juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 3. Zivilsenat, Urteil vom 17.07.2025 - III ZR 388/23
Autor:Dr. Herbert Geisler, RA BGH
Erscheinungsdatum:19.09.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 628 BGB, § 309 BGB, § 6 BGBEG, § 627 BGB, § 307 BGB
Fundstelle:jurisPR-BGHZivilR 19/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Markus Würdinger, Universität Passau
Zitiervorschlag:Geisler, jurisPR-BGHZivilR 19/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Online-Partnervermittlungsportal, Kündigungsrecht, Vertragsverlängerungsklausel



Leitsätze

1. Das Kündigungsrecht des § 627 Abs. 1 BGB besteht nicht bei einem Vertrag über die Nutzung eines Online-Partnervermittlungsportals, bei dem die Leistung maßgeblich im Bereitstellen einer Online-Datenbank besteht und das die Partnersuche regelhaft ausschließlich durch vollständig automatisierte Vorgänge unterstützt.
2. Zur (Un-)Wirksamkeit einer Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Betreibers eines Online-Partnervermittlungsportals, die bei Verträgen mit einer bei Vertragsschluss gewählten Laufzeit von sechs, zwölf oder 24 Monaten vorsieht, dass eine Verlängerung der Mitgliedschaft um zwölf Monate eintritt, sofern nicht spätestens zwölf Wochen vor Ablauf der bei Vertragsschluss gewählten Laufzeit gekündigt wird.



A.
Problemstellung
Der BGH hatte in einem von einer Verbraucherschutzorganisation (Musterkläger) angestrengten Musterfeststellungsverfahren über zwei zentrale Fragen im Kontext von Online-Partnervermittlungsportalen zu entscheiden.
Es ging um die Frage, ob Nutzer eines vollständig automatisierten Online-Partnervermittlungsportals den kostenpflichtigen Vertrag gemäß § 627 Abs. 1 BGB jederzeit fristlos kündigen können, weil es sich um „Dienste höherer Art“ handelt, die aufgrund besonderen Vertrauens übertragen zu werden pflegen.
Weiter ging es um die Frage, ob die von der Beklagten in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) verwendeten automatischen Vertragsverlängerungsklauseln Verbraucher nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligen und deswegen unwirksam sind.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beklagte betreibt ein Online-Partnervermittlungsportal. Die Nutzer haben die Wahl zwischen einer kostenlosen Basis-Mitgliedschaft und einer kostenpflichtigen Premium-Mitgliedschaft. Im Rahmen der Premium-Mitgliedschaft bot die Beklagte den Abschluss von Verträgen mit einer Erstlaufzeit von sechs, zwölf oder 24 Monaten an. Die Verträge über die kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft enthielten Vertragsverlängerungsklauseln in Form von AGB, nach denen sich die Verträge automatisch um zwölf Monate verlängerten, wenn der Kunde nicht unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von zwölf Wochen vor Ablauf der Erstlaufzeit ordentlich kündigte.
Der Kläger begehrte die Feststellung, dass Nutzer die kostenpflichtige Premium-Mitgliedschaft nach § 627 Abs. 1 BGB jederzeit fristlos kündigen können, dass in diesem Fall nur eine zeitanteilige Vergütung (§ 628 BGB) geschuldet ist, dass eine AGB-Klausel, wonach sich Mitgliedschaften mit Erstlaufzeiten von sechs, zwölf oder 24 Monaten automatisch um zwölf Monate verlängern, wenn nicht spätestens zwölf Wochen vor Ablauf gekündigt wird, unwirksam ist. Das Portal arbeitet vollständig automatisiert: Nutzer füllen einen standardisierten Fragebogen aus, der algorithmisch ausgewertet wird; Partnervorschläge erfolgen ohne persönlichen Kontakt zu Mitarbeitern. Die Beklagte bestritt die Anwendbarkeit von § 627 BGB und hielt die Verlängerungsklauseln für wirksam. Streit bestand über die Reichweite des Kündigungsrechts und die Inhaltskontrolle der Klauseln nach § 307 BGB bzw. § 309 Nr. 9 BGB a.F.
Der BGH hat entschieden, dass das Kündigungsrecht des § 627 Abs. 1 BGB, das eine besondere persönliche Beziehung voraussetzt, bei einem Vertrag über die Nutzung eines Online-Partnervermittlungsportals, bei dem die Leistung maßgeblich im Bereitstellen einer Online-Datenbank besteht und das die Partnersuche regelhaft ausschließlich durch vollständig automatisierte Vorgänge unterstützt, nicht besteht. Es fehlt an der für § 627 Abs. 1 BGB erforderlichen besonderen persönlichen Beziehung zwischen Dienstverpflichtetem und Dienstberechtigtem. Die Preisgabe persönlicher Daten und das Vertrauen in Seriosität und technische Kompetenz genügen nicht; es bedarf einer auf persönlichem Kontakt beruhenden Vertrauensbeziehung.
Die Vertragsbedingungen, einschließlich der Kündigungsfristen und Verlängerungsklauseln, seien zwar klar und verständlich formuliert und verstoßen nicht gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Dennoch hat der BGH entschieden, dass bezogen auf die bis zum 28.02.2022 geltende Rechtslage die Vertragsverlängerungsklausel bei Verträgen mit einer bei Vertragsschluss gewählten Laufzeit von sechs Monaten die Kunden der Beklagten nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt und daher unwirksam ist. Er hat das damit begründet, dass bei diesem Vertragsmodell die finanzielle Belastung für alle Kunden, die nicht (fristgerecht) kündigen, während der Vertragsverlängerung doppelt so hoch ist wie während der Erstlaufzeit des Vertrags und – ausschlaggebend – hinzu kommt, dass die Beklagte von diesen Kunden, die ihr durch das Unterlassen einer Kündigung finanzielle Planungssicherheit verschaffen, insgesamt mehr verlangt als von denjenigen, die fristgerecht kündigen, sie damit zunächst in finanzieller Ungewissheit lassen und erst bei Ablauf der sechsmonatigen Erstlaufzeit mit ihr einen zweiten Vertrag mit einer (weiteren) Erstlaufzeit von zwölf Monaten schließen (Rn. 68).
Bei den Vertragsmodellen mit Erstlaufzeiten von zwölf und 24 Monaten ist das anders, weswegen bei ihnen eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht vorliegt (Rn. 51 f.).
Die Interessen der Kunden, die typischerweise auf eine einmalige erfolgreiche Partnerfindung abzielen, stehen im Vordergrund bei kürzeren Laufzeiten. Bei längeren Laufzeiten überwiegen die wirtschaftlichen Interessen der Beklagten, da Kunden ausreichend Zeit haben, den Dienst zu testen und die Kündigungsfrist angemessen ist (Rn. 25).


C.
Kontext der Entscheidung
Das Urteil klärt erstmals die Nichtanwendbarkeit des § 627 Abs. 1 BGB auf rein automatisierte Online-Partnervermittlungen. Bisher war die Rechtslage umstritten. Teile der Instanzrechtsprechung und Literatur bejahten die Norm, gestützt auf die Preisgabe intimer Daten. Der BGH schließt sich der restriktiven Linie an, die eine persönliche Beziehung und ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen den Vertragspartnern fordert. Bei einem Online-Partnervermittlungsportal, das ausschließlich automatisierte Vorgänge nutzt, fehlt diese persönliche Beziehung (Rn. 45). Die Leistung basiert auf Algorithmen und nicht auf einem persönlichen Kontakt oder individueller Betreuung durch Mitarbeiter (Rn. 15).
Zudem präzisiert der Senat die AGB-Kontrolle bei Verlängerungsklauseln im Lichte der alten Fassung des § 309 Nr. 9 BGB und der Generalklausel des § 307 Abs. 1 BGB. Das Urteil erging zu Altverträgen vor dem 01.03.2022, für die die alte Rechtslage fortgilt (Art. 229 § 60 Satz 2 EGBGB).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Für die Vertragsgestaltung im Online-Dienstleistungsbereich ist zu beachten, dass Anbieter rein automatisierter Leistungen sich regelmäßig auf die Nichtanwendbarkeit des § 627 Abs. 1 BGB berufen können. Damit entfällt das jederzeitige fristlose Kündigungsrecht ohne wichtigen Grund. Zur Abgrenzung des besonderen Vertrauens (§ 627 BGB) differenziert der BGH klar zwischen persönlichem Vertrauen und bloßer fachlicher Kompetenz/Sachkompetenz (Rn. 36, 46).
Der BGH betont zur Interessenabwägung bei § 307 BGB, dass die Unangemessenheit sich nur aus besonderen, nicht schon vom Gesetzgeber berücksichtigten Gründen ergeben darf. Der Einsatz von Algorithmen und künstlicher Intelligenz schließt nicht per se „Dienste höherer Art“ aus, kann sie aber im Fehlen persönlicher Bindung praktisch unmöglich machen.
Der BGH bezieht Werbeaussagen als Auslegungshilfe des Anbieters in die Bestimmung des typischen Vertragszwecks ein (Rn. 64). Dies kann bei der AGB-Kontrolle entscheidungsrelevant sein. Der BGH differenziert zwischen kurzen und langen Vertragslaufzeiten und betont die Bedeutung einer ausgewogenen Interessenabwägung.
Bei kurzen Erstlaufzeiten (unter zwölf Monaten) ist besondere Vorsicht geboten; eine Verlängerung um ein Jahr kann wegen § 307 Abs. 1 BGB unwirksam sein, wenn sie die finanzielle Belastung verdoppelt oder dem Vertragszweck zuwiderläuft.
Bei längeren Erstlaufzeiten (zwölf Monate oder mehr) besteht mehr Gestaltungsspielraum. Verlängerungen um die Hälfte der Erstlaufzeit sind in der Regel zulässig, sofern die Kündigungsfrist angemessen ist.
Das Urteil bestätigt für Verbraucherschutzverbände die Zulässigkeit von Musterfeststellungsklagen auch bei Klauseln, die nur noch in Altverträgen Anwendung finden, sofern ein fortbestehendes Rechtsschutzinteresse besteht.



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