§ 6e EStG gilt rückwirkendLeitsatz Die rückwirkende Anwendung von § 6e des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf Wirtschaftsjahre, die vor dem 18.12.2019 enden (§ 52 Abs. 14a EStG), verstößt nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot. - A.
Problemstellung Der IX. Senat des BFH hatte zu entscheiden, ob die gesetzlich angeordnete Rückwirkung des im Jahr 2019 eingeführten § 6e EStG (Aktivierung von sog. Fondsetablierungskosten) mit Verfassungsrecht vereinbar ist. Er bejahte dies.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin, eine vermögensverwaltende Personenhandelsgesellschaft, vermietete im Streitjahr 2014 eine als Studentenwohnheim genutzte Immobilie. Zur Absicherung der Mieteinkünfte schloss die Klägerin einen Garantievertrag. Hierzu leistete sie im Streitjahr eine Pachtgarantie und eine „Pre-Opening“-Zahlung an die Garantiegeberin. Die Klägerin behandelte die Pachtgarantie als aktiven Rechnungsabgrenzungsposten mit einer Laufzeit von 25 Jahren. Die „Pre-Opening“-Zahlung zog sie sofort als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung ab. Das Finanzamt qualifizierte beide Ausgaben als zu aktivierende Fondsetablierungskosten gemäß § 6e EStG. Die Klage hatte keinen Erfolg. Mit ihrer Revision führte die Klägerin an, die rückwirkende Anwendung von § 6e EStG (= § 52 Abs. 14a EStG) verstoße gegen Verfassungsrecht. Der BFH teilte diese Auffassung nicht und wies die Revision zurück. I. Ausgangslage: Die Beteiligten stritten nicht über das einfachgesetzliche Recht. Die von der Klägerin im Streitjahr 2014 gezahlte Pachtgarantie (einschließlich „Pre-Opening“-Gebühr) unterfiel dem neu geschaffenen Tatbestand des § 6e EStG, der für Vermietungseinkünfte entsprechend gilt (§ 9 Abs. 5 Satz 2 EStG). Die Ausgaben waren somit aktivierungspflichtig. § 6e EStG wurde durch das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451) mit Wirkung zum 18.12.2019 eingefügt. § 52 Abs. 14a EStG ordnet an, dass § 6e EStG – wie im Streitfall – bereits für Wirtschaftsjahre anzuwenden ist, die vor dem 18.12.2019 enden. Der Streit in der Besprechungsentscheidung rankte sich ums Verfassungsrecht. Die Klägerin vertrat die Ansicht, die rückwirkende Anwendung von § 6e EStG auf das Streitjahr 2014 verstoße gegen das in Art. 20 Abs. 3 GG (Rechtsstaatsprinzip) verankerte Rückwirkungsverbot. Dieser Auffassung erteilte der IX. Senat des BFH eine Absage. II. Der BFH konstatierte zwar, dass der Gesetzgeber mit § 52 Abs. 14a EStG eine „echte“ Rückwirkung geschaffen habe. Dies ist dann der Fall, wenn eine Rechtsnorm belastende Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände entfalten soll (BVerfG, Beschl. v. 25.03.2021 - 2 BvL 1/11 Rn. 52 - BVerfGE 157, 177). Der Gesetzgeber muss durch das neue Recht eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändern (BVerfG, Beschl. v. 10.10.2012 - 1 BvL 6/07 Rn. 44 - BVerfGE 132, 302; BFH, Urt. v. 05.09.2023 - IV R 24/20 Rn. 73 - BFHE 281, 374). Dies war im Streitfall gegeben. Die Einkommensteuer 2014 war nach § 36 Abs. 1 EStG mit Ablauf des Jahres 2014 entstanden und wurde durch die Anordnung der rückwirkenden Anwendung von § 6e EStG nachträglich zulasten der Klägerin (bzw. deren Gesellschaftern) abgeändert. Wegen § 6e EStG waren die hierunter fallenden Ausgaben nicht mehr sofort steuermindernd abziehbar, sondern führten zu Anschaffungskosten auf Wirtschaftsgüter. Die Ausgaben wurden nur ratierlich zu steuerlich abziehbarem Aufwand. III. Gesetze mit echter Rückwirkung sind im Regelfall verfassungsrechtlich unzulässig. Dies gilt allerdings nicht, wenn sich für den Steuerpflichtigen kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig ist (BVerfG, Beschl. v. 12.07.2023 - 2 BvR 482/14 Rn. 43). So ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, eine Rechtslage rückwirkend festzuschreiben, die vor einer Rechtsprechungsänderung einer gefestigten Rechtsprechung und einheitlichen Rechtspraxis entsprach (BVerfG, Beschl. v. 15.10.2008 - 1 BvR 1138/06 Rn. 15). Ändert sich die Rechtsprechung, kann sich ein berechtigtes Vertrauen in die neu beurteilte Rechtsfrage nicht vor der Änderung bilden (BVerfG, Beschl. v. 12.07.2023 - 2 BvR 482/14 Rn. 45). IV. Nach diesen Maßstäben hielt der BFH die rückwirkende Anwendung von § 6e EStG für verfassungsgemäß. Im Dispositionszeitpunkt (= Streitjahr 2014) habe kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin bestanden, die streitigen Ausgaben sofort abzuziehen. Denn bis zum Ergehen des richtungsändernden BFH-Urteils vom 26.04.2018 (IV R 33/15 - BStBl II 2020, 645) waren nach gefestigter Rechtsprechung Fondsetablierungskosten bei modellhafter Gestaltung unter Anwendung von § 42 AO als Anschaffungskosten behandelt worden und wirkten sich daher nur über die AfA aus (zuletzt BFH, Urt. v. 29.02.2012 - IX R 13/11 Rn. 26). Eben jene Rechtsprechungsgrundsätze habe – so der BFH – der Gesetzgeber mit § 6e EStG festschreiben wollen (vgl. BT-Drs. 19/13436, S. 102). Durch das für sie günstige BFH-Urteil vom 26.04.2018 sei für die Klägerin kein gegenläufiges schutzwürdiges Vertrauen begründet worden. Dies erläuterte der BFH u.a. damit, dass die erst im Jahr 2018 ergangene BFH-Entscheidung die von der Klägerin bereits im Jahr 2014 vorgenommene Disposition nicht (rückwirkend) habe beeinflussen können.
- C.
Kontext der Entscheidung I. Es entsprach langjähriger und gefestigter Rechtsprechung des BFH, dass Aufwendungen eines Immobilienfonds für die Fondsetablierung in der Steuerbilanz des Fonds in voller Höhe als Anschaffungskosten der erworbenen Wirtschaftsgüter zu behandeln sind, wenn sich die Fonds-Gesellschafter aufgrund eines vom Projektanbieter vorformulierten Vertragswerks an dem Fonds beteiligen. Die Rechtsprechung beruhte auf der Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung i.S.v. § 42 AO. Jener Missbrauch wurde darin gesehen, dass statt der wirtschaftlich veranlassten Vereinbarung eines Gesamtkaufpreises für das anzuschaffende Wirtschaftsgut gesonderte Verträge über Dienstleistungen mit entsprechenden Honoraren vereinbart werden, um auf diese Weise sofort abzugsfähige Ausgaben zu schaffen, die zu einer erheblichen Senkung der Steuerlast der Anleger führen sollten (statt vieler BFH, Urt. v. 08.05.2001 - IX R 10/96 - BStBl II 2001, 720). Dies entsprach der von der Finanzverwaltung im „Bauherren- und Fonds-Erlass“ vertretenen Auffassung (BMF, Schr. v. 20.10.2003, BStBl I 2003, 546). Diese Rechtslage stellte der IV. Senat des BFH mit seiner Entscheidung vom 26.04.2018 infrage. Er vertrat dort die Ansicht, dass jedenfalls für Jahre seit Inkrafttreten des § 15b EStG (das heißt seit 2006) die vorgenannte Rechtsprechung nicht mehr angewendet werden könne. Für die auf § 42 AO beruhende Rechtsprechung habe – so die Begründung – der Gesetzgeber mit § 15b EStG eine eigene Regelung für Aufwendungen bei bestimmter modellhafter Gestaltung getroffen, so dass ein Rückgriff auf § 42 AO gesperrt sei (BFH, Urt. v. 26.04.2018 - IV R 33/15 Rn. 23, 25 ff. – BStBl II 2020, 645). Diese Entscheidung wiederum nahm der Gesetzgeber zum Anlass, mit § 6e EStG die bisherigen (gefestigten) Rechtsgrundsätze zur Aktivierungspflicht von Fondsetablierungskosten gesetzlich zu fixieren. Ohne dass dies in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck kommt, handelt es sich um ein Nichtanwendungsgesetz zur BFH-Entscheidung aus dem Jahr 2018. II. Nunmehr wird in § 6e Abs. 1 Satz 1 EStG geregelt, dass zu den Anschaffungskosten von Wirtschaftsgütern, die ein Steuerpflichtiger gemeinschaftlich mit weiteren Anlegern gemäß einem von einem Projektanbieter vorformulierten Vertragswerk anschafft, auch die Fondsetablierungskosten i.S.v. § 6e Abs. 2 und Abs. 3 EStG gehören. Haben die Anleger in ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit keine wesentlichen Möglichkeiten zur Einflussnahme auf das Vertragswerk, gelten die Wirtschaftsgüter im vorgenannten Sinne nach § 6e Abs. 1 Satz 2 EStG als angeschafft. III. Im Streitfall waren die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Klägerin war eine Projektanbieterin mit dem Ziel der Herstellung und Vermietung einer Immobilie als Studentenwohnheim. Hierfür verwandte sie ein vorformuliertes Vertragswerk, auf das die Anleger keine wesentlichen Einflussnahmemöglichkeiten i.S.v. § 6e Abs. 1 Satz 2 EStG hatten. Dementsprechend waren die Pachtgarantie und die „Pre-Opening“-Zahlung Fondsetablierungskosten im gesetzlichen Sinne (vgl. § 6e Abs. 2 Satz 2 EStG).
- D.
Auswirkungen für die Praxis § 6e EStG gilt nicht nur für bilanzierende Fonds. Die Norm ordnet in ihrem Absatz 4 an, dass dieselben Rechtsgrundsätze bei der Einnahmen-Überschuss-Rechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) Anwendung finden. § 9 Abs. 5 Satz 2 EStG regelt zudem, dass § 6e EStG auch bei den Überschusseinkunftsarten zu beachten ist.
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