juris PraxisReporte

Autor:Dr. Susanne Claus, Regierungsdirektorin im Bundesministerium der Justiz; derzeit abg. als Wissenschaftliche Mitarbeiter
Erscheinungsdatum:28.10.2024
Quelle:juris Logo
Normen:§ 81f StPO, § 81g StPO, § 81h StPO, § 114b StPO, § 424 StPO, § 32 StPO, § 15 StPOEG, § 158 StPO, § 32d StPO, § 110c OWiG 1968, § 349 StPO, § 350 StPO, § 32b StPO, § 451 StPO, § 5 StrafAktÜbV, § 6 DokErstÜbV, § 5 StVollzGerAktÜbV, § 5 BußAktÜbV, § 32a StPO, § 13a ERVV, § 130e ZPO, § 46h ArbGG, § 10 RVG
Fundstelle:jurisPR-StrafR 20/2024 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:Claus, jurisPR-StrafR 20/2024 Anm. 1 Zitiervorschlag

Das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz

A. Einführung

Am 16.07.2024 wurde das Gesetz zur weiteren Digitalisierung der Justiz verkündet1; es enthält in großen Teilen – aber nicht ausschließlich – Änderungen für das Strafverfahren. Um einem potenziellen Jubel oder, je nach Standpunkt, einer potenziellen Sorge vorzugreifen: Was das Gesetz nicht enthält, sind die umstrittenen Vorschriften zur Aufzeichnung von strafgerichtlichen Hauptverhandlungen. Diese sind in einem eigenen Gesetzentwurf niedergelegt, der derzeit im Vermittlungsausschuss des Bundesrates beraten wird2. Das o.g. Gesetz knüpft vielmehr weitgehend an die Aktivitäten zur Einführung der elektronischen Akte an, die in den meisten Gerichtszweigen schon weit fortgeschritten ist, in Straf- und Bußgeldsachen aufgrund der Komplexität der Verfahren und der Vielzahl der beteiligten Akteure überwiegend noch am Anfang der Erprobung steht. Die meisten Reformgesetze der letzten Jahre zum Strafverfahren enthielten auch Änderungen zum elektronischen Rechtsverkehr3 und zur elektronischen Aktenführung4. Nachdem im Zuge der Vorbereitungen zur Umstellung auf die rein elektronische Aktenführung zum gesetzlich vorgesehenen Zeitpunkt, dem 01.01.2026, stetig neuer Anpassungsbedarf ersichtlich wird, dürfte die Rechtsentwicklung auch mit dem nun in Kraft getretenen Gesetz nicht abgeschlossen sein. Dies liegt freilich in der Natur der Sache, denn die umfassende Umstellung von der analogen auf die digitale Arbeitsweise erfordert eine agile Herangehensweise und hat weitreichende Folgen, die nicht immer im Vorhinein bedacht werden können.

B. Inhalt der Neuregelungen

I. Erleichterungen bei Schriftformerfordernissen; insb. der Strafantragstellung

In vielen Fällen sah die Strafprozessordnung bis vor kurzem noch die Notwendigkeit vor, eine Erklärung schriftlich einzureichen; prominentestes Beispiel ist der Strafantrag. Das Einreichen einer „schriftlichen“ Erklärung muss zwar nicht mehr über ein handschriftlich unterschriebenes Papierdokument erfolgen, allerdings verfügen längst nicht alle Bürger über eine – die Unterschrift ersetzende – qualifizierte elektronische Signatur, ein elektronisches Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) i.S.d. § 32a Abs. 4 Nr. 4 StPO, oder ein OZG-Nutzerkonto i.S.d. § 32a Abs. 4 Nr. 5 StPO. Per E-Mail oder über die Formulare der in vielen Bundesländern eingerichteten Online-Wachen konnten Strafanträge bisher nicht wirksam gestellt werden5. Nach neuer Rechtslage genügt es, dass der Strafantrag durch die aufnehmende Stelle protokolliert oder auf sonstige Weise dokumentiert wird (§ 158 Abs. 1 Satz 2 StPO) und die Identität und der Verfolgungswille der antragstellenden Person sichergestellt sind (§ 158 Abs. 2 StPO). Die Länder können ihre Formulare und Masken im Rahmen der Onlineportale nun so gestalten, dass die Identität der antragstellenden Person – etwa über die Personalausweisnummer – hinreichend sicher aufklärbar ist; auch soll die Feststellung über eine behördlich oder dienstlich bekanntgewordene E-Mail-Adresse hinreichend möglich sein. Identität und Verfolgungswille können etwa auch im Nachgang geklärt werden, wobei die Heilung eines unwirksamen Strafantrags nach wie vor nicht in Betracht kommt6. Soweit für die übrige Kommunikation der Bürgerinnen und Bürger mit den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten ebenfalls teilweise noch die Schriftform galt, wie etwa für die Einwilligungen in Maßnahmen nach den §§ 81f, 81g und 81h StPO (DNA-Analyse, -Identitätsfeststellung und -Reihenuntersuchung), die Bestätigung des Erhalts einer Belehrung nach § 114b Abs. 1 StPO (Haft- und Unterbringungsbefehl) oder den Verzicht auf Einwendungen gegen die Einziehung nach § 424 Abs. 2 StPO wurde gleichermaßen die Möglichkeit geschaffen, die Unterschrift durch eine Dokumentation der Abgabe der Erklärung durch die Strafverfolgungsbehörden zu ersetzen.

II. Zulassung der Führung von Hybridakten

Ursprünglich hatte der Gesetzgeber die Umstellung auf die digitale Arbeitsweise so vorgesehen, dass in jedem Verfahren entweder nur elektronische Akten oder nur Papierakten vorliegen sollten. Eine „hybride“ Aktenführung, d.h. elektronische und in Papierform existierende Aktenbestandteile innerhalb eines Verfahrens sollten aufgrund der Schwierigkeiten mit dem Arbeiten in unterschiedlichen Welten grundsätzlich vermieden werden7. Damit hätte ab dem Zeitpunkt der elektronischen Aktenführung, spätestens also ab dem 01.01.2026, entweder der gesamte bisherige Akteninhalt digitalisiert werden oder die Anordnung der Weiterführung in Papierform auf der Grundlage einer Rechtsverordnung nach § 32 Abs. 1 Satz 3 StPO erfolgen müssen. Von dieser Maßgabe ist der Gesetzgeber nunmehr aus verschiedenen Gründen abgerückt.

Zum einen hat eine Analyse der Aktenbestände ergeben, dass in den meisten Rechtsgebieten eine nicht unerhebliche Zahl an Verfahren mit langer Verfahrensdauer existiert. Selbst im Strafverfahren würde die Anzahl der einzuscannende Altakten (z.B. Verfahren gegen Unbekannt wegen Mordes) zu hohen finanziellen Aufwänden führen. Das Einscannen von Dokumenten bindet ferner erhebliche Speicherkapazitäten, weil gescannte Dokumente anders als digital erstellte, „native“ elektronische Dokumente etwa zehnmal so groß und entsprechend schwer zu verarbeiten sind. Im weiteren Verlauf kann die höhere Datenlast verstärkt zu Störungen in den Systemen führen8. § 32 Abs. 1a StPO gestattet es nunmehr, per Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Akten, die vor dem 01.01.2026 in Papierform angelegt wurden, ab einem bestimmten Stichtag oder Ereignis in elektronischer Form weitergeführt werden. Letzteres beinhaltet etwa einen Wechsel in der Zuständigkeit, die Abgabe an ein anderes Gericht oder der Beginn des Vollstreckungsverfahrens. Im Übrigen kann die Hybridaktenführung auf einzelne Gerichte oder Strafverfolgungsbehörden oder auch allgemein bestimmte Verfahren beschränkt und diese Festlegung im Wege einer öffentlich bekanntzumachenden Verwaltungsvorschrift getroffen werden9. Auch der umgekehrte Fall, dass nämlich eine elektronische Akte in Papierform weitergeführt werden muss, ist denkbar, etwa wenn eine elektronisch angelegte Akte an Stellen abgegeben wird, die noch nicht auf die elektronische Aktenführung umgestellt haben. Bislang sah die Strafaktenübermittlungsverordnung dazu vor, dass in diesen Fällen die gesamte Akte in die Papierform überführt und als Papierakte weitergeführt werden müsste. In § 15 Abs. 2 EGStPO hat der Gesetzgeber nunmehr klargestellt, dass auch eine elektronisch begonnene Akte als Hybridakte in Papier weitergeführt werden darf. Die Regelung umfasst neben bereits ausschließlich elektronisch vorliegenden Akten auch solche, die bereits als Hybridakte nach § 32 Abs. 1a StPO-E in Papierform und elektronischer Form geführt werden10. Weil ab dem 01.01.2026 die elektronische Aktenführung in allen Verfahren verbindlich ist, ist der späteste Zeitpunkt für die Anlegung von Hybridakten im vorgenannten Sinne – also vorbehaltlich der Fälle des § 15 Abs. 1 EGStPO; dazu sogleich – der 31.12.202511. Danach dürfen die hybriden Akten als hybride Akten weitergeführt werden, ohne dass die Pflicht zur lückenlosen Nachdigitalisierung wiederauflebt12.

Ein weiterer Grund für die Zulassung von Hybridakten ist der Mangel an geeigneten bzw. geschlossenen digitalen Systemen, um dem Geheimhaltungsgrad in gleicher Weise wie in der analogen Welt Rechnung zu tragen. Je nach Geheimhaltungsgrad gelten insoweit jeweils besondere technische und organisatorische Anforderungen, die nach den aktuellen technischen Gegebenheiten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand umgesetzt werden können13. Deshalb wurde in § 15 Abs. 1 Satz 1 EGStPO – allerdings befristet bis zum 31.12.2035 – für die Digitalisierung und den elektronischen Austausch von Verschlusssachen mit den Geheimhaltungsgraden „STRENG GEHEIM“, „GEHEIM“ und „VS-VERTRAULICH“ bestimmt, dass die mit diesen Geheimhaltungsgraden eingestuften Verschlusssachen weiter in Papierform übermittelt und zur Akte gegeben werden können. Weiterhin sollen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 EGStPO geheimhaltungsbedürftige Dokumente und Aktenteile, die mit dem niedrigeren Geheimhaltungsgrad VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft sind, während dieser Übergangszeit weiterhin in Papierform übermittelt werden dürfen. Sie sind sodann jedoch in der elektronischen Akte entsprechend den allgemeinen Regeln zu speichern14.

III. Anforderungen an die Einreichung von Dokumenten Dritter

Für die Einreichung formgebundener – in der Regel schriftlicher – Erklärungen gilt nach § 32a Abs. 4 Satz 1 StPO, dass das elektronische Dokument entweder mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen oder von der verantwortenden Person einfach signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden muss. Die Frage, was gilt, wenn die verantwortende Person ein schriftformbedürftiges Dokument eines Dritten, also beispielsweise des Mandanten, einreicht, beantwortet nunmehr § 32a Abs. 3 Satz 2 StPO. Danach kann ein Dokument, das von einem Beschuldigten, einem anderen Verfahrensbeteiligten oder einem Dritten schriftlich abzufassen, zu unterschreiben oder zu unterzeichnen ist, elektronisch eingereicht werden, indem es in ein elektronisches Dokument übertragen – also in der Regel eingescannt – und durch einen Verteidiger oder Rechtsanwalt nach § 32a Abs. 3 Satz 1 StPO übermittelt wird. Diese in allen Verfahrensordnungen eingeführte Möglichkeit der formwahrenden Einreichung von Scans wurde im Strafverfahren auf die professionellen Verfahrensbeteiligten – also Verteidiger und Rechtsanwälte – beschränkt. Für den praktisch relevanten Anwendungsfall der Vorlage einer vom Mandanten per E-Mail als Bilddatei oder PDF übermittelten Vollmacht als Ausdruck in der mündlichen Verhandlung ist die Geltung des § 32a StPO in der Rechtsprechung bereits verneint worden.15 Soweit im Rahmen von Schriftsätzen die Vorlage einer Originalvollmacht erforderlich sein sollte16, kann dies nunmehr durch Einscannen des vom Vertretenen unterzeichneten Dokuments erfolgen. Ein früher ebenfalls relevanter Anwendungsfall war der gemäß § 158 Abs. 2 StPO a.F. schriftlich zu stellende Strafantrag bei den absoluten Antragsdelikten; insoweit wurde das Schriftformerfordernis allerdings just durch das o.g. Gesetz abgeschafft (vgl. oben I.).

IV. Erweiterung der Pflicht zur elektronischen Einreichung von Erklärungen

§ 32d Satz 2 StPO a.F. sah eine Pflicht zur elektronischen Übermittlung von Schriftsätzen bislang nur für einen ausgewählten Kreis von – in der Regel nicht eilbedürftigen – Erklärungen vor, nämlich die Berufung und ihre Begründung, die Revision, ihre Begründung und die Gegenerklärung sowie die Privatklage und die Anschlusserklärung bei der Nebenklage. Die elektronische Einreichung ist damit eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung für die jeweilige Prozesshandlung. Im Übrigen gilt gemäß § 32d Satz 1 StPO lediglich eine Soll-Vorschrift. Nunmehr wurde dieser Kreis um die Rücknahmen von Berufung und Revision sowie die Einlegung und Rücknahme des Einspruchs gegen den Strafbefehl erweitert. Im Ordnungswidrigkeitenrecht wurde der Verweis in § 110c OWiG klarer gefasst, so dass auch die Einlegung und Rücknahme des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid sowie der Verzicht hierauf, die Rechtsbeschwerde, ihre Begründung und ihre Rücknahme, der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, seine Begründung und seine Rücknahme sowie die Gegenerklärung als elektronisches Dokument übermittelt werden müssen. Medienbrüche durch in Papierform vorliegenden Verfahrensanträge sollen damit vermieden werden17. Die Erweiterung des § 32d Satz 2 tritt ebenso wie die Vorschrift des § 110c Satz 3 OWiG erst zum 01.01.2026 in Kraft18.

V. Revisionshauptverhandlung: Zuschaltung per Videokonferenz und Hinweispflicht

Nicht unmittelbar im Zusammenhang mit der elektronischen Aktenführung steht die Einführung der Videoverhandlung im Revisionsverfahren beim BGH; diese ist vielmehr eine Konsequenz der Erfahrungen in der Corona-Pandemie. Nach § 350 Abs. 3 Satz 1 StPO können nunmehr dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter, dem Verteidiger, dem Vertreter der Staatsanwaltschaft und sonstigen Beteiligten, die vom Termin zu benachrichtigen sind, auf ihren jeweiligen Antrag die Anwesenheit an einem anderen Ort gestattet werden, wenn die Hauptverhandlung zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen wird. Jeder Beteiligte kann den Antrag unabhängig vom Prozessverhalten der übrigen Beteiligten stellen, so dass auch hybride Formate zulässig sind. Die Regelung ist zu begrüßen: sie erspart den professionellen Verfahrensbeteiligten zeit- und ressourcenintensive Anreisen, einem in Haft befindlichen Angeklagten mitunter einen tage- bis wochenlangen Gefangenentransport zum Zwecke der Überstellung19. Im Revisionsverfahren sind ausschließlich Rechtsfragen Gegenstand der Verhandlung, so dass der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht gilt. Die Gestattung der Zuschaltung per Videokonferenz soll nach § 350 Abs. 3 Satz 2 StPO mit der Maßgabe erfolgen, dass sich die Verfahrensbeteiligten in einem Dienstraum oder in einem Geschäftsraum eines Verteidigers oder Rechtsanwalts aufhalten, nicht also etwa im Feriendomizil oder am Strand. Dem inhaftierten Angeklagten ist auf seinen Antrag die Teilnahme an der Hauptverhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung ausdrücklich zu gestatten, wenn von seiner Vorführung abgesehen wird; im Übrigen liegt die Entscheidung im Ermessen des oder der Vorsitzenden. Allzu kurzfristigen Anträgen muss das Gericht nicht stattgeben: geht der Antrag weniger als drei Werktage vor dem Termin ein, kann er abgelehnt werden. § 350 Abs. 4 Satz 1 StPO stellt klar, dass im Rahmen der Videoübertragung eine Aufzeichnung der Hauptverhandlung durch die zugeschalteten Verfahrensbeteiligten nicht erfolgen darf. Diese sind nach Satz 2 auf das Aufzeichnungsverbot spätestens zu Beginn der Bild- und Tonübertragung hinzuweisen.

Anlässlich der oben bereits im Regierungsentwurf vorgeschlagenen Regelung zur Videoverhandlung wurde im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens die Ladung zur Revisionshauptverhandlung in § 350 Abs. 1 StPO zusätzlich um eine Pflicht des Revisionsgerichts ergänzt, auf die wesentlichen Gesichtspunkte hinzuweisen, die Gegenstand der Revisionshauptverhandlung werden sollen. Dies hat der Gesetzgeber damit begründet, dass eine effiziente Durchführung der Verhandlung eine möglichst passgenaue Vorbereitung aller Beteiligten auf die zu erörternden, häufig komplexen Rechtsfragen erfordere. Zumeist seien die wesentlichen Gesichtspunkte in den vorbereitenden Schriftsätzen schon vorgetragen worden, so dass sich die Frage stelle, welche Themen aus Sicht des Revisionsgerichts Gegenstand der Revisionshauptverhandlung sein werden, und was die Verfahrensbeteiligten selbst hierzu noch vortragen können20. Eine Präklusionswirkung oder einen Hinderungsgrund, neben den mitgeteilten Themen auch andere Fragen in der Hauptverhandlung anzusprechen, sei mit der Hinweispflicht des Revisionsgerichts nicht verbunden; es handle sich lediglich um eine Ordnungsvorschrift21. Die in dieser Form geschaffene generelle Hinweispflicht ist wenig durchdacht und in den meisten Fällen überflüssig: wie der Gesetzgeber selbst ausführt, sind die relevanten Gesichtspunkte in aller Regel schon Gegenstand der vorbereitenden Schriftsätze; in der Hauptverhandlung werden sie mündlich wiederholt. Das Revisionsgericht, das zur Durchführung einer Hauptverhandlung in bestimmten Fällen verpflichtet ist22, ist nunmehr gehalten, diese bereits bekannten Gesichtspunkte in einem vorbereitenden Hinweis nochmals wiederzugeben. Zweckmäßiger wäre es gewesen, die Hinweispflicht auf neue, noch nicht in den vorbereitenden Schriftsätzen erörterte Gesichtspunkte zu begrenzen – nur in diesen Fällen ist auch eine ergänzende Vorbereitung der Verfahrensbeteiligten nötig.

Beide Änderungen des § 350 StPO treten erst ein Jahr nach der Verkündung, also am 17.07.2025, in Kraft23.

C. Weitere „Kleinigkeiten“

Das Gesetz zur weiteren Digitalisierung enthält eine Reihe weiterer Änderungen und Anpassungen, welche das digitale Arbeiten im Strafverfahren erleichtern sollen, so etwa:

Erleichterungen bei Beglaubigungserfordernissen (§ 32b Abs. 4 Satz 4 StPO, § 451 StPO);24
Ausnahmen von der Pflicht zur elektronischen Aktenübermittlung bei umfangreichen Akten (§ 5 Abs. 2 Strafaktenübermittlungsverordnung, § 6 Abs. 2 Dokumentenerstellungs- und -übermittlungsverordnung, § 5 Abs. 2 Strafvollzugsgerichtsaktenübermittlungsverordnung und § 5 Abs. 2 Bußgeldaktenübermittlungsverordnung).25

Einige Änderungen betreffen alle Verfahrensordnungen gleichermaßen, können aber auch im Strafverfahren Bedeutung erlangen:

Datenschutzrechtliche Klarstellungen bei elektronischen Postfächern (§ 32a Abs. 2 Satz 2 StPO, § 13a ERVV);26
Formfiktion für empfangsbedürftige Willenserklärungen, die in elektronisch bei Gericht eingereichten Schriftsätzen enthalten sind (§ 130e ZPO, § 46h ArbGG)27;
Einführung der Textform für die anwaltliche Vergütungsberechnung (§ 10 Abs. 1 Satz 1 RVG)28;
Zulassung des Identifizierungsverfahrens ELSTER für Organisationen (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ERVV)29

Fußnoten


1)

BGBl. 2024 I Nr. 234.

2)

Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung, BT-Drs. 20/8096 , 20/9359, 20/9387.

3)

Gesetz zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 05.10.2021 (BGBl I 2021, 4607).

4)

Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25.06.2021 (BGBl I 2021, 2099).

5)

Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 21.11.2023 - 4 StR 72/23 - NStZ-RR 2024, 123, 124; BGH, Beschl. v. 12.05.2022 - 5 StR 398/21 - BGHSt 67, 69 ff.; Hauser, JR 2023, 34, 39 ff.

6)
7)

Vgl. BT-Drs. 18/9416, S. 42; zuvor war eine hybride Aktenführung bei dem Patentamt, dem Patentgericht und dem Bundespatentgericht möglich; eine Ausnahme wurde zudem für das Kindschafts- und Betreuungsrecht gemacht.

8)
9)

BT-Drs., a.a.O.

10)
11)

Zum Außerkrafttreten vgl. Art. 3 des Gesetzes.

12)

So auch BT-Drs. 20/10943, S. 53, zumindest zu § 15 Abs. 1 EGStPO.

13)

Vgl. BT-Drs. 20/10943, S. 36.

14)
15)

OLG Karlsruhe, Beschl. v. 07.04.2021 - 2 Ws 73/21, 2 Rv 31 Ss 155/21 - NStZ-RR 2021, 184 f.; vgl. zuvor OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.11.2020 - 2 Rv 21 Ss 483/20 - NStZ-RR 2021, 56; zum Ganzen Spitzer, NStZ 2021, 327, 330 f.

16)

Zu diesem Erfordernis im Einzelnen Meyer-Lohkamp/Venn, StraFo 2009, 265 ff.

17)
18)

Vgl. Art. 50 Abs. 3 des o.g. Gesetzes.

19)
20)
21)
22)

Vgl. zu den Konstellationen im Einzelnen § 349 StPO.

23)

Art. 50 Abs. 2 des o.g. Gesetzes.

24)

Vgl. dazu BT-Drs. 20/11788, S. 53 und 54.

25)
26)

BT-Drs. 20/10943, S. 38 f., 46, 56, 69 ff.

27)

BT-Drs. 20/10943, S. 33, 57 f.

28)

BT-Drs. 20/10943, S. 37, 63.

29)

BT-Drs. 20/10943, S. 38, 70.


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