juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 5. Senat, Urteil vom 05.09.2024 - V R 5/23
Autor:Dr. Hans-Herrmann Heidner, RiBFH a.D.
Erscheinungsdatum:10.03.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 2 UStG 1980, § 176 AO 1977, § 164 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 10/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Heidner, jurisPR-SteuerR 10/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Erfordernis eines Änderungsantrags zur Vermeidung widerstreitender Steuerfestsetzung bei Organschaft auch bei Anfechtung des Steuerbescheids durch die Organgesellschaft



Leitsatz

Sind die Voraussetzungen einer Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes mit einer KG als Organgesellschaft aufgrund geänderter Rechtsprechung des BFH erfüllt, setzt die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraus, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt (Bestätigung des BFH, Urt. v. 16.03.2023 (V R 14/21 (V R 45/19) - BFHE 280, 89). Dies gilt auch im Rechtsbehelfsverfahren der KG gegen eine ihr gegenüber ergangene Steuerfestsetzung.



A.
Problemstellung
Das Besprechungsurteil wirft die Frage auf, ob eine Personenhandelsgesellschaft bei Vorliegen der Eingliederungsvoraussetzungen geltend machen kann, sie sei nach neuerer Rechtsprechung (unselbstständiges) Organ des Organträgers mit der Folge, dass ihr gegenüber keine Umsatzsteuerfestsetzung ergehen dürfe. Nach dem Besprechungsurteil setzt das voraus, dass der Organträger sich nicht auf Vertrauensschutz nach § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO beruft, sondern einen Antrag auf Änderung und Berücksichtigung der Besteuerungsgrundlagen der Organgesellschaft in der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin, eine GmbH & Co. KG, erwarb im Juni 2016 von der TL-GmbH Fahrzeuge zu einem Kaufpreis von 4.061.720,31 Euro zuzüglich Umsatzsteuer i.H.v. 771.726,86 Euro. Die TL-GmbH stellte der Klägerin unter dem 13.06.2016 über den Erwerb eine Rechnung mit Umsatzsteuerausweis aus. Nach einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch das FA gab die Klägerin eine Umsatzsteuerjahreserklärung ab, in der sie Umsätze i.H.v. 636.450 Euro zum Regelsteuersatz erklärte und Vorsteuern i.H.v. 771.726,86 Euro aus den Fahrzeugerwerben geltend machte. Während des Klageverfahrens vor dem FG stornierte der Insolvenzverwalter der inzwischen in Insolvenz geratenen TL-GmbH die Rechnung vom 13.06.2016. Die Klägerin machte daraufhin geltend, der Umsatzsteuerbescheid 2016 sei ersatzlos aufzuheben, weil zwischen ihr als Organgesellschaft und der TL-GmbH als Organträgerin im Streitjahr (2016) eine Organschaft bestanden habe. Das FG ging davon aus, dass die Klägerin finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen der TL-GmbH eingegliedert gewesen sei und gab der auf Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2016 beschränkten Klage statt.
Der BFH hat das FG-Urteil aufgehoben, weil die Aufhebung einer gegenüber der KG ergangenen Steuerfestsetzung voraussetzt, dass der Organträger zur Vermeidung eines widersprüchlichen Verhaltens in Bezug auf § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO einen Antrag auf Änderung der für ihn vorliegenden Steuerfestsetzung stellt. Deshalb kommt es für die Aufhebung der Umsatzsteuerfestsetzung gegen die Klägerin auf einen Antrag des beigeladenen Insolvenzverwalters auf Änderung der für die TL-GmbH vorliegenden Steuerfestsetzung an. Hierzu hatte das FG keine Feststellungen getroffen.


C.
Kontext der Entscheidung
Gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG kann nur eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines Organträgers eingegliedert sein. Das schloss nach überkommener deutscher Rechtsauffassung Personenhandelsgesellschaften als Organgesellschaft aus. Die Rechtsprechung hierzu hat sich im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 15.04.2021 (C-868/19 „FA für Körperschaften Berlin“) gewandelt. Auch Personenhandelsgesellschaften „mit kapitalistischer Struktur“ werden mittlerweile – bei Vorliegen der Eingliederungsvoraussetzungen – als Organgesellschaften anerkannt (BFH, Urt. v. 16.03.2023 (V R 14/21 (V R 45/19) - BFHE 280, 89 = BFH/NV 2023, 790). Das hat zur Folge, dass die Organgesellschaft hinsichtlich der von ihr ausgeführten Umsätze unter Hinweis auf die geänderte Rechtsprechung ihre fehlende Unternehmereigenschaft geltend machen kann. Der Organträger kann sich demgegenüber grundsätzlich auf § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO und damit auf die bisherige Rechtsprechung berufen. Das hätte zur Folge, dass die von der Organgesellschaft verwirklichten Besteuerungsgrundlagen weder bei dieser noch beim Organträger Berücksichtigung finden.
Diesem Ergebnis wollte der BFH nicht folgen. Deshalb hatte er bereits im Urteil vom 26.08.2021 (V R 13/20 - BFHE 273, 364 = BFH/NV 2021, 1537: Anm. Steinhauff, jurisPR-SteuerR 48/2021 Anm. 1) entschieden, dass bei einer Rechtsprechungsänderung Organträger und Organgesellschaften nicht beanspruchen können, im selben Besteuerungszeitraum für den einen Unternehmensteil auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung und für den anderen Unternehmensteil nach der geänderten Rechtsprechung besteuert zu werden. Diese Beurteilung hat der BFH im Urteil vom 16.03.2023 (V R 14/21 (V R 45/19)) fortgeführt und entschieden, dass es gegen Treu und Glauben („venire contra factum proprium“) verstößt, wenn eine Personenhandelsgesellschaft nach der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organgesellschaft behandelt wird, und dem Organträger, der erst aufgrund der geänderten BFH-Rechtsprechung als Organträger anzusehen ist, Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 1 Nr. 3 AO in die frühere BFH-Rechtsprechung, nach der er nicht Organträger für die Personenhandelsgesellschaft war, gewährt wird. Diese Rechtsprechung hat der BFH im Besprechungsurteil erneut bestätigt, man insoweit von einer gefestigten Rechtsprechung sprechen kann.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Praxis muss sich darauf einstellen, dass eine Meistbegünstigungsgestaltung in der Weise, dass die Umsatzsteuern weder beim Organ noch beim Organträger erfasst werden, nicht funktioniert. Das gilt nicht nur für den Fall, dass die Personenhandelsgesellschaft – wie im Urteil des BFH vom 16.03.2023 (V R 14/21 (V R 45/19)) einen Änderungsantrag nach § 164 Abs. 2 AO stellt, sondern auch für die im hier besprochenen Urteil gegebene Anfechtung einer Steuerfestsetzung.



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