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Anmerkung zu:BVerwG 3. Senat, Urteil vom 10.10.2024 - 3 C 29/22
Autor:Dr. Matthias Schömann, RA
Erscheinungsdatum:27.02.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 28 AMG 1976, § 11 AMG 1976, § 10 AMG 1976, § 11a AMG 1976, EGRL 83/2001
Fundstelle:jurisPR-MedizinR 2/2025 Anm. 1
Herausgeber:Möller und Partner - Kanzlei für Medizinrecht
Zitiervorschlag:Schömann, jurisPR-MedizinR 2/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Strenge Anforderungen für zusätzliche Angaben auf Behältnissen, Packungsbeilagen und in den Fachinformationen



Leitsatz

Die Angabe, das Arzneimittel sei frei von einem bestimmten Stoff, steht vorbehaltlich besonderer Regelung in Widerspruch zu dem System der arzneimittelrechtlichen Pflichtangaben. Sie ist weder auf dem Behältnis und der äußeren Umhüllung noch in der Packungsbeilage oder der Fachinformation eine zulässige weitere Angabe i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 5, § 11 Abs. 1 Satz 7, § 11a Abs. 1 Satz 6 AMG.



Orientierungssatz zur Anmerkung

Sogenannte „ohne-Angaben“ sind regelmäßig nicht gesetzeskonform.



A.
Problemstellung
Das BVerwG hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob und welche Angaben zur Kennzeichnung von Arzneimitteln auf dem Behältnis und der äußeren Umhüllung (§ 10 AMG), in der Packungsbeilage (§ 11 AMG) und der Fachinformation (§ 11a AMG) neben den gesetzlich vorgeschriebenen erlaubt sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Klägerin ist die Inhaberin einer Zulassung für einen auf pflanzlicher Basis hergestellten und für Kinder ab einem Jahr zugelassenen Hustensaft. Das Auszugsmittel für den pflanzlichen Wirkstoff ist ethanolhaltig, der Ethanol wird aber im weiteren Herstellungsverfahren fast vollständig entfernt. Der Hustensaft enthält keinen zugesetzten Zucker, der Zuckergehalt beschränkt sich auf den natürlichen Zucker des Ausgangsstoffes. Die Klägerin beantragte bei der zuständigen Behörde eine Verlängerung der Zulassung unter Beifügung der bis zu diesem Zeitpunkt verwandten Texte für Verpackung, Packungsbeilage und Fachinformation. Neu war der Hinweis „ohne Alkohol (Ethanol)/ohne Zuckerzusatz“ auf der äußeren Umhüllung und dem Etikett. Die Gebrauchsinformation enthielt den neuen Hinweis: „A. forte Hustensaft ist ohne Alkohol (Ethanol) und daher auch für Patienten geeignet, die Alkohol (Ethanol) vermeiden müssen.“ In der Fachinformation fand sich folgender neuer Text: „Hinweis: A. forte Hustensaft enthält kein Ethanol.“ Die Zulassung wurde mit Bescheid verlängert und mit den Auflagen verbunden die eben genannten Angaben zu streichen. Bzgl. der Packungsbeilage erfolgte der Hinweis, dass die neue Formulierung durch den Hinweis „Das Ethanol des Auszugsmittels wurde weitestgehend entfernt.“ ersetzt werden könne.
Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg.
Das BVerwG hat die zugelassene Revision als unbegründet zurückgewiesen.
Die zuständige Bundesbehörde könne gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1, 2 und 2a AMG die Zulassung bzw. die Verlängerung der Zulassung eines Arzneimittels mit Auflagen verbinden, um sicherzustellen, dass die Vorschriften der §§ 10, 11 und 11a AMG eingehalten werden. Von dieser Möglichkeit habe sie vorliegend rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht. Die neuen Angaben auf der Packungsbeilage entsprechen nicht den Vorgaben des § 11 Abs. 1 Satz 7 AMG. Zulässig seien neben den Pflichtangaben, Angaben soweit sie mit der Anwendung des Arzneimittels im Zusammenhang stehen, für die gesundheitliche Aufklärung des Patienten wichtig seien und den Angaben nach § 11a AMG nicht widersprechen. Wichtig in diesem Sinne seien Angaben, die eine gebrauchssichernde Funktion haben. Das treffe auf eine Angabe, dass ein Arzneimittel frei von einem bestimmten Stoff sei, nicht zu. Anwendende können sich darauf verlassen, dass ein Stoff, der nicht auf der Packungsbeilage erwähnt werde, auch nicht im Arzneimittel enthalten sei. Darüber hinaus könne eine Angabe, dass ein Stoff nicht enthalten sei, auch zu Unsicherheiten führen, ob nicht auch noch andere als die genannten Stoffe Bestandteil des Arzneimittels seien. Dies gelte auch dann, wenn bei der Herstellung des Arzneimittels Ethanol als Extraktionsmittel verwendet werde und als solches auf der Packungsbeilage zu benennen sei. Ein ergänzender Hinweis, dass das Arzneimittel kein Ethanol enthalte, könne zu Verunsicherungen führen, da die PatientInnen nicht erkennen können, welche der Angaben nun zutreffend sei. Auch aus Art. 62 der Richtlinie 2001/83/EG folge nichts anderes. Danach seien Angaben, die Werbecharakter haben können, auf der Packungsbeilage nicht zulässig.
Zutreffend sei das Berufungsgericht weiterhin zu der Erkenntnis gelangt, dass der neu aufgenommene Hinweis auf der Packungsbeilage bereits deshalb nicht für die gesundheitliche Aufklärung der PatientInnen wichtig sein könne, da er unzutreffend sei. Wichtig für die gesundheitliche Aufklärung können nur sachlich richtige Angaben sein. Unstreitig sei vorliegend aber, dass noch geringe Restmengen Ethanol im Arzneimittel vorhanden seien und die Angabe „ohne Alkohol“ folglich falsch sei. Das Oberverwaltungsgericht sei auch nicht verpflichtet gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen, um zu klären, welchen Erklärungsgehalt die Angabe „ohne Alkohol“ habe. Hier habe sich das Gericht auf seine eigene Sachkunde verlassen können. Gegen die Aufklärungspflicht würde es nur dann verstoßen, wenn es eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nehme oder sich in einer Frage für sachkundig halte, in der seine Sachkunde ernsthaft zweifelhaft sei, was aber vorliegend nicht der Fall sei, da die Angehörigen des Senats des Oberverwaltungsgerichts selbst zur Gruppe der PatientInnen ohne besondere medizinisch-pharmazeutische Kenntnisse gehören.
Auch der Hinweis auf dem Etikett und der äußeren Hülle entspreche nicht den Anforderungen des § 10 AMG. Auch diesbezüglich bestätigte das BVerwG die Auffassung der Vorinstanz, mit dem Verweis auf die Darstellungen zu den Ausführungen bzgl. der Angaben auf der Packungsbeilage. Auch die Angaben auf der Umhüllung und dem Etikett seien nicht wichtig für die gesundheitliche Aufklärung der Patienten. Zwar müsse gemäß § 10 Abs. 2 AMG i.V.m. § 2 AMWarnV der Ethanolgehalt aus Platzgründen erst ab einer Menge von 0,05 g pro Einzeldosis auf dem Etikett angegeben werden. Damit könnten sich PatientInnen aber auch darauf verlassen, dass Ethanol nicht in gesundheitsschädigenden Mengen im Produkt vorhanden sei. Weitere Angaben, die nicht erforderlich seien, wären aber geeignet, die Patienten von den Pflichtangaben abzulenken.
Schließlich sei auch die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass auch die Anordnung zur Streichung des Zusatzes „… enthält keinen Alkohol“ in der Fachinformation zu streichen ist, nicht zu beanstanden. Zusätzliche Angaben in der Fachinformation seien gemäß § 11a Abs. 1 Satz 6 AMG zulässig, wenn sie mit der Anwendung des Arzneimittels im Zusammenhang stehen und den Angaben nach Satz 2 nicht widersprechen. Vorliegend fehle der Angabe der Zusammenhang mit der Anwendung des Hustensaftes. Die Liste der Angaben der Bestandteile des Arzneimittels müsse vollständig sein. Die Fachanwender müssen sich darauf verlassen dürfen, dass ein nicht gelisteter Stoff auch nicht im Arzneimittel enthalten ist. Eine „ohne-Angabe“ in der Fachinformation sei überflüssig und könne zu den bereits genannten Unsicherheiten führen. Ein Mehrwert dieser Information sei für die Fachanwender nicht ersichtlich.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Frage, was auf Verpackungen, Gebrauchsanweisungen und Fachinformationen von Arzneimitteln aufgeführt werden darf, ist immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten (vgl. etwa zur Verwendung eines Biosiegels: OVG Münster, Beschl. v. 26.10.2015 - 13 A 2598/14, weitere Beispiele bei Brixius in: Nomos Kommentar, Gesamtes Medizinrecht, 4. Aufl. 2024, AMG Anh. § 11a Rn. 7-10). Es ist natürlich verlockend für die Hersteller an diesen Stellen Angaben zu platzieren, die das Arzneimittel von vergleichbaren Produkten abhebt oder auf den ersten Blick auch sinnvoll erscheinen. Dennoch sind die Anforderungen streng und auch an die unterschiedlichen Adressaten angepasst. So gelten für die Fachinformationen, die den PatientInnen nicht zugänglich sind, andere Regeln als für die für jeden einsehbare Packungsbeilage oder Umhüllung. Gemeinsam ist allen, dass die zusätzlichen Angaben keinerlei Werbecharakter habe dürfen. Das Gericht hat hier sehr wohl auf die unterschiedlichen Adressaten geachtet und hat einer sehr restriktiven Interpretation den Vorzug gegeben. Das ist mit Blick auf das Gefährdungspotenzial, welches einem Arzneimittel zugrunde liegen kann, auch richtig. Die Anwendenden dürfen durch die Angaben nicht abgelenkt oder gar in die Irre geführt werden. Ob PatientInnen tatsächlich davon ausgehen, dass keine anderen als die angegebenen Inhaltsstoffe im Arzneimittel sind, ist allerdings auch keine zwingende Annahme, hier wäre auch eine andere Sichtweise möglich gewesen.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Arzneimittelhersteller werden in Zukunft noch mehr Sorgfalt in die Formulierungen auf den Verpackungen, Gebrauchsanweisungen und Fachinformationen aufwenden müssen. Mit der vorliegenden Entscheidung des BVerwG haben sie – ebenso wie die zuständige Behörde – allerdings eine gute Vorlage an die Hand bekommen, an der sie die Rechtmäßigkeit von zusätzlichen Angaben überprüfen können. Das Gericht macht sehr deutlich, dass es die gesetzlichen Vorgaben sehr eng interpretiert, Raum für (vermeintlich) überflüssige Angaben gibt es nicht. Selbst Angaben, die auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen und auch aus dem Lebensmittelbereich durchaus bekannt sind, dürfen auf Verpackungen, Gebrauchsanweisungen und Fachinformationen von Arzneimitteln nicht aufgeführt werden.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Die Klägerin trug zur Begründung ihrer Revision unter anderem vor, dass das Berufungsgericht gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen habe. Es habe pflichtwidrig unterlassen, den Erklärungswert und die fachliche Bedeutung der durch Auflagen untersagten streitigen Angaben zu ermitteln, so hätte es den Aussagegehalt der Angaben durch Sachverständige klären lassen müssen. Dieser Auffassung erteilte das BVerwG eine klare Absage: Selbstverständlich könne sich ein Gericht auf die eigene Sachkunde berufen. Erst wenn es eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder sich in einer Frage für sachkundig hält, in der diese ernstlich zweifelhaft ist, verletzt es seine Aufklärungspflicht.



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