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Anmerkung zu:BFH 6. Senat, Urteil vom 24.10.2024 - VI R 28/22
Autor:Dr. Stephan Geserich, RiBFH
Erscheinungsdatum:28.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 1 EStG, § 19 EStG, § 96 FGO
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 17/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Geserich, jurisPR-SteuerR 17/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

DBA-Schweiz 1971/2010: Abkommensrechtliche Aufteilung der Einkünfte eines im internationalen Luftverkehr eingesetzten Piloten



Leitsatz

Die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit eines im Inland ansässigen Piloten, der von einem in der schweizerischen Eidgenossenschaft (Schweiz) ansässigen Unternehmen im internationalen Luftverkehr eingesetzt wird, sind nur insoweit von der deutschen Einkommensteuer (unter Progressionsvorbehalt) freizustellen, als er seine Tätigkeit nach dem Territorialitätsprinzip auf Schweizer Boden und im Schweizer Luftraum ausübt.



A.
Problemstellung
Streitig ist, inwieweit die Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit eines im Inland ansässigen Piloten, der von einer in der Schweiz ansässigen Fluggesellschaft im internationalen Luftverkehr eingesetzt wird, von der deutschen Einkommensteuer (unter Progressionsvorbehalt) freizustellen sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der verheiratete Kläger – ein Pilot – war in den Streitjahren (2013 und 2014) bei einer Fluggesellschaft mit Sitz in der Schweiz angestellt. Er war in den Streitjahren sowohl im nationalen Flugverkehr der Schweiz als auch im internationalen Flugverkehr tätig. Er hatte bereits im Jahr 2011 einen Wohnsitz in der Schweiz begründet. Sein Lebensmittelpunkt befand sich in den Streitjahren bei seiner Familie in Deutschland. Vom Arbeitslohn des Klägers behielt die Fluggesellschaft die Schweizerische Quellensteuer ein. In seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre erklärte der Kläger steuerfreien Arbeitslohn nach dem DBA-Schweiz 1971/2010. Dem folgte das FA nicht. Der Kläger sei im Jahr 2013 überwiegend für innereuropäische Flüge aus der Schweiz sowie in die Schweiz und im Jahr 2014 überwiegend für Langstreckenflüge mit Start und Ziel in der Schweiz eingesetzt gewesen. Der Arbeitslohn des Klägers unterliege deshalb 2013 i.H.v. 57,53% (2014 i.H.v. 58,69%) der deutschen Besteuerung. I.H.v. 42,47% (2013) und i.H.v. 41,31% (2014) sei der Lohn in Deutschland steuerfrei, aber dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen. Hiergegen wandte sich der Kläger mit dem Einspruch. Mit der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Einkommensteuer für die Streitjahre herab. Dies beruhte auf einer geänderten Aufteilung der Einkünfte, die nach Auffassung des FA (in beiden Streitjahren) nunmehr i.H.v. 55% auf Tätigkeiten in Deutschland und in Drittstaaten sowie i.H.v. 45% auf Tätigkeiten in der Schweiz entfallen sollten. Außerdem nahm es eine Anrechnung der schweizerischen Quellensteuer i.H.v. 55% vor. Im Übrigen wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Der im Anschluss erhobenen Klage gab das FG ganz überwiegend statt. Die Einkünfte des Klägers seien in der Schweiz zu versteuern. Denn er habe seine Tätigkeit als Pilot im Jahr 2013 zu 100% und im Jahr 2014 zu 99% dort ausgeübt. Dies sei allein danach zu bestimmen, ob der Flug in der Schweiz beginne oder ende (FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 24.06.2021 - 2 K 2191/17 - EFG 2023, 484). Auf die Revision des FA hob der BFH die Vorentscheidung auf und verwies die nicht spruchreife Sache an das FG zurück. Die Vorinstanz sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass das Besteuerungsrecht für die Einkünfte des Klägers aus nichtselbstständiger Tätigkeit Deutschland als Ansässigkeitsstaat und daneben der Schweiz als Tätigkeitsstaat beziehungsweise Unternehmensstaat zustehe. Das FG habe jedoch zu Unrecht die Einkünfte ganz überwiegend mit der Begründung von der deutschen Besteuerung ausgenommen, dass im Anwendungsbereich des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 die Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr als „in der Schweiz ausgeübt“ anzusehen sei, wenn der jeweilige Flug in der Schweiz beginne oder ende. Die Vorentscheidung sei deshalb aufzuheben. Denn die streitigen Einkünfte des Klägers seien nur insoweit von der deutschen Einkommensteuer (unter Progressionsvorbehalt) freizustellen, als er seine Tätigkeit nach dem Territorialitätsprinzip auf Schweizer Boden und im Schweizer Luftraum ausgeübt habe. Die dahin gehenden Feststellungen habe das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Der Kläger ist in den Streitjahren aufgrund seines inländischen Wohnsitzes nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG mit seinem Welteinkommen unbeschränkt steuerpflichtig. Er ist gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Schweiz 1971/2010 in den Streitjahren auch abkommensrechtlich in Deutschland ansässig. Denn der Kläger verfügte sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz über eine ständige Wohnstätte i.S.d. Art. 4 Abs. 2 Buchst. a Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 und hatte den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemäß Art. 4 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 in Deutschland. Aufgrund des Zusammenlebens mit seiner Familie in X unterhielt er die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen mit dem Vertragsstaat Deutschland.
II. Der Schweiz steht nach dem DBA-Schweiz 1971/2010 für die Einkünfte des Klägers aus nichtselbstständiger Arbeit i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, die dieser in den Streitjahren aus seiner Tätigkeit als angestellter Pilot bei der schweizerischen Fluggesellschaft erzielt hat, nicht das ausschließliche Besteuerungsrecht nach Art. 15 Abs. 1 und 3 DBA-Schweiz 1971/2010 zu. Vielmehr steht auch Deutschland als Ansässigkeitsstaat gemäß Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte zu.
1. Dies gilt zunächst für die Einkünfte, die der Kläger für die Tätigkeit im Rahmen reiner Inlandsflüge in der Schweiz erhalten hat. Nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen aus unselbstständiger Arbeit grundsätzlich in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Bezieher der Vergütungen ansässig ist (Ansässigkeitsstaat). Gemäß Art. 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DBA-Schweiz 1971/2010 können, wenn eine in einem Vertragsstaat ansässige Person Einkünfte aus einer im anderen Vertragsstaat ausgeübten unselbstständigen Arbeit bezieht, diese Einkünfte in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Danach steht der Schweiz als Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für die Vergütungen des Klägers für seine Tätigkeit im Rahmen reiner Inlandsflüge zu. Die Tätigkeit im Rahmen der Inlandsflüge gilt auch soweit sich diese auf den Luftraum über der Schweiz erstreckt als ausschließlich in der Schweiz ausgeübt. Das der Schweiz als Tätigkeitsstaat zustehende Besteuerungsrecht gemäß Art. 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 DBA-Schweiz 1971/2010 verdrängt jedoch nicht das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats (hier Deutschland). Vielmehr bleibt dieses daneben bestehen.
2. Ein ausschließliches Besteuerungsrecht steht der Schweiz auch nicht für die Vergütungen des Klägers zu, die dieser für die unselbstständige Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr erhalten hat. Nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 können unter anderem Vergütungen für unselbstständige Arbeit, die an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des (Luftfahrt-)Unternehmens befindet (Unternehmensstaat); werden die Vergütungen im Unternehmensstaat nicht besteuert, so können sie im Ansässigkeitsstaat besteuert werden (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010). Zu der Tätigkeit, die an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr ausgeübt wird, zählen dabei nicht nur die Tätigkeiten an Bord des Luftfahrzeugs selbst, sondern auch die Aufgaben an Land oder am Boden, wenn diese der Arbeit an Bord dienen oder mit der eigentlichen Arbeit an Bord inhaltlich verbunden sind (vgl. BFH, Urt. v. 20.05.2015 - I R 47/14 - BStBl II 2015, 808; Lieber, jurisPR-SteuerR 41/2015 Anm. 1). Im Streitfall ergibt sich mithin hinsichtlich der Vergütungen, die der Kläger für die Tätigkeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr und für die damit zusammenhängenden Aufgaben an Land oder Boden erzielt hat, ein Besteuerungsrecht der Schweiz. Denn der Ort der Geschäftsleitung der Fluggesellschaft, für die der Kläger fliegt, liegt in der Schweiz. Die Schweiz war mithin in den Streitjahren der Unternehmensstaat i.S.d. Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010. Dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 lässt sich indes nicht entnehmen, dass diese Einkünfte „nur“ in dem Unternehmensstaat (hier der Schweiz) besteuert werden dürfen. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats (hier Deutschland) wird von Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DBA-Schweiz 1971/2010 deshalb nicht berührt (vgl. BFH, Urt. v. 22.10.2003 - I R 53/02 - BStBl II 2004, 704 und BFH, Urt. v. 10.01.2012 - I R 36/11 - BFH/NV 2012, 1138).


D.
Auswirkungen für die Praxis
I. Die dadurch drohende Doppelbesteuerung löst – soweit es um die streitgegenständlichen Einkünfte des Klägers geht – Art. 24 Abs. 1 DBA-Schweiz 1971/2010 auf.
1. Nach Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 werden bei einer in Deutschland ansässigen Person die aus der Schweiz stammenden Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit i.S.d. Art. 15 DBA-Schweiz 1971/2010 mit Ausnahme der im Streitfall nicht in Betracht kommenden Einkünfte i.S.d. Art. 17 DBA-Schweiz 1971/2010 von der Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer ausgenommen, wenn sie nach den dem Art. 24 voranstehenden Artikeln des DBA-Schweiz 1971/2010 in der Schweiz besteuert werden können und die unselbstständige Arbeit in der Schweiz ausgeübt wird. Im Falle einer solchen Freistellung werden diese Einkünfte bei der Festsetzung des Satzes der Steuer auf die Einkünfte, die nach dieser Vorschrift nicht von der Bemessungsgrundlage auszunehmen sind, einbezogen (Freistellung mit Progressionsvorbehalt; Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 DBA-Schweiz 1971/2010 i.V.m. § 32b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG). Soweit die Voraussetzungen für eine Freistellung nicht vorliegen, wird bei den aus der Schweiz stammenden Einkünften die schweizerische Steuer nach Maßgabe der Vorschriften des deutschen Rechts über die Anrechnung ausländischer Steuern auf den Teil der deutschen Einkommensteuer angerechnet, der auf diese Einkünfte entfällt (Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 DBA-Schweiz 1971/2010 i.V.m. § 34c EStG). Danach sind die Einkünfte des Klägers, die er für die Tätigkeit im Rahmen reiner Inlandsflüge in der Schweiz erhalten hat, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen. Insoweit steht der Schweiz als Tätigkeitsstaat das Besteuerungsrecht für diese Vergütungen nach Art. 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 DBA-Schweiz 1971/2010 zu; ebenfalls gilt diese Tätigkeit als in der Schweiz ausgeübt.
2. Die Einkünfte des Klägers, die er für die unselbstständige Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr erhalten hat, sind demgegenüber nur insoweit von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer auszunehmen, als die Tätigkeit territorial auf dem Boden oder im Luftraum über der Schweiz ausgeübt wurde. Nur soweit der Kläger auf Schweizer Boden und im Schweizer Luftraum tätig geworden ist, gilt seine Tätigkeit i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 als „in der Schweiz ausgeübt“. Ausgehend vom Territorialitätsprinzip ist die Arbeit an Bord eines Luftfahrzeugs im internationalen Verkehr i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 – entgegen der Auffassung des FG – nicht bereits deshalb vollständig als „in der Schweiz ausgeübt“ anzusehen, weil der jeweilige Flug in der Schweiz begonnen und beendet worden ist. Vielmehr bedarf es hinsichtlich der internationalen Flüge einer Abgrenzung der zeitlichen Anteile der Tätigkeitsdauer in der Schweiz von den in anderen Staaten ausgeübten Zeitanteilen. Bei der Feststellung der anteiligen Tätigkeitszeiten auf Schweizer Boden und im Schweizer Luftraum, während der die Arbeit i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 Buchst. d DBA-Schweiz 1971/2010 in der Schweiz ausgeübt wurde, ist ausschließlich auf die konkreten Arbeitstage abzustellen, wohingegen Urlaubs- und Krankheitstage bei der Bestimmung des Umfangs der tatsächlichen Arbeitsausübung außer Ansatz bleiben.
II. Dabei obliegt es dem Steuerpflichtigen, die entsprechenden Tätigkeiten und den räumlichen Bezug im Einzelnen nachzuweisen. Legt er keine aussagekräftigen Unterlagen (z.B. Flugpläne) vor, sind die entsprechenden zeitlichen Anteile der Arbeitsausübung im Staatsgebiet oder im Luftraum der Schweiz zu schätzen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 AO).



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