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Anmerkung zu:OLG Brandenburg 12. Zivilsenat, Beschluss vom 19.12.2024 - 12 U 118/24
Autor:Rainer Wenker, Ass. jur.
Erscheinungsdatum:21.05.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 18 StVG, § 286 ZPO, § 9 StVG, § 254 BGB, § 1 StVO, § 2 StVO, § 3 StVO, § 4 StVO, § 7 StVG, § 5 StVO
Fundstelle:jurisPR-VerkR 10/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Wenker, jurisPR-VerkR 10/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unfall im engen Begegnungsverkehr zwischen Rennradfahrer und Kleinbus



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Eine Gefährdungshaftung aus der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs erfordert kein verkehrswidriges Verhalten. Erforderlich ist aber, dass die Fahrweise oder sonstige Beeinflussung des Verkehrs zu der Entstehung des Unfalls beigetragen hat. Dies folgt aus dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG.
2. Im Begegnungsverkehr zwischen Kraftfahrzeug und Radfahrer ist ein von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängiger Mindestabstand zu dem Radfahrer einzuhalten. Der gesetzliche Mindestabstand nach § 5 Abs. 4 StVO gilt jedoch nur beim Überholen, nicht im Begegnungsverkehr.
3. Sofern ein Radfahrer bei engen Straßenverhältnissen wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs abbremst, ein mit geringem Abstand nachfolgender Radfahrer nicht rechtzeitig reagieren kann und daher ausweicht, so dass es zu einer Kollision mit dem Kraftfahrzeug kommt, ist dies von ihm zu vertreten.
4. Dies gilt insbesondere, wenn der Radfahrer einen sog. Triathlonlenker nutzt, der im Vorbau keine Bremshebel aufweist, so dass zum Bremsen erst an den eigentlichen Lenker umgegriffen werden muss.



A.
Problemstellung
Auf einer schmalen Fahrbahn fuhren der Kläger und seine vor ihm fahrende Ehefrau mit Triathlon-Rennrädern. Wegen eines entgegenkommenden Kleinbusses bremste die Ehefrau ab. Deshalb wich der Kläger nach links aus und kollidierte seitlich mit dem Kleinbus.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Kläger macht Schadenersatzansprüche und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall geltend. Er fuhr auf einem Triathlon-Fahrrad hinter der Zeugin. Aus der Gegenrichtung kam der von der Beklagten geführte Kleinbus. Nachdem die Zeugin bremste und der Kläger deshalb nach links auswich, kam es zur seitlichen Berührung des Fahrrades mit dem linken hinteren Kotflügel des Kleinbusses, infolgedessen der Kläger stürzte und sich verletzte. Der asphaltierte Weg hat eine Breite von 2,5 m. Ihm schlossen sich rechts und links unbefestigte Sandstreifen an.
Der Kläger trug vor, die Beklagte sei ohne zu bremsen und auf den unbefestigten Straßenrand auszuweichen gefahren und habe so die Kollision allein verursacht. Ein Ausweichen nach rechts auf den Sandstreifen sei für ihn und die Zeugin wegen der schmalen Reifen der Rennräder nicht möglich gewesen. Die Beklagte trug vor, der Unfall sei allein vom Kläger verursacht worden, weil er nach dem Abbremsen der Zeugin, mit dem er offenbar nicht gerechnet habe, nach links ausgewichen sei. Danach spreche bereits der Anscheinsbeweis zulasten des Klägers, dass er unaufmerksam, zu schnell oder mit zu geringem Sicherheitsabstand gefahren sei. Die Beklagte habe keine Ursache für dieses Verhalten gesetzt. Sie habe ihre Ausgangsgeschwindigkeit von ca. 50 km/h reduziert und sei auf den Seitenstreifen ausgewichen. Eine Passage wäre danach gefahrlos möglich gewesen. Sie habe nach der Berührung sofort angehalten, der Kläger habe dann ca. 2 m hinter dem Fahrzeug gelegen.
Das Landgericht wies die Klage ab und führte zur Begründung aus, es obliege dem Kläger als Radfahrer zu beweisen, dass sein Sturz durch das sich im Gegenverkehr nähernde Kraftfahrzeug mitbeeinflusst worden und nicht ein zufälliges Ereignis sei. Dies sei ihm nicht gelungen. Zwar sei der Begegnungsverkehr auf einer schmalen Straße von besonderen gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten geprägt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe jedoch fest, dass der Kläger wegen Nichteinhaltens eines Sicherheitsabstandes und ausreichenden Bremsweges gestürzt sei. Lediglich wegen des zuvor erfolgten Bremsmanövers der Zeugin habe er nach links ausweichen müssen. Dagegen legte der Kläger Berufung ein und führte aus, das Landgericht habe die Aussage der Zeugin übersehen, nach der sie eigentlich gehofft habe, dass der Transporter weiter auf den Sandstreifen ausweiche, dies jedoch nicht geschehen sei. Damit bestehe ein Zusammenhang zwischen dem Sturz des Klägers und dem Verhalten der Beklagten. Unzutreffend gehe das Landgericht auch von einem plötzlichen Bremsen der Zeugin aus.
Das OLG Brandenburg hat zunächst mit Beschluss vom 19.12.2024 darauf hingewiesen, dass es beabsichtige die Berufung zurückzuweisen. Mit Beschluss vom 21.01.2025 hat es die Berufung des Klägers dann zurückgewiesen.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ist die Klage unbegründet. Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Im Ausgangspunkt sei – anders als es das Landgericht dargestellt habe – der Schaden des Klägers i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeuges entstanden, so dass zunächst eine Haftung der Beklagten als Fahrerin des unfallbeteiligten Kleinbusses dem Grunde nach bestehe.
Dafür reiche zwar die bloße Anwesenheit des Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle nicht. Vielmehr müsse es durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zur Entstehung des Schadens beigetragen haben. Dabei brauche es nicht zu einer Kollision gekommen zu sein. „Bei dem Betrieb“ des Kraftfahrzeuges geschehen sei ein Unfall auch dann, wenn er unmittelbar durch das Verhalten des Verletzten oder eines Dritten ausgelöst werde, dieses aber in zurechenbarer Weise durch das Kraftfahrzeug des Inanspruchgenommenen (mit-)veranlasst sei. Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen – Abwehr- oder Ausweichreaktion sei ggf. dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zuzurechnen, das diese Reaktion ausgelöst habe. Das Tatbestandsmerkmal hänge hingegen nicht davon ab, ob sich der Fahrer eines Kraftfahrzeugs verkehrswidrig verhalten habe (BGH, Urt. v. 19.04.1988 - VI ZR 96/87).
Vorliegend habe es einen Kontakt zwischen dem Kläger und seinem Fahrrad einerseits und dem Kleinbus der Beklagten andererseits gegeben. Es stehe zudem unstreitig fest, dass die Zeugin aus Anlass der Vorbeifahrt der Beklagten gebremst und sich der Kläger dadurch veranlasst gesehen habe, auszuweichen. In dessen Folge sei er mit dem Kleinbus zusammengestoßen. An einem Zusammenhang mit dem Betrieb des Kleinbusses und dem Unfall bestehen daher keine Zweifel, unabhängig von der Frage, ob der Beklagten ein Verkehrsverstoß zur Last gelegt werden könne und ob der Kläger ggf. aus eigenem Verschulden den Unfall allein- oder mitverursacht habe. Somit hafte die Beklagte bereits aus der Betriebsgefahr.
Dies gelte nur dann nicht, wenn sie fehlendes Verschulden nachweisen könne (§ 18 Abs. 1 Satz 2 StVG) und/oder der Nachweis eines Mitverschuldens des Klägers gemäß § 9 StVG geführt werde. Für einen über die Betriebsgefahr hinausgehenden schuldhaften Verkehrsverstoß der Beklagten trage hingegen der Kläger die Beweislast. Einen solchen Verkehrsverstoß habe der Kläger nicht nachgewiesen. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe, sei der Begegnungsverkehr auf einer Straße, die erkennbar in der Breite nicht geeignet sei, ohne besondere Maßnahmen ein gefahrloses Passieren beider Verkehrsteilnehmer zu ermöglichen, von besonderer gegenseitiger Rücksichtnahme geprägt (§§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2, 3 Abs. 1 Sätze 2 und 5 StVO). Dabei sei dem Fahrzeugführer gegenüber dem Radfahrer der größere Pflichtanteil zuzuordnen. Denn ihm sei es in der Regel eher und leichter möglich, durch ein Ausweichen auf den vorhandenen unbefestigten Randstreifen die gefahrlose Passage zu ermöglichen (OLG Schleswig, Urt. v. 15.04.2010 - 7 U 17/09). Zudem habe er einen Mindestabstand zum Radfahrer einzuhalten, da bei Radfahrern immer mit gewissen Schwankungen in der Fahrweise zu rechnen sei. Dieser sei vom Einzelfall abhängig (OLG Hamm, Urt. v. 23.01.1997 - 6 U 163/96). § 5 Abs. 4 Satz 3 StVO gelte allerdings nur für das Überholen, nicht aber für die anderen Teilnehmer im Gegenverkehr oder bei deren Stillstand (Jahnke in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Aufl. 2024, § 5 StVO Rn. 119).
Ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot sei nicht nachgewiesen. Zwar habe der Kläger behauptet, die Beklagte habe die Fahrbahn nicht verlassen und sei auch auf seiner Fahrbahnhälfte gefahren. Dies habe auch die Zeugin bekundet. Dem stehe jedoch entgegen, dass alle Beteiligten die Unfallstelle in dem Bereich der von der Polizei auf der Fahrbahn aufgebrachten Markierungen verorten. Diese befinden sich etwa mittig auf der Straße. Bei einer vom Kläger dargestellten Fahrzeugbreite von 2,20 m und einer unstreitigen Fahrbahnbreite von 2,50 m sei es aber denknotwendig ausgeschlossen, dass die Beklagte nicht bereits die Fahrbahn mit den rechten Reifen zum Zwecke des Ausweichens wegen des Gegenverkehrs verlassen habe, wie sie es darstelle. Auch die Angabe der Zeugin, das Fahrzeug sei nur etwa 10 cm an ihr vorbeigefahren, überzeuge schon deshalb nicht, weil der Kläger angegeben habe, leicht zur Straßenmitte hin versetzt zu ihr gefahren und nach dem Abbremsen der Zeugin noch nach links ausgewichen zu sein, bis es dann zur Kollision gekommen sei. Insoweit sei jedenfalls der von der Zeugin dargestellte geringe Abstand nicht i.S.d. § 286 ZPO nachgewiesen.
Auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 5 StVO sei nicht bewiesen. Die Beklagte habe unwidersprochen ausgeführt, ihre Fahrgeschwindigkeit von ursprünglich 50 km/h deutlich herabgesetzt zu haben. Dafür spreche insbesondere auch der endgültige Haltepunkt des Fahrzeugs. Die Beklagte habe diesen Abstand unwidersprochen mit 2 Metern bemessen und auf die vorgelegten Fotos verwiesen. Selbst wenn diese Einschätzung nicht ganz zuträfe, spreche dieser Anhalteweg – für eine Gefahrenbremsung ist nichts vorgetragen – für eine geringe Ausgangsgeschwindigkeit von unter 20 km/h bei gerader Strecke und guter Sicht für alle Beteiligten. Danach habe die Beklagte ihre Fahrgeschwindigkeit angemessen reduziert. Schließlich sei der Nachweis eines zu geringen Seitenabstandes zum Kläger nicht festzustellen. Ein „Überholen“ liege nicht vor. Gleichwohl sei auch im Begegnungsverkehr für die Sicherheit der Radfahrer zu berücksichtigen, dass mit Schwankungen jederzeit gerechnet werden müsse. Welcher Abstand zwischen den Radfahrern und dem Kleinbus bestanden habe, lasse sich jedoch nicht sicher feststellen. Dies gehe letztlich zulasten des beweispflichtigen Klägers.
Allerdings müsse sich der Kläger erhebliche Verkehrsverstöße entgegenhalten lassen, die im Rahmen des Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 BGB zu berücksichtigen seien. So ergebe sich ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO bereits aus seinem eigenen Vortrag. Danach habe ein Verkehrsteilnehmer den Abstand zum Vorausfahrenden so einzurichten, dass auch dann hinter diesem gehalten werden könne, wenn plötzlich gebremst werde. Zwar habe der Kläger ausgeführt, ca. 2 bis 2.50 m hinter der Zeugin gefahren zu sein. Dieser Sicherheitsabstand sei jedoch schon deshalb nicht ausreichend gewesen, weil der Triathlonlenker im Vorbau keine Bremshebel aufweise und der Kläger deshalb an den Lenker umgreifen müsse. So habe er selbst ausgeführt: „Bei mir war es so, dass ich einen Lenker habe, auf dem ich meine Arme zu diesem Zeitpunkt abgelegt hatte. Ich konnte nicht so schnell an die Bremsen greifen, so dass ich dann hinter meiner Frau, die abbremste, zwischen sie und den Pkw gekommen bin.“ Ebenso wie die Beklagte habe auch der Kläger bei Annäherung des Kraftfahrzeuges sein Fahrverhalten darauf auszurichten gehabt, das gefahrlose Passieren zu ermöglichen, § 1 Abs. 2 StVO, § 3 Abs. 1 Sätze 2 und 5 StVO, § 2 Abs. 2 StVO. Auch diesen Anforderungen sei seine Fahrweise nicht gerecht geworden. Denn in dieser Situation sei jedenfalls das Herstellen der sofortigen Bremsbereitschaft und die Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit erforderlich, um auf die Situation angemessen reagieren zu können. Eine Geschwindigkeit von ca. 27 km/h sei für einen Radfahrer nicht situationsangemessen. Hinzu komme, dass er mit der Schilderung: „Ich bin leicht versetzt hinter ihr gefahren und zwar dann halt mehr auf der Straße.“ nicht dem Gebot, im Begegnungsverkehr möglichst weit rechts zu fahren, gerecht geworden sei.
Ferner sei der Ansicht des Klägers, allein von der Beklagten ein Ausweichen auf den unbefestigten Randstreifen zu fordern, nicht beizutreten. Denn auch dann, wenn er mit seinem Fahrrad im Rahmen des Trainings fahre, bleibe er ein Verkehrsteilnehmer, der zur gegenseitigen Rücksichtnahme und zur Einhaltung der Verkehrsregeln verpflichtet sei. Insoweit sei auch ein Ausweichen auf den Randstreifen grundsätzlich zumutbar. Soweit wegen der schmalen Reifen dieses Fahrmanöver größeren Risiken ausgesetzt sei, müsse er diesen durch seine Fahrweise Rechnung tragen.
Bei der Abwägung der Unfallverursachungsbeiträge stehe der einfachen Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs das erhebliche Eigenverschulden des Klägers gegenüber, das es im vorliegenden Einzelfall gerechtfertigt erscheinen lasse, dem Kläger die Verantwortung für die entstandenen Schäden allein zuzurechnen. Eine Haftung der Beklagten bestehe mithin nicht.


C.
Kontext der Entscheidung
Vorliegend ist eine seitliche Kollision im Begegnungsverkehr zwischen einem Radfahrer und dem von der Beklagten geführten Kleinbus zu beurteilen. Eine haftungsbegründende Betriebsgefahr i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG kann dementsprechend nur auf der Beklagtenseite zu berücksichtigen sein. Insoweit kommt es zunächst nicht darauf an, ob sich die Beklagte verkehrswidrig verhalten hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.04.1988 - VI ZR 96/87 und BGH, Urt. v. 11.07.1972 - VI ZR 86/71). Zwar ist nur die reine Anwesenheit des Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle nicht ausreichend. Unabhängig von der Frage, ob es eine Berührung der Fahrzeuge gegeben hat, ist es aber jedenfalls ausreichend, wenn die Fahrweise oder sonstige Beeinflussung des Verkehrs zu der Entstehung des Unfalls beigetragen hat (vgl. BGH, Urt. v. 04.05.1976 - VI ZR 193/74 und OLG Schleswig, Urt. v. 15.04.2010 - 7 U 17/09). Dies entspricht dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG. Die Haftung endet erst dort, wo ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten entsprechende Berücksichtigung gebietet. Nach diesen Maßstäben hat sich die Fahrweise des Kraftfahrzeugs der Beklagten jedenfalls auf das Unfallgeschehen ausgewirkt. Dies wurde in der Vorinstanz vom Landgericht anders beurteilt, indem es unzutreffend die Beweislast bei dem nichtmotorisierten Kläger gesehen hat. Eine Gefährdungshaftung aus der Betriebsgefahr liegt dementsprechend vor.
Davon getrennt ist die Frage zu beurteilen, ob auch ein schuldhaftes Verhalten der Beklagten zu dem Unfall beigetragen hat. Grundsätzlich gilt, dass jeder Verkehrsteilnehmer möglichst weit rechts fahren muss (§ 2 Abs. 2 StVO). Dies gilt nicht nur bei Gegenverkehr und in unübersichtlichen Bereichen. Aufgrund der geringen Fahrbahnbreite und der Breite des Kleinbusses muss die Beklagte vorliegend mit der rechten Fahrzeugseite bereits den Randstreifen befahren haben, sonst wäre ein Begegnungsverkehr räumlich nicht möglich gewesen. Damit ist ein Verstoß der Beklagten gegen das Rechtsfahrgebot nicht bewiesen. Der Kläger gab allerdings an, mit seinem Rennrad seitlich versetzt hinter seiner Ehefrau gefahren zu sein, also eben nicht möglichst weit rechts.
Auch die beiderseits gefahrenen Geschwindigkeiten sind vorliegend von Bedeutung. Die Geschwindigkeit ist von jedem Verkehrsteilnehmer den Straßen- und Verkehrsverhältnissen anzupassen (§ 3 Abs. 1 StVO). Dagegen hat die Beklagte nach den Feststellungen des Gerichts aber offensichtlich nicht verstoßen, denn sie hat ihre Geschwindigkeit von den grundsätzlich erlaubten 50 km/h bei Herannahen an den Kläger und seine Ehefrau auf unter 20 km/h reduziert, während der Kläger auf seinem Triathlon-Rennrad mit einer Geschwindigkeit von 27 km/h fuhr – einer für ein Fahrrad durchaus beachtlichen Geschwindigkeit, aus der er auch erst unmittelbar vor der Kollision abgebremst hat.
Unfallursächlich war aber letztlich nicht der Begegnungsverkehr mit dem Kleinbus, sondern dass die vorausfahrende Zeugin und Ehefrau des Klägers in dieser Verkehrssituation ihr Rennrad abbremste und der unter Verstoß gegen § 4 Abs. 1 StVO mit zu geringem Abstand dahinterfahrende Kläger nicht rechtzeitig reagieren konnte und deshalb zur Vermeidung des Auffahrens nach links in Richtung des Kleinbusses auswich. Hinzu kommt, dass der am Rennrad des Klägers verbaute Triathlonlenker im Vorbau keine Bremshebel aufweist und der Kläger deshalb nach eigener Darstellung erst an den eigentlichen Lenker zu den Bremshebeln umgreifen musste, um das Rennrad abzubremsen. Dies hätte er bei der Wahl des Abstandes und der Geschwindigkeit berücksichtigen müssen. Da der Kläger die Unterarme auf dem Vorbau des Triathlonlenkers abgelegt hatte, fuhr er zwangsläufig mit vorgebeugtem Oberkörper und abgesenktem Kopf, so dass er die Verkehrslage unter Verstoß gegen das Sichtfahrgebot nur eingeschränkt beobachten konnte (vgl. auch OLG Naumburg, Beschl. v. 24.10.2023 - 9 U 74/23).
Letztlich verbleibt somit auf der Seite der Beklagten lediglich die Haftung aus der einfachen Betriebsgefahr des Kleinbusses, während der Kläger sich in der konkreten Verkehrssituation in mehrfacher Hinsicht schuldhaft verhalten hat und sich dies als unfallursächlich erwies. Bei der Abwägung der Haftungsanteile ist das Oberlandesgericht daher zu dem folgerichtigen Ergebnis gekommen, dass der Kläger allein haftet.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für eine Gefährdungshaftung aus der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs nach § 7 Abs. 1 StVG kommt es nicht darauf an, ob sich dessen Fahrer verkehrswidrig verhalten hat. Zwar ist nur die reine Anwesenheit des Kraftfahrzeuges an der Unfallstelle nicht ausreichend, wohl aber, wenn die Fahrweise oder sonstige Beeinflussung des Verkehrs zu der Entstehung des Unfalls beigetragen hat. Dies folgt aus dem Schutzzweck der Norm. Die Haftung findet dann dort ihre Grenzen, wo ein mitwirkendes Verschulden des Geschädigten entsprechende Berücksichtigung gebietet.
Im Begegnungsverkehr zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fahrradfahrer ist ein von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängiger Mindestabstand zu dem Radfahrer einzuhalten, da bei Radfahrern immer mit gewissen Schwankungen in der Fahrweise zu rechnen ist. Der gesetzliche Mindestabstand nach § 5 Abs. 4 StVO (außerorts 2 Meter, innerorts 1,5 Meter) gilt allerdings nur für das Überholen, nicht im Begegnungsverkehr.
Sofern ein Radfahrer bei räumlich engen Straßenverhältnissen wegen eines entgegenkommenden Fahrzeugs abbremst, ein mit zu geringem Abstand nachfolgender Radfahrer nicht rechtzeitig reagieren kann und daher zur Vermeidung des Auffahrens ausweicht, so dass es zu einer Kollision mit dem Kraftfahrzeug kommt, ist dies von ihm zu vertreten. Dies gilt insbesondere, wenn der Radfahrer einen sog. Triathlonlenker nutzt, der im Vorbau keine Bremshebel aufweist, so dass zum Bremsen erst an den eigentlichen Lenker zu den Bremshebeln umgegriffen werden muss.



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