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Anmerkung zu:OVG Lüneburg 7. Senat, Beschluss vom 07.05.2024 - 7 MS 83/23
Autor:Anja Prange, RA’in (Syndikusanwältin)
Erscheinungsdatum:04.07.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 75 VwVfG, § 35 KrWG, § 36 KrWG, § 2 UmwRG, § 1 KSG, § 3 KSG, § 43 EnWG 2005, § 18 AEG 1994, Art 20a GG, § 1 BBauG, § 2 BBauG, Anlage 1 BBauG, § 30 BBauG, § 9 KSG, § 13 KSG
Fundstelle:jurisPR-ÖffBauR 7/2024 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Prange, jurisPR-ÖffBauR 7/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Klimaschutz nicht berücksichtigt - Vorhaben rechtswidrig!



Leitsätze

1. Seit Inkrafttreten des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) gehören der globale Klimaschutz und die Klimaschutzziele des KSG zu den öffentlichen Belangen, die in die Gesamtabwägung im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens einzustellen sind (BVerwG, Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21).
2. Nach der Rechtsprechung des BVerwG verlangt das Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG von der Planfeststellungsbehörde, mit einem - bezogen auf die konkrete Planungssituation - vertretbaren Aufwand zu ermitteln, welche CO 2-relevanten Auswirkungen das Vorhaben hat und welche Folgen sich daraus für die Klimaziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes ergeben. Der Behörde kommt insoweit die Pflicht zu, die zu erwartende Menge an Treibhausgasen, welche aufgrund des Projekts emittiert werden, zu ermitteln; bei unverhältnismäßigem Ermittlungsaufwand kommt (zumindest) eine Schätzung in Betracht (BVerwG, Beschl. v. 22.06.2023 - 7 VR 3/23 m.w.N.).



A.
Problemstellung
Der Klimaschutz beschäftigt nicht mehr nur die Politik, die Umweltverbände und die Gesellschaft, sondern seit wenigen Jahren vermehrt auch die Gerichte. So musste sich auch das OVG Lüneburg in seiner Entscheidung mit zentralen rechtlichen Fragen rund um den Klimaschutz auseinandersetzen. Konkret geht es um die Auslegung von § 13 KSG und welche Anforderungen sich daraus u.a. für Fachplanungsvorhaben ergeben. Während die Anwendung von § 13 KSG für Vorhaben, für die Planfeststellungsverfahren durchzuführen sind, mittlerweile gerichtlich geklärt ist, steht eine solche Klärung für Baugenehmigungsverfahren noch weitgehend aus (vgl. hierzu unter C.).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstand der Entscheidung ist ein Planfeststellungsbeschluss zur Errichtung und zum Betrieb einer Deponie nach § 35 KrWG. Eine anerkannte Naturschutzvereinigung hat sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen den Planfeststellungsbeschluss gewandt. Nach Ansicht der Naturschutzvereinigung litt der Planfeststellungsbeschluss an Abwägungsfehlern, insbesondere wegen fehlender Berücksichtigung der Belange des Klimaschutzes nach § 13 KSG.
Das OVG Lüneburg hat dem Antrag stattgegeben und bestätigt, dass ein Abwägungsmangel in Form eines Abwägungsdefizits vorgelegen habe, der auch erheblich i.S.d. § 75 Abs. 1a Satz 1 VwVfG gewesen sei.
Das Gericht hat hierzu zunächst festgestellt, dass auch im Zuge der Planfeststellung nach den §§ 35, 36 KrWG das Abwägungsgebot gelte, auch wenn es im KrWG nicht ausdrücklich angeordnet werde. Das Abwägungsgebot ergebe sich nämlich bereits aus dem Grundgesetz.
Der Planfeststellungsbeschluss sei abwägungsfehlerhaft und damit rechtswidrig, da er sich in seiner Gesamtabwägung nicht zu den CO2-relevanten Auswirkungen des Vorhabens verhalte habe. Der globale Klimaschutz und die Klimaschutzziele des KSG gehörten nach § 13 KSG zu den öffentlichen Belangen, die in die Gesamtabwägung bei der Planfeststellung einzustellen seien. Das Berücksichtigungsgebot des § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG erfordere es, dass im Rahmen der Abwägung die Auswirkungen der Planungsentscheidung auf den Klimaschutz – bezogen auf die in den §§ 1 und 3 KSG konkretisierten nationalen Klimaschutzziele – zu ermitteln und die Ermittlungsergebnisse in die Entscheidungsfindung einzustellen seien. § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG verlange von der Planfeststellungsbehörde, mit einem – bezogen auf die konkrete Planungssituation – vertretbaren Aufwand zu ermitteln, welche CO2-relevanten Auswirkungen das Vorhaben habe und welche Folgen sich daraus für die Klimaziele des KSG ergeben. Daran habe es in der Abwägung des angefochtenen Planfeststellungsbeschlusses gänzlich gefehlt. Zwar gebe es für die Ermittlung der klimarelevanten Auswirkungen bzw. für deren Bewertung gegenwärtig keine konkretisierenden Vorgaben. Dies führe jedoch nicht dazu, dass das Berücksichtigungsgebot zurzeit nicht handhabbar wäre und gar keine Anwendung finden würde.
Nicht ausreichend war nach Ansicht des Gerichts, dass Ausführungen zum Klimaschutz nur im Rahmen der UVP erfolgt waren. Dies hat das OVG Lüneburg wie folgt begründet: Zum einen habe der Planfeststellungsbeschluss schon nach seiner Gliederung explizit zwischen der UVP einerseits und der Gesamtabwägung andererseits unterschieden; für beide Gesichtspunkte enthielt der Beschluss eigene Gliederungspunkte. Zum anderen könnten UVP und Gesamtabwägung sich zwar inhaltlich thematisch überschneiden; die UVP ziele allerdings allein auf eine formalisierte, verfahrensrechtlich ausgestaltete, aber in erster Linie tatsächliche Prognose der erheblichen Umweltauswirkungen. Die Prognose der tatsächlichen Umweltauswirkungen trage lediglich dazu bei, die Planungsentscheidung anhand der dafür im Fachrecht sodann normierten materiell-rechtlichen Maßstäbe – zu denen § 13 KSG zähle – vorzubereiten; sie ersetze hingegen nicht die eigenständige Abwägung sich gegenüberstehender Belange.
Der Antragsteller habe als anerkannte Umweltvereinigung gemäß § 2 Abs. 1 UmwRG den vorstehend beschriebenen Abwägungsfehler auch geltend machen können. Zu den umweltbezogenen Vorschriften gehören nach Ansicht des Gerichts auch die Klimaschutzziele. Daher könne eine anerkannte Umweltvereinigung auch die Frage der ordnungsgemäßen Einbeziehung der Klimaschutzbelange in Ermessens- und Abwägungsentscheidungen gerichtlich überprüfen lassen.


C.
Kontext der Entscheidung
Der Klimaschutz ist in aller Munde. Er gewinnt zunehmend auch bezogen auf konkrete Einzelvorhaben, wie die Errichtung von Energie- und Verkehrsinfrastruktur sowie für die Aufstellung von Plänen (z.B. Bebauungspläne) eine immer größere Bedeutung. Verschiedene Gesetze sehen vor, dass die Belange des Klimaschutzes in Genehmigungsverfahren bzw. in Verfahren zur Aufstellung von Plänen (z.B. Bebauungsplänen) Eingang finden müssen. Dreh- und Angelpunkt ist hierbei das Bundes-Klimaschutzgesetz (KSG), das am 18.12.2019 in Kraft getreten ist. Das KSG hat den maßgeblichen Rechtsrahmen für die nationale Klimapolitik geschaffen. In § 13 KSG findet sich zudem eine auch für den Vorhabenbereich relevante Vorgabe:
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG haben Träger öffentlicher Aufgaben bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck des KSG und die zu dessen Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen. Zweck des KSG ist es gemäß § 1 KSG, zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten. Grundlage bildet die Verpflichtung nach dem Übereinkommen von Paris aufgrund der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen. Danach ist der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, um die Auswirkungen des weltweiten Klimawandels so gering wie möglich zu halten. Gemäß § 3 KSG (nationale Klimaschutzziele) werden die Treibhausgasemissionen (nachfolgend „THG-Emissionen“) im Vergleich zum Jahr 1990 schrittweise bis 2030 um mindestens 65% und bis 2040 um mindestens 88% gemindert. Bis zum Jahr 2045 werden die THG so weit gemindert, dass Netto-Treibhausgasneutralität erreicht wird. Nach dem Jahr 2050 sollen negative THG erreicht werden.
§ 13 Abs. 1 Satz 1 KSG regelt ein sog. „Berücksichtigungsgebot“ bezogen auf die Zwecke und Ziele des KSG. Das heißt, dass überall dort, wo materielles Bundesrecht auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe verwendet oder Planungs-, Beurteilungs- oder Ermessensspielräume einräumt, der Zweck und die Ziele des KSG als mitentscheidungserhebliche Gesichtspunkte in die Erwägungen einzustellen sind. Einen entsprechenden Planungsspielraum räumt unter anderem das in den diversen Fachplanungsgesetzen enthaltene Abwägungsgebot ein (vgl. z.B. § 43 Abs. 3 Satz 1 EnWG; § 17 Abs. 1 Satz 5 FStrG; § 18 Abs. 1 Satz 2 AEG; § 28 Abs. 1 Satz 2 PBefG). Der globale Klimaschutz bzw. die vorstehend dargestellten Klimaschutzziele des KSG gehören damit zu den öffentlichen Belangen, die bei der Planfeststellung in die Abwägung einzustellen sind. Der Maßstab für die Berücksichtigung des Klimaschutzes ergibt sich dabei aus dem vorstehend umschriebenen Zweck und den Zielen des KSG. Zu ermitteln und zu bewerten ist somit, ob und inwieweit das Vorhaben auf die THG-Emissionen Einfluss hat und die Erreichung der Klimaziele des KSG gefährden kann (vgl. im Einzelnen: BVerwG, Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21). § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG formuliert hierbei aber keine gesteigerte Beachtenspflicht und ist nicht im Sinne eines Optimierungsgebots zu verstehen. Dem Klimaschutz kommt im Vergleich zu den sonstigen Belangen keine „Sonderrolle“ zu. Er steht gleichberechtigt neben den weiteren zu berücksichtigenden Belangen. Ein Vorrang des Klimaschutzgebotes gegenüber anderen Belangen lässt sich weder aus Art. 20a GG noch aus § 13 KSG ableiten (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21; BVerwG, Beschl. v. 22.06.2023 - 7 VR 3/23; VGH Mannheim, Urt. v. 04.05.2023 - 5 S 1941/22; VG Stade, Beschl. v. 29.04.2024 - 2 B 175/24 Rn. 82).
Ein Berücksichtigungsgebot i.S.d. § 13 KSG enthalten zudem auch teilweise die jeweiligen Landesklimaschutzgesetze (vgl. hierzu die Übersicht bei Fellenberg in: Fellenberg/Guckelberger, Klimaschutzrecht, 2022, § 13 KSG Rn. 37). Ferner regelt z.B. auch das BauGB für die Bauleitplanung besondere Vorgaben zur Berücksichtigung des Klimaschutzes. Dass die Klimaauswirkungen im Rahmen der Bebauungsplanung zu ermitteln sind, ergibt sich aus den §§ 1 Abs. 5 Satz 2 und 2 Abs. 4 BauGB i.V.m. Nr. 2 b) gg) Anlage 1 BauGB. Danach müssen im Rahmen der Umweltprüfung unter anderem die Auswirkungen des geplanten Vorhabens auf das Klima (zum Beispiel Art und Ausmaß der Treibhausgasemissionen) prognostiziert werden (vgl. zur Berücksichtigung des Klimaschutzes und zum Umfang der anzustellenden Untersuchungen zu Treibhausgasemissionen bei der Bauleitplanung eingehend: VG Stade, Beschl. v. 29.04.2024 - 2 B 175/24 Rn. 81 ff.). Daneben ist bei der Bauleitplanung aber auch § 13 KSG anzuwenden, da die Regelung allgemein „Pläne“ erfasst und auch bei der Bebauungsplanung – wie bei den Fachplanungsvorhaben – das Abwägungsgebot gilt.
Fraglich ist aber, ob § 13 KSG auch auf Baugenehmigungsverfahren oder immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG Anwendung findet. Dies ist – bezogen auf Baugenehmigungsverfahren – gleich in zweierlei Hinsicht zweifelhaft und daher zu verneinen: Zum einen regelt § 13 KSG – wie dargestellt – ein „Berücksichtigungsgebot“. Von seiner Natur her setzt ein Berücksichtigungsgebot immer einen Entscheidungsspielraum der handelnden Verwaltung voraus. Darauf hat auch der Gesetzgeber bei der Einführung des § 13 KSG hingewiesen: „Das Berücksichtigungsgebot (…) kommt bei allen ihren Planungen und Entscheidungen zum Tragen, soweit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben Entscheidungsspielräume bestehen.“ (vgl. BT-Drs. 19/4337, S. 36). Baugenehmigungsverfahren stellen jedoch gebundene Entscheidungen dar. Anders als bei Fachplanungsvorhaben fehlt es hier daher – jedenfalls auf der Rechtsfolgenseite – an einem Abwägungs- oder Ermessensspielraum (eine Anwendung daher ablehnend, soweit nicht zur Anwendung kommende Vorschriften Entscheidungsspielräume begründen: Fellenberg in: Fellenberg/Guckelberger, Klimaschutzrecht, § 13 KSG Rn. 18; bezogen auf die immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 6 BImSchG daher ebenfalls ablehnend BVerwG, Urt. v. 25.01.2024 - 7 A 4/23).
Darüber hinaus sind die Baugenehmigungsverfahren bekanntermaßen in den Landesbauordnungen geregelt. Das Berücksichtigungsgebot des § 13 KSG erstreckt sich als materiell-rechtliche Vorgabe des Bundesrechts jedoch nur auf Bereiche, für die dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz zusteht, in denen es also um den Vollzug von materiellem Bundesrecht geht (BVerwG, Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21 Rn. 62). Beim Vollzug von Landesrecht findet die Vorschrift daher keine Anwendung (vgl. VG München, Beschl. v. 20.12.2023 - M 9 SN 23.725 Rn. 259, zu einer abgrabungsrechtlichen Genehmigung zum Kiesabbau; VGH München, Beschl. v. 29.12.2023 - 8 ZB 23.687 Rn. 37 f., für die Planfeststellung einer Kreisstraße). Auf Baugenehmigungsverfahren können daher allenfalls die in den Landesklimaschutzgesetzen geregelten Berücksichtigungsgebote Anwendung finden. Insoweit gilt aber ebenfalls die vorstehend dargestellte Einschränkung, wonach entsprechende Berücksichtigungspflichten bei gebundenen Entscheidungen grundsätzlich nicht zur Anwendung kommen können.
Dieses Ergebnis ist – jedenfalls soweit es um Bauvorhaben im beplanten Innenbereich (§ 30 BauGB) geht – auch sachgerecht: Denn der Klimaschutz geht als Belang bereits in die Bauleitplanung ein und muss dort betrachtet und abgewogen werden. Eine nochmalige Bewertung im Rahmen der Zulassung des einzelnen Vorhabens erscheint daher nicht notwendig.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des OVG Lüneburg zeigt einmal mehr, dass der Klimaschutz auch auf der Vorhabenebene angekommen ist: Sowohl bei der Planfeststellung für ein Fachplanungsvorhaben als auch bei der Aufstellung eines Bebauungsplans sind die Belange des Klimaschutzes zwingend in der Abwägung zu berücksichtigen. Fehlen entsprechende Ausführungen vollständig, führt dies unweigerlich zur Rechtswidrigkeit des Planfeststellungsbeschlusses bzw. des Bebauungsplans. Es ist daher zwingend darauf zu achten, dass in den maßgeblichen Entscheidungen der Klimaschutzaspekt mit betrachtet wird.
Während somit zwar in der Rechtsprechung mittlerweile geklärt ist, dass die Belange des Klimaschutzes im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, beschäftigt die Vorhabenträger vor allem, welche Anforderungen an den Umfang der Ermittlungen der THG-Emissionen zu stellen und welche Methoden hierbei anzuwenden sind. Hier besteht derzeit – mangels konkretisierender Vorschriften – noch viel Spielraum. Die Rechtsprechung ist vor allem bei Vorhaben, die gerade der Erreichung der Ziele des KSG dienen – zu Recht – sehr großzügig. Die Anforderungen an die Ermittlung und Bewertung der klimarelevanten Auswirkungen eines Vorhabens dürfen nach der Rechtsprechung des BVerwG danach nicht überspannt werden. Sie müssen „mit Augenmaß“ inhaltlich bestimmt und konkretisiert werden und dürfen keinen unzumutbaren Aufwand abverlangen. § 13 Abs. 1 Satz 1 KSG verlangt daher lediglich, mit einem – bezogen auf die konkrete Planungssituation – vertretbaren Aufwand zu ermitteln, welche THG-relevanten Auswirkungen das Vorhaben hat und welche Folgen sich daraus für die Klimaschutzziele des Bundes ergeben (vgl. BVerwG, Urt. v. 04.05.2022 - 9 A 7/21; OVG Hamburg, Beschl. v. 30.04.2024 - 1 Es 4/24.P).
Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass die Bundesregierung gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSG in ihrem Klimaschutzprogramm festlegt, welche Maßnahmen sie zur Erreichung der oben genannten nationalen Klimaschutzziele ergreifen wird (derzeit Klimaschutzprogramm 2023 v. 04.10.2023). Sofern daher bestimmte Vorhaben vom Klimaschutzprogramm der Bundesregierung erfasst werden, liegt es nahe, dass der Aufwand zur Ermittlung der THG-Emissionen gerade dieser Vorhaben nicht sehr hoch angesetzt werden darf. Dementsprechend hat die Rechtsprechung mittlerweile auch wiederholt bestätigt, dass für Vorhaben, die nach der Klimaschutzstrategie des Bundes gerade der Erreichung der Ziele des KSG dienen, keine (weiter gehende) Berechnung von THG-Emissionen notwendig ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.11.2022 - 4 A 17/20 Rn. 24, Bestätigung der Abarbeitung von § 13 KSG im Planergänzungsbeschluss v. 11.10.2022 der Bezirksregierung Münster (380-kV-Höchstpannungsleitung) sowie VGH Mannheim, Urt. v. 04.05.2023 - 5 S 1941/22 (S-Bahn-Vorhaben) i.V.m. dem Planfeststellungsbeschluss v. 30.06.2022 - Az. 24.3826.1, S. 27 ff.; OVG Hamburg, Beschl. v. 30.04.2024 - 1 Es 4/24.P zu einem Eisenbahnvorhaben). Auch für eine ETL-Leitung hat das BVerwG bestätigt, dass eine detaillierte Ermittlung/Berechnung von THG-Emissionen im Rahmen von § 13 KSG nicht erforderlich war (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.06.2023 - 7 VR 3/23 i.V.m. dem Planfeststellungsbeschluss v. 22.03.2023 - ETL 180 Brunsbüttel-Hetlingen).
Einen sehr strengen Maßstab hat hingegen das VG Stade in einem jüngst ergangenen Beschluss bezogen auf einen Angebotsbebauungsplan aufgestellt (VG Stade, Beschl. v. 29.04.2024 - 2 B 175/24 Rn. 81 ff.). Mit der Planung sollte der Bau und Betrieb einer Anlage für künstliche Wellen unter freiem Himmel (im Folgenden: Surfpark) ermöglicht werden. Das Gericht hat hier detaillierte Ermittlungen der THG-Emissionen und die Vorlage eines Energiekonzepts verlangt. Angesichts des fortdauernden Transformationsprozesses hin zu einer klimaneutralen (Energie-)Wirtschaft hätten nach Ansicht des Gerichts sowohl der prognostizierte Energieverbrauch als auch Potentiale zur Nutzung bzw. Nutzbarmachung erneuerbarer Energien berücksichtigt werden müssen. Diese Anforderungen gehen weit über die bisherige Rechtsprechung hinaus. Jedenfalls bei Vorhaben, die ausweislich des Klimaschutzprogramms der Bundesregierung selbst der Erreichung der Klimaschutzziele dienen, scheint ein solch hoher Aufwand nicht gerechtfertigt (vgl. vorstehend).
Für die Praxis bleibt abzuwarten, welche Anforderungen sich an Art und Umfang der Ermittlung der THG-Emissionen herausbilden werden. Bis sich hier eine gefestigte Praxis und Rechtsprechung entwickelt hat, bestehen für Plangeber und Vorhabenträger jedenfalls entsprechende Risiken. Hier wäre es daher im Sinne der Rechtssicherheit wünschenswert, wenn Konkretisierungen durch den Gesetzgeber selbst erfolgen würden.



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