Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Parteien sind, gemeinsam mit weiteren Geschwistern, Miterben ihres Vaters. Dieser hatte dem Beklagten zu Lebzeiten eine umfassende General- und Vorsorgevollmacht in notarieller Form über den Tod hinaus erteilt. In der Vollmachtsurkunde wird auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Vollmachtgeber und Bevollmächtigtem hingewiesen. Weiterhin soll der Bevollmächtigte nicht den Einschränkungen eines rechtlichen Betreuers unterliegen. Zudem hat der Erblasser den Beklagten in seinem Testament als Testamentsvollstrecker bestimmt.
Unstreitig hob der Beklagte vom Konto des Erblassers 25.105 Euro ab. Der Beklagte wurde von den Erben zur Erteilung von Auskunft und Rechenschaft über die von ihm für den Erblasser vorgenommenen Verfügungen durch Vorlage einer geordneten Übersicht hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben unter Vorlage einschlägiger Belege aufgefordert. Der Anspruch wurde vom Beklagten außergerichtlich nicht erfüllt. Somit verfolgte die Klägerin diesen Anspruch im Wege einer Stufenklage weiter, wobei sie Leistung an die Erbengemeinschaft fordert.
Das LG Ellwangen hat den Beklagten verurteilt, der Erbengemeinschaft Auskunft zu erteilen über sämtliche Verfügungen, die er für den Verstorbenen aufgrund der Generalvollmacht getätigt hat, und zwar durch Vorlage einer nach Einnahmen und Ausgaben geordneten Aufstellung sowie durch Vorlage der dazugehörigen Belege.
Die Klägerin sei als Miterbin gemäß § 2039 Satz 1 BGB kraft Gesetzes prozessführungsbefugt.
Zulässig sei eine Stufenklage gemäß § 254 ZPO auch dann, wenn sie sich auf Auskunft und Rechnungslegung sowie Abgabe der eidesstattlichen Versicherung beschränke, aber keinen Leistungsantrag umfasse.
Soweit die Klägerin auf der ersten Stufe den Auskunfts- und Rechenschaftsanspruch geltend mache, sei dieser begründet, denn den Erben stehe gemäß § 666 BGB i.V.m. § 1922 Abs. 1 BGB der geltend gemachte Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch gegenüber dem Beklagten als Bevollmächtigtem zu, weil von einem Auftragsverhältnis gemäß § 662 BGB zwischen dem Erblasser und dem Beklagten auszugehen sei, nicht bloß von einem Gefälligkeitsverhältnis.
Die Abgrenzung von einem Auftrag zu einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis, welches keine rechtlichen Pflichten auslöse, hänge von den Umständen des Einzelfalls ab. Wenn für den Auftragnehmer erkennbar sei, dass der Auftraggeber ein wesentliches Interesse an der Durchführung des Auftrages habe, sei von einem Rechtsbindungswillen auszugehen. Es komme darauf an, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstelle. Eine vertragliche Bindung werde insbesondere dann zu bejahen sein, wenn erkennbar sei, dass für den Leistungsempfänger, also den Auftraggeber, wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel stehen und er sich auf die Zusage des Leistenden verlasse. Ein besonderes persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer spreche grundsätzlich nicht gegen einen Auftrag i.S.v. § 662 BGB. Denn ein „besonderes Vertrauensverhältnis“ zwischen den Beteiligten sei der Regelfall eines Auftrages mit rechtlichen Verpflichtungen. Wenn ein Familienangehöriger Geldgeschäfte für einen anderen Familienangehörigen erledige – im Rahmen einer Vorsorgevollmacht oder auch im Rahmen eines Einzelauftrages –, werde man im Regelfall von einem Auftrag mit rechtlichen Verpflichtungen ausgehen müssen. Eine abweichende Bewertung könne nur ausnahmsweise aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls in Betracht kommen.
Hier habe der Erblasser dem Beklagten im Jahr 2017 eine umfassende notariell beurkundete General- und Vorsorgevollmacht erteilt, die diesen „ohne Ausnahme“ zu allen Rechtsgeschäften, Verfahrenserklärungen und Rechtshandlungen ermächtigt habe. Unter diesen Umständen sei für den Beklagten aufgrund der Erteilung so weitreichender Befugnisse zu seinen Gunsten erkennbar gewesen, dass für den Erblasser wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art auf dem Spiel standen und er als Bevollmächtigter über das komplette Vermögen des Erblassers, darunter ein Kontoguthaben i.H.v. immerhin knapp 23.000 Euro, verfügen konnte. Besondere Umstände, aus denen der Beklagte hätte schließen können, dass mit der Erteilung der Vollmacht für den Fall, dass er auf deren Grundlage für den Erblasser tätig werden würde, seinerseits keinerlei Informations- oder Rechenschaftspflichten verbunden sein sollten, liegen nicht vor. Dass er sich um den Erblasser gekümmert habe und ein Vertrauensverhältnis zwischen ihnen bestanden habe, reiche hierfür ebenso wenig aus wie das bloße Verwandtschaftsverhältnis (OLG Brandenburg, Urt. v. 02.04.2019 - 3 U 39/18). Wenn man einen Rechtsbindungswillen verneinen würde, hätte der Beklagte im Übrigen keine Verpflichtung gehabt, die vom Konto des Erblassers unstrittig abgehobenen Gelder an diesen abzuliefern. Des Weiteren sei unbeachtlich, dass der Erblasser zu Lebzeiten selbst weder Auskunft noch Rechnungslegung vom Beklagten verlangt hatte. Auf einen ggf. konkludenten Verzicht könne sich der Beklagte jedenfalls deshalb nicht berufen, weil im Hinblick auf seine pauschalen und widersprüchlichen Angaben zur Verwendung der von ihm in bar abgehobenen Geldbeträge Zweifel an dessen Zuverlässigkeit bestehen (OLG Brandenburg, a.a.O.).
Kontext der Entscheidung
Mit der Frage der Abgrenzung eines Auftragsverhältnisses zu einem Gefälligkeitsverhältnis hat sich jüngst noch einmal das OLG Celle beschäftigt (OLG Celle, Beschl. v. 13.01.2023 - 6 U 89/22). Es hat ausgeführt, dass nicht allgemeingültig gesagt werden kann, dass bei Erledigung von Geldgeschäften für einen Familienangehörigen im Regelfall von einem Auftrag mit rechtlichen Verpflichtungen auszugehen ist. Es kommt auf den konkreten Einzelfall an.
Die Abgrenzung zwischen einem Auftragsverhältnis und einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis erfolgt mittels des Kriteriums des „Rechtsbindungswillens“. Dieser ist „im konkreten Einzelfall nach Treu und Glauben unter Rücksicht auf die Umstände und die Verkehrssitte“ zu beurteilen. Ob ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist nicht nach dem nicht in Erscheinung getretenen inneren Willen des Leistenden zu beurteilen, sondern danach, ob der Leistungsempfänger aus dem Handeln des Leistenden unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Es kommt also darauf an, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstellt (BGH, Urt. v. 22.06.1956 - I ZR 198/54; OLG Celle, Beschl. v. 13.01.2023 - 6 U 89/22).
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch wurde vom Beklagten außergerichtlich weder ganz noch teilweise i.S.v. § 362 Abs. 1 BGB erfüllt. Erst wenn die Angaben nach dem erklärten Willen des Schuldners die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen, tritt Erfüllung ein. Wird die Auskunft in dieser Form erteilt, steht ihre etwaige inhaltliche Unrichtigkeit einer Erfüllung nicht entgegen. Der Verdacht, dass die erteilte Auskunft unvollständig oder unrichtig ist, kann einen Anspruch auf Rechnungslegung in weiter gehendem Umfang nicht begründen, sondern führt lediglich zu einem Anspruch auf eidesstattliche Versicherung der Vollständigkeit der erteilten Auskunft gemäß § 260 Abs. 2 BGB. Wesentlich für die Erfüllung des Auskunftsanspruchs ist daher die – ggf. konkludente – Erklärung des Auskunftsschuldners, dass die Auskunft vollständig ist (vgl. BGH, Urt. v. 03.09.2020 - III ZR 136/18). Die Rechenschaftslegung erfordert eine übersichtliche, in sich verständliche Zusammenstellung der Einnahmen und Ausgaben. Die Ausgaben müssen so detailliert und verständlich dargestellt sein, dass der Berechtigte ohne fremde Hilfe in der Lage ist, seine Ansprüche und die gegen ihn gerichteten Ansprüche nach Grund und Höhe zu überprüfen (vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 16.10.2024 - 12 U 6/24). Diesen Anforderungen haben die außergerichtlichen Schreiben des Beklagten nicht genügt.