juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 1. Senat, Urteil vom 13.11.2024 - I R 3/21
Autor:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D., RA
Erscheinungsdatum:21.07.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 20 EStG, § 8b KStG 1977, § 3c EStG, § 793 BGB, § 607 BGB, § 17 EStG, § 5 LiqV, § 246 HGB, § 39 AO 1977, § 340b HGB, § 84 WpHG, § 138d AO 1977, § 42 AO 1977, EUV 549/2013, EWGRL 635/86, EGRL 49/2006, EUV 2017/1131
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 29/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Fischer, jurisPR-SteuerR 29/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wirtschaftliches Eigentum an zur Sicherheit übereigneten Aktien - Grundfragen der Steuerumgehung



Leitsätze

1. Zur Sicherheit übereignete Aktien sind dem Sicherungsnehmer als Inhaber der Aktien zuzurechnen, wenn dieser die wesentlichen mit den Aktien verbundenen Rechte (insbesondere Veräußerung und Ausübung von Stimmrechten) rechtlich und tatsächlich ab dem Eigentumsübergang unabhängig vom Eintritt eines Sicherungsfalls ausüben kann.
2. Bei der Prüfung der steuerlichen Zurechnung AO ist zu prüfen, wem die wesentlichen mit dem Vollrecht an Aktien verbundenen Rechte objektiv und in tatsächlicher Hinsicht zustehen; nicht relevant ist, ob der Inhaber dieser Rechte sie subjektiv auch wahrnehmen möchte.
3. Aus einer zeitlich nach dem Streitjahr eingeführten spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift (hier: § 8b Abs. 10 KStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008) lässt sich nicht im Wege eines Umkehrschlusses die Folgerung ziehen, dass eine von ihr erfasste Sachverhaltskonstellation vor dem Inkrafttreten den Tatbestand der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 42 AO nicht erfüllen kann.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung befasst sich mit den auf der Grundlage eines Rahmenvertrags geschlossenen echten Wertpapierpensionsgeschäften (§ 340b Abs. 2 HGB) verbunden mit zeitgleichen gegenläufigen Wertpapierdarlehensgeschäften – umgangssprachlich auch als „Wertpapierleihe“ bezeichnet – und der Absicherung der jeweils darlehensweise überlassenen Wertpapiere durch eine Übertragung von Aktien einer börsennotierten britischen Aktiengesellschaft. Der I. Senat führt seine Rechtsprechung fort, nach welcher das wirtschaftliche Eigentum nicht nur durch eine „Macht, den zivilrechtlichen Eigentümer auszuschließen“, sondern auch durch eine „aktive Nutzungsmacht“ zu bestimmen ist. Seiner Auffassung, für die Annahme einer „unangemessenen Gestaltung“ sei der Umstand wesentlich, ob die Absicherung des Wertpapierdarlehens „auch außersteuerliche Gründe gehabt hat“, kann nicht gefolgt werden. Denn für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs ist darzulegen, dass und welches Gesetz umgangen wird. Das Fehlen von außersteuerlichen Gründen für eine Gestaltung kann für sich allein keine Gesetzesumgehung begründen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin erwarb von der Bank zu verschiedenen Zeitpunkten festverzinsliche Wertpapiere zum Preis von insgesamt … Euro. Die Geschäfte waren kombiniert mit einer Rückkaufvereinbarung (Repo), nach welcher die Klägerin die Wertpapiere zu einem bestimmten vereinbarten Zeitpunkt an die Bank zurückübertragen musste. Beim Rückkauf zum ursprünglichen Kaufpreis erhielt die Klägerin einen zuvor jeweils ausgehandelten sog. Repozins. Die jeweils im Rahmen der Wertpapierpensionsgeschäfte von der Bank erworbenen festverzinslichen Wertpapiere übertrug die Klägerin für die Laufzeit der Wertpapierpensionsgeschäfte darlehensweise unmittelbar an die Bank zurück (Wertpapier-Sachdarlehen i.S.d. § 607 Abs. BGB). Dafür erhielt sie eine „Leihgebühr“. Zur Absicherung der jeweils darlehensweise überlassenen Wertpapiere übertrug die Bank der Klägerin das Eigentum an einem Aktien-Collateral an börsennotierten britischen Aktiengesellschaften. In die Zeit der Haltedauer der Klägerin fiel der Dividendenstichtag. Für die Übertragung des Aktien-Collaterals hatte die Klägerin eine „Arrangierungsgebühr“ i.H.v. 2,2% der unter den Aktien effektiv gezahlten Dividenden an die Bank zu zahlen. Diese Gebühr sollte wirtschaftlich die Prämie dafür sein, dass die Bank die Aktien während der Laufzeit des Wertpapierdarlehens nicht (oder im Rahmen eines Leerverkaufs nur mit zusätzlichem Risiko) verkaufen konnte und zudem auch noch den Kursverlust aufgrund der Dividendenzahlung hinnehmen musste. Während der Haltedauer von wenigen Tagen - bis maximal drei Wochen – wurde die Klägerin über das elektronische Börsensystem als Anteilseignerin geführt.
Die Auswahl der als Sicherheiten zu übertragenden Aktien wurde durch einen Mitarbeiter der Wertpapierabteilung der Klägerin vorgenommen. Dieser wählte Aktien, deren Dividendenstichtag kurz bevorstand, und er ließ diese vor Ausschüttung auf die Klägerin übertragen. Nach der Dividendenausschüttung wurden die Aktien regelmäßig gegen andere Aktien aus dem Bestand der Bank getauscht, für die eine Dividendenzahlung anstand. Die Auswahl im Rahmen des Austauschs erfolgte ebenfalls durch einen Mitarbeiter der Wertpapierabteilung der Klägerin. Die Klägerin hielt die auf sie übertragenen Aktien jeweils für einen Zeitraum von wenigen Tagen bis zu maximal drei Wochen. Kursschwankungen der Aktien wurden bei Überschreitung eines Schwellenwerts von … Euro über sogenannte Marginzahlungen ausgeglichen.
Die Klägerin erfasste die an sie zur Sicherheit übertragenen britischen Aktien zum Zeitpunkt der Gutschrift in ihrem Wertpapierdepot mit dem Kurswert. Sie setzte in gleicher Höhe eine auf Rückübertragung dieser Aktien gerichtete Verbindlichkeit an. Bei Rückgabe oder Austausch der Aktien beziehungsweise der Beendigung des Wertpapierdarlehens buchte sie die Aktien und die Verbindlichkeit auf Rückübertragung mit dem gleichen Wert aus, so dass sich aus der Gestellung von Sicherheiten selbst keine Gewinnauswirkung ergab.
Die bezogenen Dividenden wurden bei der Klägerin nach § 8b Abs. 1 KStG als steuerfrei behandelt. Gemäß § 8b Abs. 5 KStG erfolgte eine außerbilanzielle Hinzurechnung zum Gewinn i.H.v. … Euro. Die Kompensationszahlungen behandelte die Klägerin in voller Höhe als Betriebsausgabe. Aus dem einheitlich behandelten Pensionsgeschäft und dem Wertpapierdarlehen ergab sich vor Steuern im Streitjahr ein Ertrag von … Euro.
Das Finanzamt sah in den Geschäften einen Gestaltungsmissbrauch zwecks Generierung eines steuerlichen Verlustes, der wirtschaftlich tatsächlich nicht entstanden sei. Es nahm ferner eine Umgehung von § 8b Abs. 7 KStG an. Es erhöhte das zu versteuernde Einkommen der Klägerin für das Streitjahr um die bezogenen Dividenden. abzüglich des nach § 8b Abs. 5 KStG nicht abziehbaren Betrags. Es liege eine unangemessene rechtliche Gestaltung vor, denn die Wertpapierleihe diene keinem wirtschaftlichen Zweck, sondern führe nur durch die Ausnutzung der Steuerfreiheit nach § 8b Abs. 1 KStG zu einer positiven Rendite. Ohne die steuerliche Komponente sei bezüglich der Wertpapierleihe ein wirtschaftlicher Verlust entstanden. Die hiergegen erhobene Klage hat das FG München als unbegründet abgewiesen (Urt. v. 14.12.2020 - 7 K 899/19 - EFG 2021, 723). Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Der BFH führte zur Begründung aus:
I. Bei der Ermittlung des Einkommens bleiben Bezüge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG außer Ansatz (§ 8b Abs. 1 Satz 1 KStG). Diese Steuerbefreiung von Dividenden setzt voraus, dass der Klägerin die Dividenden steuerrechtlich zuzurechnen sind. Wer Anteilseigener und damit Bezieher von Einkünften ist, bestimmt sich nach § 20 Abs. 2a Satz 2 EStG. Nach Auffassung des BFH – entgegen der Ansicht des FG – waren die streitgegenständlichen britischen Aktien im Zeitpunkt der Dividendenausschüttung gemäß § 39 AO der Klägerin steuerrechtlich zuzurechnen.
1. § 340b HGB ist auf die vereinbarte Gestellung von Sicherheiten vorliegend nicht anwendbar. Diese Vorschrift regelt „echte Pensionsgeschäfte“, bei denen eine entgeltliche Übertragung von Wirtschaftsgütern vom Pensionsgeber auf den Pensionsnehmer sowie die entgeltliche Rückübertragung vereinbart ist (BFH, Urt. v. 11.01.2024 - IV R 24/21 Rn. 50 - BFH/NV 2024, 769). Dies ist hier nicht der Fall.
2. Wirtschaftliches Eigentum i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO erlangt der Erwerber von Anteilen an Kapitalgesellschaften dann, wenn er alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen (Verwaltungs- und Vermögens-)Rechte (insbesondere Gewinnbezugs- und Stimmrechte) ausüben kann und die mit den Wertpapieren gemeinhin verbundenen Kursrisiken und -chancen auf ihn übergegangen sind (BFH, Urt. v. 02.02.2022 - I R 22/20 Rn. 41 - BStBl II 2022, 324). Kann der Sicherungsnehmer – anders als im Regelfall des Sicherungseigentums – rechtlich und tatsächlich jederzeit – auch ohne Eintritt des Sicherungsfalls – das Sicherungseigentum veräußern, liegen die Voraussetzungen des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht vor, so dass das betreffende Wirtschaftsgut dem Sicherungsnehmer und Eigentümer zugerechnet wird. Die Klägerin als Sicherungsnehmerin der britischen Aktien durfte diese jederzeit auch ohne Eintritt eines Sicherungsfalls veräußern. Insofern gleicht die Sicherungsabrede einem Wertpapierdarlehen. Denn die Klägerin erhielt nach der getroffenen Vereinbarung, wie der Darlehensnehmer eines Wertpapierdarlehens, uneingeschränktes (Voll-)Eigentum an den britischen Aktien und schuldete bei Beendigung des abgesicherten Geschäfts die Rückübertragung gattungsgleicher Aktien und keine Rückgabe der nämlichen Aktien.
Der Fall, dass dem Darlehensnehmer lediglich eine formale zivilrechtliche Rechtsposition verschafft werden sollte (vgl. z.B. BFH, Urt. v. 18.08.2015 - I R 88/13 - BStBl II 2016, 961), liegt hier nicht vor.
3. Die Klägerin war vor der Fassung des Ausschüttungsbeschlusses nicht nur zivilrechtliche Eigentümerin der britischen Aktien. Die Aktien waren ihr zu diesem Zeitpunkt auch als wirtschaftliches Eigentum zuzurechnen. Entscheidend ist, dass der Klägerin die Ausübung der mit den Aktien verbundenen Stimmrechte und die Möglichkeit zur Realisation einer Kursänderung der Aktien rechtlich zugestanden haben und ihr auch tatsächlich möglich gewesen sind. Die Klägerin war vertraglich lediglich verpflichtet, nach Beendigung der besicherten Geschäfte (hier: der Wertpapierdarlehensgeschäfte) gattungsgleiche Aktien an die Bank zurückzuübertragen. Aus den vom FG getroffenen Feststellungen ergeben sich auch keine faktischen Verfügungsbeschränkungen, aufgrund derer die Klägerin an einer Veräußerung gehindert gewesen wäre, weil sie mit einer jederzeitigen kurzfristigen Fälligkeit der Rückübertragungsverpflichtung hätte rechnen müssen.
Schließlich steht auch die zeitliche Dauer der besicherten Wertpapierdarlehensgeschäfte und die damit einhergehende Dauer der Sicherungsübereignung der britischen Aktien der Möglichkeit, diese tatsächlich zu veräußern, nicht entgegen.
II. Der BFH konnte wegen fehlender Feststellungen des FG nicht abschließend entscheiden, ob die Übertragungen der britischen Aktien zur Sicherung der abgeschlossenen Wertpapierdarlehensgeschäfte jeweils als eine unangemessene Gestaltung i.S.d. § 42 AO anzusehen sind.
1. § 8b Abs. 10 KStG i.d.F. des UntStRefG 2008 kann § 42 AO im Streitjahr schon mangels zeitlicher Anwendbarkeit nicht als spezialgesetzliche Missbrauchsvermeidungsvorschrift verdrängen.
2. Für die Beurteilung des Vorliegens einer unangemessenen Gestaltung dürfte der Umstand wesentlich sein, ob die Absicherung des Wertpapierdarlehens durch die Übertragung der britischen Aktien auch außersteuerliche Gründe gehabt hat. Denn hat eine Gestaltung überhaupt keinen über die Verschaffung eines Steuervorteils hinausgehenden eigenen wirtschaftlichen Zweck, ist dies ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen einer missbräuchlichen Gestaltung.
III. Sollte das FG im zweiten Rechtszug keine außersteuerlichen Gründe für die Besicherung der Wertpapierdarlehensgeschäfte feststellen können, dürfte in der vereinbarten Gestellung der Sicherheiten eine missbräuchliche Gestaltung zu sehen sein. Denn die Besicherung hätte dann allein dem Zweck gedient, die mit den vereinnahmten Dividenden im Zusammenhang stehenden Beteiligungsaufwendungen, die der Gesetzgeber zur Vermeidung von Nachweisschwierigkeiten typisierend auf 5% der Dividenden bestimmt hat, mittels Einschaltung einer Körperschaft, die nach § 8b Abs. 7 KStG von der Anwendung des § 8b Abs. 1 bis 6 KStG ausgenommen ist, künstlich in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Weise auf einen Anteil von 100% der Dividenden zu erhöhen mit der Folge, dass der Klägerin entgegen dem in § 3c EStG zum Ausdruck gekommenen steuerlichen Grundsatz, dass Aufwendungen nicht abgezogen werden dürfen, die im Zusammenhang mit steuerfreien Einnahmen stehen, der Abzug entsprechender Aufwendungen in erheblichem Umfang – nämlich im wirtschaftlichen Ergebnis i.H.v. 95% der vereinnahmten Dividenden – möglich wäre.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung wirft zahlreiche – zum Teil ungelöste – Probleme auf, die hier aus Platzgründen nur angedeutet werden können.
I. 1. Ein Wertpapierpensionsgeschäft (BFH, Urt. v. 29.11.1982 - GrS 1/81 Rn. 42 - BStBl II 1983, 272; lesenswert Anzinger, StuW 2022, 194; vgl. auch Bleschik in: Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl. 2025, § 20 Rn. 166) ist ein Handelsgeschäft, bei dem der Pensionsgeber ihm gehörende Vermögensgegenstände – vor allem Darlehensforderungen, Wechsel, Wertpapiere – an den Pensionsnehmer für einen vereinbarten Zeitraum – meist weniger als ein Jahr – gegen Zahlung eines Entgelts (BFH, Urt. v. 11.01.2024 - IV R 24/21 Rn. 50 - BFH/NV 2024, 769) bei gleichzeitig vereinbartem Rückkauf überträgt. Der Verleiher überlässt dem Entleiher aus seinem Portfolio gegen eine Leihgebühr für einen befristeten oder unbefristeten Zeitraum Wertpapiere (Renten oder Aktien). Die Wertpapiere werden gegen Leistung eines Entgelts zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung (Übergang aller Rechte aus dem Papier, auch diejenigen Rechte zum Weiterverkauf oder zur Verpfändung) überlassen.
2. Art. 2 Nr. 4 VO (EU) 2017/1131 v. 14.06.2017 über Geldmarktfonds definiert das Pensionsgeschäft als „eine Vereinbarung, durch die eine Partei einer Gegenpartei Wertpapiere oder darauf bezogene Rechte i.V.m. der Verpflichtung überträgt, sie zu einem festgelegten oder noch festzulegenden späteren Zeitpunkt zu einem festgelegten Preis zurückzukaufen ...“.
Legaldefinitionen des echten und des unechten Pensionsgeschäfts und Vorschriften über den Ausweis der übertragenen Vermögensgegenstände in den Bilanzen von Pensionsgeber und Pensionsnehmer enthält Art. 12 der Richtlinie 86/635 (EWG) v. 08.12.1986 über den Jahresabschluss und den konsolidierten Abschluss von Banken und anderen Finanzinstituten. Zur Bilanzierung bestimmt Art. 12 Abs. 4 dieser Richtlinie, dass bei echten Pensionsgeschäften „die übertragenen Vermögensgegenstände weiterhin in der Bilanz des Pensionsgebers auszuweisen sind“; der vom Pensionsgeber dafür entgegengenommene Kaufpreis ist als Verbindlichkeit gegenüber dem Pensionsnehmer auszuweisen. Hiernach bleibt der Pensionsgeber wirtschaftlicher Eigentümer der übertragenen Wirtschaftsgüter (dies bleibt dahingestellt im BFH, Urt. v. 11.01.2024 - IV R 24/21 Rn. 50 m.w.N. - BFH/NV 2024, 769) Ihm sind die Wertpapiererträge zuzurechnen (§ 793 BGB). Bei unechten Pensionsgeschäften „darf der Pensionsgeber die Vermögensgegenstände nicht mehr bilanzieren; diese sind beim Pensionsnehmer zu aktivieren“ (Art. 12 Abs. 5 der Richtlinie 86/635 EWG). Art. 2 Nr. 4 VO (EU) 2017/1131 v. 14.06.2017 über Geldmarktfonds definiert das „Pensionsgeschäft“ als „eine Vereinbarung, durch die eine Partei einer Gegenpartei Wertpapiere oder darauf bezogene Rechte i.V.m. der Verpflichtung überträgt, sie zu einem festgelegten oder noch festzulegenden späteren Zeitpunkt zu einem festgelegten Preis zurückzukaufen ...“.
Vgl. auch Rn. 5.126 ff der VO (EU) Nr. 549/2013 zum Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen auf nationaler und regionaler Ebene in der EU: „Bei den bei ... Wertpapierpensionsgeschäften bereitgestellten Wertpapieren wird kein Übergang des wirtschaftlichen Eigentums angenommen, weil der Verleiher nach wie vor den Ertrag aus dem Wertpapier erhält und bei allen Schwankungen des Wertpapierpreises die Risiken trägt und die Vorteile genießt.“
3. Die Definitionen des echten und des unechten Pensionsgeschäfts in Art. 12 der Richtlinie 86/635 (EWG) sind umgesetzt worden durch § 340b Abs. 2 und 3 HGB. Ist der Pensionsnehmer lediglich berechtigt, den Vermögensgegenstand zurückzuübertragen, handelt es sich um ein unechtes Pensionsgeschäft (§ 340b Abs. 3 HGB). Vom unechten Wertpapierpensionsgeschäft unterscheidet sich die Wertpapierleihe dadurch, dass der Pensionsnehmer nur das Recht, nicht aber die Pflicht zur Rückgabe hat, während der Entleiher stets zur Rückgabe verpflichtet ist (BFH, Urt. v. 20.11.2007 - I R 85/05 - BStBl. II 2013, 287 - BFHE 223, 414).
Zur Bilanzierung bestimmt § 340b Abs. 4 HGB:
1Im Falle von echten Pensionsgeschäften sind die übertragenen Vermögensgegenstände in der Bilanz des Pensionsgebers weiterhin auszuweisen. 2Der Pensionsgeber hat in Höhe des für die Übertragung erhaltenen Betrags eine Verbindlichkeit gegenüber dem Pensionsnehmer auszuweisen.“
Wegen der Einzelheiten insb. der Bilanzierung wird auf die Kommentare zu § 340b HGB verwiesen. Die Definitionen des § 340b HGB entsprechen nach h.M. den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB; dahingestellt in BFH, Urt. v. 11.01.2024 - IV R 24/21 Rn. 50 - BFH/NV 2024, 769).
4. Auch zu „Wertpapierleihen“ gibt es europarechtliche Vorgaben.
Art. 3 Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 2006/49/EG besagt: „Wertpapierverleihgeschäfte bzw. -leihgeschäfte“ sind Geschäfte, durch die ein Institut oder seine Gegenpartei Wertpapiere bzw. Waren gegen entsprechende Sicherheiten überträgt. Diese Übertragung erfolgt i.V.m. der Verpflichtung, dass die die Wertpapiere bzw. Waren entleihende Partei zu einem späteren Zeitpunkt oder auf Ersuchen der übertragenden Partei gleichwertige Papiere bzw. Waren zurückgibt. Bei einem Wertpapierdarlehen („Wertpapierleihe/-entleihe“; Securities Lending and Repurchase Agreements) handelt es sich zivilrechtlich um ein Sachdarlehen i.S.d. § 607 BGB. Vgl. auch BMF-Schreiben v. 09.07.2021 (BStBl I 2021, 1002) und BMF-Schreiben v. 09.07.2021 (BStBl I 2021, 995 – Steuerliche Behandlung von „Cum/Cum-Transaktionen“). Tatbestandlich ist dies jedes Geschäft, das unter die entsprechende Definition in Art. 3 Abs. 1 Buchst. n der Richtlinie 2006/49/EG fällt. Der Verleiher überlässt für einen befristeten oder unbefristeten Zeitraum Wertpapiere – Renten oder Aktien – aus seinem Portfolio einem Entleiher gegen eine Leihgebühr. Die Wertpapiere werden zu vollem Eigentum und zu freier Verfügung – Übergang aller Rechte aus dem Papier, auch die Rechte zum Weiterverkauf oder zur Verpfändung – überlassen. Der Darlehensnehmer verpflichtet sich, nach Ablauf der Vertragslaufzeit Papiere gleicher Art, Güte und Menge – nicht: dieselben Papiere – zurückzuübereignen (BFH, Urt. v. 29.09.2021 - I R 40/17 Rn. 33 - BStBl II 2023, 127). Vgl. auch Art. 2 Nr. 6 VO (EU) 2017/1131. Bei der Wertpapierleihe bleiben die Chancen und Risiken von Wertänderungen im Regelfall beim Verleiher (Darlehensgeber), da er Wertpapiere gleicher Ausstattung und Menge („gleicher Gattung“) zurückerhält. Bei einem derartigen Geschäft liegt keine Veräußerung i.S. des § 17 Abs. 1 EStG vor. Der Verleiher erhält i.d.R. aufgrund schuldrechtlicher Abrede ein Entgelt als Ersatz für entgehende Dividendenerträge (sog. Kompensations- oder Ausgleichszahlung).
Nach h.M. wird der Darlehensnehmer zivilrechtlicher und wirtschaftlicher Eigentümer der erworbenen Wertpapiere; er muss diese in seiner Bilanz aktivieren.
Es ist ferner hinzuweisen auf § 5 Abs. 3 VO über die Liquidität der Institute-Liquiditätsverordnung (LiqV) v. 01.03.2011 „Wertpapierpensions- und Wertpapierleihgeschäfte“: „Im Rahmen von Leihgeschäften übertragene Wertpapiere sind vom Bestand des Verleihers abzusetzen und dem Entleiher zuzurechnen.“
II. Der BFH sieht die Rechtsgrundlage für eine subjektive Zurechnung der Wertpapiere in § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO. Zu denken ist freilich auch daran, dass § 340b HGB einen handelsrechtlichen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) festschreibt, der die Zurechnung nach § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB konkretisiert (vgl. Anzinger, StuW 2022, 194, 199 f.). Es wäre dann die Frage zu beantworten, ob die speziellen Normen der Gewinnermittlung der allgemeinen Zurechnungsregel des § 39 AO vorgehen (statt vieler Reddig in Kirchhof/Seer, EStG, 24. Aufl. 2025, § 5 EStG Rn. 78).
Will man hier § 39 AO anwenden, ist zu bedenken, dass der BFH in seinem Urt. v. 02.02.2022 (I R 22/20 Rn. 35 ff. - BStBl II 2022, 324; Anm. Jachmann-Michel, jurisPR-SteuerR 17/2022 Anm. 1) die Rechtsgrundsätze zur Auslegung des Rechtsbegriffs „wirtschaftliches Eigentum“ präzisiert hat. Er hat betont, dass die Generalklausel des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 „keine trennscharfen Abgrenzungskriterien“ gebe. Die Fallgruppenbildung und eine wertende Zuordnung stehen im Vordergrund. Der Rechtsbegriff beschreibt inhaltlich die „tatsächliche Sachherrschaft“ über ein Wirtschaftsgut. „Als Indizien für das Vorliegen wirtschaftlichen Eigentums gelten Kostentragung, (dauerhafte) Nutzung, Teilnahme an Wertsteigerungen und ein (Wert-)Ersatzanspruch gegen den rechtlichen Eigentümer.“ Der BFH wendet sich – endgültig und ausdrücklich – von der Seeliger’schen Formel vom Ausschluss des zivilrechtlichen Eigentümers ab und zieht eine „aktive Nutzungsmacht“ und die wirtschaftliche Verfügungsbefugnis als weiteres Zurechnungskriterium heran (zutreffend Anzinger, StuW 2022, 194, 202):
„Als abstrakte Zurechnungskriterien können sowohl eine ‚Ausschließungsmacht‘ (‚der Andere hat jedenfalls faktisch die negativen Befugnisse des Eigentümers inne, d.h. er kann (gerade) den Eigentümer an der Sachnutzung hindern‘) als auch eine ‚aktive Nutzungsmacht‘ (‚der Andere hat jedenfalls faktisch die positiven Befugnisse des Eigentümers inne, d.h. er kann wie ein Eigentümer z.B. Nutzungen ziehen‘) gelten, ebenfalls wird auf ‚eine gesicherte Erwerbsaussicht kraft Übertragungsanspruchs‘ hingewiesen. ... Auch wenn der Gesetzeswortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO nur das erste Kriterium anführt, lässt sich der Norm darüber hinausgehend als Leitprinzip auch für eine der Wirtschaftsgutzurechnung in aller Regel folgenden Einkünftezurechnung als tragender Rechtsgrundsatz entnehmen, dass es auf eine ‚wirtschaftliche Dispositionsbefugnis‘ ankommt, weil sie die Herrschaft über die Leistungsbeziehung (als Grundlage der Einkünfteerzielung) ermöglicht. Diese Dispositionsbefugnis (die sich für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern auf die nutzungsrelevante Lebensdauer des Wirtschaftsguts bezieht) gehört grundsätzlich zur Rechtssphäre des zivilrechtlichen Eigentümers (sie ist in der Regel Ausfluss der Sachherrschaft), sie kann aber auch – ggf. sogar ohne rechtfertigenden Grund durch die Rechtsordnung – einer anderen Person zustehen.“
III. 1. Zugleich hat der BFH in seinem Urt. in BStBl II 2022, 324 die Priorität dieser Fragen vor der Anwendung des § 42 betont „und die Bedeutung von Gesamt-Vertragskonzepten für die Zurechnung von Aktiengeschäften“ hervorgehoben: „Wirtschaftliches Eigentum ... wird bei sog. Cum/Ex-Geschäften nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der zivilrechtliche Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll ...“ und „das für den Tatbestand wirtschaftlichen Eigentums maßgebende ‚Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall‘ ... dazu führt, dass auf der Grundlage eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts von einer ‚tatsächlichen Herrschaft ...‘ des Erwerbers über die Aktien nicht gesprochen werden kann.“ „Dabei kommt es bei einem solchen Gesamtvertragskonzept nicht darauf an, wie einzelne Teilkomponenten steuerrechtlich zu bewerten sind . . .; vielmehr sind – wie auch entsprechend in der Situation des § 42 AO – bei einem auf einer einheitlichen Planung der Beteiligten beruhenden Gestaltungskonzept die einzelnen Verträge für die steuerrechtliche Beurteilung zusammenfassend zu betrachten und unter den jeweiligen Steuertatbestand zu subsumieren ...“
2. Damit wird der Sache nach die „Rechtsfigur des Gesamtplan“ angesprochen. Diese kommt vorliegend ins Blickfeld. Immerhin hat die Klägerin von der Bank im Wege eines echten Wertpapierpensionsgeschäfts (§ 340b Abs. 2 HGB) Wertpapiere erworben. Diese Wertpapiere hat die Klägerin für die Laufzeit letzterer Geschäfte darlehensweise („Wertpapier-Darlehensgeschäfte“) unmittelbar an die Bank zurückübertragen. Dies ist eine merkwürdige Konstellation, deren Gegenläufigkeit auffällt. Ob angesichts dessen für das Darlehen eine „Finanzsicherheit“ (§ 84 WpHG) gestellt werden musste, ist zweifelhaft. Jedenfalls hätte es hier nahegelegen, nicht lediglich die „einzelnen Teilkomponenten“ zu bewerten, sondern diese „zusammenfassend“ als Gesamt-Gestaltungskonzept zu betrachten.
IV. Der „Gesamtplan“ hat sich im nationalen wie im europäischen Recht als Instrument der Rechtsanwendung etabliert. Z.B. normiert § 138d Abs. 2 Satz 2 AO, dass eine grenzüberschreitende Steuergestaltung auch dann vorliegt, wenn sie aus einer Reihe von Gestaltungen besteht und nur ein Schritt oder Teilschritt der Reihe einen grenzüberschreitenden Bezug hat. Diese findet sich auch in Art. 6 Abs. 1 ATAD II. Exemplarisch hierfür ist die gesamtplanmäßige Verbindung von Ausweich- und Korrekturgeschäft – „gegenläufige“, „sich wirtschaftlich gegenseitig neutralisierende Rechtsgeschäfte“ (zutreffend BFH, Urt. v. 12.06.2018 - VIII R 32/16 - BFHE 262, 74 = BFH/NV 2018, 1184) bzw. zirkuläre Kettung von Rechtsgeschäften betreffen eine Mehrzahl von Rechtsgeschäften, die auf einem einheitlichen Plan (= „Gesamtplan“) beruhen. Diese stehen in engem zeitlichen und sachlichen, von einem „Mastermind“ beherrschten Zusammenhang auch eines interpersonellen Vertragsgeflechts, das auch aus mehr als zwei Beteiligten bestehen kann. Sie heben sich in ihrer Wirkung auf und erweisen sich „im Ergebnis lediglich als formale Maßnahme“. Entscheidend sind der Zweck des Gesetzes und der Realitätsbezug des Steuerrechts („réalisme du droit fiscal“; „realistic view on the facts“). Die Teilschritte des zusammengesetzten Gesamtakts sind nach dem Grundsatz Substance Over Form unbeachtlich und sollen nicht „eintreten und bestehen“. Die Zusammenfassung zu einem einheitlichen Vorgang dient mit der Ausgrenzung nur „papierener“ Zwischenschritte der Aufbereitung des Sachverhalts für eine teleologisch geleitete Subsumtion unter das einschlägige Gesetz. Der „Gesamtplan“ hat sich im nationalen wie im europäischen Recht als Instrument der Rechtsanwendung etabliert (aus. Fischer in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 42 AO Rn. 371 ff., 591 ff., 601 ff.).
Bei der hiernach gebotenen „Gesamtwürdigung“ kommt es nicht explizit auf einzelne Strukturkomponenten oder allein den Umstand einer „modellhaften Strukturierung“ an, sondern auf ein abgestimmtes „Gesamtvertragskonzept“ (BFH, Urt. v. 02.02.2022 - I R 22/20 - BStBl II 2022, 324; vgl. bereits Schwenke, jM 2015, 83, 85; Jachmann-Michel, jM 2022, 209, 211). Dieser Rechtsbegriff wird auch in der vorliegend besprochenen Entscheidung zwar nicht benannt, aber der Sache nach aufgenommen (dort Rn. 25). Die Verweisung des Urt. Urt. v. 02.02.2022 - I R 22/20 - BStBl II 2022, 324 auf das BFH, Urt. v. 27.10.2005 (IX R 76/03 - BStBl II 2006, 359), das sich mit dem Nullsummenspiel (FG München, Urt. v. 27.10.2023 - 8 K 797/22 Rn. 98 - EFG 2024, 565) sich gegenseitig aufhebender Rechtsfolgen befasst, belegt, dass hier der Gesamtplan abgehandelt wird, der den dogmatischen Grundlagen des § 42 AO zuzuordnen ist.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die vom FG offengelassene Frage, ob die vereinbarte Sicherheitengestellung in Form britischer Aktien im konkreten Streitfall eine missbräuchliche Gestaltung darstellt, hat das FG im zweiten Rechtsgang aufzuklären. Hier wird das FG zu berücksichtigen haben, dass die Gesetzesumgehung sich jedenfalls nicht für sich allein damit begründen lässt, dass für die gewählte Gestaltung keine „außersteuerlichen Gründe“ vorliegen. Maßgebend ist die Feststellung, dass ein bestimmtes Gesetz umgangen wird (vgl. Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, FGO, § 42 AO Rn. 268). Zutreffend weist der BFH hin auf die Steuernorm, deren Umgehung vorliegend in Frage steht. Diese Norm kann durch vom Steuerpflichtigen vorgetragene „Good Business Reasons“ nicht außer Kraft gesetzt werden (anders wohl von der Meden/Reichling/Solka, jurisPR-StrafR 7/2025 Anm. 1 unter D.).



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