juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 5. Zivilsenat, Urteil vom 15.11.2024 - V ZR 239/23
Autor:Dr. Johannes Hogenschurz, Vors. RiLG
Erscheinungsdatum:27.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 134 BGB, § 138 BGB, § 21 WoEigG, § 10 WoEigG, § 47 WoEigG, § 16 WoEigG
Fundstelle:jurisPR-MietR 4/2025 Anm. 1
Herausgeber:Norbert Eisenschmid, RA
Zitiervorschlag:Hogenschurz, jurisPR-MietR 4/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Bestandskräftig beschlossene Kostenverteilungsschlüssel müssen angewandt werden



Leitsätze

1. Ist die Kostenverteilung durch gültigen Beschluss geändert worden, muss der geänderte Kostenverteilungsschlüssel in nachfolgenden Wirtschaftsplänen bzw. Jahresabrechnungen sowie bei der Erhebung von Sonderumlagen angewendet werden; die Anfechtungsklage gegen den auf der Grundlage des Wirtschaftsplans bzw. der Jahresabrechnung oder zur Erhebung einer Sonderumlage gefassten Beschluss kann nicht darauf gestützt werden, dass der vorangegangene Beschluss über die Änderung der Kostenverteilung ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht (im Anschluss an BGH, Urt. v. 16.06.2023 - V ZR 251/21 - ZWE 2023, 416 Rn. 11).
2. Beschlüsse über die Änderung der Kostenverteilung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG unterliegen - vorbehaltlich einer Nichtigkeit etwa nach den §§ 134, 138 BGB - einer materiellen Kontrolle nur im Rahmen der Anfechtungsklage (Abgrenzung zu BGH, Urt. v. 10.10.2014 - V ZR 315/13 - BGHZ 202, 346 Rn. 13 ff.; BGH, Urt. v. 12.04.2019 - V ZR 112/18 - BGHZ 221, 373 Rn. 7 f., 26).



A.
Problemstellung
Die durch § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG seit Inkrafttreten des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) zum 01.01.2020 eröffnete Kompetenz zur Änderung des Verteilungsschlüssels für Kosten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) hat viele Fragen aufgeworfen, die in den letzten Monaten durch den BGH für die Praxis rechtssicher geklärt werden konnten. So stellt sich unter anderem die Frage, ob diese Beschlusskompetenz die erstmalige Belastung von Wohnungseigentümern ermöglicht, die bisher von den Kosten befreit waren. Anders als für die Kosten baulicher Veränderungen in § 21 Abs. 5 Satz 2 WEG ist dieses Erstbelastungsverbot in § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG nicht ausdrücklich angeordnet.
Dabei rückt auch in den Blick, dass diese Beschlüsse auf der Grundlage einer gesetzlichen Beschlusskompetenz gemäß § 10 Abs. 3 Satz 2 WEG nicht in das Grundbuch eingetragen werden müssen. Das hat für Erwerber zur Folge, dass sie sich auf die Lektüre der Gemeinschaftsordnung und den Grundbuchinhalt, etwa die dort angeordnete objektbezogene Kostentrennung, nicht verlassen können, wenn sie Klarheit über eine bestandskräftig beschlossene Änderung und damit die (aktuelle) Kostenverteilung wollen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Kläger haben im Jahr 2022 eine Eigentumswohnung erworben, die durch Unterteilung einer das gesamte Dachgeschoss umfassende, noch auszubauende Miteigentumseinheit entstanden ist; dieser Ausbau sollte bis zum 28.02.2020 erfolgen. In einem Nachtrag zu der Teilungserklärung ist geregelt, dass der jeweilige Sondereigentümer der Einheit 85 bis zum Anschluss an die Ver- und Entsorgungsleitungen kein Hausgeld und keinen Beitrag zur Instandhaltungsrücklage zu zahlen hat. Die Eigentumswohnung der Kläger ist weder bezugsfertig ausgebaut noch an die Ver- und Entsorgungsleitungen angeschlossen. Die Eigentümerversammlung 2021 hatte bereits bestandskräftig beschlossen, ab dem Wirtschaftsplan 2021 näher bezeichnete Kosten auf alle Wohnungseigentümer nach Miteigentumsanteilen umzulegen. Die Eigentümersammlung 2022 beschloss den Wirtschaftsplan, der die 2021 beschlossene Kostenverteilung zugrunde legt, und ebenso eine Sonderumlage.
Die Anfechtungsklage bleibt ohne Erfolg. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts (LG Berlin, Urt. v. 27.10.2023 - 56 S 52/23 WEG - ZMR 2024, 48) ist der Beschluss, bestimmte Kosten auf alle Wohnungseigentümer umzulegen, nicht nichtig.
Beschlüsse über Vorschüsse und über die Erhebung einer Sonderumlage widersprechen ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn der falsche Kostenverteilungsschlüssel angewendet wird (vgl. BGH, Urt. v. 19.07.2024 - V ZR 139/23 - WuM 2024, 489 Rn. 11, 33 und 36). Die Kostenregelung war zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung 2021 auch nicht durch Zeitablauf außer Kraft getreten. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG begründet aber auch dann die Kompetenz der Wohnungseigentümer, eine von einer Vereinbarung abweichende Verteilung der Kosten zu beschließen, wenn dadurch Wohnungseigentümer erstmals mit Kosten belastet werden (vgl. BGH, Urt. v. 22.03.2024 - V ZR 81/23 - WuM 2024, 228 Rn. 8). Dies gilt auch bei einer Abänderung von Kostenregelungen, die vor dem Inkrafttreten des WEMoG zum 01.12.2020 vereinbart worden sind. Denn gemäß § 47 WEG ist bei der Auslegung von Vereinbarungen im Zweifel dem neuen Recht zur Geltung zu verhelfen (BGH, Urt. v. 21.07.2023 - V ZR 90/22 - WuM 2023, 628 Rn. 16; BGH, Urt. v. 22.03.2024 - V ZR 141/23 - WuM 2024, 352 Rn. 18).
Andere Beschlussmängel, die zur Nichtigkeit des Beschlusses über die Änderung der Kostenverteilung der Eigentümerversammlung 2021 führen, liegen nicht vor.
Die Beschlusskompetenz des § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG ist in der Gemeinschaftsordnung nicht abbedungen worden, was zulässig wäre. Das Recht, das Dach auszubauen, bleibt auch dann bestehen, wenn die ausbauberechtigten Sondereigentümer an den Kosten der GdWE beteiligt werden.
Die Änderung der Kostenverteilung greift auch nicht in unentziehbare („mehrheitsfeste“) Individualrechte ein, was nur mit deren Zustimmung zulässig wäre. Zu diesen „mehrheitsfesten“ Rechten gehört allerdings das dem Verbandsrecht immanente Belastungsverbot (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2014 - V ZR 315/13 - WuM 2015, 47 Rn. 16; BGH, Urt. v. 13.05.2016 - V ZR 152/15 - WuM 2016, 577 Rn. 15; BGH, Urt. v. 12.04.2019 - V ZR 112/18 - WuM 2019, 341 Rn. 7 f.). Diese zu vereinbarten allgemeinen Öffnungsklauseln ergangene Rechtsprechung kann auf gesetzliche Öffnungsklauseln nicht übertragen werden.


C.
Kontext der Entscheidung
Der BGH bestätigt, dass § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG auch eine erstmalige Kostenbelastung erlaubt. Miteigentümer sind nur dann vor „Überraschungen“ durch Änderung des Kostenverteilungsschlüssel geschützt, wenn die Regelung (klar und eindeutig) abbedungen ist. Diese „Überraschungen“ durch mehrheitlich beschlossene Änderungen des Kostenverteilungsschlüssels führen nicht zu einem Eingriff in unentziehbare Rechte der nachteilig Betroffenen; deshalb kann offenbleiben, ob diese Nichtigkeit lediglich Anfechtbarkeit zur Folge hat (vgl. schon BGH, Urt. v. 12.04.2019 - V ZR 112/18 - WuM 2019, 341 Rn. 26). Diese Änderung ist in der Kostenverteilung nicht auf „bestimmte Arten von Kosten“ beschränkt, erlaubt – bei Beachtung der Heizkostenverordnung – also auch eine generelle Veränderung des allgemeinen Verteilungsschlüssels (BGH, Urt. v. 14.02.2025 - V ZR 128/23 Rn. 24, 27).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Aus alledem folgt, dass der Wohnungseigentümer ihn erstmals belastende Änderungen des Kostenverteilungsschlüssels anfechten muss, will er die Belastung mit Erfolg abwenden. Wann der beschlossene Kostenverteilungsschlüssel ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht, ist Gegenstand zahlreicher aktueller Entscheidungen des BGH (vgl. zu den Anforderungen einer Aufhebung der vereinbarten objektbezogenen Kostentrennung zuletzt BGH, Urt. v. 14.02.2025 - V ZR 236/23 Rn. 15).



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