Vorabentscheidungsersuchen des Kartellsenats an den EuGH zur Frage der Geschäftsführerhaftung bei Kartellgeldbußen gegen die GesellschaftLeitsatz Dem Gerichtshof der Europäischen Union wird zur Auslegung von Art. 101 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt: Steht Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegen, nach der eine juristische Person, gegen die eine nationale Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld wegen eines durch ihr Leitungsorgan begangenen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt hat, den ihr dadurch entstandenen Schaden von dem Leitungsorgan ersetzt verlangen kann? - A.
Problemstellung Durch die Vorlageentscheidung an den EuGH durch den Kartellsenat, 1. Zivilsenat des BGH, durch Beschluss vom 11.02.2025 kommt – zumindest absehbar – Licht in einen Streit, der in der Vergangenheit in Rechtsprechung und Literatur die Gemüter bewegt und große Rechtsunsicherheiten ausgelöst hat. Im Zentrum steht die Frage: Können Unternehmen gegen sie verhängte Kartellbußgelder von Leitungsorganen im Wege der Organhaftung ersetzt verlangen, wenn im Verfahren festgestellt wurde, dass das Leitungsorgan in die Zuwiderhandlung involviert war, die zur Verhängung der Verbandsgeldbuße gegen das Unternehmen wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens gemäß § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB und Art. 101 Abs. 1 AEUV geführt hat? Eine abschließende Entscheidung in dieser konkreten Konstellation, in der eine kartellrechtliche Verbandsgeldbuße gegen das Unternehmen festgesetzt wurde, die auch die unionsrechtlichen Vorschriften (wie üblich) einbezieht, steht bisher aus. Bei der rechtlichen Bewertung dieser Frage, stehen die Meinungsfraktionen im diametralen Widerspruch, so dass mal ein Regress des Leitungsorgans angenommen wird und mal dem Grunde nach schon kein Regress möglich sein soll, da dies dem Sinn und Zweck der verhängten Verbandssanktion zuwiderlaufe und die nationalen Regelungen zur Organhaftung – § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG – daher teleologisch zu reduzieren seien. Die Bewertung dieser Rechtsfrage könnte somit im Ergebnis nicht unterschiedlicher ausfallen. Dass das Thema die Gemüter erhitzt und für Unsicherheiten sorgt, ist daher naheliegend. Insbesondere wenn man sich vor Augen hält, dass im Zusammenhang mit Kartellverstößen regelmäßig bei der Verbandssanktion, die gegen die Gesellschaft als Nebenbeteiligte ausgesprochen wird nicht unten ins Regal gegriffen wird und somit ein Regress in Millionenhöhe droht. Zudem ist zu bedenken, dass ein Unternehmen als wirtschaftliche Einheit gesehen wird und ein umsatzbezogener Sonderbußgeldrahmen gilt. Diese Tatsache, gepaart mit dem Umstand, dass eine etwaig bestehende Directors and Officers Versicherung der Leitungsorgane (sog. D&O-Versicherung) oftmals entweder nicht greift oder nur einen Teilbetrag abdeckt, führt dazu, dass bei Annahme einer Organhaftung sogar die wirtschaftliche Existenz des Leitungsorgans bedroht sein kann – nicht nur die dogmatische Struktur des Ordnungswidrigkeitenrechts, folgt man dem Meinungsstrang, der die Annahme einer Organhaftung in den vorliegenden Fällen schon dem Grunde nach ausschließt, weil dies der Natur der Verbandssanktion zuwiderlaufe.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Eine finale Entscheidung, ob Gesellschaften gegen sie verhängte Kartellbußgelder von Leitungsorganen in der verfahrensgegenständlichen Situation im Wege der Organhaftung ersetzt verlangen können, steht weiterhin aus. Der Kartellsenat entschied, dass der Erfolg der Revision von der Auslegung des Unionsrechts abhänge, so dass das Verfahren auszusetzen sei, um dem EuGH die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen: „Steht Art. 101 AEUV einer Regelung im nationalen Recht entgegen, nach der eine juristische Person, gegen die eine nationale Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld wegen eines durch ihr Leitungsorgan begangenen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV verhängt hat, den ihr dadurch entstandenen Schaden von dem Leitungsorgan ersetzt verlangen kann?“ Den Hintergrund des Verfahrens bilden Kartellordnungswidrigkeitenverfahren, die das Bundeskartellamt seit November 2015 in der Stahlbranche führte, die sich u.a. auch gegen die Klägerinnen sowie den Beklagten richteten: Die konzernverbundenen Klägerinnen sind in der Edelstahlbranche tätig. Die Klägerin zu 1 bilde die operative Gesellschaft (Gesellschaft mit beschränkter Haftung) der Gruppe, deren Anteile von der Klägerin zu 2 als Holding-Gesellschaft gehalten werden. Der Beklagte war als Leitungsorgan (Geschäftsführer sowie Vorstandsmitglied) in den jeweiligen Gesellschaften tätig und habe sich als Vertreter der Klägerin zu 1 an einem Preiskartell beteiligt. Konkret habe der Beklagte gemeinschaftlich handelnd mit Vertretern anderer Unternehmen der Edelstahlbranche kartellrechtswidrige Vereinbarungen getroffen. Zwischen den Beteiligten habe das Grundverständnis dahin gehend bestanden, dass sie ein branchenweit einheitliches Preissystem aus Basispreis und Zuschlägen für die bezogenen und verarbeiteten Produkte praktizierten. Die Höhe der Zuschläge seien zuvor unter den Beteiligten abgestimmt worden. Auch die Klägerin zu 1 habe – auf Veranlassung des Beklagten – auf Grundlage dieses Grundverständnisses die abgestimmten Zuschläge in den eigenen Verträgen zugrunde gelegt. Das Bundeskartellamt setzte Bußgelder wegen des vorsätzlichen Verstoßes gegen § 81 Abs. 1 Nr. 1 GWB, Art. 101 AEUV als Ergebnis eines Settlement-Verfahrens i.H.v. Euro 126.000 gegen den Beklagten und gegen die Klägerin zu 1 i.H.v. 4.1 Mio. Euro fest. Die Geldbußen hatten ausschließlich ahndenden Charakter. Von einer Abschöpfung etwaiger wirtschaftlicher Vorteile sah das Bundeskartellamt ab. Das Bußgeldverfahren gegen die Klägerin zu 2 wurde aus Opportunitätsgründen eingestellt. Der Beklagte wird durch die Klägerinnen aufgrund der Feststellung seiner vorsätzlichen Beteiligung an der wettbewerbswidrigen Absprache auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Konkret begehre die Klägerin zu 1 den Ersatz der gegen sie verhängten Verbandsgeldbuße nebst Gebühren und Auslagen. Die Klägerin zu 2 verlangt u.a. Ersatz der ihr entstandenen Aufklärungs- und Rechtsverteidigungskosten (immerhin) i.H.v. ca. 1.144 Mio. Euro. Sowohl das LG Düsseldorf – als Spruchkörper in erster Instanz – als auch das OLG Düsseldorf – in Gestalt des 6. Kartellsenats – als Berufungsinstanz, wiesen eine persönliche Haftung des (ehemaligen) Geschäftsleiters (Beklagter) zurück und lehnten einen Regress mit der Begründung ab, dass eine Organhaftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG in der gegenständlichen Konstellation insgesamt nicht möglich sei und die nationalen Normen einschränkend auszulegen seien (vgl. LG Düsseldorf, Urt. v. 10.12.2021 - 37 O 66/20 [Kart]; OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 - VI-6 U 1/22 (Kart)). Da der Kartellsenat für die finale Entscheidung die Frage der Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf Art. 101 AEUV – entsprechend des Vorlagebeschlusses – als maßgeblich erachtete, fehlt es zwar weiterhin an einer wegweisenden obergerichtlichen Entscheidung, die den anhaltenden Streit um das Bestehen/Nichtbestehen einer Organhaftung in der verfahrensgegenständlichen Konstellation endlich beendet und sich zu der Frage verhält, ob das Leitungsorgan im Wege der Organhaftung in Anspruch genommen werden kann oder eben nicht. Der Senat ließ es sich in seiner Entscheidung aber nicht nehmen, die eigenen Überlegungen im Rahmen der 24-seitigen Entscheidungsgründe, die erst knapp vier Monate nach Verkündung der Entscheidung veröffentlicht wurden, darzulegen und herauszustellen, dass nach Ansicht des Senats jedenfalls eine teleologische Reduktion der Normen der Organhaftung nach nationalem Recht nicht zwingend geboten sei. Die Kernargumente des Senats fanden sich bereits am Tag der Entscheidung in der umfangreichen Pressemitteilung auf der Webseite des BGHs zur Einsichtnahme (Pressemitteilung BGH Nr. 031/2025 zu Beschl. v. 11.02.2025 - KZR 74/23, abrufbar unter: https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2025/2025031.html; zuletzt abgerufen am 30.06.2025). Sauber arbeitet der Senat in seiner Entscheidung heraus: Gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG hätten Geschäftsführer in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns anzuwenden. Zu den wesentlichen Sorgfaltspflichten zähle dabei die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhalte und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkomme (vgl. BGH, Urt. v. 15.10.1996 - VI ZR 319/95 Rn. 15 - BGHZ 133, 370; BGH, Urt. v. 28.04.2008 - II ZR 264/06 Rn. 38 - BGHZ 176, 204; BGH, Urt. v. 10.07.2012 - VI ZR 341/10 Rn. 22 - BGHZ 194, 26). Auch für das Vermögen der Gesellschaft vorteilhaftes rechtswidriges Handeln verletze diese Pflicht, so dass es dahinstehen könne, ob ein Vorteil durch die Handlung erlangt werde und bei wem (Gesellschaft oder Leitungsorgan) dieser Vorteil entstehe (vgl. BGH, Beschl. v. 13.09.2010 - 1 StR 220/09 Rn. 37 - BGHSt 55, 288). Sofern eine dieser Obliegenheiten durch das Leitungsorgan verletzt werde, bestimme § 43 Abs. 2 GmbHG, dass das Organ gegenüber der Gesellschaft für den dadurch entstandenen Schaden hafte. Vergleichbare Vorschriften bestünden nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG für die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft. Nach einer Auffassung – der sich beide Vorinstanzen angeschlossen haben – seien die nationalen Vorschriften unmittelbar einschränkend auszulegen: Ein Rückgriff auf den (ehemaligen) Geschäftsleiter gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG oder § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG sei nicht möglich. Dem stehe der Zweck der Verbandssanktion entgegen. Ein Regress im Rahmen der Organhaftung würde nämlich dem Ahndungszweck – dem Unternehmen in Reaktion auf den Gesetzesverstoß mit der Verbandssanktion in Form des Bußgeldes einen Nachteil zuzufügen und dadurch auch eine generalpräventive Wirkung in Bezug auf andere Marktteilnehmer zu bewirken – untergraben. Zudem würde der Zweck der Abschöpfung der durch den Verstoß erzielten Vorteile verfehlt, wenn die Gesellschaft die Geldbuße auf das Leitungsorgan abwälzen könne und dessen Inanspruchnahme von der zu seinen Gunsten abgeschlossenen D&O-Versicherung gedeckt würde. Die Verbandssanktion ziele darauf ab, dem Vermögen des Unternehmens einen Nachteil zuzufügen und sei von der Sanktionierung der Individualperson abzugrenzen. Die Verbandssanktion ziele in Anbetracht der Individualsanktion nach § 9 OWiG, der das Leitungsorgan ausgesetzt sei, und wegen des differenzierten Bußgeldrahmens für Verband und Leitungsorgan darauf ab, gerade dem Vermögen des Unternehmens einen Nachteil zuzufügen. Dies sei vom Zivilrecht zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zu beachten, da ansonsten das mit der Verbandssanktion verbundene Abschreckungspotential verringert werde. Zudem stehe nach dieser Ansicht auch das Unionsrecht einer Verlagerung des durch die Verbandsgeldbuße bezweckten Vermögensnachteils auf die Individualperson entgegen (vgl. LArbG Düsseldorf, Teilurt. v. 20.01.2015 - 16 Sa 459/14 Rn. 151 bis 181 - ZIP 2015, 829; LG Saarbrücken, Urt. v. 15.09.2020 - 7HK O 6/16, 7 HKO 6/16 Rn. 149 bis 152 - WuW 2021, 62; Verse in Scholz, GmbHG, 13. Aufl., § 43 Rn. 310 bis 314; Dreher in: Festschrift Konzern, 2006, S. 85, 103 bis 106; Thomas, NZG 2015, 1409; Ackermann, ZHR 2015, 538, 560 f.; Leclerc, Der Kartellbußgeldregress, 2022, S. 220, 223 bis 230; Ost in: Festschrift für D. Schroeder, 2018, S. 589; Wils, WuW 2023, 583, 588 f.; Bunte, NJW 2018, 123; Erfurt, Der Bußgeldregress im Kapitalgesellschaftsrecht, 2020, S. 248 bis 262; Friedl, ZWeR 2023, 428, 443; Beck, NZKart 2023, 654). Die Gegenansicht führt für die Befürwortung der zivilrechtlichen Inanspruchnahme des Leitungsorgans über die Rechtsfigur der Organhaftung für diese Ansicht ins Feld: Der, mit der Verbandssanktion nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB verbundene Zwecke laufe einem solchen Rückgriff nicht entgegen. Der Wortlaut des § 43 Abs. 2 GmbHG sehe eine teleologische Reduktion nicht vor, da der mit der Verbandssanktion verfolgte Zweck schon allein durch die Verhängung der Verbandsgeldbuße vollständig erfüllt sei. Die Frage nach der verbandsinternen Zuweisung des Vermögensnachteils sowie der Zulässigkeit des Innenregresses richte sich daher nur nach den zivil- und gesellschaftsrechtlichen Vorschriften; deren Zweck es sei, dass die Organe der Gesellschaft zu rechtstreuem Verhalten und damit auch zur Beachtung der kartellrechtlichen Verbotstatbestände veranlasst werden. Mit der Rückgriffmöglichkeit auf das Leitungsorgan durch die Anwendung der Organhaftungsregelungen sei dieses Ziel doch gerade bestmöglich gefördert. Nur hinsichtlich der Geltendmachung des gewinnabschöpfenden Teils der Verbandssanktion zeigen sich die Meinungslager versöhnlich. Dies gehe auch den Befürwortern der Anwendung der Organhaftungsregelungen zu weit, da dies schließlich einen Ausgleich für den etwaig erlangten rechtswidrigen Vermögensvorteil der Gesellschaft schaffen solle und daher auch nach dieser Ansicht nicht regressierbar sei (vgl. u.a. Fleischer, DB 2014, 345; ders. In: BeckOGK-AktG, § 93 Rn. 260 bis 265; Blaurock in: Festschrift Bornkamm, 2014, S. 107, 114 f.; Bayer/Scholz, GmbHR 2015, 449; Koch in: Festschrift M. Winter, 2011, S. 327, 333 f.; Thole, ZHR 173 (2009), 504, 532 f.; Nietsch, ZHR 2020, 60, 78; ders. NJW 2024, 471, 474 f.; Drescher in: Festschrift Möschel, 2021, S. 91; Kersting/May, WuW 2024, 243 und 313; LG Dortmund, WuW 2023, 573). Für die Entscheidung der Streitfrage, ob die Regelungen zur Organhaftung gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG einschränkend auszulegen sind, sei aus Sicht des Kartellsenats allein maßgeblich, ob das Unionsrecht der Anwendung dieser Vorschriften entgegenstehe. Aus Sicht des Senates sei es nicht naheliegend, eine Einschränkung der Organhaftungsregelungen aufgrund des nationalen Rechts vorzunehmen, da nicht ersichtlich sei, dass eine Regelungslücke bestehe und/oder der Sinn und Zweck (die Dogmatik) der Verbandssanktion gefährdet sei. Zunächst arbeitet der Senat richtig heraus, dass eine Einschränkung der Organhaftungsregelungen nur in Betracht käme, sofern der Wortlaut der einschlägigen Norm mit Blick auf ihren Normzweck zu weit gefasst sei und eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes anzunehmen wäre. Ob eine solche Lücke vorhanden sei, beurteile sich – wie bekannt und bewährt – vom Standpunkt des Gesetzes und der ihm zugrunde liegenden Regelungsabsicht (so u.a.: BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 26.09.2011 - 2 BvR 2216/06 - BVerfGK 19, 89-105). Es sei aus Sicht des Senats zweifelhaft, ob diese Voraussetzungen unter Berücksichtigung des nationalen Rechts schon erfüllt seien: Eine Einschränkung der Organhaftung sei durch den Wortlaut der nationalen Regelungen – weder in § 43 GmbHG noch § 93 AktG – vorgesehen. Der Kartellsenat hob hervor, dass eine vergleichbare Regelung – wie sie beispielsweise in der österreichischen Rechtsordnung gemäß § 11 österreichisches Verbandsverantwortlichkeitsgesetz vorgesehen sei, die bestimmt, wonach für Sanktionen und Rechtsfolgen, die den Verband aufgrund dieses Gesetzes treffen, ein Rückgriff auf Entscheidungsträger oder Mitarbeiter ausgeschlossen sei – in Deutschland gerade nicht existiere (Rn. 18). Eine Einschränkung der Schadensersatzhaftung aufgrund der nationalen Vorschriften über die kartellbußgeldrechtliche Verbandssanktion nach § 30 OWiG, §§ 81 ff. GWB begegne nach Ansicht des Senats ebenfalls Bedenken: Dem Wortlaut dieser Vorschriften lässt sich ein an die Gesellschaft gerichtetes Verbot der persönlichen Inanspruchnahme von Leitungsorganen wegen eines durch eine Kartellbuße entstandenen Schadens nicht entnehmen (Rn. 23 ff.). Der Senat stellt zudem darauf ab, dass sich ein Verbot der Weitergabe von Geldstrafen oder Bußgeldern auf Dritte der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach dem deutschen Sanktionsrecht bislang (gerade) nicht entnehmen lasse; vielmehr sei eine solche anerkannt, wenn man an die Fälle der Beraterhaftung denke, siehe sogleich. Aus diesem Grund sei nicht nachvollziehbar, warum eine Organhaftung in der vorliegenden Konstellation nach den nationalen Vorschriften ausgeschlossen sein soll. Zwar sei anerkannt, dass eine Geldstrafe oder Geldbuße zwingend aus dem Vermögen der Person/des Verbandes zu bewirken sei, gegen die/den sie verhängt wurde. Dies schließe aber nicht aus, dass im Nachgang daran etwaige zivilrechtliche Ansprüche der Gesellschaft gegen das rechtwidrig handelnde Leitungsorgan geltend gemacht werden können. Denn dem Strafausspruch sei bereits durch die Entrichtung der verhängten Geldstrafe Genüge getan. Dies manifestiere sich daran, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nämlich auch zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Berater geltend gemacht werden könnten, die zuvor gegen den Mandanten festgesetzt worden seien in Form von Geldbußen oder Geldstrafen (BGH, Urt. v. 31.01.1957 - II ZR 41/56 Rn. 12 - BGHZ 23, 222; BGH, Urt. v. 14.11.1996 - IX ZR 215/95 Rn. 13 - NJW 1997, 518; BGH, Urt. v. 15.04.2010 - IX ZR 189/09 Rn. 7 - VersR 2011, 132). Zudem spreche für eine solche Bewertung, dass das staatliche Sanktionsrecht in der (freiwilligen) Entlastung des Täters von dem mit der verhängten Geldstrafe verbundenen Vermögensnachteil keine strafbare Begünstigung gemäß § 257 StGB (RGZ 169, 267 f.) sehe. Die Entscheidungen gingen zwar nicht ausdrücklich auf die in Rede stehende Kernfrage ein, es ließen sich aber Grundbotschaften bezüglich der hier in den Blick genommenen Dogmatik übertragen. Konkret: dass ein Regress des Beraters gerade nicht aufgrund des Sinns und Zwecks der Sanktion ausgeschlossen sei und eine (freiwillige) Entlastung des Täters der Rechtsordnung nicht entgegenstehe. Dass die Weitergabe (ein Regress) der Natur der Verbandssanktion zuwiderlaufen solle, sei daher nicht nachvollziehbar, da dies doch in einem anderen Setting schon längst umgesetzt und höchstrichterlich anerkannt sei – ohne dass der Gesetzgeber sich im Verlauf der Jahre bemüßig gefühlt habe, einzuschreiten (Rn. 24 ff.). Eine andere Bewertung dränge sich auch aufgrund der kartellrechtlichen Regelungen gemäß den §§ 81 ff. GWB nicht auf: Eine planmäßige Regelungslücke und das damit einhergehende (vermeintliche) Versäumnis des Gesetzgebers, die Organhaftung dahin gehend einzuschränken, dass die Gesellschaft ein gegen sie verhängtes kartellrechtliches Bußgeld gegenüber ihren Leitungsorganen nicht im Wege der zivilrechtlichen Haftung geltend machen könne, liege nicht nahe (Rn. 27). Es sei weder die repressiv-ahndende noch die präventive Funktion der Verbandssanktion durch die Anwendung der Regelungen zur Organhaftung (ohne diese einzuschränken) gefährdet. Denn zum einen sei – realistischerweise – schon davon auszugehen, dass angesichts der nur begrenzten persönlichen Leistungsfähigkeit des Leitungsorgans ein Regress sicherlich nur zum Teil faktisch durchsetzbar sei, und das Unternehmen würde somit verpflichtet bleiben, die Verbandssanktion zu tragen. Zudem wird darauf verwiesen, dass hinter der juristischen Person stets ein Leitungsorgan stehe, welches durch die (mögliche) Inanspruchnahme dazu angehalten werde, sich gesetzeskonform zu verhalten, und somit der Zweck der Verbandssanktion durch die Anwendung der Organhaftungsvorschriften gerade noch gefördert werde (Rn. 35). Zudem stellt der Senat klar, dass eine Diskussion um die Anwendbarkeit der Regressvorschriften bereits seit Jahren andauere und – trotz mehrfacher Gesetzesänderungen des Kartellbußgeldrechts – eine Einschränkung der Regelungen durch den Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt erfolgt sei. Die besseren Argumente sprächen somit aus Sicht des Senats dafür, dass kein Verbot der zivilrechtlichen Weitergabe der vorgesehenen Strafen/Sanktionen durch den Gesetzgeber gewollt sei, da dieser – trotz der seit Jahren geführten breiten Diskussion – nie tätig geworden sei (Rn. 36). Ob diese Überlegungen auf das Unionsrecht übertragbar seien, könne allerdings abschließend nicht bewertet werden. Um keine Wertungswidersprüche innerhalb der Mitgliedstaaten zu produzieren, solle dies nun geprüft werden, um zu entscheiden, ob die nationalen Normen zur Organhaftung ggf. aufgrund des Unionsrechts einschränkend auszulegen seien. Als zentrale Argumente – warum dies angenommen werden könnte – verwies der Kartellsenat auf die folgenden Aspekte: Auch bezüglich des Unionsrechts sei maßgeblich, dass etwaige Verstöße gegen Art. 101 AEUV wirksam, verhältnismäßig und abschreckend geahndet werden, so dass Marktteilnehmer von künftigen Verletzungen der Wettbewerbsregeln des Unionsrechts abgeschreckt seien, sog. Effektivitätsgrundsatz (u.a. EuGH, Urt. v. 14.09.2017 - C-177/16 Rn. 68 - WuW 2017, 547 „AKKA/LAA“; EuGH, Urt. v. 18.01.2024 - C-128/21 Rn. 110 - WuW 2024, 207 „Lietuvos notarų rūmai“). Dieser Zweck könne wegfallen, bei einer Entlastung des Unternehmens, wenn sich die juristische Person (zumindest teilweise) schadlos stellen könne durch die Inanspruchnahme des Leitungsorgans. Anders als in Bezug auf die nationale Argumentation, könnte dieses Effektivitätsprinzip im Lichte der EuGH-Rechtsprechung enger zu fassen sein. Eine solche Entlastung wirke nämlich ähnlich wie die steuerliche Abzugsfähigkeit von Geldbußen, die laut EuGH die abschreckende Wirkung der Sanktion mindern würde und daher (schon) ausgeschlossen sei (vgl. EuGH, Urt. v. 11.06.2009 - C-429/07 Rn. 39 - WuW 2009, 850 „Inspecteur van de Belastingdienst/X BV“, im Zusammenhang mit den Beteiligungsrechten der Kommission nach Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 1 Satz 3 VO Nr. 1/2003). Da eine zivilrechtliche Inanspruchnahme des Leitungsorgans – trotz nur beschränkter finanzieller Mittel der Individualperson im Gegensatz zum Unternehmen – regelmäßig aber wohl sogar zu einer wesentlich höheren Entlastung des bebußten Unternehmens führen würde als in der zuvor bezeichneten Entscheidung, könnte eine einschränkende Auslegung der nationalen Vorschriften zur Organhaftung zwingend sein. Ein Wertungswiderspruch, die Verbandssanktion (zumindest teilweise) auf die Individualperson umzulegen, könnte sich zudem durch den Umstand ergeben, dass es der Europäischen Kommission nach Art. 23 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 nur möglich sei, eine Sanktion gegen die juristische Person zu verhängen. Eine vergleichbare Sanktionierung der Individualperson gemäß § 81 Abs. 1 GWB i.V.m. § 9 OWiG wie auf nationaler Ebene sei nicht vorgesehen. Um auch an dieser Stelle eine einheitliche Auslegung des Art. 101 AEUV in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, sei es essenziell zu bestimmen, ob unionsrechtliche Regelungen die nationalen Normen zur Organhaftung beschränken (Rn. 41 f.).
- C.
Kontext der Entscheidung Licht am Ende des Tunnels?! Auch ohne eine abschließende Entscheidung in der Kernfrage, ob die Organhaftungsvorschriften gemäß § 43 GmbHG und § 93 AktG Anwendung finden und ein Regress möglich ist oder ob eine teleologische Reduktion zwingend geboten ist, stellt die vorliegende Entscheidung eine richtungsweisende Weichenstellung dar. Aufgrund der möglichen (fatalen) finanziellen Folgen eines potenziellen Regresses sowie der aktuell bestehenden Rechtsunsicherheit scheint es höchste Zeit, dass eine höchstrichterliche Entscheidung der Diskussion (zumindest) eine Tendenz gibt. Inspiziert man die vorliegenden Entscheidungsgründe, liegt auf der Hand, wie facettenreich, dogmatisch und fundamental die Diskussion ist. Zudem stellen die Entscheidungsgründe eine gute Zusammenfassung und zugleich eine Einordnung des wesentlichen Streitstands dar. Eine vollständige und abschließende Darstellung des Diskussionsstands ist aufgrund der Vielzahl an Veröffentlichungen und Rechtsprechung komprimiert kaum möglich; füllen die Meinungsstände in Schrifttum und Praxis doch bereits seit über einem Jahrzehnt Seiten mit klugen Argumenten und Ausführungen zu den Einzelaspekten, wobei auf beiden Seiten nachvollziehbare Argumente zu finden sind. Um nur zwei umfassende Werke hervorzuheben, die sich dezidiert mit dem Thema befassen, einen guten Überblick über die Streitstände verschaffen und sich vertieft mit der Dogmatik der Verbandsgeldbuße auseinandersetzen, sei auf folgende Werke kurz hingewiesen: Bemerkenswert sind sowohl die Dissertation der Kollegin Leclerc im Rahmen ihrer Arbeit zum Thema „Der Kartellbußgeldregress - Eine Untersuchung aus der Perspektive des Aktienrechts“ (Leclerc, Der Kartellbußgeldregress – Eine Untersuchung aus der Perspektive des Aktienrechts, Diss., Mohr Siebeck, 2022, Schriften zum Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, Bd. 97) als auch die Ausführungen des Kollegen Jürss im Rahmen seiner Dissertation zum Thema „Der Regress einer Verbandsgeldbuße gegen Organmitglieder in der Aktiengesellschaft“, die die vorliegende Kernproblematik in den Blick nimmt und die Wertungswidersprüche zwischen dem zivilrechtlichen Haftungsrecht und dem Ordnungswidrigkeitenrecht anhand der Entscheidung des LArbG Düsseldorf vom 20.01.2015 - 16 Sa 459/14 aufzeigt (Jürss, Der Verbandssanktionsregress gegen Organmitglieder in der Aktiengesellschaft, Diss., Peter Lang, Berlin 2022, Schriften zum Strafrecht und Strafprozessrecht, Bd. 136). Wie auch der Senat in seiner Entscheidung verdeutlicht, ist längst bekannt, dass die in Rede stehende Kernfrage höchst streitig ist. Dies spiegelt sich auch in der Historie der dogmatischen Diskussion: So war das Thema Organhaftung und eine etwaige Reform sogar schon auf dem Deutschen Juristentag 2014 viel diskutiert und im Fokus (vgl. Lotze, NZKart 2022, 535 ff.). Bei näherer Betrachtung des Meinungsstands in Schrifttum und Praxis stellt sich daher die Frage, wie ein so intensiv geführter Meinungsstreit über derart viele Jahre anschwellen kann und erst jetzt zu einer Vorlage an den EuGH ausreicht. Wie Bunte bereits 2018 richtig herausstellt (vgl. Bunte, NJW 2018, 123): „Bei ‚Unternehmensskandalen‘ diskutiert die breite Öffentlichkeit in Deutschland das Thema der Haftung von Vorständen und verantwortlichen Mitarbeitern wegen Fehlverhaltens immer heftiger. Für diese Skandale gibt es prominente Beispiele. Zum Teil wird in diesem Zusammenhang von ‚existenzvernichtender Haftung‘ gesprochen, weil es beim so genannten Innenregress um Schadensersatzsummen geht, die in der Tat zur Existenzvernichtung der beklagten Organe bzw. Mitarbeiter führen. Im Fall des Erfolgs könnten die Ansprüche auch nur zu einem Bruchteil gegen diese vollstreckt werden, so dass ihr wesentliches Ergebnis in der wirtschaftlichen und sozialen Vernichtung der betroffenen Personen besteht.“ Dass die Zeit daher „reif“ für eine höchstrichterliche Weichenstellung ist, um die aktuelle Rechtsunsicherheit zu beseitigen, zeigt sich – neben der vertieften Diskussion im Schrifttum und der Öffentlichkeit zu diesem Thema – insbesondere auch anhand diverser Entscheidungen in Nordrhein-Westfalen, wo sich die Debatte zu ballen scheint und die Instanzgerichte uneiniger nicht sein könnten: Exemplarisch sei auf die Entscheidung im sog. Schienenkartellverfahren (BGH, Urt. v. 28.01.2020 - KZR 24/17 „Schienenkartell II“; BGH, Urt. v. 19.05.2020 - KZR 8/18 „Schienenkartell IV“; BGH, Urt. v. 13.04.2021 - KZR 42/19 „Schienenkartell V“; BGH, Urt. v. 23.09.2020 - KZR 4/19; OLG Düsseldorf, Urt. v. 08.05.2019 - VI-U (Kart) 11/18; LG Köln, Urt. v. 15.05.2018 - 31 O 236/15) oder auch das hier zugrunde liegende Edelstahlverfahren verwiesen. Die divergierenden Auffassungen in den Instanzen bündeln sich zu einem Brennglas, das die Debatte zuspitzt. So sah sich das Landgericht Dortmund im Nachgang zu der ablehnenden Entscheidung des OLG Düsseldorf – Vorinstanz zur vorliegenden Entscheidung (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 - 6 U 1/22 (Kart) - NZG 2023, 1279) – veranlasst, herauszustellen (LG Dortmund, Hinweisbeschl. v. 14.08.2023 - 8 O 5/22 (Kart) - NZKart 2023, 496 ff.): „Nach nochmaliger Bewertung der Sach- und Rechtslage vermag die Kammer der Einschätzung des Senats jedenfalls im vorliegenden Fall weder im Ergebnis noch in der Argumentation beizutreten. Die Wertung des Senats beruht ausdrücklich auf einer teleologischen Reduktion der Vorstände und Geschäftsführer betreffenden gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften für den Bereich der Kartellbußen. Denn der Senat erkennt an, dass die wortlautgetreue Anwendung zivil- und gesellschaftsrechtlicher Haftungsnormen grundsätzlich eine unbeschränkte Einstandspflicht pflichtwidrig handelnder Organmitglieder hinsichtlich des ahndenden Teils der Geldbuße nahelegt und unter Anwendung der allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätze jedenfalls dieser ahndende Teil einer Unternehmensgeldbuße regelmäßig einen regressfähigen Schaden der Gesellschaft darstellt. Hinreichende Gründe, im Wege teleologischer Reduktion von diesem allgemeinen Grundsatz abzuweichen, sind aus Sicht der Kammer aber nicht gegeben. […] In der Gesamtschau kann mithin von einem Verfehlen des Normzwecks durch einen Bußgeldregress kaum die Rede sein. Raum für eine einschränkende Auslegung der gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften und somit auf einen Ausschluss des Bußgeldregresses besteht aus Sicht der Kammer nach all dem nicht.“ Dies unterstreicht die zentrale Bedeutung einer höchstrichterlichen Einschätzung für die Schaffung von Rechtssicherheit – nachdem das Für und Wider sowohl im Schrifttum als auch in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung umfassend aufgezeigt und abgewogen wurde. Die Argumentation des Kartellsenats, dass die unionsrechtliche Bewertung – insbesondere unter Einbeziehung der EuGH-Rechtsprechung und Dogmatik des Art. 23 Abs. 1 VO Nr. 1/2003 – den Fokus bildet, überzeugt. Dabei bleibt aber unklar, warum gerade in Bezug auf die Effektivität und den Sinn und Zweck der Verbandssanktion nach dem nationalen Recht diese Argumentation eingeschränkt werden soll und nicht parallel gelten kann/sollte. Aus Sicht der Verfasserin überzeugt in diesem Zusammenhang mehr, was die Vorinstanz zur vorliegenden Entscheidung treffend zusammenfasst (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.07.2023 - 6 U 1/22 (Kart) Rn. 74): „Die beim Unternehmen verbleibende Kartellbuße führt zu einer Verantwortungsverpflichtung aller Leitungspersonen und Unternehmensträger. Das Unternehmen soll wirksam angehalten werden, präventive Maßnahmen zu treffen, weil sich die Investition in effektive Kontrollsysteme lohnt (Grunewald, NZG 2016, 1121, 1122). Damit wird eine gute Corporate Governance durch effektive und nachhaltige Compliance-Maßnahmen erreicht (Bunte, NJW 2018, 123, 125; BReg. zur neunten GWB-Novelle, BT-Drs. 18/12760, S. VI). Da es allen Organen in einer Gesellschaft obliegt, auf die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen hinzuwirken und ggf. Compliance-Programme einzuführen (vgl. Binder/Kraayvanger, BB 2015, 1219, 2021; Lotze, NZKart 2014, 162, 162 m.w.N..), kann sich die Gesellschaft nicht auf die Verfehlung des Einzelnen berufen und das ihr auferlegte Bußgeld auf ihn abwälzen.“ Auch die national höchstrichterliche Rechtsprechung (sog. Beraterhaftung) steht dem nicht entgegen. Wie der Senat richtig herausstellt, verhalten sich die Entscheidungen doch zu der in Rede stehenden Frage gar nicht 1:1. Daher kann final nicht nachvollzogen werden, warum der Senat an dieser Stelle zu dem Ergebnis kommt, dass die besseren Argumente dafürsprechen sollen, dass nationale Regelungen einer Inanspruchnahme des Leitungsorgans im Wege des Regresses jedenfalls nicht entgegenstehen. Zudem kann das Argument nicht überzeugen, dass der Gesetzgeber bisher keine vergleichbare Regelung zur österreichischen Gesetzeslage geschaffen habe, die sich ausdrücklich gegen eine Inanspruchnahme des Leitungsorgans ausspricht, und daher davon auszugehen sei, dass der Gesetzgeber den Haftungsdurchgriff nicht ausschließen wolle. Zum einen spricht sich – trotz brennender Diskussionen um das in Rede stehende Thema – der Gesetzgeber an keiner Stelle für die Regressnahme aus. Zudem wird in der ewig währenden Debatte um eine angemessene Sanktionierung der Unternehmen stets die Sanktionierung der juristischen Person stark in den Blick genommen, um ein regelkonformes Verhalten sicherzustellen (zuletzt: Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft (Verbandssanktionengesetz), BT-Drs. 19/23568, S. 1 ff.). Die besseren Argumente scheinen daher aus Sicht der Verfasserin dafür zu sprechen, dass die Zweitsanktionierung der Leitungsperson bei Verfehlungen und Weitergabe der Verbandssanktion an das Leitungsorgan gerade nicht im Sinne (und Blick) des Gesetzgebers war/ist. Es bleibt somit mit Spannung abzuwarten, wie sich der EuGH in der vorliegenden Frage positionieren wird. Zudem ist besonders interessant, ob es darüber hinaus – dies wäre wünschenswert – weitere Ausführungen/Grundbotschaften des EuGH zum etwaigen Wertungswiderspruch zwischen der Organhaftung und den Bußgeldregelungen gibt, um eine einheitliche Bewertung in den Mitgliedstaaten zu sichern. Auf einem anderen Blatt stehen dann Anschlussfragen, wie beispielsweise der Umgang mit etwaigen Verbandsgeldbußen, die allein auf Grundlage von nationalen kartellrechtlichen Normen ausgesprochen werden, und die Frage, ob ggf. ein Widerspruch entsteht (falls ein Regress durch den EuGH ausgeschlossen wird). Zudem die Frage, ob die dogmatische Bewertung des EuGH auf das Kartellordnungswidrigkeitenrecht zu beschränken ist oder die Leitlinien der bevorstehenden Entscheidung auch auf andere Bereiche/Ordnungswidrigkeiten ausstrahlen und anwendbar sein werden.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die unmittelbaren Auswirkungen auf die Praxis durch die vorliegende Entscheidung sind aktuell noch nicht abschließend ersichtlich. Wie sinnvoll das Anschieben der ewigen Debatte ist, um endlich Rechtssicherheit zu erlangen, wurde herausgestellt. Es bleibt abzuwarten, wie sich der EuGH positioniert und ob die Entscheidung dann – wie zuvor aufgegriffen – bestmöglich auch noch zu einigen Grundentscheidungen Ausführungen liefert, an denen sich die Beteiligten (Leitungsorgan, Unternehmen, D&O-Versicherer und Berater) gut orientieren können. Dies wäre äußerst wünschenswert. Aber auch in der Zwischenzeit scheint es aufgrund der aktuellen Entscheidung bereits einige Aspekte zu geben, die durch die Leitungsorgane/Unternehmen zu beachten und zu durchdenken sind. Insbesondere: Die Prüfung des im Unternehmen etablierten kartellrechtlichen Compliance-Management-Systems, um ein gesetzeskonformes Verhalten möglichst sicherzustellen. Wie die Entscheidungen zeigen, sind etwaige Verstöße in diesem Bereich gravierend. Es drohen nicht nur etwaige Durchsuchungsmaßnahmen, hohe Geldbußen/Strafen, der Ausschluss von Vergabeverfahren und Reputationsschäden, sondern auch langwierige Prozessstreitigkeiten mit enormen Rechtskosten. Die Unternehmen – und auch die Leitungsorgane – sollten daher (weiterhin) auch einen starken Fokus auf das Thema Präventive-Kartell-Compliance legen, um Verstöße im Unternehmen möglichst zu verhindern. Aufgrund der Ausführungen des Kartellsenats, dass ein Regress bei rein nationaler Betrachtung aus Sicht des Senats eher anzunehmen sei, ist fraglich, ob sich daraus – bereits jetzt – ein Handlungsbedarf für die Beteiligten (Leitungspersonen, Unternehmen oder Dritte – wie beispielsweise die D&O-Versicherer) ergibt. In diesem Zusammenhang dürften insbesondere die Unternehmen gefordert sein, eine bewusste unternehmerische Entscheidung zu treffen (und diese zu dokumentieren), sollten potenzielle Regressansprüche gegen ein Leitungsorgan im Zusammenhang mit einer Verbandsgeldbuße bestehen, um sich nicht selbst eines Verdachts der Untreue auszusetzen (in Anlehnung an die ARAG/Garmenbeck-Grundsätze; vgl. dazu BGH, Urt. v. 21.04.1997 - II ZR 175/95 - NJW 1997, 1926, 1927 f.; Arnold/Linsmeier/Weiß/Unmuth, CCZ 2025, 131, 133).
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Als wesentliche weitere Themenschwerpunkte sei abschließend noch auf die folgenden Feststellungen des Kartellsenats einzugehen: Durch die vorliegende Entscheidung konnte der Senat bereits jetzt Klarheit in Bezug auf die Frage schaffen, ob es sich in der vorliegenden Konstellation grundsätzlich um einen „Pflichtverstoß“ handle, indem der Senat herausstellte, dass die Beteiligung eines Geschäftsleiters an der kartellrechtswidrigen Absprache eine organschaftliche Pflichtverletzung gegenüber der Gesellschaft darstellt und auf dieser Ebene kein Raum für etwaige Diskussionen bleibt, wie sie in der Vergangenheit geführt wurden (eine gute Darstellung des Streitstands findet sich hierzu auch bei Baur/Holle, NZKart 2023, 598, 599). Und zwar unstreitig aus Sicht des Senats. Zudem stellte der Senat bezüglich der Frage der Ersatzfähigkeit etwaiger Kosten für die Aufklärung des Sachverhalts (IT-Kosten) sowie für die Rechtsverteidigung im kartellbehördlichen Ermittlungsverfahren (Rechtsanwaltskosten) in Bezug auf die Klägerin zu 2 im letzten Absatz der Entscheidungsgründe schnörkellos fest: Der Ersatz dieses Schadens – immerhin i.H.v. 1.144 Mio. Euro – sei selbst dann ersatzfähig, wenn eine einschränkende Auslegung der nationalen Regelungen zur Organhaftung aufgrund von Art. 101 AEUV anzunehmen sei. Denn – wie der Senat konsequent herausstellt – beeinträchtigt der Ersatz dieses Schadens die Wirksamkeit des verhängten Bußgelds schon nicht, daher fehle es schon an der Grundlage für die Einschränkung des darauf gerichteten Schadensersatzanspruchs.
|