Vermieter haften für ihre Mieter?Leitsätze 1. (Mit-)Wohnungseigentümer können als mittelbare Handlungsstörer in Anspruch genommen werden, und zwar neben der Inanspruchnahme des unmittelbaren (Handlungs-)Störers (vgl. etwa BGH, Urt. v. 16.05.2014 - V ZR 131/13 Rn. 13 - NJW 2014, 2640, 2642 = ZMR 2014, 894). 2. Dem Störer steht im Rahmen seiner Beseitigungs- bzw. Unterlassungspflicht grundsätzlich die Wahl des Mittels für die Erfüllung derselben zu. - A.
Problemstellung Ist WEG-Recht oft schon allein „kniffelig“ genug, erreicht man bei der Überlassung (oft: Vermietung) von Wohn- und Teileigentum an Dritte dann schnell noch ganz andere juristische Höhen und Tiefen. Der „kleine Fall“ aus der Praxis zeigt das recht plastisch auf und lohnt deswegen die Befassung damit.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Parteien – Wohnungseigentümer einer Gemeinschaft mit gegenüberliegenden Einheiten – streiten über die Pflicht der Beklagten zur „Einwirkung“ auf ihre Mieterin und Mutter. Mit rechtskräftigem Versäumnisurteil ist die Mieterin auf Antrag der Klägerin bei Meidung eines Ordnungsgeldes verurteilt worden, „(...) es zu unterlassen, die Klägerin durch laute Geräusche zu beeinträchtigen. Insbesondere hat es die Beklagte zu unterlassen, auf dem Dachboden, der sich über der Wohnung der Klägerin befindet, laute Geräusche zu verursachen und lautstark an die Wohnungseingangstür der Klägerin zu klopfen bzw. Sturm zu klingeln und im Treppenhaus laut herumzuschreien“. Die Klägerin betrieb die Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO gegen die Mieterin, verlangte aber zudem von der Beklagten, das Mietverhältnis mit der Mutter zu kündigen, hilfsweise auf diese so einzuwirken, dass keine Beeinträchtigungen mehr von dieser ausgehen. Die Beeinträchtigungen sind mit Nichtwissen bestritten. Das AG Hamburg-St. Georg hat auf den Hilfsantrag hin die Beklagte – bei voller Kostenlast – unter Klageabweisung im Übrigen antragsgemäß verurteilt, auf ihre „Mieterin … dahingehend einzuwirken, dass … die Klägerin nicht durch laute Geräusche beeinträchtigt und es insbesondere unterlässt, auf dem Dachboden, der sich über der Wohnung der Klägerin befindet, laute Geräusch zu verursachen und lautstark an die Wohnungseingangstür der Klägerin zu klopfen bzw. Sturm zu klingeln und im Treppenhaus laut herumzuschreien und die Klägerin zu bedrängen“. Der Klägerin fehle nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie bereits einen gerichtlichen (Unterlassungs-)Titel gegen die Mieterin erwirkt habe. Insoweit sei von Belang, dass die Klägerin die Beklagte als (Mit-)Wohnungseigentümerin und als mittelbare Handlungsstörerin in Anspruch nehme, was anerkanntermaßen neben der Inanspruchnahme des unmittelbaren (Handlungs-)Störers möglich sei. Die Klägerin sei auch prozessführungsbefugt bzw. aktivlegitimiert, weil sich die von der Mieterin ausgehenden Störungen unmittelbar auf ihr Sondereigentum auswirken, weswegen sie aus eigenem Recht und eigener Betroffenheit ihre Rechte aus § 1004 BGB (§ 14 WEG) verfolgen könne, selbst wenn auch das Gemeinschaftseigentum von Störungen betroffen sei (Anm.: § 9a Abs. 2 WEG greift also nicht ein). Die Klägerin könne indes nicht verlangen, dass die Beklagte den mit ihrer Mutter bestehenden Mietvertrag kündige, weswegen die Klage mit ihrem Hauptantrag unbegründet sei. Dahinstehen könne, ob die mietrechtlichen Voraussetzungen für eine fristlose oder ordentliche Kündigung gegeben wären. Denn anerkanntermaßen stehe dem Störer im Rahmen seiner Beseitigungs- bzw. Unterlassungspflicht grundsätzlich die Wahl des Mittels für die Erfüllung derselben zu. Es sei im Streitfall nicht ersichtlich, dass die Kündigung die einzig in Betracht kommende Maßnahme darstellen soll, um die behaupteten Störungen zu beenden. Die Klägerin habe aber einen Anspruch auf „Einwirkung“ auf ihre Mieterin in der geltend gemachten Art und Weise, also dahingehend, (einzeln benannte) Ruhestörungen zu unterlassen, § 1004 Abs. 1 BGB i.V.m. § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG. Die Eigenschaft der Beklagten als sog. mittelbare Handlungsstörer leite sich daraus ab, dass sie die Beeinträchtigungen der Klägerin durch einen Dritten – ihre Mieterin – adäquat kausal veranlassen könne und (jedenfalls rechtlich) in der Lage wäre, sie zu verhindern bzw. abzustellen; insbesondere sei der Vermieter mittelbarer Störer, wenn es durch seinen Mieter als unmittelbaren Störer zu Beeinträchtigungen komme (vgl. dazu AG Hamburg-St. Georg, Urt. v. 24.03.2023 - 980b C 35/19 - ZMR 2023, 506). Das Gericht legt seiner Entscheidung den substanziierten Sachvortrag der Klägerin zu den Störungen zugrunde. Ausgehend von einem objektiven Maßstab – bei dem nur konkrete und objektive Beeinträchtigungen als Nachteil gelten, es also darauf ankomme, ob sich nach der Verkehrsanschauung ein Wohnungseigentümer in der entsprechenden Lage verständlicherweise beeinträchtigt fühlen könne – erweisen sich diese Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit als nachteilig i.S.v. § 14 WEG. Eine Wohnungseigentümerin in der Lage der Klägerin müsse nicht hinnehmen, in dieser Art und Weise durch die Handlungen der Mieterin beeinträchtigt zu werden. Eine Beweisaufnahme über die Behauptungen sei nicht veranlasst gewesen. Die Beklagten haben diese zwar mit Nichtwissen bestritten (§ 138 Abs. 4 ZPO). Dieses Bestreiten gehe aber, worauf das Gericht in der mündlichen Verhandlung hingewiesen habe, prozessual ins Leere, weswegen die Beklagten nicht von ihrer Verpflichtung enthoben gewesen seien, sich ebenfalls substanziiert zu dem Sachvortrag der Klägerin zu erklären (BGH, Beschl. v. 29.11.2018 - I ZR 5/18 Rn. 10). Bei den behaupteten Störungen durch die Mieterin handle es sich zwar nicht um eigene Handlungen der Beklagten und es sei auch nicht ersichtlich oder vorgetragen, dass die Beklagten dazu eigene Wahrnehmungen getätigt haben. Im Rahmen von § 138 Abs. 4 ZPO sei aber anerkannt, dass die (Prozess-)Partei verpflichtet sein könne, die ihr möglichen Informationen von Personen einzuholen, die unter ihrer Anleitung, Aufsicht oder Verantwortung tätig geworden seien. Bestreite eine Partei trotz des Bestehens einer Informationspflicht mit Nichtwissen, sei dies unzulässig und führe dazu, dass der Vortrag des Gegners nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gelte. Es gehe nicht um die Zurechnung von Kenntnissen bestimmter Dritter, sondern um eine Informationspflicht der Partei, die Kenntnis aus eigener Wahrnehmung nicht habe, sich diese aber beschaffen könne. Diese Grundsätze seien auf den hiesigen Fall zu übertragen, zumal die Mieterin nicht nur (miet-)vertraglich mit der Beklagten verbunden sei, sondern zudem auch deren Mutter sei. Den Beklagten sei es nicht nur zumutbar, über die von der Klägerin dargelegten (Ruhe-)Störungen Erkundigungen einzuholen, sondern aufgrund ihrer rechtlichen und tatsächlichen Verbundenheit mit ihr auch möglich. Daher können sie sich – auch wegen ihrer wohnungseigentumsrechtlichen Treuepflicht der Klägerin gegenüber – nicht darauf zurückziehen, von den Vorgängen im Haus keine Kenntnis zu haben. Inhalt des von der Klägerin mit ihrem Hilfsantrag verfolgten (Unterlassungs-)Anspruchs sei die Verpflichtung der Beklagten, auf ihre Mieterin in einer Weise einzuwirken, dass die unterschiedlichen (Lärm-)Beeinträchtigungen zukünftig unterbleiben. Die Beklagten als vermietende Wohnungseigentümer müssen alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, damit ihre Mieterin dem berechtigten Unterlassungsbegehren der Klägerin Folge leistet; alles Weitere kann dem Vollstreckungsverfahren überlassen werden (BGH, Urt. v. 16.05.2014 - V ZR 131/13 Rn. 13). Ob die Beklagten ihre Pflichten durch Abmahnung der Beklagten und/oder Kündigung des Mietvertrages (ggf. nebst gerichtlicher Inanspruchnahme auf Räumung) erfüllen, bleibt ihnen als Störer im o.g. Sinne ebenso überlassen wie eine etwaige Einigung mit ihrer Mutter im Verhandlungswege, etwa durch Abschluss einer strafbewehrten Unterlassungsverpflichtungserklärung. Bei den Kosten komme die Anwendung von § 92 Abs. 1 ZPO hier nicht in Betracht, mag auch die Klägerin mit ihrem Hauptantrag nicht durchgedrungen sein. Zwischen Haupt- und Hilfsantrag besteht im Streitfall „Identität“. Zwar sind die Mittel, mit denen die Beklagten die (Lärm-)Beeinträchtigungen ihrer Mieterin unterbinden sollen, verschieden – Kündigung des Mietvertrages einerseits, bloße „Einwirkung“ auf die Mieterin anderseits –, aber das materielle Begehren ist jeweils einheitlich darauf gerichtet, die Mieterin der Beklagten „zur Ruhe“ zu bringen.
- C.
Kontext der Entscheidung Gut begründet und im Kern fest auf dem Boden der herrschenden gerichtlichen Praxis. Bei der mittelbaren Störerhaftung des Vermieters muss man mit Blick auf den „Shisha-Bar-Fall“ des BGH (BGH, Urt. v. 21.03.2025 - V ZR 1/24) möglicherweise aber künftig genauer prüfen, ob man eine WEG-widrige Handlung als Vermieter „erlaubt“ hat, damit rechnen musste und nicht warnend eingegriffen hat oder bei Kenntnis von der Störung trotz Möglichkeit ein Einschreiten unterlässt. Das wird nicht nur bei „Dauerstörungen“ wie erfolgten baulichen Veränderungen gelten, sondern wohl auch bei Unterlassungsansprüchen, die materiell mit dem Erstverstoß wegen der so begründeten tatsächlichen Vermutung der Wiederholungsgefahr gleichsam fortwirken. Alles andere wäre lebensfremd. Die Streichung des § 14 Nr. 2 WEG hat auch nichts in Sachen der „Eigentümerhaftung für ihre Mieter“ in Wegfall geraten lassen. Richtigerweise sind Mieter auch „Bewahrungsgehilfen“ i.S.d. § 278 BGB, so dass Ersatzansprüche der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer und/oder geschädigter Sondereigentümer zu konstruieren sein dürften, wenn nicht nur „bei Gelegenheit“ geschädigt wird. Die Ausführungen zu § 138 Abs. 4 ZPO sind spannend; in der Tat kommt man mit den Erkundigungsobliegenheiten im eigenen Pflichtenkreis oft bei § 138 Abs. 4 ZPO prozessual weiter (dazu auch Dötsch, MDR 2014, 1363; speziell zu Streithelfern BGH, Urt. v. 29.10.2020 - IX ZR 10/20 Rn. 24 f. - NJW 2021, 1957). Mit dem am Rande zitierten Urteil des BGH vom 15.11.1989 (VIII ZR 46/89 - NJW 1990, 453) ist die Ausdehnung auf die eigenen Mieter nicht unproblematisch, und ob sich dies wegen der engen Verwandtschaft ändert, kann man auch infrage stellen. Typischerweise geht es um ein prozessuales Mittel, juristische Personen oder organisierte Gruppierungen bzw. strukturierte Vertriebswege zu mehr prozessualem Vortrag in Streitfragen zu zwingen. Das passt hier nicht unbedingt. Nimmt man diese Hürde nicht, muss man daher aufpassen; bei einem zulässigen Bestreiten mit Nichtwissen bedarf es richtigerweise keiner weiteren Substanziierung (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urt. v. 26.01.2023 - I ZR 15/22 Rn. 18)! Nicht thematisiert wird hier, ob der Unterlassungstitel so in Gänze den Anforderungen des § 253 Abs. 2 ZPO genügt. Was sind denn etwa „laute Geräusche“ oder ein „lautstarkes“ Klopfen? Der Titel selbst muss eine Unterlassungspflicht – sei es hier mittelbar über die „Einwirkungspflicht“ – hinreichend klar beschreiben und darf nicht alle Probleme in die Vollstreckung verlagern. Dabei darf man allerdings schon der Praktikabilität wegen nicht päpstlicher als der Papst sein (zu Lärm etwa BGH, Urt. v. 05.02.1993 - V ZR 62/91 - NJW 1993, 1656; vgl. zudem zu Gerüchen das schöne Beispiel aus LG München I, Urt. v. 03.06.2016 - 40 O 11108/14 als Vorinstanz zu BGH, Urt. v. 24.01.2020 - V ZR 295/16 mit Unterlassungspflicht, „von der unter der Wohnung der Klägerin …. gelegenen und vom Beklagten angemieteten Wohnung aus starke und intensive Gerüche zu emittieren, namentlich süßlichen Essenz Geruch, der würzig-orientalisch riecht, mit einem Aroma von Drogen, der aufsteigt und in die klägerische Wohnung dringt.“). Der Tenor mag daher noch „passen“, zumal man bei § 890 ZPO auf die Entscheidungsgründe zur Auslegung zurückgreifen kann, die die Störungen hier besser umschreiben (nicht oben wiedergegeben).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Zum sog. Wahlrecht des Störers ist die Lösung über die wirtschaftliche Identität beim Streitwert für die Kostenentscheidung zwar „nett“, aber darauf sollte man als Anwalt schon wegen des Gebots des sichersten Weges nicht hoffen. Vertiefend zu Antrag und Tenor etwa Thole in: Staudinger, BGB, 2023, § 1004 Rn. 575 ff. m.w.N. Nach dem Urteil des RG vom 16.04.1896 (VI 418/95 - RGZ 37, 172) soll zwar eine Verurteilung zu einer bestimmten Maßnahme schon bereits dann zulässig sein, wenn der Beklagte als Störer gegenüber einem entsprechend gefassten Klageantrag nicht geltend macht, dass er dadurch in der Auswahl in unzulässiger Weise beschränkt werde, doch dürfte das so pauschal nicht überzeugen (dagegen zu Recht etwa auch Schneider/Schneider, MDR 1987, 639, 640). Eine Verurteilung zu bestimmten Maßnahmen ist richtigerweise nur dann unbedenklich, wenn das Wahlrecht des Störers tatsächlich gar nicht beeinträchtigt wird, so wenn überhaupt nur eine bestimmte Maßnahme die Beseitigung der Störung gewährleistet (Thole, a.a.O., Rn. 576 m.w.N.).
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Was an „Einwirkung“ geschuldet wird, wird dann im Verfahren nach § 890 ZPO oft spannend. Die Rechtsprechung ist hier nicht zimperlich und verlangt etwa auch das Erheben einer wenig aussichtsreichen Klage (OLG Stuttgart, Beschl. v. 30.09.1992 - 8 W 256/92).
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