Untersagung einer Werbung für Fernbusreisen mit den Bezeichnungen „umweltfreundlich“ („milieuvriendelijk“) und/oder „klimafreundlich“ („klimaatvriendelijk“) durch das Umweltbundesamt („Fernbus in Belgien“)Leitsätze 1. Die Rechtmäßigkeit einer von der zuständigen deutschen Behörde (hier: dem Umweltbundesamt) auf Ersuchen einer für die Verfolgung irreführender Angaben gegenüber Verbrauchern zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (hier: der belgischen Generaldirektion Wirtschaftsinspektion, ADEI) auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 2017/2394 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden (ABl. EU 2017 L 345 S. 1, Consumer Protection Cooperation - CPC-Verordnung) gegen ein in Deutschland ansässiges Unternehmen erlassenen Untersagungsanordnung setzt nicht voraus, dass eine den innerstaatlichen Anforderungen des belgischen Rechts genügende „Grundverfügung“ der ADEI als ersuchende Behörde vorliegt. Die Befugnisse der ersuchenden Behörde ergeben sich vielmehr ebenso wie diejenigen der ersuchten Behörde unmittelbar aus den Bestimmungen der CPC-Verordnung. 2. Die gegen die im Rahmen eines Verfahrens gemäß der CPC-Verordnung ergangene Beschwerdeentscheidung erhobene Rechtsbeschwerde kann nicht auf eine Verletzung von ausländischem Recht gestützt werden. An die Feststellungen des Beschwerdegerichts, die das Bestehen und den Inhalt des materiellen ausländischen Rechts betreffen, ist das Rechtsbeschwerdegericht vielmehr gebunden. Auch die Anwendung ausländischen Rechts durch das Tatgericht kann durch das Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich nicht nachgeprüft werden. 3. Allerdings kann mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden, das ausländische Recht sei unter Verletzung der Maßstäbe des § 293 ZPO unzureichend oder fehlerhaft ermittelt worden. Diese Rügemöglichkeit ist indessen beschränkt. Sie besteht nicht, wenn mit ihr in Wirklichkeit die Nachprüfung irrevisiblen ausländischen Rechts bezweckt wird. Außerdem überprüft das Rechtsbeschwerdegericht lediglich, ob das Tatgericht das ihm eingeräumte pflichtgemäße Ermessen fehlerfrei ausgeübt, insbesondere die sich anbietenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat. Dabei werden die Grenzen der Ermessensausübung des Tatgerichts durch die jeweiligen Umstände des Einzelfalls gezogen. - A.
Problemstellung Die wichtige Entscheidung ist die erste, die sich mit der behördlichen Durchsetzung des Schutzes gegen irreführende Praktiken befasst. Sie steht im Zusammenhang mit der unionsweiten Zusammenarbeit von Behörden nach der Verordnung 2017/2394 (sog. CPC-Verordnung – Consumer Protection Cooperation). Die Verordnung ermöglicht die grenzüberschreitende Durchsetzung kollektiver Verbraucherschutzinteressen durch deutsche Behörden auf Ersuchen der Behörden eines anderen Mitgliedstaats. Im konkreten Fall ging es um das Vorgehen gegen „Green Claims“ eines in Deutschland sitzenden Fernbus- und Fernzugunternehmens in Bezug auf eine an belgische Verbraucher (in flämischer Sprache) gerichtete Werbung. Der Fall steht auch in Zusammenhang mit dem seit 28.05.2022 in Deutschland geltenden § 5c UWG, betraf diese Norm allerdings noch nicht, weil das gerügte Verhalten im Januar 2022 stattfand.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das deutsche Fernbusunternehmen hatte auf seiner belgischen Internetseite damit geworben, dass seine Fernbusreisen „umweltfreundlich“ und „klimafreundlich“, der Fernbus „das umweltfreundlichste Verkehrsmittel“ sei, einbezogen in diese Äußerungen war auch der Fernzug, der allerdings in Belgien nicht eingesetzt wird. Zudem wurde im Zusammenhang mit Buchungsvorgängen eine Emissionsersparnis angegeben, ohne klarzustellen, auf welche konkrete Strecke sie sich pro reisende Person bezieht. Die belgische Generaldirektion Wirtschaftsinspektion (ADEI) hielt diese Angaben für irreführend bzw. unvollständig nach den Art. 6 Abs. 1, 7 Abs. 1, Abs. 4 UGP-Richtlinie. Sie ging allerdings nicht selbst gegen das Unternehmen vor, sondern ersuchte das deutsche Umweltbundesamt, dies zu tun. Diesen Weg erlaubt die CPC-Verordnung. Sie beabsichtigt, grenzüberschreitende Verstöße gegen kollektive Verbraucherschutzinteressen auch durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu verfolgen. Aufgrund eines solchen Ersuchens darf die deutsche Behörde eine Verbotsverfügung mit Zwangsgeldandrohung für den Fall der Zuwiderhandlung erlassen. Die CPC-Verordnung stellt hierfür die Ermächtigungsgrundlagen zur Verfügung, das deutsche Recht muss die zuständige Behörde und den Rechtsweg benennen. Letzteres geschah im Verbraucherschutzdurchführungsgesetz (VSchDG), das in § 2 Nr. 1 das in Dessau-Roßlau sitzende Umweltbundesamt für zuständig erklärt. Das Umweltbundesamt erließ die Anordnung und drohte ein Zwangsgeld von 20.000 Euro bei Zuwiderhandlung an. Für die dagegen eingelegte Beschwerde war das örtlich zuständige Landgericht, also das LG Dessau-Roßlau zuständig (§ 13 Abs. 4 VSchDG), das die Anordnung bestätigte. Hiergegen wiederum ist nach § 24 VSchDG die Rechtsbeschwerde an den BGH möglich. Nach dessen Geschäftsordnung entscheidet der auch für das UWG im Übrigen zuständige Erste Zivilsenat. In einem sehr ausführlichen Beschluss, der tief in das Verwaltungsverfahrensrecht führt, bestätigte der BGH die landgerichtliche Entscheidung. Die materiellen Rechtsfragen treten dabei hinter den (verwaltungs-)verfahrensrechtlichen zurück, weil der BGH im Rechtsbeschwerdeverfahren die vom Landgericht durchgeführte Prüfung der Verletzung des belgischen Rechts nicht inhaltlich prüft, sondern nur darauf kontrolliert, ob dieses Recht unzureichend oder fehlerhaft ermittelt wurde (BGH Rn. 51). Dies liegt wiederum daran, dass ausländisches Recht im deutschen Zivilprozess wie Tatsachenvortrag behandelt wird (§ 293 ZPO). An dem Vorgehen des Landgerichts hatte der BGH nichts auszusetzen. Erwähnenswert ist, dass nicht nur die belgischen Umsetzungsnormen der UGP-Richtlinie, sondern auch die Richtlinien des Belgischen Wirtschaftsministeriums zu ihrer Auslegung herangezogen wurden. Vor diesem Hintergrund sei ein zusätzliches Rechtsgutachten über das belgische Recht nicht erforderlich gewesen, so der BGH (Rn. 53).
- C.
Kontext der Entscheidung Die Durchsetzung des Verbraucherschutzes gegen irreführende geschäftliche Handlungen erfolgt in Deutschland traditionell durch Mitbewerber oder Verbände, nicht aber durch Behörden. Das ist in der Europäischen Union nicht der Standard. Frankreich und Belgien, aber auch viele osteuropäische Staaten setzen den Schutz lauterer Geschäftspraktiken durch Behörden durch. Als die EU-Kommission im Jahre 2017 ihr „Assessment“ zum Verbraucherschutz in der Europäischen Union abgeschlossen hatte (vgl. u.a. Inception Impact Assessment v. Juni 2017, S. 1, abrufbar unter https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/part-2017-279735v1.pdf, zuletzt abgerufen am 28.04.2025; in Deutschland Podszun/Busch/Henning-Bodewig, GRUR 2018, 1004), hatte sie nicht nur Lücken im Bereich der Transparenz des elektronischen Handels (z.B. Rankings, Kundenbewertungen, Influencertätigkeiten), sondern auch bei der Durchsetzung des Verbraucherschutzes diagnostiziert. Als Reaktion darauf wurde die aus dem Jahr 2004 stammende CPC-Verordnung reformiert und zusätzlich mit der Omnibus-Richtlinie von 2019 (Richtlinie [EU] 2019/2161) den Mitgliedstaaten aufgegeben, die Durchsetzung des Verbraucherschutzes durch Behörden zu ermöglichen. Eine Folge dieser Richtlinie ist auch der heutige § 5c UWG, der zusammen mit dem ebenfalls zum 28.05.2022 wirksam gewordenen § 19 UWG Bußgeldfolgen bei Verstößen vorsieht. Eine andere Konsequenz ist die mit dem VDSchG verschaffte Möglichkeit grenzüberschreitender Zusammenarbeit von Verbraucherschutzbehörden im Bereich von Untersagungsanordnungen, wie sie der hier entschiedene Fall demonstriert. Die auf 20 Seiten ausgebreitete sorgfältige Entscheidung des BGH überzeugt im Ergebnis. Das Verfahren demonstriert Vorzüge des behördlichen Weges, allerdings auch Risiken. Ein Risiko eines grenzüberschreitenden Vorgehens liegt naheliegenderweise darin, dass Zivilgerichte bereits auf der Ebene der Eingangsinstanz über behördliche Verfahren entscheiden müssen. Das ist im deutschen Recht zwar nicht gänzlich unüblich (man denke an die §§ 3a, 20 UWG), im unionsweiten Maßstab stellt es gleichwohl eine Herausforderung dar. Eine weitere Herausforderung liegt darin, dass nach deutscher zivilprozessualer Überzeugung eine materielle Überprüfung bei der Anwendung ausländischen Rechts durch das Landgericht nicht in Betracht kommt, allenfalls Fehler oder Mängel in der Ermittlung dieses Rechts sind noch überprüfbar. Als drittes Risiko stellt sich ein, dass Richter über das Verständnis ausländischer Verkehrskreise urteilen müssen, obgleich sie zu diesen Verkehrskreisen nicht gehören (vgl. BGH Rn. 59). Die Verweisung auf ein unionsweit harmonisiertes Leitbild vom durchschnittlichen Verbraucher hilft nur bedingt, denn in der Praxis spielen natürlich kulturelle Gewohnheiten, Verbrauchererfahrungen und Überzeugungen der oft normativ entscheidenden Rechtsanwender bei der Ermittlung dieses Verständnis eine Rolle. Gewisse Vorprägungen oder auch Vorurteile lassen sich dabei nicht vermeiden. Viertens ermöglicht die CPC-Verordnung (in der Auslegung durch den BGH), dass die belgische Behörde das Ersuchen stellt, die deutsche Behörde dann allerdings recht frei ermitteln kann, unter Umständen auch das, was die belgische Behörde in ihrem Ersuchen nicht vorgibt. Eine „Grundverfügung“ der belgischen Behörde, welche die deutsche nur exekutieren darf, ist nämlich nicht erforderlich (BGH Rn. 20). Das stärkt zweifelsohne die Effizienz der Durchsetzungsmechanismen, bedeutet aber auch eine Einmischung in ausländische behördliche Befugnisse, ggf. auch deren Ausweitung auf Bereiche, die im Ersuchen nicht konkret erfragt wurden. Der BGH sieht alle genannten Probleme, findet auch auf alle Schwierigkeiten gut begründete und angemessene Antworten. Eine Vorlage an den EuGH erachtet er wegen des klaren Ergebnisses nicht für nötig. Auch das wird angemessen begründet. Die Fülle der Fragen eröffnet allerdings auch in allen Punkten Raum für abweichende Argumentationen. Bei § 5c UWG werden diese Fragen ebenfalls auftauchen. Gut, dass es in Deutschland (noch) Einheitsjurist/innen gibt, die alle Rechtsgebiete beherrschen müssen.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die lauterkeitsrechtliche Praxis wird sich im Bereich der Rechtsdurchsetzung künftig verbreitern. Der hier entschiedene Fall dazu zeigt, welches erhebliche Potential die CPC-Verordnung (und § 5c UWG) eröffnet. Für die Behörden tut sich hier ein herausforderndes, aber auch machtvolles neues Betätigungsfeld auf. Ob das Umweltbundesamt (oder vorher: das Bundesamt für Justiz) hierfür die richtige Behörde ist, kann man bezweifeln. Vorschläge aus der Literatur, das Bundeskartellamt nicht nur mit der Durchführung von Sektoruntersuchungen (§§ 32e Abs. 6, 90 Abs. 6 GWB), sondern auch mit der Durchsetzung der Verbraucherschutzbestimmungen des UWG zu beauftragen (Podszun in: FS Harte-Bavendamm, 2020, S. 417, 420), hat der Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Möglicherweise wird das Umweltbundesamt daher mehr Arbeit durch ausländische Ersuchen als durch eigene Initiativen erhalten. Für die begleitende Anwaltschaft wird die internationale Vernetzung weiterhin wichtig werden. Insbesondere die Möglichkeit, dass nationale Gerichte ausländisches Recht selbst anwenden können (mag es auch auf unionsrechtlichen Grundlagen beruhen), zeigt auch Risiken. Die Ermittlung des ausländischen Rechts wird von der Anwaltschaft daher gut vorbereitet und begleitet werden müssen, damit jedenfalls ausreichende Entscheidungsgrundlagen für das Gericht ausgebreitet werden.
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