Problemstellung
Die Vergütung von Vorstandsmitgliedern gehört zu den rechtspolitisch brisanten Themen des Gesellschaftsrechts. Gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG hat der Aufsichtsrat bei der „Festsetzung“ der Gesamtbezüge des einzelnen Vorstandsmitglieds dafür zu sorgen, dass diese in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Vorstandsmitglieds sowie zur Lage der Gesellschaft stehen. Die marktübliche Vergütung soll dabei nicht ohne besondere Gründe überschritten werden. In der Praxis kann von einer „Festsetzung“ der Vorstandsvergütung allerdings keine Rede sein. Diese wird nämlich typischerweise nicht einseitig vom Aufsichtsrat bestimmt, sondern ist das Ergebnis von Verhandlungen, die der Aufsichtsrat mit den einzelnen Vorstandsmitgliedern führt, die dabei auch ihre eigenen Interessen vertreten dürfen.
Für den Fall, dass sich die Lage der Gesellschaft verschlechtert und die Weitergewährung der vereinbarten Bezüge unbillig für die Gesellschaft wäre, ist der Aufsichtsrat gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG hingegen berechtigt und verpflichtet, die Bezüge auf die angemessene Höhe herabzusetzen. Die Vorschrift wurde 2009 durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG v. 31.07.2009, BGBl I 2009, 2509) eingefügt. Sie gewährt dem Aufsichtsrat ein einseitiges Recht zur Vertragsanpassung. Es handelt sich um einen gesetzlich normierten Sonderfall des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und damit um eine Ausnahme vom Grundsatz „pacta sunt servanda“.
Bereits im Jahr 2015 hatte der BGH (Urt. v. 27.10.2015 - II ZR 296/14) sich zu einigen Aspekten des Herabsetzungsrechts geäußert und dabei festgehalten, dass eine Verschlechterung der Lage der Gesellschaft i.S.v. § 87 Abs. 2 AktG jedenfalls dann eintrete, wenn die Gesellschaft insolvenzreif werde. Gleichwohl wurde die Entscheidung im Schrifttum uneinheitlich eingeordnet, insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob eine Kürzung der Vorstandsbezüge nur in Betracht kommt, wenn die Verschlechterung der Lage dem Vorstandsmitglied zuzurechnen ist. Zudem ist umstritten, ob mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Herabsetzungsbefugnis aus § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG vom Aufsichtsrat auf den Insolvenzverwalter übergeht. Mit der vorliegenden Entscheidung nimmt der BGH zu beiden Fragen Stellung.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
I. Der Kläger schloss am 14.11.2019 mit einer AG einen Dienstvertrag über die Anstellung als Mitglied des Vorstands. Der Dienstvertrag sah den Dienstantritt am 01.01.2020 und eine feste jährliche Vergütung von 240.000 Euro sowie eine ergebnisabhängige Sondervergütung (Tantieme) vor. Im Hinblick auf die schwierige wirtschaftliche Lage der Schuldnerin wurde eine Mindesttantieme für die Geschäftsjahre 2020 und 2021 vereinbart. Bereits am 23.12.2019 wurde über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Beklagte kündigte mit Schreiben vom 30.12.2019 den Dienstvertrag zum 31.03.2020 und teilte dem Kläger am 03.01.2020 mit, dass keine Einsatzmöglichkeit für ihn bestehe. Am 20.01.2020 teilte der Beklagte dem Kläger weiter mit, seine Vergütung werde unter Ausfall der Tantieme auf 8.000 Euro monatlich herabgesetzt. Zum 05.02.2020 wurde der Kläger, dem die herabgesetzte Vergütung ausgezahlt wurde, von der Dienstpflicht freigestellt.
Der Kläger hält die Herabsetzung der Vergütung für nicht gerechtfertigt und verlangt vom Beklagten die Zahlung weiterer 75.600 Euro (36.000 Euro Festvergütung und 39.600 Euro Tantieme) nebst Zinsen.
Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht (OLG Frankfurt) war der Auffassung, dass der Beklagte als Insolvenzverwalter anstelle des Aufsichtsrats zur Kürzung der Vergütung befugt sei und die Voraussetzungen hierfür auch vorgelegen haben. Die fehlende Verantwortlichkeit des Klägers für die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft schließe die Anwendung von § 87 Abs. 2 AktG nicht kategorisch aus, sondern sei bei der Prüfung der Unbilligkeit im Rahmen einer Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Die Herabsetzung der Vorstandsvergütung auf 8.000 Euro monatlich sei im konkreten Fall auch nicht unbillig gewesen und stehe in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Klägers und der Lage der insolventen Gesellschaft. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass die Insolvenz bereits vor Tätigkeitsbeginn des Klägers eingetreten und daher kein objektives Bedürfnis mehr für dessen Tätigwerden bestanden habe. Daher seien auch Treuegesichtspunkte in die Bemessung der angemessenen Vergütung nicht einfließen zu lassen. Dem Kläger sei zudem die kritische Lage der Gesellschaft bekannt gewesen.
II. Der BGH hat der Revision stattgegeben und die Sache zurückverwiesen.
1. Herabsetzungsbefugnis des Insolvenzverwalters
Der BGH teilt zunächst die Ansicht des Berufungsgerichts, dass in der Insolvenz der AG das Herabsetzungsrecht gemäß § 87 Abs. 2 AktG nicht durch das Sonderkündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO verdrängt werde.
Die Befugnis zur Kürzung der Bezüge stehe auch dem Insolvenzverwalter (und nicht weiterhin dem Aufsichtsrat) zu. Da die Vergütung des Vorstands für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus der Insolvenzmasse zu leisten ist, betreffe die Befugnis zur Vergütungsherabsetzung unmittelbar die Insolvenzmasse. Die Wahrnehmung der Befugnis sei auch nicht dem innergesellschaftlichen Bereich zuzuordnen (und damit der Zuständigkeit des Insolvenzverwalters entzogen), sondern betreffe das Vertragsverhältnis zwischen der Gesellschaft und dem Vorstandsmitglied.
2. Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 AktG
Im vorliegenden Fall war es unstreitig, dass es zu einer Verschlechterung der Lage der Gesellschaft gekommen war. Umstritten war lediglich, ob das Billigkeitskriterium des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG erfüllt war.
Unter Verweis auf sein Urteil vom 27.10.2015 (II ZR 296/14 - BGHZ 207, 190 Rn. 47) betont der BGH, dass bei der rechtlichen Prüfung der Billigkeit i.S.d. § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen seien. In die Abwägung einfließen sollen dabei insbesondere der Umfang der Verschlechterung der Lage der Gesellschaft und in welchem Grad die Verschlechterung dem Vorstandsmitglied zurechenbar sei und ob er sie ggf. sogar pflichtwidrig herbeigeführt habe.
Dass dem Vorstandsmitglied die Verschlechterung der Lage der Gesellschaft nicht zugerechnet werden kann, schließe eine Herabsetzung nicht von vornherein aus. Aus dem Wortlaut des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG und aus den Gesetzesmaterialien (
BT-Drs. 16/13433, S. 10 f.) ergebe sich das Erfordernis eines Zurechnungszusammenhangs nicht. Auch die Systematik der Vorschrift spreche dagegen. Zudem erscheine es zweifelhaft, ob ein solches Erfordernis seiner Funktion sinnvoll gerecht werden könne, da sich ein klares und als Abgrenzungsmerkmal taugliches Verständnis vom Merkmal der Zurechnung bislang nicht herausgebildet habe.
Die (fehlende) Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung sei stattdessen bei der anzustellenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Dies enspreche dem Normzweck des Herabsetzungsrechts, das im Rahmen der Treuepflicht des Vorstands die Möglichkeit eröffne, diesen am Schicksal der Gesellschaft teilhaben zu lassen (so schon BGH, Urt. v. 27.10.2015 - II ZR 296/14 - BGHZ 207, 190 Rn. 24). Auch das Gebot einer restriktiven Auslegung von § 87 Abs. 2 AktG im Lichte der Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG, spräche dafür, den gebotenen Grundrechtsschutz unter Berücksichtigung gegenläufiger Interessen im Rahmen der Gesamtabwägung des offenen Tatbestandsmerkmals der „Unbilligkeit“ zu berücksichtigen.
Der BGH moniert, dass das Berufungsgericht bei der Frage nach der Unbilligkeit der Weitergewährung der ungekürzten Vorstandsbezüge einen falschen Prüfungsansatz zugrunde gelegt habe. Es komme im Rahmen des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG nämlich nicht darauf an, ob die vorgenommene Herabsetzung der Vorstandsvergütung unbillig wäre, sondern ob die Beibehaltung der ursprünglichen Vorstandsvergütung unter dem Gesichtspunkt des Unternehmensinteresses für die Gesellschaft unbillig sei (so schon BGH, Urt. v. 27.10.2015 - II ZR 296/14 - BGHZ 207, 190 Rn. 46 f.). Das Berufungsgericht habe letztlich nicht die Folgen der Weitergewährung der zugesagten Vergütung für die Gesellschaft betrachtet, sondern lediglich gewürdigt, ob die herabgesetzte Vergütung in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben und Leistungen des Klägers sowie zur Lage der insolventen Schuldnerin stehe.
Obwohl die Feststellung der Unbilligkeit für die Gesellschaft gemäß § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG nur einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfung unterliegt, führt die Anwendung des falschen Prüfungsmaßstabs zur Aufhebung des Urteils des Berufungsgerichts und zur Zurückverweisung (§ 563 Abs. 1 ZPO). Für den Fortgang des Verfahrens sei zu beachten, dass § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG der Durchsetzung des Unternehmensinteresses diene. Dieses schließe nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwar auch die Interessen der Gesellschaftsgläubiger ein. Die maßgeblichen Wertungen zum Schutz der Gläubigerinteressen im eröffneten Insolvenzverfahren seien aber in den Regelungen des Insolvenzrechts, namentlich § 113 InsO und § 87 Abs. 3 AktG, enthalten.
Das Interesse der Gläubiger, dass nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO begründete Masseverbindlichkeiten nur in der Höhe entstehen, in der der Masse eine adäquate Gegenleistung zugutekommt, rechtfertige daher für sich genommen die Herabsetzung der Vorstandsvergütung jedenfalls dann nicht, wenn eine Indienstnahme des Vorstandsmitglieds für die Lageverschlechterung der Gesellschaft weder unter dem Gesichtspunkt seiner Leitungsverantwortung noch unter dem Gesichtspunkt der organschaftlichen Treuepflicht in Betracht kommt. Die Gewährung der einem Vorstandsmitglied in Kenntnis der wirtschaftlichen Krise zugesagten Bezüge unter dem Gesichtspunkt einer vor dem Wirksamwerden der Bestellung und dem Dienstantritt eingetretenen Lageverschlechterung könne regelmäßig nicht als unbillig für die Gesellschaft angesehen werden.
Kontext der Entscheidung
Die vorliegende Entscheidung schlägt keine neuen Pfade ein, sondern baut den mit Urteil vom 27.10.2015 (II ZR 296/14 - BGHZ 207, 190) eingeschlagenen Weg weiter aus. Versuchen des Schrifttums (vgl. etwa Seibt in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 5. Aufl., § 87 Rn. 40; Weber, DB 2016, 815, 816), in § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG ein Erfordernis der Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung hinzulesen, erteilt der BGH dabei mit guten Gründen eine Absage.
Ob das betroffene Vorstandsmitglied die Verschlechterung der Lage zurechenbar (mit-)verursacht oder sogar pflichtwidrig herbeigeführt hat, ist bei der im Rahmen der Billigkeitsprüfung anzustellenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen. Dabei stellt der BGH klar, dass es nicht darauf ankommt, ob die Herabsetzung billig oder unbillig ist, sondern dass die Weitergewährung der ungekürzten Vorstandsbezüge für die Gesellschaft unbillig wäre. Dies mag in der Praxis oft auf dasselbe herauslaufen, doch ist die Einnahme des richtigen Blickwinkels durchaus geboten. Zu fragen ist nicht, ob das Vorstandsmitglied mit der Kürzung „leben kann“, sondern ob deren Nichtvornahme für die Gesellschaft nicht hinnehmbar wäre.
Zu begrüßen sind auch die Ausführungen des BGH zur Befugnis des Insolvenzverwalters, die Kürzung bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG anstelle des Aufsichtsrats vorzunehmen. In seinem Urteil vom 27.10.2015 (II ZR 296/14 - BGHZ 207, 190 Rn. 26) hatte der BGH dies noch offengelassen. Das Kündigungsrecht des Insolvenzverwalters nach § 113 InsO steht neben der Befugnis aus § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG.
Auswirkungen für die Praxis
Dass dem Insolvenzverwalter die Herabsetzungsbefugnis nach § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG zusteht, ist für die Praxis eine wichtige Klarstellung.
Für die betroffenen Vorstandsmitglieder enthält die Entscheidung eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte: Die fehlende Zurechenbarkeit der Lageverschlechterung schließt eine Herabsetzung der Bezüge nicht per se aus. Die gute: Allein der Umstand, dass die Gesellschaft nach Festsetzung der Bezüge insolvent geworden ist, rechtfertigt noch nicht die Herabsetzung.
Die Entscheidung kann jedoch – wenig überraschend – die praktischen Probleme, die § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG aufwirft, nicht lösen. Der unbestimmte Tatbestand (Lageverschlechterung, Unbilligkeit der Weitergewährung) erhält zwar etwas mehr Konturen, doch ist letztlich stets eine Gesamtabwägung geboten. Dies führt zu rechtlicher Unsicherheit in doppelter Hinsicht, da hiervon sowohl das „Ob“ der Herabsetzung als auch deren Umfang („Was wird gekürzt? Und ggf. auf welchen Betrag?“) betroffen sind. Dies ist aber nicht dem BGH anzulasten, sondern dem Gesetzgeber, der ein Gestaltungsrecht mit unbestimmtem Tatbestand und im Ergebnis offener Rechtsfolge geschaffen hat. Die Annahme, für jeden Einzelfall lasse sich die „noch angemessene“ Vergütung feststellen, auf die die Herabsetzung zu erfolgen hat, ist jedenfalls illusorisch. Vor dem Hintergrund, dass § 87 Abs. 2 Satz 1 AktG eine Pflicht zur Herabsetzung statuiert und deshalb Haftungsrisiken für Aufsichtsratsmitglieder und Insolvenzverwalter bestehen, ist dies jedenfalls nicht unbedenklich.