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Anmerkung zu:LG Hamburg 23. Zivilkammer, Urteil vom 28.11.2024 - 323 O 330/20
Autor:Herbert Lang, RA
Erscheinungsdatum:04.06.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 14 StVO, § 9 StVG, § 845 BGB, § 124 VVG, § 771 ZPO, § 223 StGB, § 229 StGB, § 7 StVG, § 86 VVG, § 254 BGB, § 21a StVO, § 406 StPO, § 103 VVG, § 1922 BGB, § 823 BGB, § 844 BGB, § 64 SGB 7, § 116 SGB 10, § 253 BGB
Fundstelle:jurisPR-VerkR 11/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Klaus Schneider, RA, FA für Verkehrsrecht, FA für Versicherungsrecht und Notar
Zitiervorschlag:Lang, jurisPR-VerkR 11/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

„Schockschaden-Schmerzensgeld“ versus ererbter Anspruch aus § 253 Abs. 2 BGB



Orientierungssätze zur Anmerkung

1. Für das „Schockschaden-Schmerzensgeld“ nach Verlust von nahestehenden Menschen ist eine psychische Beeinträchtigung des Hinterbliebenen mit Krankheitswert i.S.d. § 823 BGB erforderlich.
2. Das vom Getöteten ererbte Schmerzensgeld setzt eine vom Sterbevorgang abgrenzbare Verletzung voraus.
3. Das Sterbegeld nach § 64 SGB VII ist zum Anspruch auf Beerdigungskosten sachlich kongruent, so dass dazu ein Übergang nach § 116 SGB X erfolgt.
4. „Entgangene Urlaubsfreude“ fließt mangels eigenen wirtschaftlichen Werts nur in die Bemessung des Schmerzensgeldes ein.

A.
Problemstellung
Das Schmerzensgeld ist die in der Praxis am intensivsten diskutierte Schadensposition, ein wahrer „Dauerbrenner“. Auch wenn speziell bei Verkehrsunfällen seine Ausgleichsfunktion im Vordergrund steht, empfinden es viele Geschädigte als eine Genugtuung für das ihnen vom Schädiger zugefügte Leid. Sie messen ihm deswegen bei der Regulierung eine zentrale Bedeutung bei, obwohl vor allem bei schweren Verletzungen die materielle Absicherung von besonderer Wichtigkeit ist.
Diskussionen zum Schmerzensgeld gab es in jüngster Zeit zu der vom 22. Zivilsenat des OLG Frankfurt seit 2018 (zuletzt OLG Frankfurt, Urt. v. 17.06.2021 - 22 U 181/20 - DAR 2021, 509) befürworteten Methode einer „taggenauen“ Bemessung, die vom BGH mit Urteil vom 15.02.2022 (VI ZR 937/20 - VersR 2022, 712) und Urteil vom 22.03.2022 (VI ZR 16/21 - VersR 2022, 819) deutlich abgelehnt worden ist. „Im Fluss“ ist gegenwärtig die Rechtsprechung zu der Höhe des Schmerzensgeldes bei allerschwersten Verletzungen.
Das Urteil des LG Hamburg geht insbesondere auf das „Schockschaden-Schmerzensgeld“ und ererbte Ansprüche aus § 253 Abs. 2 BGB ein, daneben aber auch auf weitere wichtige Positionen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Klägerin macht Ansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 04.05.2017 geltend, bei dem ihr 22-jähriger Sohn zu Tode kam.
Der Beklagte zu 1) hatte das von dem Beklagten zu 2) gehaltene, bei dem Beklagten zu 3) haftpflichtversicherte Taxi entwendet, wobei der Fahrzeugschlüssel in dessen nicht verschlossener Mittelkonsole lag. Bei der Verfolgung durch die Polizei verlor er die Kontrolle über den PKW und kollidierte mit 145 km/h auf der Gegenfahrbahn mit einem gerade anfahrenden Taxi, in dessen Fond der Sohn der Klägerin und ein Freund saßen. Er war nicht angeschnallt und verstarb an der Unfallstelle an seinen schwersten Kopfverletzungen.
Der Fahrzeugdieb wurde strafrechtlich wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zudem verpflichtete ihn das Gericht im Adhäsionsverfahren zur Zahlung von 20.000 Euro Schmerzensgeld und Ersatz zukünftiger unfallbedingter Schäden. Weiter gehende Anträge wurden dabei nicht entschieden.
Die Klägerin machte aufgrund psychischer Leiden Schmerzensgeld von mindestens 34.500 Euro sowie 7.500 Euro aus einem ererbten Anspruch aus § 253 Abs. 2 BGB geltend, da ihr Sohn nicht sofort nach dem Unfall verstorben sei. Zudem verlangte sie die Erstattung von ihr vor dem Unfall bezahlte Mietkosten für die Wohnung des Sohnes, Verdienstausfall und die Kosten für dessen Beerdigung und ihren entgangenen Urlaub. Sie trug vor, sie habe nach dem Vorfall nicht mehr als Verkäuferin arbeiten können, nach dem Wegfall der Lohnfortzahlung habe sie zunächst Krankengeld, später Erwerbsunfähigkeitsrente und nun Regelaltersrente bezogen. Weiter beantragte sie einen „Feststeller“ für zukünftige Schäden. Die Beklagten zu 2) und 3) beantragten (zugleich als Nebenintervenienten des Beklagten zu 1)) widerklagend die Erstattung der ihnen entstandenen Kosten des Rechtsstreites.
Das LG Hamburg hat der Klage überwiegend, der Widerklage vollumfänglich stattgegeben und dazu ausgeführt:
1. Der Fahrzeugdieb (Beklagter zu 1)) haftet aus § 7 StVG, § 823 Abs. 1 BGB sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 223, 229 StGB. § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 StVG regelt insoweit ausdrücklich die Eintrittspflicht bei Entwendung bzw. Nutzung des Fahrzeugs ohne Wissen und Wollen des Halters.
Die Haftung des PKW-Halters (Beklagter zu 2)) ergibt sich aus § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StVG, er hat die Schwarzfahrt des Täters ermöglicht, indem er Ersatzschlüssel offen in der Mittelkonsole des Taxis deponierte. Das verstößt gegen seine Verpflichtung aus § 14 Abs. 2 Satz 2 StVO, sein Fahrzeug gegen unbefugte Nutzung zu sichern (z.B. BGH, Urt. v. 15.12.1970 - VI ZR 97/69 - VersR 1971, 239).
Haftbar ist auch der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des PKW (Beklagter zu 3)), da sein Risikoausschluss aus § 103 VVG wegen vorsätzlicher Schädigung nur gegenüber dem Handelnden selbst besteht. Für den zum Täter personenverschiedenen Kfz-Halter muss er deswegen weiter nach § 7 StVG eintreten.
Ein Mitverschulden des Sohnes i.S.d. § 9 StVG, § 254 BGB, das der Klägerin zurechenbar ist, liegt nicht vor. Zwar war er entgegen § 21a Abs. 1 StVO nicht angegurtet, das war aber erst kurz nach dem Anfahren des Taxis. Sein geringer Verstoß tritt jedenfalls hinter dem massiven Verschulden des Schädigers zurück. Offenbleiben kann deswegen, ob er bei angelegtem Sicherheitsgurt verletzt worden wäre.
2. Die Klägerin hat einen Anspruch auf „Schockschaden-Schmerzensgeld“, da sie aufgrund des Todes ihres Sohnes eine Anpassungsstörung mit depressiver Episode gemäß ICD 10 F 43.2 bzw. 32.1 entwickelt hat, unter der sie unverändert leidet. Damit liegt eine Verletzung mit pathologisch fassbarem Krankheitswert vor, die, so das LG Hamburg, über dem Normalmaß des Schmerzes liegt, den Angehörige in vergleichbaren Situationen erleiden. Die Einschränkung durch die Rechtsprechung sei geboten, da mittelbare Schäden Dritter nur in den geregelten Ausnahmen der §§ 844, 845 BGB zu erstatten sind. Durch die besonders enge Beziehung zu ihrem Sohn als alleinerziehende Mutter hat die Klägerin ein unermessliches Leid erlitten, so dass ein Anspruch von (weiteren) 40.000 Euro sachgerecht ist. Dieser liegt deutlich höher als der vom Gesetzgeber angedachte „Durchschnittsbetrag“ von 10.000 Euro, wobei die nur zögerliche Regulierung des Versicherers erhöhend zu berücksichtigen ist, der trotz der Verurteilung des Täters im Adhäsionsverfahren keine Zahlungen erbracht hat.
Dieser Sichtweise steht nicht entgegen, dass der Täter im Adhäsionsverfahren rechtskräftig zur Zahlung von 20.000 Euro verurteilt worden ist. Indem nach § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO keine (vollständige oder teilweise) Klageabweisung zulässig ist, findet § 124 Abs. 1 VVG als eine die Rechtskrafterstreckung regelnde Norm vorliegend keine Anwendung.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein gemäß § 1922 BGB ererbtes Schmerzensgeld, da der Sohn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bereits wenige Sekunden nach dem Unfall am Unfallort verstorben ist. Somit hatte er keinen übergangsfähigen Anspruch erworben, der eine abgrenzbare Verletzung des Körpers bzw. der Gesundheit voraussetzt. Der Tod an sich bzw. die Verkürzung der Lebenserwartung sind demgegenüber gemäß § 253 Abs. 2 BGB nicht ersatzfähig.
3. Begründet ist der Anspruch auf Erstattung des Verdienstausfalls von 39.900 Euro, da die Klägerin ihre berufliche Tätigkeit unfallbedingt nicht ausüben konnte. Bei der Berechnung sind dabei die erhaltenen kongruenten Sozialleistungen (Krankengeld, EU-Rente) auf ihr Nettogehalt gemäß § 116 SGB X anzurechnen (wird ausgeführt). Ein Abzug wegen ersparter Aufwendungen ist hier nicht gerechtfertigt, da die Klägerin nach dem Unfall steuerlich keine beruflichen Werbungskosten geltend machen kann.
Keinen Ersatz kann die Klägerin für die Beerdigungskosten aus § 844 Abs. 1 BGB verlangen. Dem steht das von der Berufsgenossenschaft erhaltene, sachlich kongruente höhere Sterbegeld gemäß § 64 SGB VII entgegen. Insoweit ist nach § 116 SGB X ein Übergang auf die Berufsgenossenschaft erfolgt, so dass die Klägerin nicht aktivlegitimiert ist.
Unbegründet ist ebenfalls die Forderung der Klägerin auf Ersatz der von ihr vor dem Unfall gezahlten Mietkosten für die primär von ihrem Sohn genutzte Wohnung. Sie hat zwar einen wirtschaftlichen Ausfall erlitten, der jedoch nicht auf eine eigene Verletzung zurückzuführen ist, so dass es sich hierbei um nicht erstattungsfähige frustrierte Aufwendungen handelt.
Gleiches gilt hinsichtlich des von der Klägerin geltend gemachten Ersatzanspruches wegen ihres unfallbedingt entgangenen Urlaubs. Ihm kommt deliktsrechtlich kein wirtschaftlicher Wert zu, so dass dieser Aspekt nur in die Bemessung des Schmerzensgeldes einfließen kann (BGH, Urt. v. 11.01.1983 - VI ZR 222/80 - NJW 1983, 1107).
Der Feststellungsantrag ist angesichts von denkbaren Zukunftsschäden der Klägerin begründet. Nicht ausgeschlossen sind die Verschlechterung ihrer Gesundheit bzw. Unterhaltsansprüche bei eintretender Bedürftigkeit sowie steuerliche Nachteile.
4. Die Widerklage des Haftpflichtversicherers gegen den Fahrzeugdieb gemäß § 771 ZPO ist erfolgreich, dieser muss ihm die unfallbedingten Aufwendungen ersetzen.


C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung ist vom Ergebnis richtig, seine ausführliche Begründung auf 14 Seiten ist allerdings an der einen oder anderen Stelle etwas „unsauber“.
1. Zutreffend hat das LG Hamburg die Haftung aller Beklagten als Gesamtschuldner bejaht. Bei dem Fahrzeugdieb ergibt sich diese aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. den §§ 223, 229 StGB, da er den Tod des klägerischen Sohnes ausweislich des Strafurteils billigend in Kauf genommen hat. Der PKW-Halter haftet nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 StVG, er hat dem Täter die Entwendung dadurch ermöglicht, dass er den Ersatzschlüssel sichtbar offen in der Mittelkonsole abgelegt hat (BGH, Urt. v. 15.12.1970 - VI ZR 97/69 - VersR 1971, 239; BGH, Urt. v. 30.09.1980 - VI ZR 38/79 - NJW 1981, 113). Der Haftpflichtversicherer ist bei einer Vorsatztat lediglich dem Handelnden gegenüber gemäß § 103 VVG leistungsfrei, sind Halter und Fahrer, wie vorliegend, nicht identisch, ist er für die Halterhaftung aus § 7 Abs. 1 StVG weiter eintrittspflichtig (BGH, Urt. v. 28.02.2012 - VI ZR 10/11 - VersR 2012, 772; OLG München, Urt. v. 19.01.2022 - 10 U 4672/13 - ZfSch 2022, 374). Zutreffend hat das Gericht insoweit jedoch der Widerklage des Versicherers stattgegeben, der seine Aufwendungen nach § 86 Abs. 1 VVG bei dem Täter regressieren kann.
Die Klägerin muss sich kein Mitverschulden ihres Sohnes gemäß § 254 BGB wegen des nicht angelegten Sicherheitsgurtes anrechnen lassen (grundlegend BGH, Urt. v. 20.03.1979 - VI ZR 152/78 - BGHZ 74, 25; BGH, Urt. v. 01.04.1980 - VI ZR 40/79 - VersR 1980, 824). Die Gurtpflicht nach § 21a StVO besteht auch für Insassen im Fond mit Losfahren des Fahrzeugs. Allerdings war das Verschulden des Getöteten vorliegend so gering, dass es hinter dem massiven Verstoß des Unfallgegners völlig zurücktritt. Ohnehin spricht vieles dafür, dass die tödliche Verletzung bei Frontalkollision mit 145 km/h auch bei angelegtem Sicherheitsgurt eingetreten wäre. Unter dem Aspekt wäre jedoch die Information interessant gewesen, wie schwer der zweite Insasse des Taxis zu Schaden gekommen ist.
2. Den Anspruch der Klägerin auf „Schockschaden-Schmerzensgeld“ (dazu näher Quaisser in: Jahnke/Burmann, Handbuch Personenschadensrecht, 2. Aufl. 2022, 5. Kap. Rn. 1691 ff.) hat das LG Hamburg zutreffend bejaht. Wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, leidet sie seit dem Tod des ihr besonders nahestehenden Sohnes unter massiven psychischen Beeinträchtigungen, wegen denen sie auch mehrfach stationär behandelt werden musste. Darin liegt eine nach der BGH-Rechtsprechung erforderliche pathologische Körper- bzw. Gesundheitsverletzung. Seit seinem Urteil vom 06.12.2022 (VI ZR 168/21 - BGHZ 235, 239) muss das Leiden nicht mehr über das Maß hinausgehen, das Angehörige in vergleichbaren Situationen erleiden. Diese vom BGH mit der Gleichstellung psychischer mit physischen Verletzungen begründete Neujustierung hat das Landgericht vorliegend zwar nicht berücksichtigt, sein Ergebnis ist jedoch auch danach richtig.
Insoweit noch der Hinweis, dass die veränderte Sicht des BGH nur geringe Auswirkungen auf die Regulierungspraxis haben wird, da die Beteiligten schon zuvor wenig Diskussionen zu der Intensität der Trauer von nahen Angehörigen geführt haben.
Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Fahrzeugdieb bereits im Adhäsionsverfahren (dazu näher Höher/Mergner, NZV 2013, 373; Jahnke, jurisPR-VerkR 7/2013 Anm. 1) zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt worden ist. Auch wenn das Urteil insoweit wenig aussagekräftig ist, ist aufgrund des Absehens von einer Entscheidung über weiter gehende Anträge (§ 406 Abs. 1 Satz 3 StPO) von einem bezifferten Antrag der Klägerin auszugehen, dem das Strafgericht teilweise stattgegeben hat. In der Situation kann der Geschädigte vor den Zivilgerichten, wie vorliegend, auf weiteres Schmerzensgeld klagen, da dazu noch keine Entscheidung über den Streitgegenstand vorliegt. Etwas anderes würde, so der BGH mit Urteil vom 20.01.2015 (VI ZR 27/14 - VersR 2015, 772), im Anschluss an eine unbezifferte Klage im Adhäsionsverfahren gelten, dann stünde die Rechtskraft daraus einer weiteren Forderung entgegen. Für diese Sicht spricht auch das Urteil des BGH vom 18.12.2012 (VI ZR 55/12 - NJW 2013, 1163), wonach eine Entscheidung im Adhäsionsverfahren dem darin nicht beteiligten Haftpflichtversicherer gegenüber keine Bindung entfaltet. Grundsätzlich ist das Adhäsionsverfahren auch für den Versicherten nicht ohne Risiko, da er nicht sicher sein kann, von dem Versicherer Deckung für den Schadenfall zu erhalten. Deswegen sollte er sich dazu frühzeitig mit diesem abstimmen (Höher/Mergner, NZV 2013, 373).
Der zugesprochene Betrag von 40.000 Euro ist aus meiner Sicht unter Berücksichtigung der Verurteilung des Täters im Adhäsionsverfahren zu 20.000 Euro überhöht. Nach der Gesetzesbegründung zu § 844 Abs. 3 BGB liegt das „Schockschaden-Schmerzensgeld“ im Schnitt unter 10.000 Euro (BT-Drs. 18/11397, S. 11 v. 07.03.2017; BGH, Urt. v. 06.12.2022 - VI ZR 168/21 - BGHZ 235, 239). Natürlich gibt es besonders tragische Fälle, in denen deutlich höhere Beträge gerechtfertigt sind. So hat z.B. das OLG Frankfurt mit Urteil vom 06.09.2017 (6 U 216/16 - VersR 2018, 560) in einem Fall sogar auf 100.000 Euro entschieden, in dem der Ehemann bei einem Unfall mit einem LKW vor den Augen seiner Frau zu Tode kam, die ihn selbst eingeklemmt unter dem Fahrzeug auffand. Vorliegend handelt es sich jedoch trotz der erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Klägerin nicht um einen Fall, der ein Schmerzensgeld von insgesamt 60.000 Euro rechtfertigt. Kritisch zu sehen ist dabei der Hinweis des Gerichtes, der Betrag falle wegen des zögerlichen Regulierungsverhaltens des Versicherers höher aus. Dieser war nämlich dem vorsätzlich handelnden Fahrzeugdieb gegenüber nach § 103 VVG leistungsfrei, musste die im Adhäsionsverfahren ausgeurteilten 20.000 Euro also nicht bezahlen.
Am Rande: Interessant ist vorliegend, dass der kompetent vortragende Anwalt neben dem „Schockschaden-Schmerzensgeld“ nicht auch Hinterbliebenengeld geltend macht. Offenbar ging er mit der überzeugenden überwiegenden Meinung davon aus, dass die beiden Ansprüche nicht kumulativ bestehen.
Richtigerweise hat das LG Hamburg einen Anspruch auf ein vom getöteten Sohn gemäß § 1922 BGB ererbtes Schmerzensgeld verneint. Dieses ist dogmatisch streng von dem auf ihrer „eigenen“ psychischer Verletzung basierenden „Schockschaden-Schmerzensgeld“ zu unterscheiden und setzt einen Anspruch des Getöteten voraus. Da der Tod bzw. die Verkürzung des Lebens nicht entschädigungspflichtig ist, ist dafür ein zumindest kurzzeitiges Überleben des Unfalls erforderlich, mithin eine vom Sterbevorgang abgrenzbare Körperverletzung nach § 823 BGB (BGH, Urt. v. 12.05.1998 - VI ZR 182/97 - VersR 1998, 1034; OLG Naumburg, Urt. v. 26.03.2015 - 2 U 62/14 - RuS 2015, 469). Da es für die Höhe des Anspruches auf die Überlebensdauer und den Grad der vorhandenen Empfindungsfähigkeit ankommt, fallen die danach abgestuften Beträge in solchen Fällen nur niedrig aus (zuletzt z.B. OLG Celle, Urt. v. 04.11.2020 - 14 U 81/20 - MDR 2021, 98; OLG Köln, Urt. v. 05.03.2018 - 5 U 98/16 - VersR 2019, 423; OLG München, Urt. v. 06.12.2019 - 10 U 2848/19 - NJW 2020, 1685). Vorliegend lag keine abgrenzbare Verletzung des Sohnes der Klägerin vor, der nach wenigen Sekunden am Unfallort verstorben ist.
3. Ein paar Worte zu den vom LG Hamburg überzeugend beurteilten weiteren Anspruchspositionen:
a) Die Klägerin war aufgrund ihrer nachgewiesenen psychischen Beeinträchtigungen für den geltend gemachten Zeitraum arbeitsunfähig. Bei der Berechnung ihres Verdienstausfalls hat das Landgericht richtigerweise die sachlich kongruenten Sozialleistungen Krankengeld und EU-Rente abgezogen. Die Verneinung eines Abzugs von ersparten Aufwendungen, der üblicherweise mit 5-10% erfolgt (z.B. BGH, Urt. v. 09.11.2010 - VI ZR 300/08 - NJW 2011, 1146; OLG München, Urt. v. 26.03.2019 - 24 U 2290/18 - RuS 2019, 293; OLG Celle, Urt. v. 01.06.2016 - 14 U 74/15 - NJW-RR 2016, 1497), ist angesichts der nach dem Unfall nicht mehr möglichen steuerlichen Absetzung von Werbungskosten nachvollziehbar.
b) Nicht zu erstatten waren die geltend gemachten Beerdigungskosten nach § 844 Abs. 1 BGB (näher dazu Küppersbusch/Höher, Ersatzansprüche bei Personenschaden, 14. Aufl. 2024, Rn. 447 ff.). Die Erben haben einen solchen Anspruch zwar im Rahmen des „Standesgemäßen“, vorliegend hat die Klägerin jedoch von der Berufsgenossenschaft ein höheres Sterbegeld nach § 64 SGB VII erhalten. Da dieses sachlich kongruent zu den Beerdigungskosten ist (OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.03.2014 - 4 U 64/13 - NJW-RR 2014, 810; LG Magdeburg, Urt. v. 10.01.2012 - 9 O 164/09), erfolgte nach § 116 SGB X ein Übergang auf diese, so dass die Klägerin dazu nicht aktivlegitimiert ist.
c) Kein Anspruch besteht ebenfalls auf Ersatz der eingeklagten Mietkosten als frustrierte Aufwendungen (LG Landstuhl, Urt. v. 04.12.2024 - 15 S 318/24; LG Bremen, Urt. v. 13.05.2013 - 7 O 1759/12), sowie den der Klägerin unfallbedingt entgangenen Urlaub. Zu letzterem hat der BGH mit Urteil vom 11.01.1983 (VI ZR 222/80 - BGHZ 86, 212) und ebenso zum Beispiel das OLG Koblenz mit Urteil vom 07.11.2011 (12 U 480/10 - VersR 2013, 725) grundlegend entschieden, dass die „Urlaubsfreude“ keinen eigenen wirtschaftlichen Wert hat, so dass sie nur in die Bemessung des Schmerzensgeldes einfließt.
d) Wegen der bei noch nicht abgeschlossenem Heilverlauf möglichen Spätschäden ist die Zubilligung eines immateriellen und materiellen „Feststellers“ richtig (std. Rspr., z.B. BGH, Urt. v. 16.01.2001 - VI ZR 381/99 - VersR 2001, 874; BGH, Urt. v. 17.10.2017 - VI ZR 423/16 - VersR 2018, 120). Da das Gericht ihn auch mit denkbaren steuerlichen Nachteilen begründet, noch der Hinweis auf das aktuelle Urteil des BFH vom 15.10.2024 (IX R 5/23 - NJW 2025, 389), das erneut die Steuerpflichtigkeit des Verdienstausfalls unterstreicht. Nicht steuerpflichtig sind die Positionen Schmerzens- und Hinterbliebenengeld, Unterhalts- und Haushaltsführungsschäden sowie Beerdigungskosten (Burmann/Jahnke, NZV 2017, 401).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil bringt zwar inhaltlich nichts wesentlich Neues, ist jedoch angesichts des Eingehens auf eine Vielzahl von wichtigen Schadenspositionen praxisrelevant. Speziell in Todesfällen ist bei den Ansprüchen der Angehörigen die immer wieder übersehene Unterscheidung zwischen dem auf einer eigenen manifestierten Verletzung beruhenden „Schockschaden-Schmerzensgeld“ und dem von dem Getöteten ererbten Anspruch aus § 253 Abs. 2 BGB bedeutsam. Dieser muss bei diesem entstanden sein, weswegen eine vom Sterbevorgang abgrenzbare Körper- bzw. Gesundheitsverletzung von ihm gegeben sein muss. Liegen die Voraussetzungen des „Schockschaden-Schmerzensgeldes“ nicht vor, können Angehörige aus „eigenem“ Recht Hinterbliebenengeld geltend machen, wofür bereits Trauer aufgrund des Verlustes ausreicht. Dieser Anspruch fällt angesichts seiner geringeren Voraussetzungen allerdings regelmäßig niedriger als das „Schockschaden-Schmerzensgeld“ aus.



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