juris PraxisReporte

Anmerkung zu:OVG Münster 2. Senat, Beschluss vom 01.10.2025 - 2 D 258/21.NE
Autor:Prof. Dr. Thomas Bode
Erscheinungsdatum:04.12.2025
Quelle:juris Logo
Normen:Art 14 GG, Art 20 GG, § 10 BBauG, § 214 BBauG, § 1 BauNVO, § 8 BauNVO
Fundstelle:jurisPR-ÖffBauR 12/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Johannes Handschumacher, RA und FA für Bau- und Architektenrecht
Zitiervorschlag:Bode, jurisPR-ÖffBauR 12/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unzulässigkeit eines Bebauungsplans wegen Verkündungsmangels



Orientierungssätze

1. Den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verkündung eines Bebauungsplans ist nicht genügt, wenn dessen textliche Festsetzungen auf eine nicht öffentlich zugängliche DIN-Vorschrift Bezug nehmen, aber weder die Bekanntmachung noch die Planurkunde auf die Möglichkeit der Einsichtnahme bei der Verwaltungsstelle hinweist, bei der auch der Bebauungsplan eingesehen werden kann.
2. Die Festsetzungen eines Bebauungsplans als Rechtsnorm im materiellen Sinn müssen den aus dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitenden Geboten der Bestimmtheit und Normenklarheit entsprechen. Speziell für Bebauungspläne folgt die Notwendigkeit hinreichender Bestimmtheit sowohl für zeichnerische als auch für textliche Festsetzungen daraus, dass die Festsetzungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG Inhalt und Schranken des grundrechtlich geschützten Eigentums unmittelbar berühren und ausgestalten. Die von den Festsetzungen des Bebauungsplans Betroffenen müssen deshalb wissen, welche Nutzungen auf den Grundstücken zulässig sind. Der planenden Gemeinde steht es dabei frei zu entscheiden, welcher Mittel sie sich bedient, um dem Bestimmtheitsgebot zu genügen.
3. Die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit fehlt nicht schon dann, wenn die Festsetzung der Auslegung bedarf. Es ist daher ausreichend, wenn sich der vom Plangeber gewollte Inhalt des Bebauungsplans durch Auslegung unter Zuhilfenahme der Planunterlagen - insbesondere der Planbegründung - eindeutig ermitteln lässt.
4. Eine im ergänzenden Verfahren vorgenommene externe Gliederung auf der Grundlage von § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO ist unwirksam. Die Vorschrift ist keine taugliche Ermächtigungsgrundlage für die hier vorgenommene Gliederung.
5. Mit einer Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BauNVO lassen sich die zulässigen Nutzungen im Baugebiet nur „verteilen“. Die Vorschrift bietet keine Rechtsgrundlage dafür, eine oder mehrere Arten von Nutzungen auszuschließen. Diese Begrenzung folgt, nicht aus der Pflicht, den Gebietscharakter zu wahren, sondern aus der Ermächtigungsgrundlage.



A.
Problemstellung
Bebauungspläne arbeiten heute selbstverständlich mit technischen Normen, detaillierten Lärmkontingenten und immer feineren Gliederungskonzepten. Genau dieser planerische Werkzeugkasten birgt aber erhebliche rechtliche Fallstricke. Die hier besprochene Entscheidung des OVG Münster zeigt das exemplarisch:
Erstens stellt sich die Frage, ob ein Bebauungsplan wirksam verkündet werden kann, wenn er auf private, kostenpflichtige DIN-Vorschriften verweist, ohne der Öffentlichkeit mitzuteilen, wo sie diese kostenlos einsehen kann.
Zweitens wird deutlich, dass auch die zeichnerische Umsetzung selbst zur Achillesferse werden kann, wenn zentrale Abgrenzungen unklar bleiben und damit die Bestimmtheit der Festsetzungen unterlaufen.
Drittens stehen die Grenzen planungsrechtlicher Steuerung im Fokus: Eine externe Gliederung nach § 1 Abs. 4 BauNVO setzt zwingend ein uneingeschränktes Auffanggebiet voraus. Fehlt ein solches, führt dies ebenfalls zur Unwirksamkeit.
In der Entscheidung geht es darum, dass formelle Transparenzpflichten, zeichnerische Präzision und systemische Bindungen der BauNVO keine bloßen Formalien sind, sondern über die Gültigkeit eines gesamten Planungskonzepts entscheiden können.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Der Normenkontrollantrag richtet sich gegen einen Bebauungsplan der Gemarkung Q. in Nordrhein-Westfalen, der ein großflächiges, teilweise brachliegendes ehemaliges Gewerbeareal zu einem gegliederten Gewerbegebiet mit immissionsbezogenen Teilgebieten weiterentwickeln soll. Kern des planerischen Ansatzes ist die Festsetzung von Gewerbegebieten mit unterschiedlichen immissionswirksamen flächenbezogenen Schallleistungspegeln (IFSP), die auf Grundlage der DIN ISO 9613-2 ermittelt wurden. Die Antragstellerin, Eigentümerin zweier im Plangebiet gelegener Grundstücke, wendet sich gegen die planerische Neuordnung sowie gegen die aus ihrer Sicht wirtschaftlich einseitigen Folgewirkungen der Festsetzungen.
Das OVG Münster hat den Bebauungsplan aus mehreren selbstständig tragenden Gründen für unwirksam erklärt.
Bereits formell genüge der Plan nicht den Anforderungen an die ordnungsgemäße Verkündung. Die textlichen Festsetzungen nehmen auf die DIN ISO 9613-2 Bezug, ohne dass in der Bekanntmachung oder der Planurkunde auf die Möglichkeit der Einsichtnahme dieser Norm hingewiesen wird. Die Norm wird auch in der Hinweiseliste nicht aufgeführt. Der Senat verweist insoweit auf die ständige Rechtsprechung, wonach der Plangeber sicherstellen muss, dass Planbetroffene sich den Inhalt inkorporierter technischer Regelwerke verlässlich und ohne unzumutbare Hürden erschließen können.
Unabhängig davon beanstandet der Senat erhebliche Bestimmtheitsmängel der zeichnerischen Festsetzungen. Die Abgrenzung dreier nördlicher Teilgebiete erfolgt mithilfe der sog. „Perlschnur“ nach Nr. 15.14 PlanZV, die jedoch vor dem Regenrückhaltebecken endet, ohne eine klare räumliche Trennung zwischen den Teilgebieten herzustellen. Die Grenzen „fließen“ faktisch ineinander, so dass nicht zuverlässig erkennbar ist, wo jeweils welche IFSP und baulichen Vorgaben gelten. Eine Korrektur durch Rückgriff auf die Planbegründung scheidet aus, weil diese auf eine Erschließungssituation Bezug nimmt, die im Satzungsbeschluss nicht übernommen wurde.
Darüber hinaus erweist sich die im ergänzenden Verfahren eingefügte externe Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO als unzulässig. Die Vorschrift erlaubt zwar gebietsübergreifende Gliederungen, setzt dafür aber voraus, dass mindestens ein Gewerbegebiet im Gemeindebereich die nach § 8 BauNVO allgemein zulässigen Nutzungen ohne Emissionsbeschränkungen aufnimmt. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil auch die herangezogenen „Ergänzungsgebiete“ der Antragsgegnerin sämtlich Nutzungs- oder Emissionsbeschränkungen enthalten.
Da sowohl die schalltechnische Gliederung als auch die baugebietsbezogene Strukturierung tragende Elemente des Planungskonzepts bilden, scheidet eine Teilunwirksamkeit aus. Der Plan ist in seinem Kern nicht trennbar; die Fehler führen zur Gesamtunwirksamkeit.


C.
Kontext der Entscheidung
I. Verkündungsmangel
Tragende erste Säule der Entscheidung ist der Verkündungsmangel durch die Bezugnahme auf die nicht beiliegenden DIN-Vorschrift. Die Entscheidung des OVG Münster fügt sich insoweit in die gefestigte Rechtsprechung ein, wonach die Verkündung eines Bebauungsplans als konstitutiver Akt strengen Anforderungen unterliegt (vgl. z.B. BVerwG, Beschl. v. 18.08.2016 - 4 BN 24/16 Rn. 7). Dies hängt mit dem Publizitätsgebot zusammen, das zwar nicht unmittelbar aus Art. 20 Abs. 3 GG folgt, aber im Lichte des Rechtsstaatsprinzips einfachgesetzlich in § 10 Abs. 3 BauGB konkretisiert wird. Danach muss der normative Inhalt eines Bebauungsplans im Zeitpunkt der Bekanntmachung zuverlässig erkennbar sein. Die Bekanntmachung verlangt dabei zwar kein heraldisches Zeremoniell, sie muss aber die Betroffenen in die Lage versetzen, ab dem ersten Tag zu verstehen, welche Festsetzungen gelten und auf welche externen Regelwerke sie sich stützen.
1. Formaler Verkündungszeitpunkt entscheidet
Die Frage, ob der Mangel heilbar gewesen wäre, stellt sich in der Praxis häufig. Der abwehrende Reflex – „Kann ein Plan wirklich unheilbar an so einer Petitesse scheitern?“ – ist nachvollziehbar, führt aber in die Irre. Die Verkündung ist nicht irgendeine Formalität, sondern der Moment, in dem die Satzung rechtliche Existenz erlangt. Gerade der Zeitpunkt ist entscheidend: Die Satzung entsteht nicht „allmählich“, sondern mit einem punktuellen, rechtlich wirksamen Akt. Ist die Norm in diesem Moment unvollständig erkennbar, entsteht sie nicht wirksam. Es kommt nicht darauf an, ob tatsächlich jemand am ersten Tag Einsicht verlangt, sondern darauf, dass er es hätte tun können. Das ist auch nicht praktisch unrealistisch, denn schon am ersten Tag nach Bekanntmachung können Akteure auf den Bebauungsplan angewiesen sein: ein Bauherr mit einem fristbewussten Antrag, ein Nachbar, der sich wehren muss, oder die Gemeinde selbst, die eine Veränderungssperre oder Zurückstellung begründet. Wenn der normative Inhalt dann nicht vollständig erkennbar ist, entsteht Rechtsunsicherheit in einem Moment, in dem die Bindungswirkung des Plans bereits eingesetzt hat. Genau das soll die strikte Verkündungslehre verhindern. Das lässt sich mit einer politischen Wahl vergleichen: Ein fehlerhaft gedruckter Stimmzettel kann nicht dadurch geheilt werden, dass am Folgetag die richtige Liste veröffentlicht wird. Deshalb ist ein Verkündungsmangel dieser Art auch nicht heilbar; die Heilungsvorschriften der §§ 214 ff. BauGB erfassen ihn bewusst nicht.
2. Bezugnahme auf extern gehaltene Materialien reicht nicht
Grundsätzlich wiegt ein Verkündungsmangel also schwer, und es ist gut verständlich, warum das Gericht mit diesem formalen Fehler allein den Fall bereits „abräumen“ kann. Dabei ist aber die Voraussetzung, ob überhaupt ein solcher Mangel vorlag, nicht offensichtlich. Denn die in Bezug genommene DIN ISO 9613-2 bestand bereits lange vorher und konnte von jedermann im Verkündungszeitpunkt gekauft und gelesen werden. Der Einwand, diese sei in Bezug genommen und käuflich erhältlich gewesen, greift aber zu kurz. Eine käufliche Norm ist nicht „öffentlich zugänglich“.
DIN-Normen sind keine Gesetze, sondern private technische Regelwerke, die vom Deutschen Institut für Normung e.V. – einem privatrechtlichen Verein – erarbeitet und vertrieben werden. Sie entfalten aus sich heraus keinerlei Rechtswirkung. Ihr Inhalt ist urheberrechtlich geschützt, nur gegen Entgelt erhältlich und daher nicht allgemein zugänglich. Es handelt sich also im Kern um standardisierte fachtechnische Anleitungen, nicht um staatliche Normen.
Rechtliche Bedeutung gewinnen DIN-Normen erst dadurch, dass der Staat oder – wie hier – die Gemeinde sie in Bezug nimmt. Es handelt sich also auch nicht um eine schlichte Verweisung auf ein anderes (wenn auch nur materielles) Gesetz. Der Plangeber „leiht“ sich gewissermaßen ein Stück Satzungsinhalt vom privat organisierten DIN, ohne dass dieses Werk je den Weg eines demokratischen Normsetzungsverfahrens durchlaufen hätte. In dem Moment, in dem die DIN-ISO 9613-2 zur Grundlage schalltechnischer Festsetzungen gemacht wird, erhält ein privates Dokument eine quasi-normative Wirkung, obwohl es weder öffentlich einsehbar noch kostenfrei zugänglich ist.
Gerade darin liegt das Problem: Ein Bürger muss die maßgebliche technische Regel verstehen können, ohne zuvor ein kostenpflichtiges Dokument erwerben oder technische Expertise besitzen zu müssen. Das Rechtsstaatsprinzip verlangt, dass eine Satzung ab dem ersten Tag nachvollziehbar ist. Privatisierte Normbestandteile funktionieren nur dann als Planbestandteil, wenn die Gemeinde sie selbst zur Einsicht bereitstellt und ausdrücklich darauf hinweist. Geschieht das nicht, entsteht – wie hier – ein klassischer Verkündungsmangel, weil der normative Gehalt der Satzung im Zeitpunkt ihres Inkrafttretens nicht vollständig erkennbar war.
Das lässt sich auch nicht mit dem möglichen Vorwurf eines an praktischen Realitäten vorbeigehenden Formalismus wegdiskutieren: Der Erwerb dieser kostenpflichtigen technischen Regel kann für Privatpersonen, kleine Betriebe und Betroffene eine spürbare finanzielle Hürde darstellen. Schon die einfache PDF-Fassung der DIN kostet derzeit 80,20 Euro, die Druckversion 99,60 Euro – und das ist nur Teil 2 einer größeren Normenreihe. Wer geltendes Satzungsrecht nur gegen Entgelt erschließen kann, ist gerade nicht im Sinne des Rechtsstaatsprinzips ausreichend informiert. Hinzu kommen praktische Zugangshürden: unterschiedliche Fassungsstände, technische Vorkenntnisse, digitale Bezahlschranken.
Auch moderne Informationsmittel lösen dieses Problem nicht. Die Vorstellung, man könne sich die DIN „im Internet besorgen“ oder künftig eine KI befragen, verkennt den rechtsstaatlichen Charakter der Bekanntmachung. Weder die zufällige Auffindbarkeit einer Norm im Netz noch eine KI-Antwort bieten die notwendige Rechtssicherheit. KI-gestützte Auskünfte sind bekanntlich fehleranfällig, geben oft falsche Fassungen wieder und sind nicht rechtsverbindlich. Das Publizitätsgebot verlangt staatlich gewährleistete Transparenz, nicht private Rechercheleistungen oder technische Improvisation. Die reine Möglichkeit, eine ungesetzliche Norm zu erwerben, ist kein Ersatz für eine kostenfreie Einsichtnahme bei der planaufstellenden Gemeinde. Der Staat muss die Norm zugänglich machen und nicht der Bürger sich selbst helfen.
Für die gravierenden rechtlichen Folgen (Unwirksamkeit) kommt es dabei nur auf den objektiven Fehler, nicht auf ein irgendwie geartetes Verschulden bei der Planung an. Bitter ist insoweit, dass die Gemeinde in den Hinweisen durchaus mehrere DIN-Vorschriften ordnungsgemäß benannt und deren Einsichtnahme ermöglicht hatte, jedoch ausgerechnet die für die schalltechnischen Festsetzungen maßgebliche DIN ISO 9613-2 nicht erfasst wurde. Dieser selektive Ausfall legt nahe, dass im konkreten Fall wahrscheinlich kein grundsätzliches Missverständnis der Anforderungen, sondern ein schlichtes Übersehen vorlag.
II. Zeichnerische Unbestimmtheit – Das Ende der Perlschnur im Nirvana
Bemerkenswert ist zudem, dass das OVG die Unwirksamkeit nicht allein auf den Verkündungsmangel stützt. Der Senat stellt die Entscheidung vielmehr „auf mehrere Füße“. Er bemängelt auch die zeichnerische Unbestimmtheit der Teilgebiete.
Die zeichnerische Abgrenzung der drei nördlichen Teilgebiete erfolgt mittels der sog. Perlschnur (kreisförmig punktierte Abgrenzungslinie nach Nr. 15.14 PlanZV). Dieses Zeichen dient ausschließlich dazu, räumliche Grenzen eindeutig zu markieren. Seine Funktion verlangt, dass Beginn, Verlauf und Ende klar erkennbar sind.
Genau daran fehlt es hier: Die Perlschnur verläuft zunächst entlang der Erschließungsstraße, endet aber unmittelbar vor dem vorgesehenen Regenrückhaltebecken quasi im Nirvana, ohne irgendeine Grenze zwischen den betroffenen Teilgebieten zu schließen. Die Gebiete „laufen“ dadurch faktisch ineinander über. Für den Planbetroffenen bleibt nicht erkennbar, wo das eine Teilgebiet endet, wo das nächste beginnt und welche der unterschiedlichen Festsetzungen (IFSP, Bauweise) jeweils gelten sollen.
Auch die Planbegründung hilft nicht weiter, weil sie auf einen Erschließungsstand Bezug nimmt, der im beschlossenen Plan nicht enthalten ist. Damit liegt ein klassischer Bestimmtheitsmangel vor, der die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes unabhängig vom Verkündungsmangel trägt: Eine Festsetzung, deren räumlicher Geltungsbereich sich aus dem Plan selbst nicht bestimmen lässt, ist unwirksam, und sie lässt in ihrer konkreten Erheblichkeit den übrigen Plan wegen struktureller Verflechtung als unbrauchbaren Planungstorso zurück. Auch dieser Teil ist keine Überraschung, sondern liegt auf Linie bzw. Perlschnur der Rechtsprechung (vgl. z.B. VGH München, Beschl. v. 18.11.2024 - 15 N 24.1048 Rn. 19; VGH Mannheim, Urt. v. 12.07.2023 - 5 S 3193/21 Rn. 73; OVG Münster, Urt. v. 02.12.2016 - 2 D 121/14.NE Rn. 62 ff.).
III. Unzulässige externe Gliederung: Fehlgriff bei § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO
Der dritte zusätzlich ebenfalls für die Unwirksamkeit ausreichende Mangel betrifft die im ergänzenden Verfahren eingefügte externe Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO. Die Gemeinde hatte versucht, die immissionsbezogene Strukturierung des festgesetzten Gewerbegebiets durch Bezugnahme auf drei andere Bebauungspläne zu „verankern“ und gewissermaßen eine gebietsübergreifende Lärm- und Nutzungshierarchie zu schaffen. Der Senat stellt jedoch klar, dass § 1 Abs. 4 Satz 2 BauNVO hierfür keine taugliche Ermächtigungsgrundlage bietet. Die Vorschrift ermöglicht lediglich, Festsetzungen über die Verteilung zulässiger Nutzungen zwischen mehreren vorhandenen Gewerbegebieten zu treffen. Sie setzt dafür zwingend voraus, dass mindestens eines dieser Gebiete die in § 8 BauNVO generell zulässigen Nutzungen uneingeschränkt, also ohne Emissions- oder Nutzungsbeschränkungen, aufnimmt.
An dieser Voraussetzung fehlte es hier vollständig. Die herangezogenen „Ergänzungsgebiete“ enthielten sämtlich Nutzungs- oder Immissionsbeschränkungen – sei es durch Ausschluss einzelner Anlagenarten, durch Emissionskontingente oder durch Bezug auf alte Abstandslisten. Kein einziges Gebiet erfüllte die Rolle eines uneingeschränkten „Auffanggebiets“, das nach der Konzeption des § 1 Abs. 4 BauNVO zwingend zur Verfügung stehen muss. Ohne ein solches Gebiet lässt sich jedoch keine koordinierte Gesamtgliederung im Sinne der Vorschrift bilden; es entsteht vielmehr eine lärmtechnische Kette wechselseitiger Einschränkungen, die gerade die intendierte Funktion einer ausgewogenen Verteilung unterläuft.
Der Senat zieht daraus zutreffend den Schluss, dass die externe Gliederung bereits tatbestandlich unzulässig ist. Sie kann auch nicht als bloße „Klarstellung“ oder ergänzende Begründungsspur verstanden werden, weil sie – wie im Urteil ausgeführt – unmittelbar normative Wirkung beansprucht und damit integraler Bestandteil des Plans ist. Die Fehlerhaftigkeit dieser Gliederung betrifft zudem das Rückgrat der planerischen Konzeption: Die Struktur des Gewerbegebiets wird wesentlich durch die interne und externe Lärm- und Nutzungsverteilung bestimmt. Fällt diese Grundlage weg, verliert die Planung ihre innere Systematik. Eine Teilunwirksamkeit scheidet deshalb aus; die externe Gliederung ist weder isolierbar noch verzichtbar, sondern ein tragender Baustein des gesamten Planwerks. Auch das ist Standard der Rechtsprechung (vgl. zur externen Gliederung z.B. BVerwG, Beschl. v. 13.05.2024 - 4 BN 26/23 Rn. 10).
Damit steht der Bebauungsplan – unabhängig von Verkündungsmangel und Bestimmtheitsfehler – auf einer dritten eigenständigen Säule der Unwirksamkeit.
Die Gemeinde zielte der Sache nach ersichtlich auf ein „ruhiges“ Gewerbegebiet, wollte aber zugleich die von der Antragstellerin favorisierte Mischnutzung (Einzelhandel/Wohnen) verhindern. Die planerische Einhegung ging jedoch so weit, dass das Gebiet die prägenden Merkmale eines echten Gewerbegebiets nach § 8 BauNVO verlor. Ohne ein uneingeschränktes Auffanggebiet lässt sich die nach § 1 Abs. 4 BauNVO zulässige Gliederung aber nicht bilden. Die Gemeinde versuchte damit wohl faktisch, ein neues Gebietsmodell zu schaffen – ein „besänftigtes Gewerbegebiet“ –, das die BauNVO nicht kennt.
IV. Wirtschaftspolitischer Hintergrund
Auf der Metaebene wirtschaftlicher und politischer Faktoren wirkt der planerische Konflikt um dieses Gebiet nicht überraschend. Der Tatbestand deutet an, dass es um ein im Hinblick auf seine zukünftige Nutzung seit Jahren umkämpftes bis vor einigen Jahren vorwiegend industriell geprägtes Areal ging, dessen wirtschaftliche Perspektiven und Nachnutzungsmöglichkeiten zwischen privater Verwertung und kommunaler Steuerungsabsicht standen. Dass die Planung bei ohnehin diffizilen Problemlagen (Altlasten, Sanierungsbedarf, Strukturwandel) auch noch im Spannungsfeld teilweise unvereinbarer Interessen – vor allem divergierender Nutzungskonzepte von Antragstellerin und Kommune – erfolgte, erklärt, warum der Bebauungsplan in seiner Gesamtheit auffällig komplex und zugleich in einzelnen Punkten unausgereift wirkt.
Schließlich erlaubt der anonymisierte Sachverhalt auch eine vorsichtige räumliche Einordnung: Die Bezeichnung „Gemarkung Q.“ ist kein bloßer Zufallsbuchstabe, sondern entspricht typischerweise dem realen Katasterblatt. In Nordrhein-Westfalen existieren nach Kenntnis des Verfassers lediglich zwei Gemarkungen mit dem Anfangsbuchstaben Q: Quettingen (Leverkusen) und Querenburg (Bochum). Während Querenburg weitgehend ein Wohn- und Hochschulstandort ist, deckt sich die im Urteil beschriebene Kombination aus ehemaligem Galvanikbetrieb, metallischen Altlasten, brachliegenden Fabrikanlagen und gewerblichen Konflikten bemerkenswert gut mit Strukturen, wie sie für Leverkusen-Quettingen charakteristisch sind. Eine Identifikation lässt die Anonymisierung selbstverständlich nicht zu, die planerische Ausgangslage verweist jedoch auf einen vergleichbaren Kontext einer mittelgroßen, industriell geprägten Gemarkung. An Hotspots der (ehemals starken) bergischen Galvanikindustrie wie Solingen und Remscheid lässt sich aber ein ähnliches Szenario denken.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung zeigt eindrucksvoll, dass Bebauungspläne nicht nur materiell, sondern auch formell und zeichnerisch angreifbar sind. Für Planungsämter und externe Büros bedeutet das: Die „kritischen Stellen“ liegen oft nicht im Abwägungsmaterial, sondern im Handwerk der Planaufstellung.
I. Umgang mit DIN-Normen
Wer technische Regelwerke in textlichen Festsetzungen verwendet – und gerade bei Schallkontingentierungen lässt sich das kaum vermeiden – muss die entsprechenden DIN-Normen ausdrücklich zur Einsicht bereithalten und sichtbar darauf hinweisen. Die bloße Erwähnung einzelner DIN-Vorschriften in den Hinweisen genügt nicht, wenn gerade die maßgebliche Norm fehlt.
Empfehlenswert sind interne Checklisten für den Bekanntmachungsprozess und eine klare Dokumentation, welche Normen am Tag der Verkündung physisch vorlagen.
II. Zeichnerische Bestimmtheit ernst nehmen
Planzeichensymbole wie die Perlschnur nach Nr. 15.14 PlanZV sind keine grafischen Dekorationen, sondern verbindliche Abgrenzungsinstrumente. Sie müssen die Teilgebiete tatsächlich trennen. Endet eine Abgrenzungslinie „im Nirwana“, werden die Festsetzungen unbestimmt – und damit angreifbar.
Gerade bei der räumlichen Differenzierung von IFSP oder Bauweisen sollte das Vier-Augen-Prinzip gelten: Wer den Plan zeichnet, prüft nicht allein.
III. Zurückhaltung bei externen Gliederungskonzepten
Die Entscheidung mahnt zur Vorsicht bei Gliederungen nach § 1 Abs. 4 BauNVO. Eine gebietsübergreifende Gliederung setzt zwingend voraus, dass es mindestens ein Gewerbegebiet ohne zusätzliche Beschränkungen gibt, das die nach § 8 BauNVO zulässigen Nutzungen auffangen kann. Dies ist in der Praxis selten der Fall.
Wer eine fein abgestufte Lärm- oder Nutzungskaskade bildet, ohne ein solches „Auffanggebiet“ zu haben, erzeugt leicht ein nicht mehr gesetzeskonformes System.
IV. Konsequenzen für die Planstrategie
Für Kommunen ergibt sich daraus die Notwendigkeit, frühzeitig zu entscheiden, welches Gebietsmodell tatsächlich gewollt ist. Wer ein „ruhiges“ GE schaffen möchte, ohne störende Nutzungen zuzulassen, sollte prüfen, ob nicht ein Sondergebiet oder ein MI/MD/Urbanes Gebiet das zutreffendere Rechtskleid ist. Die BauNVO gibt die Systematik vor; wer sich nicht daran hält, riskiert die Gesamtunwirksamkeit des Plans.
V. Dokumentation und Schulung
Die Fehler des vorliegenden Plans sind typische „Dauerbrenner“ der Bauleitplanung: verkürzte Verkündung, zeichnerische Unsauberkeiten, fehlende Systemtreue bei Gliederungen. Eine sorgfältige interne Schulung und klare Verfahrensanweisungen können viele Fehler vermeiden.



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