sich ein Pflichtteilsberechtigter befinde, der nicht Erbe sei. Weil dieser weder Zugang zum Nachlass habe noch an ihm beteiligt sei, gewähre ihm die Bestimmung Auskunftsrechte, die so umfassend ausgestaltet seien, dass er sein Pflichtteilsrecht gleichwohl durchzusetzen vermag. Gesetzgeberischer Zweck des § 2314 BGB sei es damit, dem Pflichtteilsberechtigten die notwendigen Kenntnisse zur Bemessung des Pflichtteilsanspruchs zu verschaffen. Außerdem soll mit der Bezugnahme auf § 260 BGB sichergestellt werden, dass der gesetzliche Auskunftsanspruch in einer klaren und übersichtlichen Form befriedigt werde. Ein notarielles Nachlassverzeichnis gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB soll eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das Privatverzeichnis des Pflichtteilsbelasteten bieten. Dementsprechend müsse der Notar den Bestand des Nachlasses selbst und eigenständig ermitteln und durch Bestätigung des Bestandsverzeichnisses als von ihm aufgenommen zum Ausdruck bringen, dass er den Inhalt verantworte (BGH, Beschl. v. 13.09.2018 - I ZB 109/17).
Der Notar sei in der Ausgestaltung des Verfahrens weitgehend frei. Er entscheide nach eigenem pflichtgemäßem Ermessen, welche Ermittlungen er vornehme (OLG Koblenz, Beschl. v. 18.03.2014 - 2 W 495/13) und welcher Erkenntnisquellen er sich bediene. Die Anforderungen an den Umfang der Ermittlungen richten sich nach den konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls (OLG Saarbrücken, Beschl. v. 28.01.2011 - 5 W 312/10 - 116) und orientieren sich daran, welche Nachforschungen ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (vgl. BGH, Beschl. v. 13.09.2018 - I ZB 109/17). Anhaltspunkte für solche Nachforschungen können sich beispielsweise aus Angaben des Erben oder anderer befragter Personen und aus im Nachlass befindlichen Unterlagen – beispielsweise Überweisungen von bekannten Konten des Erblassers auf bislang unbekannte Konten – sowie aus ausländischen Nachlassverfahren ergeben. Der Notar sei dagegen nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte in alle denkbaren Richtungen zu ermitteln, um weiteres Nachlassvermögen aufzuspüren (OLG Hamm, Beschl. v. 16.03.2020 - I-5 W 19/20; OLG Frankfurt, Beschl. v. 12.10.2021 - 10 W 29/21). Er müsse zunächst von den Angaben des Auskunftspflichtigen ausgehen. Allerdings dürfe er sich hierauf nicht beschränken und insbesondere nicht lediglich eine Plausibilitätsprüfung durchführen. Dabei habe er diejenigen Nachforschungen anzustellen, die ein objektiver Dritter in der Lage des Gläubigers für erforderlich halten würde (BGH, Beschl. v. 13.09.2018 - I ZB 109/17).
Die Verpflichtung des Erben zur Mitwirkung an der Aufnahme des notariellen Nachlassverzeichnisses richte sich danach, in welchem Umfang diese Mitwirkung für die ordnungsgemäße Aufnahme des Verzeichnisses erforderlich sei. Maßgebend seien jeweils die Umstände des Einzelfalls. Hierbei dürfe und müsse der Notar das Wissen des Erben sowie das in seiner Person vorhandene Aufklärungspotential ggf. in der Weise nutzen, dass er den Erben auffordere, eigene Auskunftsansprüche gegenüber Geldinstituten beziehungsweise sonstigen Dritten durchzusetzen. Die vom Erben geschuldete Kooperation könne insoweit auch in der Anweisung an Dritte bestehen, die benötigten Auskünfte unmittelbar gegenüber dem Notar zu erteilen (BGH, a.a.O.). Liege – wie hier – ein notarielles Nachlassverzeichnis vor, so sei die Pflicht zur Auskunftserteilung gemäß § 2314 Abs. 1 Sätze 1 und 3 BGB erfüllt und der Pflichtteilsberechtigte könne grundsätzlich nicht dessen Berichtigung oder Ergänzung verlangen. Vielmehr sei er in diesem Fall, soweit die Voraussetzungen des § 260 Abs. 2 BGB vorliegen, auf den Weg der eidesstattlichen Versicherung verwiesen. Mögliche Ausnahmen von diesem Grundsatz (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 20.05.2020 - IV ZR 193/19) liegen nicht vor.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einem Beschluss des OLG Koblenz vom 18.03.2014 (2 W 495/13). In dieser Entscheidung hat sich das OLG Koblenz, soweit ersichtlich obergerichtlich in dieser Intensität erstmals, mit den Pflichten eines Notars bei der Errichtung eines notariellen Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB befasst. Der bis dahin gängigen Praxis, sich bei der Errichtung darauf zu beschränken, die Angaben des Auskunftspflichtigen zu beurkunden und sich allenfalls auf eine Plausibilitätsprüfung zu beschränken, wurde eine klare Absage erteilt. Das Gericht hat in dem Beschluss einen Maßnahmenkatalog aufgelistet, in dem Beispiele aufgeführt sind, welche Ermittlungstätigkeiten vom Notar in Betracht zu ziehen sind, und dabei ausdrücklich betont, dass die aufgeführten Beispiele weder abschließend sind noch einen in jedem Einzelfall durch den Notar zu gewährleistenden Mindeststandard darstellen. Der Notar entscheidet vielmehr in jedem Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen, welche Ermittlungen er vornimmt.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das pflichtgemäße Ermessen des Notars prägt den Inhalt des Nachlassverzeichnisses gemäß § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB. Er ist nicht verpflichtet, „ins Blaue hinein“ zu ermitteln, vornehmlich zur Klärung der Frage, welche Banken um Auskünfte ersucht werden müssen, sondern es bedarf konkreter Anhaltspunkte, um eine Ermittlungspflicht auszulösen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
1. Nach der Rechtsprechung des BGH müssen Beschlüsse, die der Rechtsbeschwerde unterliegen, den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben. Nach den §§ 577 Abs. 2 Satz 4, 559 ZPO hat das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich von dem Sachverhalt auszugehen, den das Beschwerdegericht festgestellt hat. Fehlen tatsächliche Feststellungen, ist es zu einer rechtlichen Überprüfung nicht in der Lage. Ausführungen des Beschwerdegerichts, die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind keine Gründe im zivilprozessualen Sinne. Das Fehlen von Gründen im verfahrensrechtlichen Sinne begründet einen Verfahrensmangel (§§ 576 Abs. 3, 546 Nr. 6 ZPO), der von Amts wegen zu berücksichtigen ist und die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung nach sich zieht (vgl. BGH, Beschl. v. 20.11.2014 - V ZB 204/13). Der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts genügt gerade noch den Anforderungen des § 547 Nr. 6 ZPO. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts enthält allerdings – anders als der Beschluss des Amtsgerichts – keine eigenständige Sachverhaltsdarstellung. In dem angefochtenen Beschluss wird auch nicht ausdrücklich auf die ausführlichen tatsächlichen Feststellungen in dem Beschluss des Amtsgerichts Bezug genommen. Allerdings ergeben sich aus den Gründen des angegriffenen Beschlusses an verschiedenen Stellen konkludente Bezugnahmen auf die Feststellungen des Amtsgerichts sowie ausdrückliche Bezugnahmen auf die in dem Verfahren der Vollstreckungsabwehrklage der Schuldnerin gegen die Gläubigerinnen ergangenen Entscheidungen sowie einzelne, für das Verfahren maßgebliche, in den Gerichtsakten enthaltene Unterlagen. Diese Bezugnahmen ermöglichen noch eine rechtliche Überprüfung.
2. Eine der beiden Gläubigerinnen hat einen zusätzlichen Antrag gestellt, die Schuldnerin zu verurteilen, Auskunft über Schenkungen für die Zeit der letzten zehn Jahre vor dem Tod der Erblasserin zu erteilen. Dieser Antrag wurde von der Schuldnerin nicht anerkannt und ist vom Anerkenntnisurteil nicht umfasst. Der Antrag wurde vielmehr erstinstanzlich abgewiesen. Im Rahmen der Zwangsvollstreckung machte die Gläubigerin nunmehr ohne Erfolg geltend, auch über den fiktiven Nachlass müsse die Schuldnerin Auskunft erteilen. Zwar ist im Rahmen der Pflicht gemäß § 2314 BGB grundsätzlich auch über den fiktiven Nachlass Auskunft zu erteilen (BGH, Urt. v. 29.10.1981 - IX ZR 92/80; BGH, Urt. v. 09.11.1983 - IVa ZR 151/82); im Verfahren der Zwangsvollstreckung ist es dem Vollstreckungsgläubiger jedoch verwehrt, Auskünfte allein deshalb zu erzwingen, weil der Vollstreckungsschuldner materiell-rechtlich zu deren Erteilung verpflichtet ist. Maßgeblich für Inhalt und Umfang der zu vollstreckenden Verpflichtung ist vielmehr der Vollstreckungstitel, den das nach § 888 Abs. 1 ZPO als Vollstreckungsorgan berufene Prozessgericht ggf. auslegen muss. Die Auslegung hat vom Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen. Ergänzend sind die Entscheidungsgründe und ggf. auch die Klagebegründung und der Parteivortrag heranzuziehen (BGH, Beschl. v. 06.02.2013 - I ZB 79/11; BGH, Beschl. v. 25.02.2014 - X ZB 2/13). Das Prozessgericht, das als zuständiges Vollstreckungsorgan über eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme aus einem Titel entscheidet, den es selbst erlassen hat, kann bei der Auslegung des Titels allerdings sein Wissen aus dem Erkenntnisverfahren mit heranziehen und damit Umstände berücksichtigen, die außerhalb des Titels liegen. Für die Auslegung des Vollstreckungstitels durch das Beschwerdegericht, das über die sofortige Beschwerde gegen eine Zwangsvollstreckungsmaßnahme aus einem Titel entscheidet, den das Prozessgericht des ersten Rechtszugs erlassen hat, gelten diese Grundsätze entsprechend.
Hiervon ist das Beschwerdegericht vorliegend ausgegangen und ist zu dem Ergebnis gelangt, die Auslegung des Vollstreckungstitels ergebe, dass die Schuldnerin im Streitfall gegenüber den Gläubigerinnen nicht verpflichtet sei, diesen auch Auskünfte über den fiktiven Nachlass der Erblasserin in Form eines notariellen Nachlassverzeichnisses zu erteilen. Die in § 2314 Abs. 1 BGB vorgesehenen mehreren Arten von Auskunftsansprüchen stehen dem Gläubiger grundsätzlich kumulativ zu. Hat jedoch der Erbe ein notarielles Nachlassverzeichnis vorgelegt, wird in der Regel kein Privatverzeichnis mehr gefordert werden können, weil sich in diesem Fall das Zweitverlangen als rechtsmissbräuchlich erweist (BGH, Urt. v. 02.11.1960 - V ZR 124/59). Würde die Auslegung zutreffen, es bestünde ein zusätzlicher und gesonderter Anspruch auf Auskunft über den fiktiven Nachlass, hätte die Gläubigerin dieselbe Auskunft gleichzeitig sowohl in privatschriftlicher Form als auch in notarieller Form verlangt. Für das Verlangen nach Auskunft in privatschriftlicher Form neben einer Auskunft in notarieller Form hätte jedoch ebenso wenig ein Rechtsschutzbedürfnis bestanden wie in dem Fall, in dem nach Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses noch eine privatschriftliche Auskunftserteilung verlangt wird.



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