Wechsel des Lebensmittelpunktes im UmgangsverfahrenLeitsatz Betrifft ein Streit gemeinsam sorgeberechtigter Eltern ausschließlich die Frage, bei welchem Elternteil das Kind seinen überwiegenden Aufenthalt hat, besteht kein Regelungsbedürfnis für eine sorgerechtliche Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB, sondern vielmehr ein Vorrang einer Regelung des Umgangsrechts nach § 1684 Abs. 3 Satz 1 BGB. - A.
Problemstellung Muss ein Umgangs- oder ein Sorgerechtsverfahren eingeleitet werden, um den Lebensmittelpunkt des Kindes von einem Elternteil zum anderen zu verlagern?
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Beteiligten sind die geschiedenen Eltern eines 14jährigen Sohnes. Dieser wird seit der Trennung der Eltern vor gut 10 Jahren hauptsächlich durch die Mutter betreut. Der Vater übt regelmäßigen Umgang aus. Nun möchte er den Lebensmittelpunkt zu sich verlagern und beantragte die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht. Das Amtsgericht übertrug das Aufenthaltsbestimmungsrecht antragsgemäß auf den Vater. Die Beschwerde der Mutter hatte Erfolg. Das OLG Frankfurt hat die amtsgerichtliche Entscheidung abgeändert und den Antrag des Vaters zurückgewiesen. Die erstrebte Aufteilung der überwiegenden Betreuungszeiten sei einer umgangsrechtlichen Regelung vorbehalten. Es bestehe kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts. Der Eingriff in das Elternrecht sei unverhältnismäßig, weil dem Begünstigten mehr Rechtsmacht verliehen werde als notwendig. Eine Umgangsregelung, die nur die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge betreffe, ohne in das Sorgerecht als Status einzugreifen, stelle ein milderes Mittel gegenüber einer sorgerechtlichen Regelung dar. Das Gesetz mache keine Vorgaben, in welchem Umfang Betreuungszeiten durch die Eltern maßgeblich angeordnet werden können (vgl. BGH, Beschl. v. 01.02.2017 - XII ZB 601/15 - FamRZ 2017, 532). Demnach unterliege auch eine Umkehrung der Betreuungszeiten einer Regelung des Umgangs und nicht der elterlichen Sorge (KG, Beschl. v. 18.05.2018 - 3 UF 4/18; OLG München, Beschl. v. 06.06.2025 - 16 UF 108/25 e). Es stehe weder ein Umzug eines Elternteils im Raum noch fasse ein Elternteil ernsthaft eine Fremdunterbringung des betroffenen Kindes ins Auge, was eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts ggf. rechtfertigen könne (vgl. BGH, Beschl. v. 27.11.2019 - XII ZB 512/18 Rn. 15 - FamRZ 2020, 255).
- C.
Kontext der Entscheidung Der umstrittene vom Senat befürwortete Vorrang des Umgangsverfahrens (vgl. auch OLG Hamburg, Beschl. v. 05.05.2025 - 12 UF 51/25 - NJW-RR 2025, 1029; OLG München, Beschl. v. 06.06.2025 - 16 UF 108/25 e) ist eine konsequente Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH (vgl. Hammer, FamRZ 2022, 601). Bei Sorge- und Umgangsrecht handelt es sich nach der gesetzlichen Systematik um eigenständige Verfahrensgegenstände. Während im Sorgerechtsverfahren die Frage der Rechtszuständigkeit der Eltern für die elterliche Sorge steht, betrifft die Umgangsregelung die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge und schränkt insoweit die Befugnisse des Sorgeberechtigten entsprechend ein, ohne in das Sorgerecht als Status einzugreifen (vgl. BGH, Beschl. v. 05.03.2025 - XII ZB 88/24 Rn. 13 - FamRZ 2025, 1017; BGH, Beschl. v. 19.01.2022 - XII ZA 12/21 Rn. 12 - FamRZ 2022, 601; BGH, Beschl. v. 27.11.2019 - XII ZB 512/18 Rn. 14 - FamRZ 2020, 255; BGH, Beschl. v. 01.02.2017 - XII ZB 601/15 Rn. 20 - FamRZ 2017, 532). Eine Auslegung der Vorschriften, die für einen Wechsel des Lebensmittelpunktes eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts fordert (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 29.03.2023 - 13 UF 157/22 Rn. 21 - FamRZ 2023, 1643; OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.05.2022 - 1 UF 219/21 Rn. 27 - NJW-RR 2022, 1229), berücksichtigt zu wenig den gewandelten Charakter des Umgangsverfahrens. Die herkömmliche Definition, dass das Umgangsrecht dem Umgangsberechtigten ermöglichen soll, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Kind aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem gegenseitigen Liebesbedürfnis Rechnung tragen soll (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10.06.2025 - 1 BvR 1931/23 Rn. 36; BGH, Beschl. v. 21.10.1964 - IV ZB 338/64 - BGHZ 42, 364), ist ersichtlich nicht umfassend. Sie prägt aber offenbar noch weiterhin die Auslegung der Umgangsvorschriften. Sie verstellt jedoch den Blick darauf, dass in einem Umgangsverfahren von Amts wegen die tatsächliche Betreuung des Kindes zwischen den Eltern aufgeteilt wird. Letztlich legitimiert das Gericht mit jeder Umgangsentscheidung nicht nur den Umgang des einen Elternteils, sondern auch die überwiegende Betreuung des anderen Elternteils (vgl. Billhardt, NZFam 2021, 318). Schließlich zielt nicht selten der hauptsächlich betreuende Elternteil darauf, den Umgang des anderen Elternteils einzuschränken. Eine Auslegung der Vorschriften, die für einen Wechsel des Lebensmittelpunktes eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts fordert (vgl. OLG Brandenburg, Beschl. v. 29.03.2023 - 13 UF 157/22; OLG Frankfurt, Beschl. v. 26.04.2022 - 1 UF 219/21 Rn. 27f. - NJW-RR 2022, 1229), berücksichtigt dies zu wenig. Sie kommt spätestens an ihre Grenzen, wenn das Kindeswohl es erfordert den Lebensmittelpunkt zu verändern und ein Sorgerechtsverfahren in zweiter Instanz nicht anhängig ist. Es bleibt jedoch ein Wehrmutstropfen für die Praxis. In nicht wenigen Fällen streiten die Eltern vehement über ein paritätisches Wechselmodell oder den Lebensmittelpunkt des Kindes. Die exakte Aufteilung der Betreuung rückt dabei in den Hintergrund. Die Eltern fokussieren sich bis zuletzt auf die grundlegende Entscheidung des Lebensmittelpunktes und die daran geknüpften finanziellen Folgen. In einem Umgangsverfahren ist jedoch die Betreuung vom Gericht exakt aufzuteilen und sie benötigt eine detaillierte Vorbereitung seitens der Eltern (Ferien, Feiertage, Geburtstage, Hobbies). Häufig kann der Fokus erst in zweiter Instanz ausreichend auf diesen Aspekt gelenkt werden.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Das letzte Wort wird in Karlsruhe gesprochen. Gegen die zitierte Entscheidung des OLG München ist eine Rechtsbeschwerde beim BGH anhängig (Az.: XII ZB 279/25). Der Senat hat ebenfalls die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit einer Entscheidung des BGH dürfte sich die Empfehlung endgültig erübrigen, den eigenen Gerichtssprengel sorgsam im Auge zu behalten und ein paralleles Sorgerechtsverfahren einzuleiten.
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