juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 4. Zivilsenat, Urteil vom 18.12.2024 - IV ZR 151/23
Autor:Dr. Alexander Hoffmann, LL.M., RA
Erscheinungsdatum:25.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 307 BGB, § 18 VVG, § 16 VVG, § 14 VVG, § 11 VVG, § 103 InsO
Fundstelle:jurisPR-VersR 4/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Schimikowski, RA
Zitiervorschlag:Hoffmann, jurisPR-VersR 4/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unwirksamkeit einer automatischen Beendigungsklausel einer D&O-Versicherung bei Insolvenz des Versicherungsnehmers



Leitsätze

1. Eine Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer D&O-Versicherung, die ohne Berücksichtigung der sich aus § 11 Abs. 1 und 3 VVG ergebenden Mindestkündigungsfrist das automatische Ende des Versicherungsvertrages mit dem Ablauf der Versicherungsperiode vorsieht, in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden ist, ist unwirksam.
2. Zur Auslegung einer Klausel in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen einer unter Geltung des Anspruchserhebungsprinzips („Claims-made-Prinzip“) geschlossenen D&O-Versicherung, wonach bei einer Beendigung des Vertrages „aus einem anderen Grund als eines Prämienzahlungsverzuges oder der Liquidation, Insolvenz, Verschmelzung oder Neubeherrschung der Versicherungsnehmerin“ eine prämienneutrale Nachmeldefrist besteht.



A.
Problemstellung
Die Entscheidung des BGH beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Wirksamkeit von Klauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen von D&O-Versicherungsverträgen, die im Falle der Insolvenz der Versicherungsnehmerin eine automatische Beendigung des D&O-Versicherungsvertrags mit dem Ablauf der laufenden Versicherungsperiode vorsehen. Darüber hinaus befasst sich der BGH mit der Auslegung einer Klausel, die nur dann eine prämienneutrale Nachmeldefrist vorsieht, wenn der D&O-Versicherungsvertrag u.a. nicht wegen „Insolvenz“ der Versicherungsnehmerin beendet wird.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Gegenstand der Entscheidung des BGH ist ein Rechtsstreit, im Rahmen dessen der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen einer insolventen Gesellschaft (Versicherungsnehmerin) gegen die Beklagte als D&O-Versicherer abgetretene Ansprüche aus einem D&O-Versicherungsvertrag geltend macht, den die Versicherungsnehmerin bei der Beklagten abgeschlossen hatte.
Die dem D&O-Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen enthielten folgende Klausel betreffend u.a. die Beendigung des Versicherungsvertrags bei Insolvenz der Versicherungsnehmerin („Insolvenzklausel“):
„Der Versicherungsvertrag endet automatisch mit dem Ablauf der Versicherungsperiode, in welcher die Neubeherrschung, Verschmelzung oder Liquidation wirksam geworden oder in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden ist.“
Darüber hinaus enthielten die Versicherungsbedingungen eine Klausel zur Nachmeldefrist („Nachmeldeklausel“), in der es hieß:
„Wird dieser Versicherungsvertrag nach Ablauf mindestens eines vollen Versicherungsjahres aus einem anderen Grund als eines Prämienzahlungsverzuges oder der Liquidation, Insolvenz, Verschmelzung oder Neubeherrschung der Versicherungsnehmerin beendet, besteht automatisch eine prämienneutrale Nachmeldefrist von 60 Monaten.“
Im November 2015 meldete die Versicherungsnehmerin Insolvenz an; im Februar 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Versicherungsnehmerin eröffnet.
Mit Schreiben vom 31.03.2016 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der D&O-Versicherungsvertrag automatisch mit Ablauf der Versicherungsperiode (d.h. zum 01.02.2016), in welcher der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt worden sei, geendet habe und eine Nachmeldefrist nicht bestehe. Die zwischenzeitlich vom Kläger für die Versicherungsperiode beginnend ab dem 01.02.2016 bezahlte Prämie überwies die Beklagte zurück.
Im April 2019 nahm der Kläger zwei ehemalige Vorstandsmitglieder der Versicherungsnehmerin auf Ersatz von Zahlungen nach Insolvenzreife in Anspruch und zeigte den Versicherungsfall gegenüber der Beklagten an. Die Beklagte wies die Ansprüche zurück. Im Rahmen der gegen die ehemaligen Vorstandsmitglieder geführten Haftungsverfahren schloss der Kläger mit diesen Vergleiche, in Rahmen derer die ehemaligen Vorstandsmitglieder u.a. ihre Ansprüche aus dem D&O-Versicherungsvertrag an Erfüllung statt an den Kläger abtraten.
Das OLG Frankfurt hatte in der Berufungsinstanz geurteilt, dass dem Kläger keine Leistungsansprüche gegen die Beklagte zustünden, da der D&O-Versicherungsvertrag gemäß der Insolvenzklausel nach Stellung des Insolvenzantrags im November 2015 automatisch zum Ende der Versicherungsperiode (d.h. zum 01.02.2016) beendet worden sei. Selbst wenn man nicht von einer automatischen Beendigung des D&O-Versicherungsvertrages zum 01.02.2016 ausgehe, könne jedoch das Schreiben der Beklagten vom 31.03.2016 als konkludente Kündigungserklärung mit Wirkung zum 01.02.2017 ausgelegt werden. Jedenfalls nach diesem Datum gemeldete Versicherungsfälle seien – wegen des in der Nachmeldeklausel vorgesehenen Ausschlusses der Nachmeldefrist bei Insolvenz – nicht mehr vom Versicherungsschutz umfasst.
Der BGH hat die Entscheidung des OLG Frankfurt aufgehoben und die Sache wegen fehlender Entscheidungsreife zurückverwiesen.
Die Insolvenzklausel halte einer Inhaltskontrolle nicht stand und sei deshalb unwirksam. Die Klausel benachteilige den Versicherungsnehmer unangemessen i.S.v. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil sie gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB mit wesentlichen Grundgedanken der – gemäß § 18 VVG halbzwingenden – gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 1 und 3 VVG unvereinbar sei. Gemäß § 11 Abs. 3 VVG sei zugunsten des Versicherungsnehmers im Falle der ordentlichen Kündigung stets eine Mindestkündigungsfrist von einem Monat einzuhalten.
Darüber hinaus wies der BGH auch die Auffassung des OLG Frankfurt zurück, das angenommen hatte, dass aufgrund der (konkludent erklärten) ordentlichen Kündigung des D&O-Versicherungsvertrages vom 31.03.2016 und der Nachmeldeklausel kein Versicherungsschutz für den im April 2019 gemeldeten Versicherungsfall bestehe. Selbst wenn das Versicherungsverhältnis aufgrund einer insolvenzbedingten ordentlichen Kündigung der Beklagten geendet habe, sei eine Nachmeldefrist nicht durch die Nachmeldeklausel ausgeschlossen. Die Nachmeldeklausel sei dahin gehend auszulegen, dass der darin geregelte Ausschluss der Nachmeldefrist nur dann greifen solle, wenn es gerade infolge einer Insolvenzantragstellung zu einer – in der (unwirksamen) Insolvenzklausel vorgesehenen – automatischen Vertragsbeendigung gekommen sei. Der Nachmeldeklausel sei nicht zu entnehmen, dass auch eine anderweitige Vertragsbeendigung, etwa durch eine ordentliche Kündigung des Versicherers – selbst wenn diese auf insolvenzbedingten Umständen beruhe – zum Ausschluss der Nachmeldefrist führen solle.


C.
Kontext der Entscheidung
Um die Entscheidung des BGH richtig einordnen zu können, sollte man sich zunächst in Erinnerung rufen, dass – worauf auch der BGH in seiner Entscheidung hinweist – die Insolvenz des Versicherungsnehmers (anders als die Insolvenz des Versicherers, vgl. § 16 VVG) keiner gesonderten Regelung im VVG unterstellt ist.
Die frühere Regelung des § 14 VVG a.F., die dem Versicherer noch die Möglichkeit eröffnete, sich für den Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Versicherungsnehmers die Befugnis auszubedingen, das Versicherungsverhältnis mit einer Frist von einem Monat zu kündigen, wurde nicht in das neue Recht übernommen. Auch wenn die Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 16/3945, S. 64 li. Sp.) nicht wirklich „begründet“, warum die Sonderregelung des § 14 VVG a.F. nicht in das neue VVG übernommen wurde (sondern lediglich lapidar festhält, dass „für ein besonderes Kündigungsrecht des Versicherers kein hinreichendes Bedürfnis bestehe“), handelt es sich doch um eine bewusste Wertentscheidung des Gesetzgebers, die Insolvenz des Versicherungsnehmers den allgemeinen Regelungen zu unterstellen. Dies bedeutet u.a., dass im Falle der Insolvenz des Versicherungsnehmers keine besonderen Regelungen im Hinblick auf die Kündigung des Versicherungsverhältnisses gelten sollen. Es sollen vielmehr die allgemeinen Kündigungsregelungen des § 11 VVG zur Anwendung kommen.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Entscheidung des BGH, der die Insolvenzklausel als unwirksam einstuft, als nachvollziehbar und folgerichtig dar.
§ 11 Abs. 3 VVG enthält die Vorgabe, dass die Frist für die Kündigung eines Versicherungsvertrages nicht weniger als einen Monat betragen darf. Diese Vorgabe gilt – wie der BGH in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung im Schrifttum (vgl. u.a. Schimikowski in: Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 7. Aufl. 2024, Ziff. 11 Rn. 108; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl. 2022, § 11 Rn. 7; Wendt in: Staudinger/Halm/Wendt, Versicherungsrecht, 3. Aufl. 2022, § 11 Rn. 34) festhält – auch für Versicherungsverträge gemäß § 11 Abs. 1 VVG mit bestimmten Laufzeiten und Verlängerungsklausel, wie es bei D&O-Versicherungsverträgen üblich ist.
Darüber hinaus stellt der BGH zutreffend klar, dass die in § 11 Abs. 3 VVG enthaltene Vorgabe für die Mindestkündigungsfrist nicht nur für die Vertragsbeendigung aufgrund einer ordentlichen Kündigung gelte, sondern auch für die in der Insolvenzklausel vorgesehene „automatische“ Beendigung des Versicherungsvertrages. Der BGH verweist in diesem Zusammenhang richtigerweise auf den Schutzzweck der Regelung des § 11 Abs. 3 VVG, die dem Versicherungsnehmer einen gewissen Zeitraum für die Suche nach neuem Versicherungsschutz sichern und ihn deshalb vor einem abrupten Ende des Versicherungsvertragsverhältnisses schützen soll. Außerdem würde dem Versicherer ohne die Regelung in der Insolvenzklausel, wollte er den Versicherungsvertrag aufgrund eines darin genannten Ereignisses beenden, alternativ nur die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung zur Verfügung stehen.
Während die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 1 und 3 VVG auf den in Streit stehenden D&O-Versicherungsvertrag und die Insolvenzklausel den BGH zu längeren Ausführungen veranlasst, verliert der BGH zur Frage der Abweichung der Insolvenzklausel von § 11 Abs. 3 VVG nur wenige Worte. Dies ist jedoch auch nicht verwunderlich, da aufgrund der in der Insolvenzklausel vorgesehenen automatischen Beendigung des Versicherungsvertrags mit Ablauf der Versicherungsperiode, in der der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin gestellt wurde, die Abweichung von der in § 11 Abs. 3 VVG normierten Mindestkündigungsfrist von einem Monat offensichtlich ist. Zwar wäre ein Verstoß gegen § 11 Abs. 3 VVG in der Praxis tatsächlich nur dann relevant, wenn die Stellung des Insolvenzantrags im letzten Monat der Versicherungsperiode erfolgen würde; doch der BGH weist richtigerweise darauf hin, dass dies nichts an der Unwirksamkeit bzw. Unvereinbarkeit der Insolvenzklausel mit den wesentlichen Grundgedenken von § 11 Abs. 1 und 3 VVG ändere, da die Insolvenzklausel gerade darauf abziele, die Mindestkündigungsfrist entbehrlich zu machen und die Beklagte sich zudem auch nicht darauf berufen könne, die Fristverkürzung komme nur in wenigen Fällen materiell zum Tragen, wenn die Insolvenzklausel sie gerade in diesen wenigen Fällen gegenüber der Regelung in § 11 Abs. 3 VVG begünstige.
Während die Entscheidung des BGH mit Blick auf die Unwirksamkeit der Insolvenzklausel nachvollziehbar erscheint, wirft die Beurteilung der Nachmeldeklausel durch den BGH Fragen auf.
Der Regelungsinhalt der Nachmeldeklausel war im vorliegenden Fall deshalb relevant, da das OLG Frankfurt das Schreiben der Beklagten vom 31.03.2016 als konkludent erklärte ordentliche Kündigung ausgelegt hatte und von einer Beendigung des D&O-Versicherungsvertrages zum 01.02.2017 ausgegangen war. Nach Auffassung des OLG Frankfurt konnte die in der Nachmeldeklausel geregelte 60-monatige automatische Nachmeldefrist nicht zur Anwendung kommen, da die Kündigung auf die Insolvenz der Versicherungsnehmerin gestützt worden sei und die Nachmeldeklausel u.a. im Falle der Beendigung des Versicherungsvertrags wegen „Insolvenz“ der Versicherungsnehmerin keine Nachmeldefrist vorsehe.
Der BGH hätte an dieser Stelle Gelegenheit gehabt, sich zu der grundsätzlichen – und in der Literatur sowie obergerichtlichen Rechtsprechung seit langem diskutierten – Frage zu positionieren, ob die Einräumung einer Nachmeldefrist bei einer Versicherung nach dem Anspruchserhebungsprinzip stets geboten ist, um eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (bzw. im Fall der D&O-Versicherung der versicherten Personen) zu vermeiden. Dazu kam es jedoch nicht. Denn der BGH gelangte über eine entsprechende Auslegung der Nachmeldeklausel zu dem Ergebnis, dass der in der Nachmeldeklausel vorgesehene Ausschluss der Nachmeldefrist wegen „Insolvenz“ im vorliegenden Fall ohnehin nicht greife.
In diesem Zusammenhang ruft der BGH zunächst die für die Auslegung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen gemäß seiner ständigen Rechtsprechung geltenden Auslegungsgrundsätze in Erinnerung, wonach es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ankomme. Ergänzend weist der BGH darauf hin, dass bei der D&O-Versicherung (als Versicherung für fremde Rechnung) daneben auch die Verständnismöglichkeiten durchschnittlicher Versicherter zu berücksichtigen seien, die – da dies bei dem typischen Adressaten- und Versichertenkreis von D&O-Versicherungen anzunehmen sei – geschäftserfahren und mit Allgemeinen Geschäftsbedingungen vertraut seien. Interessanterweise differenziert der BGH im Rahmen der sich anschließenden Auslegung der Nachmeldeklausel jedoch nicht mehr weiter zwischen den Verständnismöglichkeiten des Versicherungsnehmers und denen der Versicherten, sondern interpretiert die Klausel ausschließlich aus Sicht eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.
Inhaltlich argumentiert der BGH, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei Lektüre der Nachmeldeklausel zunächst erkennen werde, dass ihm diese Klausel grundsätzlich eine Nachmeldefrist einräume, die nur in Ausnahmefällen ausgeschlossen sein solle. Bei näherer Betrachtung und unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs der Nachmeldeklausel werde ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sodann erkennen, dass die in der Nachmeldeklausel enthaltenen Ausschlusstatbestände mit den Gründen, die in der Insolvenzklausel für die automatische Vertragsbeendigung vorgesehen sind, inhaltlich kongruent sind.
Nach der Logik des BGH bedeutet dies, dass (nur) wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine automatische Vertragsbeendigung gemäß der Insolvenzklausel erfüllt sind, überhaupt von einem Ausschluss der Nachmeldefrist gemäß der Nachmeldeklausel ausgegangen werden kann. Mit Blick auf den in der Insolvenzklausel vorgesehenen Vertragsbeendigungsgrund der „Insolvenz“ weist der BGH – insoweit zutreffend – darauf hin, dass dieser nicht bereits dann einschlägig sei, wenn materielle Insolvenzgründe vorlägen, sondern (wie in der Insolvenzklausel vorgegeben) erst dann, wenn der „formal-prozessuale Gesichtspunkt der Insolvenzantragstellung“ gegeben sei.
Allerdings – so der BGH – reiche die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen in der Insolvenzklausel für sich genommen auch noch nicht aus, um einen Ausschluss der Nachmeldefrist annehmen zu können; vielmehr müsse es auch tatsächlich zu einer Vertragsbeendigung gekommen sein. Mit Blick auf den Vertragsbeendigungsgrund der „Insolvenz“ komme es deshalb nicht allein auf den Umstand der Insolvenzantragstellung an, sondern der Versicherungsvertrag müsse auch tatsächlich als kausale Folge des Insolvenzantrags beendet worden sein. Eine anderweitige Vertragsbeendigung, etwa als Folge einer ordentlichen Kündigung (wie das OLG Frankfurt es angenommen hatte) reiche – auch wenn sie auf insolvenzbedingte Umstände zurückzuführen sei – deshalb nicht aus, um die Nachmeldefrist auszuschließen.
Dieses Auslegungsergebnis des BGH ist keinesfalls zwingend. Der BGH stützt seine Auslegung in erster Linie auf den „systematischen Zusammenhang“ der Nachmeldeklausel. Die am Klauselwortlaut orientierte Auslegung rückt dabei – obwohl sie nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eigentlich Vorrang haben sollte (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 26.02.2020 - IV ZR 235/19) – in den Hintergrund.
Orientiert man sich am Wortlaut der Nachmeldeklausel, ist Voraussetzung für die Gewährung einer Nachmeldefrist, dass der Versicherungsvertrag „aus einem anderen Grund“ als der „Insolvenz“ der Versicherungsnehmerin beendet wird. Der Ausschluss der Nachmeldefrist knüpft somit an die Beendigung des Versicherungsvertrags aufgrund der „Insolvenz“ der Versicherungsnehmerin an. Der Tatbestand für den Ausschluss der Nachmeldefrist ist damit weit gefasst und differenziert – nach seinem Wortlaut – nicht zwischen verschiedenen Modalitäten zur Beendigung des Vertragsverhältnisses aufgrund der Insolvenz der Versicherungsnehmerin. Vor diesem Hintergrund könnte auch (wie vom OLG Frankfurt angenommen) eine ordentliche Kündigung des D&O-Versicherungsvertrags, die anlässlich der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Versicherungsnehmerin erklärt worden war, zum Ausschluss der Nachmeldefrist führen. Auch in diesem Fall wäre der Versicherungsvertrag aufgrund der Insolvenz der Versicherungsnehmerin beendet worden.
Die Schlussfolgerung des BGH, dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer nur dann von einem Ausschluss der Nachmeldefrist ausgehen werde, wenn es gerade infolge einer Insolvenzantragstellung zu einer automatischen Vertragsbeendigung gekommen war, erschließt sich – wie bereits erwähnt – nur aus dem systematischen Zusammenhang der Nachmeldeklausel, wenn man annimmt, dass sich ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer zwecks Konkretisierung des in der Nachmeldeklausel enthaltenen Vertragsbeendigungsgrundes „Insolvenz“ (unweigerlich) den Regelungen in der Insolvenzklausel zuwende.
Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass in der Nachmeldeklausel weder ein Verweis auf die Insolvenzklausel enthalten noch die Insolvenzklausel im Bedingungswerk unmittelbar vor oder hinter der Nachmeldeklausel zu finden ist. Tatsächlich stellt die Insolvenzklausel auch nur die Unterklausel einer umfassenderen Versicherungsklausel im Bedingungswerk dar, die mit „Neubeherrschung/Verschmelzung/Liquidation/Insolvenz der Versicherungsnehmerin“ überschrieben ist. Es ist nicht ersichtlich, wie sich einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer anhand dieser Überschrift (die zudem – wie der BGH selbst einräumt – nicht alle Gründe nennt, die auch zum Ausschluss der Nachmeldefrist führen können) erschließen soll, dort nach Hinweisen zur Konkretisierung des in der Nachmeldeklausel enthaltenen Vertragsbeendigungs- bzw. Ausschlussgrundes „Insolvenz“ zu suchen, zumal in dieser umfassenderen Versicherungsklausel neben der Insolvenzklausel auch noch andere Regelungstatbestände (u.a. zur Möglichkeit einer Umstandsmeldung) zu finden sind.
Vor diesem Hintergrund erscheint der vom BGH bemühte Sinnzusammenhang zwischen der Nachmeldeklausel und der Insolvenzklausel konstruiert und die Auslegung des BGH, die die eigentlich vorrangige Interpretation des Klauselwortlauts in den Hintergrund rückt, insgesamt nicht sehr überzeugend.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Mit Blick auf die Auswirkungen der BGH-Entscheidung für die Praxis ist festzuhalten, dass ein nicht unwesentlicher Anteil der derzeit auf dem deutschen Markt verfügbaren D&O-Policen bereits Vertragsklauseln enthält, die im Falle der Insolvenz der Versicherungsnehmerin eine automatische Beendigung des D&O-Versicherungsvertrags vorsehen. Vor diesem Hintergrund kommt der Entscheidung des BGH erhebliche praktische Bedeutung zu. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die entsprechenden Anbieter ihre Allgemeinen Versicherungsbedingungen im Hinblick auf die Entscheidung des BGH kurzfristig anpassen werden. Viele marktübliche D&O-Versicherungsbedingungen sehen ohnehin bereits jetzt vor, dass im Falle der Insolvenz der Versicherungsnehmerin der Versicherungsschutz (zunächst) uneingeschränkt fortbesteht und der Versicherungsvertrag erst nach Ablehnung der Vertragserfüllung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 103 InsO endet.
So begrüßenswert die Entscheidung des BGH im Hinblick auf die Klarstellung betreffend die Unwirksamkeit von Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist, die eine automatische Vertragsbeendigung im Falle der Insolvenz des Versicherungsnehmerin vorsehen, so wünschenswert wäre es gewesen, wenn sich der BGH auch bezüglich der Grundsatzfrage positioniert hätte, ob die Einräumung einer Nachmeldefrist bei einer D&O-Versicherung stets geboten ist, um eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (bzw. der versicherten Personen) zu vermeiden. Der vom BGH gewählte Weg, diese Frage offenzulassen und stattdessen über eine entsprechende Auslegung der Nachmeldeklausel zu lösen, überzeugt – wie vorstehend dargelegt – nicht vollständig.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der BGH auch die Beantwortung einer weiteren interessanten Fragestellung offengelassen hat, nämlich ob die Insolvenzklausel, die eine insolvenzabhängige Lösung vom Versicherungsvertrag vorsieht, auch aufgrund der Beschränkung des Insolvenzverwalterwahlrechts nach § 103 InsO unwirksam ist. Dies wird in der Literatur überwiegend bejaht (vgl. u.a. Lange, D&O-Versicherung und Managerhaftung, 2. Aufl. 2022, § 3 Rn. 134 f.; Schaffer, Die D&O-Versicherung in Sanierung und Insolvenz, 2021, S. 174 ff.; Zehentbauer, Die Versicherung von Risiken der Organhaftung in der Unternehmenskrise, 2020, S. 207 f.; Looschelders/Pohlmann/Schneider, VVG, 4. Aufl. 2023, § 11 Rn. 29; Orlikowski-Wolf, RuS 2021, 365, 366).
Der BGH hatte in seinem Urteil vom 04.03.2020 (IV ZR 110/19) jedoch entschieden, dass es in der Insolvenz der Versicherungsnehmerin nicht auf das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters ankomme, weil die Verfügungsbefugnis über die Ansprüche unter dem D&O-Versicherungsvertrag allein der versicherten Person zustünde.
Im vorliegenden Fall musste der BGH über diese Frage nicht entscheiden, da die Insolvenzklausel bereits deshalb unwirksam war, weil sie sich nicht mit der gesetzlichen Regelung des § 11 Abs. 1 und 3 VVG vereinbaren lässt. Dem Umstand, dass der BGH die Frage explizit offengelassen hat – anstatt entsprechend seinem Urteil vom 04.03.2020 zu entscheiden – wollen manche Kommentatoren die Andeutung entnehmen, dass die Frage bezüglich einer vermeintlichen Beeinträchtigung des Wahlrechts des Insolvenzverwalters gemäß § 103 InsO in der Insolvenz der Versicherungsnehmerin doch noch nicht abschließend geklärt sei (vgl. Orlikowski-Wolf/Bexen, RuS 2025, 121, 122) – zumal der BGH den Streitstand in seiner Entscheidung ausdrücklich und unter Benennung der entsprechenden Literaturansichten erwähnt. Dies könnte jedoch auch dem Umstand geschuldet sein, dass dieser Punkt von der Revision gesondert angesprochen worden war. Ob der BGH diesbezüglich tatsächlich gedenkt, seine Rechtsauffassung zu ändern, werden erst künftige Entscheidungen zeigen.



Immer auf dem aktuellen Rechtsstand sein!

IHRE VORTEILE:

  • Unverzichtbare Literatur, Rechtsprechung und Vorschriften
  • Alle Rechtsinformationen sind untereinander intelligent vernetzt
  • Deutliche Zeitersparnis dank der juris Wissensmanagement-Technologie
  • Online-First-Konzept

Testen Sie das juris Portal 30 Tage kostenfrei!

Produkt auswählen

Sie benötigen Unterstützung?
Mit unserem kostenfreien Online-Beratungstool finden Sie das passende Produkt!